Kaffee inner Pappe (2)
Anders schwitzte immer noch, vielleicht ein bisschen mehr, und die Sommerbrise rauchte ihm seine halbe Kippe weg, so schien es ihm, während er den HanuCappu im Kreis schwappen ließ, um zum letzten Schluck anzusetzen.
Da kam eine Kommilitonin vorbei, und schlagartig wurde ihm klar, wie sehr er es bis zu dem Punkt genossen hatte, allein zu sein. "Huhu," sagte sie. "Na," sagte Anders und kniff die Augen zusammen, so wie ein Westernheld, wenn er emotionskarg in die Wüste schaut.
Im Westen gab's keine Helden.
Er versuchte zu lächeln oder immerhin neutral zu schauen, aber er hatte eigentlich keinen Bock drauf.
"Guck mal, was für 'nen witzigen Flyer ich gefunden habe!", meinte sie, und ein Papier bog sich ihm überschwänglich entgegen, als sie es ihm hinhielt. Erst in dem Moment fiel ihm auf, dass er in der einen Hand seine Geldbörse und in der anderen seine Kippe und den Pappbecher hielt, und dass das auf dem Milchschaum gar kein Kakaopulver war. "Scheiße," murmelte er. "Was?", fragte sie. "Äh, sorry, hab die Hände voll!"
Er stürzte das aschige Haselnussgetränk herunter, nahm den letzten Zug und drückte ihn zischend in dem Becher aus. Dann stopfte er fahrig seine Geldbörse in die Arschtasche und steckte die Hände in die Hosentaschen. "Okay, sorry, zeig mal den Flyer."
Sie hielt ihn ihm etwas betreten hin, und irgendwie freute er sich über ihre Sensibilität, doch fand es gleichzeitig beklemmend.
Kacke, er musste doch die Hände aus den Hosentaschen nehmen. Er nahm den Flyer und sah ihn sich an. Es war ein National Geographic Kameramann darauf abgebildet, der über Lava gebeugt angestrengt durch sein Objektiv starrte, um Aufnahmen von einem Vulkan zu machen, während das Stativ der Kamera Feuer gefangen hatte. "Heiß auf die Forschung?" stand drüber.
Der Typ ließ sich echt von seinem Job verzehren. Anders musste tatsächlich schmunzeln, und das sollte doch mal was heißen.
"Geil," sagte er und sah Mathilda kurz an. Sie wirkte immer noch etwas irritiert, was ihn irgendwie ärgerte. Seine schlechte Laune erkannte sie, seine gute Laune in der Schlechten drin blieb ihr jedoch verborgen. Wenn sie schon sensibel sein wollte, dann doch wenigstens richtig.
Oder ihn halt einfach in Ruhe lassen.
"Ich glaub, ich rauch noch eine, willst du auch?", versuchte er, sie loszuwerden, da er wusste, dass sie nicht rauchte. "Nö, danke. Hast du die anderen schon gesehen heut?" Er wünschte, ja. Dann könnte er sie dahin schicken. "Nope," murmelte er, während er sich auf sein kleines Bastelprojekt fokussierte. Sie schaute ihm dabei zu, und das kotzte ihn an. Er versuchte, so arrogant und ungesund wie möglich dabei auszusehen.
"Ich versteh nicht, ob die einfach nicht lernen oder alle zuhause lernen," plapperte sie weiter. "Joa, ich auch nicht," nuschelte er. Dann schaute sie still in den Garten, und er hob seinen Blick. Plötzlich war's doch vielleicht nicht mehr so kacke. "Stresst es dich? Lernen mein ich," fragte er. "Ja, geht, ich lass mich halt nicht so stressen. Ich glaube, mich stresst eher, dass es mich nicht stresst. Dass alles so egal ist und schon irgendwie geht. Dass es einen nicht interessiert und keine Energie und kein Stress von innen kommt."
"Jup."
Hm. Vielleicht war Mathilda ja doch ganz cool. Anders nahm einen tiefen Zug. "Aber mich stresst es halt ultra. Obwohl ich gleichzeitig genau dasselbe denke wie du."
"Oh, tut mir leid. Aber wird schon!"
Sie ertrug tapfer den Rauch in der warmen Luft und versuchte so zu gucken, als würde es sie nicht stören. "Ja, wird schon. Ich mach dann auch mal weiter," sagte er und ging direkt los.
Sie verstand es sofort. "Okay," sagte sie etwas geknickt, und es tat ihm leid und gleichzeitig auch nicht. "Jo, viel Erfolg ne. Bis denne," er nickte ihr zu.
Dann ging er in einem Bogen zurück zur Bib, schmiss im Laufen seinen Kaffe-Aschenbecher in den Müll, lief weiter und streckte gedankenverloren seinen Arm aus, um –
"ANDERS das DING!"
Er zog seinen Arm zurück. Ach du Scheiße. Die kleinen fragilen Teile, die Honda Civics, die Pflegekinder seines Dozenten.
Das wär's jetzt geworden, Alter.
Mathilda holte ihn ein und lachte so ein schönes Lachen, dass er einfach mit einstimmen musste. "Oh shit," rief er und grinste sie an, sie rieb sich über die Stirn und lachte zurück.
"Du hast einfach fast grade den meteorologischen Weltuntergang in die Station geascht," sagte sie.
"Ich bin ein Phönix," sagte er.
"Du bist ein Raucher. Sag mal, kann ich mit in die Bib kommen?"
"Ja, na klar."
Sie liefen zur Bibliothek, nicht diagonal, sondern auf dem Weg. Als er ein paar Minuten später dann Mathilda gegenüber saß und im Augenwinkel sah, wie konzentriert sie in ihren Bildschirm starrte und sich tatsächlich noch ein Buch und einen Notizblock aufgeschlagen hatte, spürte er sogar fast so etwas wie Hoffnung. Sie hatte vorher gelogen, als sie meinte, dass ihr die Begeisterung fehlt. Subjektiv empfand sie es wohl so. Objektiv war's aber gelogen. Aber das war okay. "Lieber ein Optimist, der sich mal irrt, als ein Pessimist, der andauernd Recht hat." Oder so.
Vielleicht würde er auch irgendwann mal so bereit und da für eine Sache sein wie der National Geographic Fotograf für sein Bild. Bis dahin wollte er zumindest seinen Blick nicht verlieren für andere Leute, die das tun.
Beim Beobachten musste er nur aufpassen, sich nicht die Finger an der Kippe zu verbrennen.
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