31

Die Kneipe, im Inneren eines unscheinbaren und grauen Hauses war weniger belebt und viel dunkler, exklusiver. Ich konnte mir durch meinen Job einen bestimmten Lebensstiel leisten. Zumindest manchmal. Das Holz an den Wänden war massiv und edel, der rote Samt auf den Stühlen teuer. Die Musik war um Längen besser und das Klientel betuchter. Ein Bodyguard nahm mir am Eingang meinen Mantel ab und wies mir mit neutraler Miene den Weg, den ich ohnehin schon kannte. Der rote, schwere Teppichboden verschluckte meine Schritte nahezu vollständig und gab mir einen federnden Gang. Wenn Sun davon wüsste, würde er mich umbringen. Naja, er wusste aber nichts davon. Wenn mein Gewissen rein bleiben sollte, durfte ich es nicht benutzen.

Wie üblich ging ich an der Bar vorbei, in ein Hinterzimmer. Verborgen hinter der schweren Holztür lag ein kleiner Raum. Er war ganz schick, mit Kronleuchter und Ölgemälden von ernst dreinblickenden Menschen in schweren Holzrähmen. Das jedoch war nur die Dekoration. Das Herzstück war der Pokertisch in seiner Mitte. An ihm saßen auch schon verschiedene Menschen, die ich von anderen Spielen kannte. Wirklich oft ließ ich mich hier nicht blicken, aber ab und an pokerte ich gerne eine Runde. Wie üblich holte ich eine Sonnenbrille aus meiner Tasche und setzte sie auf. Das war so ein running Gag hier. Die anderen trugen ebenfalls welche. Ich setzte mich an einen freien Platz und wartete, bis die Runde fertig gespielt war. Als die neue Runde begann, war noch eine weitere Frau hinzugekommen. Sie hatte hochgesteckte braune Haare, dunkelroten Lippenstift aufgetragen und war in ein enges schwarzes Kleid gehüllt. Es stand ihr ausgezeichnet. Sie war vielleicht 20-25 Jahre alt. Das auffälligste an ihr war aber die schwere Kette um ihren Hals, an der lediglich eine Kralle, vielleicht die einer Katze, hing. Ein dicker Diamant wäre passender gewesen. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen. „Nun meine Heeren, ich bin dann bereit, zu spielen", verkündetet sie schließlich und schob den Mindes-Einsatz in die Mitte des Tisches. Meine Karten lagen scheinbar unbeachtet vor mir, doch ein kurzer Blick zuvor hatte mir bestätigt, so gut wie verloren zu haben. Ich würde versuchen zu bluffen. Die Runde zog sich und obwohl neue Karten aufgedeckt wurden, verbesserte sich meine Chance nicht. Dennoch umspielte ein siegessicheres Lächeln meine Mundwinkel. Der erste stieg aus, die Einsätze wurden höher. Scheinbar tiefenentspannt schlürfte ich meinen Cocktail, der zweite stieg schließlich aus. Eine Runde später waren nur noch die Dame und ich übrig. Der Haufen vor uns in der Mitte war recht hübsch angewachsen. „Letzte Chance" sagte ich und erhöhte. Die Frau zögerte einen Moment und hielt inne. Ihr unsicherer Blick streifte die Gesichter der anderen, doch diese blieben ausdruckslos. Sie seufzte. „Ich steige aus." Mit einem spöttischen Lächeln drehte ich meinen Buben, die Kreuz sieben und die Herz zehn um. Die Dame zog scharf die Luft ein und kniff verärgert die Augen zusammen. Nachdem ich die Spielsteine zu mir gezogen hatte und in kleinen Türmchen aufgestapelt vor mir betrachtete fragte sie: „Noch eine Runde?"

Der Rest des Abends ist nicht erwähnenswert, denn sie zog uns alle gnadenlos ab. Sie fiel nicht mehr auf meinen Bluff herein und ihre Karten waren jedes Mal besser als meine. Weit nach Mitternacht hatte ich kein bisschen Geld mehr und beschloss nach Hause zu gehen. Die kalte Nachtluft kühlte meinen aufgeheizten Körper schnell wieder ab und ich vergaß meinen Ärger über das verspielte Geld. Ich würde mich ab morgen weiter auf Seths Auftrag konzentrieren.

Der nächste und auch der übernächste Tag brachten jedoch keine Neuigkeiten. Mit nur der Information über eine Gang würde Seth sich nicht zufrieden geben. Ich brauchte mehr. Mit fehlten noch Informationen über das Conway-Kartell und über die Rocker.

Das waren bei weitem die schwierigsten Aufgaben, die ich erfüllen musste. Ich wusste nicht, welche von den beiden schlimmer waren.

Erwischten mich die einen, war ich tot. Erwischten mich die anderen war, wieder erwarten, auch tot.

Bei den Rockern hatte ich mir über die Jahre Kontakte aufgebaut, also zuerst zu ihnen.

Diesmal machte ich mich schon mittags auf den Weg, weil ich zu den Rockern ein Stückchen brauchen würde. Außerdem könnte ich so einen kleinen Zwischenstopp auf dem Markt einlegen.

Ich ging zuerst ein Stück an der Mauer entlang, bog aber als ich den Fabriken näher kam, wieder nach links in die Straßen ein. Die Fabriken mied ich lieber, weil dort die Gefahr viel größer war, von Polizisten entdeckt zu werden und das war in der Regel unangenehm. Das letzte Mal hatte mich der Aufpasser nur in Ruhe gelassen, weil der seinen Feierabend nicht unnötig nach hinten hatte verschieben wollen.

Der Nebel war wie zu erwarten hier noch stärker als er ohnehin schon war und ich band mir wieder einen Schal vors Gesicht. Ich war froh als ich die Gebäude hinter mir gelassen hatte.

Anschließend überquerte die Hauptstraße, die unser Viertel grob in zwei Hälften unterteilte. Links von der Straße lagen der Lorenzo-Clan und meine Gang (Wir lebten nur hier, auf gar keinen Fall würden wir ihr angehören) Auf der rechten Seite lag das Rocker Gebiet und das des Conway-Kartells. Hauptstraße war an dieser Stelle vielleicht auch schon ein bisschen zu viel gesagt, es war eine etwas breitete Straße, die sich in Schlangenlinien etwa durch die Mitte unseres Gefängnisses schlängelte. An unserem Ende lagen die Fabriken, am anderen Ende der Ausgang zur „richtigen" Welt. Das war auch sicherlich der Grund, weshalb hier im Viertel viel Handel im Handwerklichen Sinne getrieben wurde und in den anderen Gangs mehr Handel aller Art. Da musste nichts schöngeredet werden, 80% des Handels, der hier betrieben wurde, war illegal.

Endlich lag der Markt vor mir. Er war voller als erwartet. Jede Menge Leute boten hier ihre Waren an. Trotz des starken Nebels war er erfüllt von Stimmen und anderen Geräuschen. Verkäufer boten lautstark ihre Ware an und überall waren im Nebel die vielen Menschen zu erkennen. Ein idealer Platz um Leuten ihrer Dinge zu stehlen. Doch das tat ich nicht mehr, ich hatte einen besseren Job. Während ich mich durch die Menge schob, drangen immer wieder metallische Geräusche zu mir hinüber. Das Schlagen und Hämmern von Metall auf Metall. Essen gab es hier weniger, es war ein Handwerkermarkt.

Mein Blick blieb an einem bestimmten Stand, rechts neben mir hängen. Ich zögerte einen Moment und gab meinem inneren Wunsch nach. Nur fünf Minuten. Ich drängte mich aus der Masse hinaus und blieb vor dem offenen Marktstand stehen. Unzählige bunte, gestrickte und gehäkelte Dinge hingen an den Seiten des Massiven Häuschens und baumelten im Wind. Es war das einzige, was Farbe auf diesen Markt brachte. Oben drüber hing ein Schild, auf dem in Krakelschrift stand: „Joes Stickereien". Ein älterer Mann mit kräftigen Armen und einem starken Körper arbeitete konzentriert an einer Häkelmütze. Seine Arme waren voller Tattoos und seine Finger waren ungefähr genauso Dick, wie zwei von meinen. Er trug eine Lederweste und hockte auf einem winzigen Holzschemel. Dennoch arbeitete er geschickt an seiner Arbeit. Als er mich bemerkte und aufblickte, sah man den geflochtenen Bart und die vielen Narben in seinem Gesicht. Er war eindeutig ein Rocker. Ein Rocker, der Mützen häkelte.

Auf dem Gesicht des Verkäufers bildete sich ein Lächeln, als er mich trotz des Schals und der Kapuze erkannte. Seine braunen Augen waren sanft und seine unzähligen Lachfalten zeigten seinen freundlichen Charakter. „Ice, wie schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?" Ich zog meinen Schal aus dem Gesicht und antwortete: „Ganz gut danke." Ich nahm eine Mütze von seiner Halterung und betrachtete das Muster. Es war neu. Mit Sicherheit selbst entwickelt. „Was führt dich hier her?", erkundigte er sich und sein Blick wandte sich wieder seiner Häkelei zu. Ich zuckte mit den Schultern. „Die Dinge halt." Joe nickte wissend. „Dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten." Er hatte mich schon fast wieder vergessen. „Was kostet diese Mütze hier?", fragte ich und hielt ihm die besonders schöne Arbeit hin. „Was bietest du mir an?" „Was brauchst du?", stellte ich direkt die Gegenfrage. „Ich brauche dringend neue Nadeln, wenn du da etwas auftreiben kannst... und naja." Erdruckste ein bisschen rum. „Es ist nur so, dass ich, ähm, also meine, gibt es etwas, was du mir besorgen könntest?" Ich grinste. Nur zu gut wusste ich, was der alte Mann haben wollte. „Klar, ich muss mal schauen. Die Mütze wollte ich Sun schenken", erklärte ich und hängte sie zurück. „Reservierst du sie für mich?" Joe nickte und ich verabschiedete mich.

Die Masse nahm mich ganz automatisch mit und ich ließ mich über den Platz treiben. Hier und dort liefen Polizisten herum, doch die waren mit anderen Dingen beschäftigt. Gerade schleiften sie ein junges Mädchen über den Platz, welches sich heftig wehrte. Kaum jemand achtete auf die drei. So ein Bild bot sich hier im Randviertel ständig. Ich behielt sie interessiert im Auge und sah, wie das Mädchen einem der Männer plötzlich in die Finger biss, dem anderen in seinen sensiblen Bereich trat und sich dann fallen ließ. Für einen Moment waren sie abgelenkt und das Mädchen sprang auf. So schnell sie konnte, rannte sie weg und verschmolz kurz darauf mit den Menschen um uns herum. Der Nebel machte eine weitere Verfolgung unmöglich. Auch ich verlor sie aus den Augen. Innerlich freute es mich, dass sie entkommen war.

Ein Mann rempelte mich von hinten an „Hey, kannst du nicht weitergehen?!" Es klang sehr unfreundlich und ich beeilte mich, weiterzukommen.

Irgendwann war ich am anderen Ende angekommen und betrat wieder etwas leerere Gassen. Meine Schritte hallten auf dem brüchigen Asphalt wieder und ich verließ mich auf mein Gehör, um sicher durch den Nebel zu kommen.

Mit einem Mal hörte ich hinter mir Schritte und blieb stehen. Die Schritte verstummten. Ich ging wieder weiter und auch die Schritte waren wieder zu hören.

Wurde ich verfolgt? Aber von wem?

So leise ich konnte, bog ich um eine Hausecke und blieb stehen. Kaum eine Minuten später bog jemand um die Ecke. Die Person unter dem grauen Umhang war so vertieft, dass sie mich erst nicht wahrnahm. Als sie es doch tat, blieb sie erschreckt stehen und starrte mich erschrocken an. Anfängerin! Ich hatte mich mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt und meinen Schal so hoch es ging, in mein Gesicht gezogen. „Etwas verloren, was du suchst?", fragte ich spöttisch. Das Mädchen schüttelte schnell den Kopf. „Nein, nein." Schnell wollte sie weitergehen, doch ich sagte nüchtern: „Das ist eine Sackgasse. Warum verfolgst du mich?" Sie hielt einen Moment inne, dann fing sie plötzlich an zu rennen. Sofort nahm ich die Verfolgung auf und rannte ihn nach. Nach wenigen Metern hatte ich sie und warf mich auf sie. Wir fielen zu Boden und das Mädchen trat sofort nach mir. Ich wich geschickt aus und hielt sie am Boden fest. Ihre Kapuze rutschte runter und ich konnte ihr Gesicht sehen. Es war das Mädchen vom Markt. „Du bist doch die Kleine, die auf dem Markt den Polizisten entkommen ist. Warum verfolgst du mich? Ich frage kein zweites Mal!" Meine harte Drohung schien sie einzuschüchtern und sie quickte: „Ich wurde damit beauftragt, dich zu verfolgen. Seit zwei Tagen hänge ich jetzt schon an dir dran." Mein Gedächtnis erinnerte sich fast sofort an das wage Huschen und die schwachen Schatten, die ich wahrgenommen, aber nicht weiter interpretiert hatte. Sie hatte mich wirklich verfolgt! Ich meinte einen kleinen Anflug von Spott zu erkennen „Du hast es nicht bemerkt." Die letzten beiden Tage hatte ich einige Informanten aufgesucht, die mir allerdings nichts hatten sagen können. Hoffentlich waren sie für mich nicht verloren. Ich ließ das Mädchen los und stand auf. „Wer hat dich beauftragt?" Meine Stimme klang gefährlich ruhig. Wer verfolgte mich? Ich überspielte meine leichte Unsicherheit mit einem harten Gesichtsausdruck. Sie fragte vorsichtig „Was bekomme ich dafür?" Ich betrachtete sie genauer. Sie war drei, vier Jahre jünger als ich. Und sie war sehr geschickt gewesen und hatte verstanden, wie ihr Job ging. „Du bist Informantin?", fragte ich, doch sie schüttelte den Kopf „Kopfgeldjägerin." Ein kalter Schauer zog meinen Rücken hinunter. Wenn jemand hinter mir her war und dafür eine Kopfgeldjägerin einsetzte, war das gar nicht gut. Ich musste wissen, wer es war. Ich kramte in meinen Taschen und beförderte einen silbernen Füller zu Tage. Wo ich den noch her hatte? Egal. „Erzählst du es mir hierfür?" Ihre Augen weiteten sich und sie stand wieder auf. Ohne den hübschen Stift aus den Augen zu lassen antwortete sie: „Ein Junge hat mich beauftragt. Er hat ebenso blaue Augen wie du. Vielleicht ein bisschen dunkler." Ich betrachtete sie prüfend. Sie schien die Wahrheit zu sagen. Nur warum sollte mich ein Junge suchen? „Hat er auch gesagt warum?" Sie schüttelte den Kopf. „Und du bist sicher, dass ich der richtige bin?" Sie nickte und ihre Hand wanderte langsam auf den Füller zu. Ich seufzte. „Wenn du ihm sagst, dass du mich nicht gefunden hast, gebe ich ihn dir. Deal?" Sie nickte, doch ich zog meine Hand zurück. „Wie sah er aus?" Ich wollte mich auf keinen Fall von einer Betrügerin reinlegen lassen. Das Mädchen überlegte einen Moment. „Er hatte blonde Haare." „Und wie hieß er?" Sie legte den Kopf schief. „Liam." Ich kannte keinen Liam. Wer immer das war, ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. „Was hältst du davon, wenn du ihn für mich beobachtest?" Sie zuckte mit den Schultern „Wenn du mich bezahlst" Ich nickte. „Ja gut. Komm in zwei Tagen nochmal hier hin. Dann reden wir weiter." Sie wirkte enttäuscht. „Und meine Bezahlung?" Ich zog den Deckel des Füllers ab und reichte ihn ihr „Betrachte das als Anzahlung." Sie nahm den Deckel freudig an sich und steckte ihn sofort in ihren Umhang. Zwar schien sie noch recht unerfahren zu sein und sich leicht bezahlen zu lassen, aber sie hatte mich gefunden und das war schlecht. „Übermorgen Abend, wenn sich der Nebel lichtet" erinnerte ich sie und ließ sie einfach stehen.

Ich hatte das verdammte Talent, in Konflikte zu rutschen, die nicht meine waren. Meisten war das für mich nicht blendend gut ausgegangen.

Ich zog meinen Schal enger, setzte die Kapuze auf und betrat das Gebiet der Rocker.

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