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„Er wirkte sehr selbstbewusst als er sagte, dass er das Spiel gewinnen würde. Lag vielleicht auch daran, dass er dranhängte, egal um welchen Preis. Hast du mal deren Wettkämpfe gesehen? Die laufen nicht mit Regeln ab." Die Worte quollen schneller als beabsichtigt aus meinem Mund heraus, während sich Schweiz auf meiner Stirn bildete. Seth musterte mich kritisch. Ich fuhr schnell fort: „Die einzige Regel ist; Es gibt keine Regeln. So wird er bestimmt auch Billard spielen." Seth wirkte keineswegs begeistert. Eher wütend. „Nein ich war noch nicht in der Arena, weil das nicht unser Revier ist und nein ich glaube dir nicht, dass du persönlich mit dem Rocker-Chef besprochen hast!" Ironisch gab ich zurück: „Du glaubst, dass ich mir das blaue Auge selber zugefügt habe?" Ich setzte noch ein trockenes „HAHA" dran und schwieg dann schwer atmend. Seth schien einen Moment zu überlegen. „Zuzutrauen wäre es dir." Ich schnaubte, allerdings eher, weil ich kaum Luft bekam. „Es ist doch bekannt, dass die Rocker sehr skrupellos sind, egal, ob du mir glaubst oder nicht."
Seth ließ meinen Hals wieder los und ich atmete erleichtert ein wenig Luft ein. Mit hebendem Atem setzte ich mich auf die Holzkiste hinter mir und lehnte mich an der Wand an. Glück gehabt. „Es tritt glaube ich, nur Elvis an, da sein Bruder zu dumm für so etwas ist. Nur Familienmitgliedern ist es erlaubt, dort mitzuspielen und Elvis hat keine. Nur er wird vom Rocker-Clan spielen", setzte ich noch hinzu, damit ich mehr gesagt hatte. Wirkte glaubhafter. Seth nickte nachdenklich, ohne dabei deine arrogante Miene zu verlieren. „Und der Lorenzo-Clan?" Da hatte ich Glücklicherweise mehr zu sagen, als nur unglaubwürdiges Zeugs. „Laut meinem Informanten", klang immer gut „spielen Lorenzo und sein Sohn. Der Vater ist ein guter Spieler, sein Sohn nicht. Ihre Schwäche: Alkohol." Diesmal wirkte Seth wesentlich zufriedener. „Geht doch" Ich atmetet erleichtert aus. Immerhin. „Beim Conway Kartell war ich noch nicht, das mache ich gleich morgen." Seth murmelte etwas in Richtung „Unfähig" und wedelte mit der Hand. Ich stand auf und meinte zynisch: „Du hast mich doch nur engagiert, weil ich der Beste bin. Deine anderen Informanten haben gar nichts." Seths Blick wurde direkt eine Spur arroganter. „Du hast in fünf Tagen nur zwei Gangs geschafft und glaubst gut zu sein?! Das ist erbärmlich! Andere schaffen das in einem!" Ich kniff die Augen zusammen. „Und wo sind sie denn, die anderen? Warum beauftragst du mich, wenn es bessere gibt?" Seths Miene blieb arrogant wie immer. „Ich habe gerne mehrerer Meinungen. Zudem genießt du Kontakte aus deinem früheren Leben." Ich konnte mir mein Grinsen kaum verkneifen, als ich nickte. Dennoch legte sich innerlich ein Schatten über mein Gesicht, mein früheres Leben... er meinte meine Zeit im Dunkeln unseres Viertels. Schnell vergaß ich es wieder und konzentrierte mich auf Seth. Er konnte nichts, aber auch gar nichts zugeben. Wahrscheinlich musste er als Gang-Chef immer Recht haben. Zumindest konnte ich mir sicher sein, dass ich bis jetzt noch keine Konkurrenz hatte. „Ich werde in ein oder zwei Tagen alles haben, was du brauchst", versicherte ich ihm und wandte mich zum Gehen. „Hoffen wir es für dich", rief Seth mir hinterher, doch ich drehte mich nicht mehr um. Würde ich es nicht schaffen, wäre mir Ärger sicher, schaffte ich es aber, würde er mich Loben und Beschenken. So war Seth halt und das machte ihn interessant.
Unbehelligt verließ ich Seths Villa. Sein „Haus" war ein flacher, großer Bungalow, der bei seinem Bau eine Menge anderer Häuser verschluckt hatte. Angeblich beherbergte es sogar ein Schwimmbad mit Saunabereich. Ordentliche Beete umrahmten den Vorgarten, der sich wie ein Mienenfeld um das Haus herum zog. Blumen oder Rasen wuchs hier keiner, also tippte ich wirklich auf Mienen. Zumal überall stand: „Betreten verboten."
Ich blieb auf den Wegen und verließ sein Reich wieder. Heute hatte ich das Treffen mit dem Mädchen im grauen Umhang und ich war gespannt, was sie mir zu berichten hatte.
Es dauerte etwa eine Stunde, bis ich dort war und diesmal hatte ich zum Glück keine Probleme mit mir schlecht gesinnten Menschen.
Ich verbarg mich ein wenig im Schatten und mit dem Nebel war ich fast unsichtbar. Heute war er besonders schlimm. Tief und hartnäckig hatte er sich in die Häuserschluchten gedrückt und verbreitete seinen übel riechenden Geruch überall. Weil die Gassen so eng waren, konnte der Nebel nicht entfliehen und blieb oft lange hier hängen. Der einzige Ausweg waren die Dächer. Deshalb benutzte ich sie eigentlich sehr gerne.
Eigentlich hätte sich der Nebel gegen Abend schon lichten sollen, aber heute schien das nicht der Fall zu sein. Verärgert hofft ich, dass das Mädchen dennoch auftauchte und hatte Glück. Wenige Meter vor mir bewegte sich auf einmal eine Person in grauem Umhang suchend hin und her.
Von hinten trat ich an sie heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Erschreckt kreischte sie auf und wirbelte herum. Ich lachte und sie trat beleidigt einen Schritt zurück. „Du hast mich erschreckt." „Sieht ganz danach aus", entgegnete ich und bedeutete ihr, mir zu folgen.
Ich wählte den Weg zum Markt zurück, bog aber kurz vorher in eine unbelebte Seitenstraße ein. In einer unübersichtlichen Ecke, hinter einem Container für Müll, befand sich eine Feuerleiter.
Der Container war wie immer sehr schwer und ich drückte mich ächzend daran vorbei. Das Mädchen folgte mir. Ohne abzuwarten kletterte ich die rostige Leiter hinauf und entkam nach und nach dem Nebel. Je höher ich hinaufkletterte, desto besser wurde es. Endlich hatte ich das Gefühl, wieder atmen zu können.
Oben angekommen, balancierte ich auf den Dachziegeln bis zur Mitte des Daches, wo ein kleiner Vorsprung lag. Er war recht klein und eigentlich für Betriebsarbeiten vorgesehen, doch hier wurde nichts mehr betrieben.
Wir setzten uns und ich bemerkte, wie die Kleine erstaunt den rotgetunkten Abendhimmel betrachtete. Bestimmt sah sie ihn mit zum ersten Mal. Unwillkürlich musste ich lächeln. Mein Blick streifte zur Mauer, die uns den Blick in die übrige Stadt leider versperrte. Ich schaute wieder zu dem Mädchen, vielleicht konnte ich aus ihr eine gute Informantin machen. Hilfe war immer gut. „Wie heißt du?", fragte ich sie und das Mädchen löste ihren Blick vom Himmel. „2987" Ich seufzte. „Hast du keinen anderen Namen?" irritiert guckte sie mich an. „Das ist mein Name, den hat mir die Regierung damals gegeben. Da war ich zwar noch ein Baby, aber so steht es in meinem Ausweis." Meinen Ausweis hatte ich irgendwann weggeschmissen, ich hatte ihn nicht mehr gewollt. Jeder hier hatte eine Nummer bekommen, damit die Regierung wusste, wie viele wir waren. „Du hast aber einen anderen Namen verdient!", heuchelte ich ihr Freundlichkeit vor. Sie reagierte direkt darauf und guckte mich gerührt an „Du bist der erste, der das zu mir sagt." Nicht, dass die zu anhänglich wurde. „Was hältst du von Abendhimmel?" fragte sie und guckte wieder auf die roten Streifen am Horizont. Gleich würde die Sonne weggehen und die Sterne hervorkommen. Ich schüttelte den Kopf „Zu lang. Was hältst du von Nebel?" „Warum?" fragte sie und wagte einen Blick in die trübe Suppe unter uns. „Weil Nebel rückwärts gelesen Leben heißt." Ihr Gesicht hellte sich auf „Das ist cool. Aber wie bist du darauf gekommen?" „Weil du ihm Nebel lebst und dich mit deinem grauen Umhang ziemlich gut tarnen kannst." Heimlich dachte ich daran, wie sie es zwei Tage lag geschafft hatte, mir unbemerkt zu folgen. Begeistert nickte sie und murmelte mehrmals ihren neuen Namen vor sich hin. Ihrer Sympathie konnte ich mir von jetzt an sicher sein. Das würde mir helfen, vielleicht auch in Zukunft. „Was hast du denn jetzt über diesen Liam herausgefunden?", erkundigte ich mich möglichst neutral. Ihre Begeisterung hatte angehalten und sie erklärte mir ausführlich, was sie beobachtet hatte. „Er kommt jeden Morgen von der anderen Seite hier hinein und bleibt den ganzen Tag. Währenddessen redet er ständig mit Leuten und fragt, ob sie dich kennen. Allerdings fragt er im falschen Viertel, beim Conway Kartell. Dass sie ihm noch nichts getan haben ist ein Wunder." Ihre Stimme war jetzt ehrfürchtig „Ich hatte dort richtig Angst, aber sie tuen ihm nichts. Vielleicht, weil er von außerhalb kommt." Sie machte eine kleine Pause „Und jeden Abend verlässt er das Randviertel wieder."
Stumm blickte ich in die Stadt hinunter. Wer war Liam? Wenn er von Außerhalb kam, was machte er dann hier in diesem Drecksloch, nur, um mich zu finden? Und wenn er im Conway-Kartell umherlief, würde er nicht lange überleben.
Plötzlich kam mir ein Gedanke, der mi schon viel früher hätte kommen sollen. „Woher wusstest du, wie ich aussehe und das ich der richtige bin?"
Sie zog aus ihrem Umhang einen Zettel und rechte ihn mir. Darauf stand in krakeliger Teenagerschrift „Etwas größer als ich, eisblaue Augen, schmale Statur. 17 Jahre alt." Verwundert gab ich ihr den Zettel zurück. „Interessant, aber wie hast du mich gefunden, es gibt viele, die auf diese Beschreibung passen." Sie nickte „Vielleicht, aber keinen mit eisblauen Augen. Da bist du der einzige, der solche Augen hat. Dein Name, Ice, hat mich auf dich gebracht. Schon gut, wenn man sich nach seiner Augenfarbe benennt. Irgendwo musste ich ja anfangen. Übrigens, ich habe nur drei Wochen gebraucht, um dich zu finden." Der Stolz in ihrer Stimme war niedlich. Ich war erleichtert, dass sie wenigstens drei Wochen gebraucht hatte.
„Gut, dafür bekommst du den Rest von meinem Füller." Ich kramte ihn hervor und reichte ihr den Stift. Sie nahm ihn an sich wie eine zerbrechliche Vase und steckte ihn vorsichtig ein. „War schön, mit dir Geschäfte zu machen", sagte ich neutral und stand auf. Mittlerweile war es schon recht dunkel. „Ich möchte gerne bei dir arbeiten und von dir lernen", rief sie hinter mir her, während ich, über die Dachziegeln, zurück zur Leiter lief. „Gerne, wenn ich dich brauche", antwortete ich und schritt zügig weiter. „Wie finde ich dich?" Ich lächelte, zog mir die Kapuze in die Stirn und antwortete: „Ich finde dich." Sie gab keine Antwort mehr und ich kletterte die Leiter hinunter. Wahrscheinlicher war, dass sie mich zuerst fand. Schien mir nicht allzu schwer zu sein, wo sie mich schon einmal gefunden hatte. Ich hatte das nur gesagt, weil es gut geklungen hatte.
Die kleine hatte echt Talent, wie ich mir eingestehen musste.
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