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„Als gute Informantin brauchst du vor allem Kontakte. Viele Kontakte und gute Kontakte! Warum?"
„Um immer zu wissen, wo man was bekommt?"
„Richtig. Um Möglichst viele gute Quellen zu haben."
Eifrig nickte Nebel und machte sich in einem kleinen Heftchen Notizen. Es war abgegriffen und mit winzig kleiner Schrift voll beschrieben. Ich wartete geduldig und schlürfte meinen warmen Kakao aus der großen Tasse, der leider schon der Henkel fehlte. Genüsslich lehnte ich mich zurück und schaute mich in dem kleinen Verschlag um. Es war gar nicht so leicht gewesen, Nebel zu finden, inmitten all der Baracken. Hier hatten die „Häuser" keine Nummern oder Merkmale, die es einfach machten, sie zu finden, nein, hier musste ich richtig suchen. Ich hatte beinahe acht Stunden gebraucht. Für jemanden mit meinen Fähigkeiten echt lange.
Ohne Frage waren im Randviertel alle nicht besonders reich, aber es gab in jedem der vier „Stadtviertel" Orte, die nochmal ein bisschen schlechter, ärmer und armseliger waren. Nebel wohnte in so einem. Ihr Verschlag war zwischen zwei kleinen Steinhäusern errichtet worden und weder warm, noch groß. Das Dach war eine einfache Plane aus einem lichtdurchlässigen aber regendichten Gewebe und die Seitenwände bestanden aus Brettern. Sehr armselig. Hätte Sun mich nicht damals aufgenommen wäre es mir ganz sicher auch so ergangen. Oder vielleicht auch nicht, schließlich gab es da noch diesen anderen Teil meiner Vergangenheit.
„Weshalb genau wohnst du nochmal hier?", fragte ich und Nebel blickte auf. Sie hatte einen konzentrierten Gesichtsausdruck. „Ich wollte nicht mehr im Waisenhaus wohnen." „Aha. Bist du dann soweit?", erkundigte ich mich. Ichkonnte es nicht lassen, Fremden gegenüber abweisend und schroff zu sein. Es war ein Schutzmechanismus. Sie nickte. „Gut. Wir fangen mit einer einfachen Übung an. Es geht darum, einen Gegenstand zu besorgen. Es wird nicht allzu leicht sein, aber sonst wäre es schließlich zu einfach." Sie nickte eifrig. „Du musst dich durchfragen, absagen und Beschimpfungen riskieren und unfreundliche Leute erwarten." Vollkommen gefesselt sog sie jedes meiner Worte in sich auf. Es war leicht, sie auszunutzen. „Vor allem aber brauchst du Geduld." „Geduldig sein ist eine meiner Stärken." „Schön für dich." Ich stellte die Tasse auf den Tisch und stand auf. Fast stieß ich mir den Kopf, doch rechtzeitig erinnerte ich mich wieder an die niedrige Höhe und verließ gebückt die Baracke. Nebel folgte mir hinaus. „Und was soll ich besorgen und bis wann?" Ich zog den Mantel enger als mir ein kalter Wind unter die Klamotten fuhr. „Du besorgst für ich ein paar Stricknadeln und nimmst dir so viel Zeit, wie du benötigst. Vorher brauchst du allerdings gar nicht zu mir kommen!" Nebel schien das vollkommen in Ordnung zu finden und willigte ein. „Bis dann." Ich gab keine Antwort und ging zügig davon.
Seth saß mir im Nacken. Ich war zu spät dran. Aber nachdem Joe mir die Mütze gegeben hatte, wollte ich das unbedingt erledigt haben und dafür eignete sich Nebel sehr gut. Obwohl sie noch recht jung war, hatte sie Talent und wusste sich durchzukämpfen. Alles Kompetenzen, die ich auszunutzen wusste. Für das gute Gewissen redete ich mir ein, ihr auch etwas beizubringen.
Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis Seths Haus vor mir aus dem Boden aufragte. Amüsiert stellte ich fest, dass er sich eine ähnliche Lichtanlage, wie die des Luca-Clans zugelegt hatte und nun Rottöne den Betonbau erhellten. Sah schon nicht schlecht aus mit dem Nebel, wie ich zugeben musste. Selbstbewusst lief ich den Vorgartenweg entlang, vorbei an Sicherheitspersonal und Minenfeldern.
An der Haustüre betätigte ich wie gewohnt die Klingel und wie immer öffnete sich die Türe noch ehe der letzte Ton erstorben war. Ein Butler bat mich hinein und ich betrat das Haus. Die Luft schien hier drinnen sauberer und frischer zu sein und ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich meine Schuhe auszog. Der Butler streifte mir meinen Umhang ab und verschwand damit, noch bevor ich reagieren konnte. Als er wiederkam, war der Umhang weg. „Den bekomme ich aber schon wieder oder?", fragte ich misstrauisch, doch der Butler bestätigte sofort: „Natürlich Sir. Wenn Sie mir aber nun folgen würden, Meister Seth erwartet sie schon ungeduldigst." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, doch der Butler ignorierte es gekonnt und bedeutete mir, ihm zu folgen. Ein mulmiges Gefühl blieb, denn in dem Mantel waren meine Waffen gewesen.
Wir verließen den großzügigen Eingangsbereich und gingen einen Flur entlang, der um eine Art Innenhof herum gebaut war. Der Gang endete in einem Wohnzimmer, welches wiederum mit einer großzügigen Küche verbunden war. Purer Luxus. Der Stiel war schlicht und die dominierende Farbe Weiß. Einzige Akzente bildeten teure Hölzer. Alles war vom feinsten, selbst die Blumen schienen echt zu sein und von dem unangenehmen Geruch des Randviertels war hier drinnen nichts zu erahnen. Ein riesiger reich bedeckter Tisch aus schwerer Eiche bildete das Herzstück des Raumes und wie nicht anders zu erwarten saß Seth an ihm und stopfte sich elegant mit Essen voll.
Der Butler räusperte sich und Seth blickte auf. Die bulligen Bodyguards, die unauffällig an den Wänden standen und wie überflüssige, falsch ausgesuchte Dekoration aussahen, hatten uns natürlich schon längst bemerkt, aber Seth war von der klassischen Musik, die den Raum erfüllte dermaßen gefesselt, dass er nichts um sich herum mitzubekommen schien. Doch jetzt blickte Seth auf und bemerkte uns. Wir traten näher an den Tisch heran und der Butler stellte mich überflüssigerweise vor „Meister Seth, der Informant." Spöttisch bemerkte ich „Eure Erlauchteste Sethheit, was soll der ganze Quatsch hier?" Sehts arroganter Blick glitt über mich hinweg. „Setz dich doch und genieße mit mir die delikaten Speisen." „Ah ja", antwortete ich argwöhnisch, setzte mich aber dennoch und nahm mir vorsichtig ein kleines Marzipantörtchen. Es hatte ein Sahnetopping aus Schokolade und fühlte sich luftig und leicht an. Einen Moment zögerte ich noch, dann biss ich herzhaft hinein und gab mich dem Genuss völlig hin. So gut konnte selbst Sun nicht backen. Ein genüsslicher Seufzer entfuhr mir und ich verschlang das restliche Gebäck mit wenigen Bissen. Egal, ob mir heute Abend schlecht sein würde....ich griff zu dem Donut mit der Zitronenglasur und auch der übertraf meine Erwartungen. Eine wahre Geschmacksexplosion raubte mir meine Sinne und ließ mich meine Umgebung ausblenden. Etwas so gutes hatte ich, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie gegessen. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich griff nach einer Praline mit Erdbeerdekoration. „Hey, du, wie mundet dir das Essen und ist dir die Atmosphäre genehm?", hauchte Seth zu mir herüber. „Warum sprichst du so komisch?", fragte ich mit vollem Mund und hielt Ausschau nach einer neuen Nascherei. Mein Blick fiel auf ein Eclair. Seth seufzte und wechselte in seinen normalen, arroganten, Modus zurück „Ich möchte eine Frau zu mir einladen und dafür muss alles perfekt sein." Er behandelte mich, als sei ich die Frau und probte an mir, was mir in Anbetracht eines Apfelküchleins völlig egal war. Um das Eclair würde ich mich später noch kümmern. „Außerdem übe ich für das Turnier. Da will ich perfekt wirken." Ich nickte. „Jaja, wirkt schon ganz gut. Vielleicht solltest du etwas kommunikativer sein. Stichwort Smalltalk. Ich habe Kontakte konsultiert, die mir gesagt haben, dass das gut ankommt." Es gab keine Kontakte. Natürlich nicht. Seth überlegte einen Moment. „Für gut befunden." Er nahm mit seiner Gabelspitze ein Stück Sahnetorte und schob sie elegant in den Mund. „Darf ich dich auch noch zum Hauptgang einladen?" erkundigte er sich und schaute mich fragend an. Fast musste ich lachen, Seth stellte mir tatsächlich eine Frage? Ganz sicher nicht. „Du meinst nicht mich oder? Du hast mir noch nie eine Frage gestellt, sondern eher herumgescheucht.", stellte ich zweifelnd fest. „Natürlich nicht! Ich tue so, als seist du der Damenbesuch." Sein Gesicht war so arrogant wie eh und je und seine Geringschätzung mir gegenüber unverkennbar. „Darf ich trotzdem bleiben, habe noch ein paar Infos für dich", köderte ich. Es gab für Seth die eine unausgesprochene Regel; dass er nie Fragen stellte. Er war schließlich zu gut für so etwas. Ich dagegen hatte damit kein Problem. Solange ich ans Ziel kam, würde ich alles tun. *Fast alles. Deshalb war es mir nicht unangenehm, Seth zu fragen, ob ich bleiben durfte. „Jaja", meinte er und wedelte mit seiner Hand in der Luft herum. Sofort eilten zwei Dienstboten herbei und begannen, die köstlichen Speisen abzuräumen. Ich zupfte einem am Ärmel und raunte: „Sorry, können Sie mir etwas einpacken und später mitgeben?" Der Dienstbote nickte perplex und rannte schnell davon.
Beim nächsten Gang kam endlich der geschäftliche Teil dran. Mein Fokus lag zugegebenermaßen auf der besten Lasagne, die ich je gegessen hatte und so beantwortete ich gerne, mit vollem Mund, Seths Fragen. „Hmm, waren vier Einladungen...... Es kommen wirklich nur drei von ihnen mit ...... Glaube nicht, dass sie Billard spielen können, haben sich einen Billardtisch bestellt.... Wer weiß schon, ob die Schwächen haben, wo sie doch gerade erst angefangen haben. Wahrscheinlich sind sie selbst ihre größte Schwäche." Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, ob sie Schwächen hatten, aber ein guter Informant hatte NIE keine Ahnung.
Seth wechselte schließlich das Thema zu der Musik und fragte mich nach meiner Meinung. Meistens stimmte ich ihm zu, weil er das am liebsten hatte und war einfach nur froh, dass er nicht ansprach, dass ich einen halben Tag zu spät war. Manchmal war er da sehr empfindlich.
Die Nachspeise war leider nur halb so lecker, was auch Seth fand und sie auf den Boden warf. Sofort kamen Putzleute und wischten alles wieder weg. Mich hätte es nicht gewundert, wenn der Koch vor uns geköpft worden wäre, so als Abschluss und weil die Nachspeise nicht super lecker, sondern nur lecker gewesen war. Zum Glück passierte nichts dergleichen.
„Danke fürs leckere Essen", bedankte ich mich höflicherweise und hoffte, dass ich jetzt gehen durfte. Mir war schlecht. Seth schien mich schon fast wieder vergessen zu haben, denn er murmelte nur kurz: „Jaja" und verließ das Wohnzimmer. Mit ihm verließ auch die Herde Bodyguards den Raum und ich war mit dem Butler ganz allein. Er räusperte sich. „Wenn Sie mir nun folgen würden Sir", forderte er mich mit neutraler Stimme auf, zu gehen. „Nö", sagte ich, lehnte mich zurück und lachte als der Butler verwirrt guckte. „War nur ein Scherz Kumpel." „Oh, der ist Ihnen aber sehr gut gelungen Sir, der Scherz Sir." Seine Antwort war lahm, was mich noch mehr zum Lachen brachte. Ich stand auf und folgte ihm zurück zur Eingangstüre. Dort wartete ein zweiter Butler mit meinem Umhang und half mir sofort, ihn umzuhängen. Nicht, dass ich das auch alleine geschafft hätte. Danach schlüpfte ich in meine Schuhe und schnürte sie fest zu. Als ich mich wieder aufrichtete, hielt der Butler ein großes Essenpacket in der Hand und nickte mir neutral zu. „Ich werde es Ihnen nach Hause tragen Sir." Ich grinste und verließ das Haus. So ein Luxus bot sich mir selten, aber ich musste sagen, dass ich durchaus meinen Spaß daran hatte.
Normalerweise empfing mich Seth immer im Keller, in einem dunklen Büro. Hier schien er seine unter-der-Hand-Geschäfte normalerweise zu regeln. Dass er mich heute zum Essen eingeladen hatte, glich der Chance eines Lottogewinns. Im Normalfall war er einfach nur arrogant und gemein. Ob er verliebt war? Ich würde mich mal schlau machen und herausfinden, wer diese Frau war.
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