5 - Einsamkeit
Einsam unter vielen.
Allein und eben doch nicht.
Unverstanden, auf der Suche nach Erfüllung.
Auf immer im Kreislauf der Befriedigung von Bedürfnissen gefangen.
Einsam unter vielen.
※※※
Nachdem Lenny, Jie und ich den Sonnentag genossen haben, der uns wieder mit seinen wunderschönen Blüten und Früchten beschenkte, folgten erneut Regentage. Die Stürme peitschen also schon eine Weile gegen die Hütte und Jie bewegt sich kaum noch vom Feuer weg. Sein Körper scheint auf Energiesparmodus gewechselt zu haben und er strahlt eine Entspanntheit aus, die beinah ansteckend ist. Allerdings nur beinah.
Seit der Regen wieder eingesetzt hat, arbeiten sich in meinen Träumen neue Erinnerungen hoch. Es fehlt nicht mehr viel, dann kann ich die Bestandteile zusammensetzen. Doch jetzt ist es noch nicht so weit. Also verbringen Lenny und ich unsere Zeit damit Melodien zu kreieren. Lenny ist ein Meister der Symphonie, wie ich leicht amüsiert anmerke, als er mir in den Finger zwackt, weil ich die Töne falsch treffe.
«Entschuldige Lenny, meine Stimme ist noch nicht so geübt.»
Ich kann seinen Impuls aus der Luft greifen und nach einer Weile fühle ich seine Bedeutung. Atme...
Als ich mich zum Schlafen hinlege, atme ich nochmals tief durch, so dass es leicht in meinem Bauch kribbelt. Dann schliesse ich die Augen und begebe mich auf die Reise, die fehlenden Puzzleteile der Geschichte zu entdecken.
※※※
Cher Mademoiselle Solène Montoire
Merci pour votre lettre. J'accepte avec gratitude votre invitation.
Cordialement
Adrian Daillon
Die fein säuberliche Handschrift, des Briefes, den Adrian noch immer mit äusserstem Missfallen betrachtet, gleicht einer Symphonie. Perfekt einstudiert und kontrolliert. Sein Blick fällt auf die, seines nur unter Druck seiner Mutter verfassten Antwortschreibens.
Es schickt sich nicht, eine Dame solange auf eine Antwort warten zu lassen..., hallen die Worte seiner Mutter in seinem Kopf nach. Frustriert schlägt er mit seiner kräftigen Hand auf das zierliche Möbel, welches seine Familie als Schreibtisch bezeichnet. Am liebsten hätte er mit der Antwort gewartet, bis besagte Dame zur Ehefrau, Mutter, Grossmutter und Staub geworden wäre. Doch da er, in den Augen seiner Eltern, derjenige ist, der eben diese Frau zu seiner Ehefrau machen sollte, dürfte sich das Ganze schwierig gestalten.
Noch nie hatte er Interesse an höfischen oder bürokratischen Dingen. Viel mehr lag ihm die Gutsverwaltung. Dafür haben wir Angestellte, Sohn, du musst nur deine Pflicht erfüllen und für legitime Nachfahren aus guter Abstammung sorgen..., dröhnen nun die Worte seines Vaters in seinem Kopf und er fühlt das altvertraute Pochen an seinen Schläfen. Um sich selbst zu beruhigen lehnt er in dem Stuhl zurück und fragt sich, ob er sein eigenes Gekrakel nochmals von einem Bediensteten abschreiben lassen sollte.
Kurz darauf verwirft er diesen Gedanken, packt das Papier grob zusammen und ruft seinen Diener. Nur wider seinen Willen drängt er ihn zur Eile.
Als der Mann wieder aus den Gemächern ist und Adrian den Raum für sich hat fühlt er, wie die Wände näher zu kommen scheinen. Müde reibt er sich die Augen. Sein Blick gleitet nach draussen. Das Anwesen ist gross und weitläufig. Die Gärten sind gepflegt und dennoch schafft sich die wilde Natur hier und da einige Plätzchen und Nischen. Mit ihnen fühlt er sich verbunden. Anders und ein wenig deplatziert in dieser feinen Gesellschaft. Kurzentschlossen steht er auf. Dabei muss er achtgeben, den Stuhl nicht gleich mit umzuwerfen. Sein muskulöser und grosser Körperbau ist für das zarte Mobiliar eher ungeeignet. Was wiederum nur ein weiterer Grund dafür ist, warum er sich so deplatziert fühlt.
Erfolgreich schleicht er sich nach draussen. Seine Eltern sehen es nicht gerne, wenn er sich in die Natur davonschleicht. Dabei ist er mittlerweile durchaus alt genug, dass die beiden mit ihren Meinungen zurückhalten könnten. Doch diesen Gefallen tun sie ihm nicht.
Er kennt das Anwesen gut, selbst jetzt wo nur noch die Sterne ihm Licht spenden, findet er ohne weiteres seinen Weg. Die Ruhe geniessend nimmt er einen tiefen Atemzug. Mit geschlossenen Augen und dem Gesicht gen Himmel gerichtet, ziehen Bilder an ihm vorbei. Freie weite Wildnis. Raue Winde peitschen die Meeresluft weit Land...ein plötzliches Knacken lässt ihn blitzschnell herumfahren.
Im Dunkeln erkennt er nur die Silhouette der Gestalt, die zielgerichtet auf ihn zukommt. Es wirkt auf ihn, als könnte dieser Mensch genau erkennen, wo er steht und dass er wie erstarrt auf ihn blickt.
«Ihr wandert oft des Nachts über unser Land, Monsieur», erklingt eine wundervoll melodische Stimme und augenblicklich zaubert sein Geist ein Gesicht dazu. Er kann den feinen Schmollmund und die leuchtenden Augen förmlich vor sich sehen, nur deren Farbe und Art bleiben ihm verborgen. Dennoch nimmt sein Herz einen Satz. Wie kann es sein, dass er so lange schon hier lebt und spaziert, die Frau zu der Stimme aber nicht kennt.
«Vielleicht habt ihr mich einfach nie beachtet», antwortet die Stimme auf sein Schweigen, als ob sie seine Gedanken gelesen hätte. Leicht zuckt er zurück. «Wer seid ihr?», schafft er es dann endlich seine Sprache wiederzufinden.
Er kann ihr Lächeln förmlich hören, als sie sagt: «Das werdet ihr bei Tag herausfinden müssen Monsieur.»
«Und warum sollte ich das wollen?», fragt er in seiner Ehre bereits getroffen.
«Ich denke, dass ihr eine Freundin gebrauchen könntet, eine die euch versteht.»
Sprachlos starrt er die zierliche Gestalt vor sich an und fragt sich, wie sie es wagen kann, sich zu erdreisten, so mit ihm umzugehen.
«Du weisst wohl nicht, wer ich bin...folle femme...» Die letzten Worte brummt er in sich hinein, denn während er sie ausspricht, fühlt er einen Stich tief in sich.
Das leise Zischen, als sie die Luft stärker durch Mund und Nase einzieht, geht ihm durch Mark und Bein.
«Du wirst schon sehen, dass ich recht habe...blaireau...», schimpft sie und dreht sich fliessend um und stampft in die Dunkelheit davon.
Adrian fühlt, wie sein Gesicht heiss wird, in seinem Magen zieht sich etwas unangenehm zusammen und bevor er es kontrollieren kann, stampft er ihr wütend hinterher. Da er einen guten Kopf grösser ist als sie und damit auch längere Beine hat, holt er sie mit wenigen Schritten ein. Schroff packt er sie an der Schulter, um sie zu zwingen, sich zu ihm zu drehen. Dabei fühlt er ihren zarten und dennoch vor Energie pulsierenden Körper. Sofort lässt er sie los, als er durch die Dunkelheit ihren stechenden Blick fühlt. Alle Haare stellen sich ihm auf, mit einem kleinen Schritt zurück, lässt ihn auch noch sein restlicher Körper im Stich.
«Was willst du?», spuckt sie ihm die Worte entgegen.
Ja, was will ich eigentlich?, fragt er sich, da sein Kopf plötzlich wie leer gefegt ist.
«Ich...», räuspernd versucht er es noch einmal, «ich...»
«Ich...ich...hast du nicht mehr zu sagen. Ich hätte einen Vorschlag für dich. Du könntest dich entschuldigen.»
Immer noch fühlt er ihren bohrenden Blick auf sich. In ihm regt sich jetzt deutlich die Frage, wie sie wohl aussehen, diese Augen, die ihn so aus dem Konzept bringen. Überhaupt macht ihn diese Frau neugierig. Noch nie hat jemand so mit ihm gesprochen, mal abgesehen von seinen Eltern, wenn sie ihn wieder zu irgendwas drängen wollten.
«Ich...in Ordnung, es tut mir leid. Verrätst du mir wenigstens deinen Namen?»
Die darauf folgende Stille ist kaum auszuhalten und er muss dem Drang widerstehen, sie erneut zu bedrängen.
«Meine Freunde nennen mich Fay, eigentlich Flayette, aber so nennt mich niemand, der mir nahe steht. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, kannst du mich ja wissen lassen, zu welchen der beiden du gehören möchtest, Adrian Daillon.»
Mit diesen Worten entschwindet sie endgültig in der Nacht. Unkonzentriert, wie er nach dieser Begegnung ist, dauert sein Heimweg deutlich länger. Immer wieder muss er innehalten und sich neu orientieren.
Einige Tage später besucht Adrian die zum Anwesen gehörenden Höfe, um nach dem Rechten zu sehen. Wobei dies nur die Ausrede gegenüber seinem Vater war. Seinen Streit vom Morgen schiebt er dabei gleich wieder so weit weg, wie nur möglich. Er liebt es, den Bauern zuzuhören, auf den Feldern zu helfen, wenn nötig und Lösungen zu finden, die für alle förderlich sind. Auch wenn sein Vater da vollkommen anderer Ansicht ist und dies lieber seinen engsten Angestellten überlassen würde. Die Menschen hier mögen Adrian, auch wenn sie wohl wissen, wie aussergewöhnlich die Situation ist. Nach einigen Jahren haben sie sich nun daran gewöhnt und auch der gemeinsame Umgang ist freundschaftlicher.
An diesem Tag sind Heuarbeiten angesagt und die Bauern spannen zusammen, um die Arbeit vor dem nächsten Regen bewältigen zu können. Auch Adrian packt dankbar mit an. In der flimmernden Hitze läuft ihm bald der Schweiss am Körper runter und sein Hemd klebt fest an seiner Haut. Schwer atmend blickt er gen Himmel, die Sonne steht hoch und wirft ihr Licht erbarmungslos auf die Arbeitenden herunter. So dastehend, läuft plötzlich ein Schauer durch seinen Körper. Erstaunt sieht er sich um. Einige Frauen nähern sich den Feldern. Sie bringen Wasser und das Mittagessen.
Die jungen Frauen blicken beinah alle zu ihm und kichern. Das ist er sich bereits gewohnt und die meisten von ihnen kennt er. Mit der einen oder anderen hatte er sich sogar schon mal heimlich ein wenig Vergnügen erlaubt. Allerdings immer so, dass er dem Ruf der Damen keinen nachhaltigen Schaden zufügt.
Sein Blick wandert weiter über die Mädchen, während sich die Männer um ihn sammeln.
«Ah ich liebe es, wenn sie so in einer Schar kommen...», brummelt ein jüngerer Feldarbeiter neben ihm. Er ist der Sohn eines der Bauern hier in dieser Region, aber Adrian will nicht mehr einfallen, wessen.
Wieder durchläuft ihn ein Schauer und er analysiert die Mädchen, da fällt ihm eine ins Auge. Sie sieht nicht zu ihm, aber absichtlich, das erkennt er sofort. Ihr Haar glänzt rötlich in der Sonne, doch es ist nicht rot. Ihre Bewegungen sind fliessend und ihre Haltung anmutig. Sofort zieht sich sein Magen zusammen und sein Herz klopft schneller. Was hatte sie gesagt...Freunde...
Als die Gruppen aufeinandertreffen, geht das Geschnatter und der rege Austausch los. Einige junge Damen bringen ihren Zukünftigen das Essen, andere sind bereits Ehefrauen. Nur sie, sie blickt ihm direkt in die Augen. Ihr Grün bohrt sich in sein Grau und wieder zuckt sein Magen. Vielleicht ereilt mich eine Krankheit...
«Fay...wie...lebst du hier?», fragt er leise und alles Stimmengewirr verliert sich um ihn.
Ein Lächeln lässt ihr Gesicht erstrahlen.
«Ich hatte gehofft, dass du dich so entscheidest. Ja, ich lebe ganz in der Nähe auf einem der Höfe.»
Ihre warme und klangvolle Stimme ummantelt ihn völlig und für ihn steht die Zeit still. Sein Kopf fühlt sich an, als wäre er mit Heu gestopft und bestimmt würde ihm sein Vater damit recht geben.
«Wieso habe ich dich noch nie vorher gesehen?»
«Nun, vielleicht hast du mich einfach nicht wahrgenommen.»
Ihm fallen beinah die Augen aus dem Kopf. Sie nicht sehen? Ich müsste blind gewesen sein.
Ein wissendes Lächeln umspielt ihre Lippen. «Du bist sicher durstig, hier nimm das Adrian.»
Ohne es wirklich zu realisieren, nimmt er den Korb mit dem mageren Mahl entgegen. Erst jetzt fühlt er seinen leeren Magen und den trockenen Mund. Gierig stürzt er sich auf das Wasser.
Ihre Hand schiebt sich angenehm warm auf die seine und verfehlt nicht ihren Zweck. Sofort hält er inne, schluckt kräftig den letzten widerspenstigen Schluck Wasser hinunter. Erstaunt sieht er sie an.
«Nicht alles auf einmal.»
Glücklicherweise ist es sehr heiss, so kann sie das Ausmass der Errötung in Adrians Gesicht nicht erkennen, als dieser sich eingestehen muss, dass sie recht hat.
Eine Weile ziehen sich alle an ein schattiges Plätzchen zurück. Adrian und Fayette schlendern gemächlich dem breiten Bach entlang, dessen Wasserstand deutlich niedriger ist, als in den anderen Jahreszeiten. Dabei plätschert ihr Gespräch angenehm und erbauend dahin wie das Wasser neben ihnen. In den natürlichen Pausen geniessen sie die Ruhe, bis das nächste Thema seinen Raum fordert.
So geschieht es, dass sie erst durch das Rufen der anderen darauf aufmerksam werden, wie viel Zeit schon vergangen ist.
«Ich sollte dann mal gehen und den Männer weiter helfen...», beginnt Adrian, dem nichts lieber wäre, als weiter mit Fay durch die Natur zu spazieren. Verlegen greift er an seinen Hut. «Ich...»
«Geh nur, die alten Bauern haben Regen vorhergesagt für heute, ihr müsst voran kommen», unterbricht sie ihn und legt sanft eine Hand auf seinen Ellbogen. Sein Körper reagiert augenblicklich darauf, doch er versucht es sich nicht anmerken zu lassen. Dabei blickt er ein letztes Mal in diese klaren grünen Augen und sagt dann: «Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder Fay. Ich habe selten so schöne Gespräche. Das hat mir sehr gefallen.»
Ihr feiner Schmollmund formt sich zu einem strahlenden Lächeln, welches ihre Augen leuchten lässt.
Dieses Strahlen brennt sich ihm ein, genauso wie zuvor ihre Begegnung bei Nacht. Er kann sie nicht aus seinem Kopf bannen und das will er auch nicht. Immer wenn er sie vor sich sieht, wie sich die Sonne in ihrem Haar bricht, wie sie sich elegant bewegt, flattert sein Magen. Schon seit Tagen kann er sich kaum noch konzentrieren, wobei dies kaum auffällt, da von ihm nicht viel verlangt wird. Das wiederum ist ein Umstand, der ihn eigentlich beinah den Verstand kostet.
An diesem Tag jedoch steht dieser Besuch bei Mademoiselle Montoire an. Seine Eltern kommen mit und ihm ist klar, was das bedeutet. Wieder meldet sich sein Magen, doch diesmal ist es eindeutig ein unangenehmes Gefühl.
«Komm, mon fils, wir müssen gehen. Die Montoires erwarten uns bestimmt pünktlich», sagt seine Mutter in süsslichem Ton, der sein Gefühl im Bauch nur verstärkt. Ein Schauer arbeitet sich, bei der Art wie sie Montoire betont, durch seinen Körper und am liebsten würde er diesen mit Rennen aus seinem Körper schaffen. Doch der brave Sohn, der er sich nun mal Mühe gibt, zu sein, folgt seiner Mutter in die Kutsche.
Es hatte an dem Abend nach dem Heuen noch kräftig geregnet, dennoch herrscht mittlerweile wieder eine kräftige Hitze und in der Kutsche ist es nicht gerade besser. Unwohl sieht er die Landschaft vorbeiziehen. Dabei hält er Ausschau. Ausschau nach ihr. Nach diesem roten Schimmer, nach den grünen Augen. Allein zu wissen, dass sie irgendwo da draussen ihrer Arbeit nachgeht, erfüllt ihn mit dem Drang, sofort loszugehen. Doch neben dem Verlangen, schenkt es ihm auch Zuversicht. Es gibt jemanden, der mich versteht...vielleicht habe ich ja doch Glück und Mademoiselle Montoire versteht mich ebenfalls.
An diese schwache Hoffnung klammert er sich.
Am frühen Abend treffen sie bei den Montoires ein und werden freundlich von der Dienerschaft empfangen. Man führt sie zu ihren Zimmern und weist sie darauf hin, dass die Gastgeber sie später gerne im Salon begrüssen, ihnen aber erst Zeit geben wollten, um sich herzurichten.
Adrian geht nervös in seinem Zimmer auf und ab, seine Eltern haben ein Zimmer gleich neben dem seinem. Das ist ihm irgendwie zu nah und dennoch kann er nicht an sich halten, vor sich hin zu murmeln. Es ist ein schönes Zimmer, wenn auch etwas kleiner als das seine. Als er sich gewaschen hatte, zog er seine Abendgarderobe an und wartet nun darauf, abgeholt zu werden. Dabei schweifen seine Gedanken wieder zu Fay. Wenn es doch nur sie wäre, die da unten auf ihn wartete, in einem schön gestickten Kleid, fein zurechtgemacht.
Sofort schüttelt er den Kopf. Das wäre nicht sie. Er mag sie genauso, wie sie ist. Ihre Natürlichkeit und ihren Mut zu sagen, was sie denkt. Wobei er den Verdacht hegt, dass sie genau weiss, wo das möglich ist und wo sie Vorsicht walten lassen muss. Sein Respekt wächst noch mehr.
Wie ein Fremdkörper fühlt er sich, als er mit seinen Eltern in den Salon geführt wird. Eigentlich der männliche Hauptakteur und dennoch so fehlplatziert, dass es kaum Worte dafür gibt. Wie eine exotische Pflanze inmitten eines Getreideackers. Fay ist diese exotische Blume, die andere...
Wie es der Anstand geziemt, werden sich alle Parteien bekannt gemacht, auch wenn sich die Familien durchaus schon kennen. Doch als Freunde oder gute Bekannte konnte man sich auch nicht bezeichnen. Daher werden die Gepflogenheiten geachtet.
Solène knickst förmlich und lächelt Adrian schüchtern zu. Süss ist sie, geht es ihm durch den Kopf, als er ihr kleines zartes Gesicht mit dem vollen blonden Haar betrachtet. Ja, die meisten Männer würden sich förmlich nach ihr verzehren. Doch vor sein inneres Auge schiebt sich eine andere.
Der Abend zieht an Adrian vorbei und er tut genau, was von ihm verlangt wird. Wenn jemand fragt, beantwortet er die Frage. Er sieht interessiert in die Runde und gibt sich beteiligt, während sich die Wolle in seinen Ohren festgesetzt hat.
Auf dem Bett liegend und Schlaf suchend, fühlt er sich, als wäre sein Todesurteil gesprochen worden. Die Vereinbarung ist beschlossen. Er wird dieses Mädchen heiraten müssen. Es wird eine grössere Feier auf dem Anwesen der Daillons geben, damit die beiden frisch Vermählten danach gleich ihre neuen Gemächer beziehen können. Solène sollte sich baldmöglichst mit dem Leben bei ihnen vertraut machen. Was eigentlich bedeutet, dass sie schnellstmöglich einen Erben hervorbringen sollte.
Adrian kann sich einfach nicht vorstellen, dass es Solène anders geht, als ihm. Für sie muss das doch auch schrecklich sein, sie hat hier ihre Familie und im Gegensatz zu mir, hat sie so einige Geschwister. Sie wird sie bestimmt vermissen.
Zurück auf ihrem eigenen Anwesen, streift Adrian immer häufiger, auf der Flucht vor den Vorbereitungen, die sowieso Frauensache ist, durch die Gegend. Dabei hofft er immer wieder auf Fay zu treffen. Doch bisher hatte er noch kein Glück. Auf dem Hof wollte er sie nicht besuchen, das wäre zu auffällig und er will sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Also wandelt er durch die Gegend, kaum er selbst, in der Hoffnung auf etwas, was er nicht greifen kann. In ihm baut sich eine Spannung auf. Beinah eine Wut. Er fühlt sich dem allem ausgeliefert und er kann nichts dagegen tun. Allein fragt er sich, ob er derjenige ist, der als einziger sieht, wie vollkommen daneben diese ganzen Förmlichkeiten und Regeln sind. Zu gerne würde er alles über den Haufen werfen und einfach mit Fay woanders hingehen. Irgendwohin, wo man sie verstehen würde.
«Salut, Fremder», erklingt ihre Stimme hinter ihm und sein Körper reagiert sofort darauf. Augenblicklich dreht er sich zu ihr um und fühlt sich dann beinah von ihrem Strahlen geblendet.
«Fremder? Ich war jeden Tag hier draussen. Aber dich habe ich nie gesehen.»
«Nicht jeder ist so frei wie du.»
Fassungslos sieht er sie an. «Frei? Ich?»
«Ja, du kannst gehen wann und wohin du willst. Du bist frei.»
Nun muss er das zynische Auflachen unterdrücken, er will nicht mit ihr streiten. Doch die Behauptung, dass er frei sei, während er sich in einem Gefängnis fühlt, grenzt an Blasphemie.
«Du hast keine Ahnung Fay. Du weisst nicht, wie ich mich fühle in diesem Palast dort. Es ist ein Gefängnis, ein Goldenes zugegeben, aber das macht kaum einen Unterschied. Ich bin allein, keiner versteht mich, das Einzige was ich mir nehmen kann, ist die Flucht in die Natur.»
Sie zieht eine ihrer fein geschwungenen Augenbrauen hoch.
«Adrian, du bist ein Mann und von exzellenter Herkunft. Wenn du willst, steht dir die Welt offen.»
Er fühlt, wie sich sein Herz zusammenkrampft. Seine Brust schmerzt und sein Atem geht seltsam. Seine Augen beginnen zu brennen und er versteht kaum was mit ihm los ist.
«Ich...», er schluckt kräftig gegen einen Kloss im Hals an, «hast du eine Ahnung was ich tun würde, wenn dem so wäre?»
Fassungslos über seine eigene heftige Reaktion, seine Tränen und seine Worte, wird sein Körper ganz weich. Haltsuchend sieht er sie an, flehend um Verständnis.
Vorsichtig kommt sie einen Schritt näher. In ihrem Gesicht erkennt er Schmerz. Sie kann ihn fühlen, sie weiss, wie es ihm geht. Zart streicht sie ihm die Tränen von den Wangen, während es auch in ihren verdächtig glitzert. Ohne es kontrollieren zu können, presst er sich an sie. Ihre kraftvollen Arme legen sich um ihn und er fühlt, wie sie ihm liebevoll über den Kopf streicht.
«Ja, ich weiss es...», flüstert sie dabei leise und immer wieder.
Sie sassen an dem Tag noch lange im Schatten der Bäume, auch als dieser Schatten durch das Mondlicht geworfen wurde. Sein Kopf lag auf ihrem Schoss, während sie ihm sanft durchs Haar strich. Ihre andere Hand, hielt die seine. Keiner von beiden wollte, dass dieser Augenblick zu Ende ging. Doch das tat er.
Als sie sich verabschiedeten, wussten sie um ihre Herausforderung. In Freundschaft zu leben, während sie ihren jeweiligen Lebenswegen folgten. Einsam, in Gesellschaft, aber doch allein.
Natürlich fand Solène keine Freude an dieser Freundschaft, doch sie akzeptierte sie. So wie sie vieles akzeptierte, auch wenn sie selbst genauso Einsam war.
Als ihr Mann in der ersten Nacht mit ihr das Bett teilte, fühlte sie es sofort. Er war nicht bei ihr. Er gab sich mühe, dass sie keine Schmerzen hatte, dafür war sie ihm sehr dankbar. Doch sie sah es in seinem Blick, er sah durch sie hindurch. Dass es Fayette war, an die er jedes Mal dachte, schlussfolgerte sie erst einige Jahre später. Später in ihrem Leben, fühlte sie sogar eine Art Dankbarkeit gegenüber der Frau. Denn so bestätigten sich die Warnungen ihrer Mutter vom Akt unter Eheleuten nicht.
Adrian war immer sehr fürsorglich, manchmal etwas zu roh und stürmisch, für ihr zartes Wesen. Sie fand tatsächlich ein klein wenig Gefallen daran, wenn er den Akt mit ihr vollzog.
So kam es, dass Solène ihm den von Adrians Eltern so herbeigesehnten Erben schenkte und noch ein paar Kinder mehr. Bei ihnen fand Solène ein wenig Trost in ihrer Einsamkeit. Sie gaben ihr das Gefühl, von jemandem geliebt zu werden, gebraucht zu werden. Sie konnte nur ahnen, wie es Adrian ging, der sich wenig an ihrer aller Leben beteiligte und lieber mit den Bauern auf den Feldern schuftete. Oft hatte sie sich gefragt, ob er nicht eher bei dieser Fayette war. Doch laut ihren Bediensteten war sie unterdessen ebenfalls verheiratet und hatte zwei Kinder, die sie viel beschäftigten. Dennoch wusste Solène, dass sie sich hin und wieder die Zeit nahm, sich mit Adrian zu treffen. Oft waren es diese Nächte, in denen er anschliessend in ihr Schlafzimmer kam.
Eigentlich kann ich mich nicht beschweren, ich habe ein angenehmes Leben, denkt Solène, als sich Adrian, nach einem solchen Abend, in sie ergiesst. Hastig löst er sich von ihr haucht ihr einen Kuss auf die Wange und verabschiedet sich dann mit einem Bonne nuit in sein Schlafgemach.
Der Schmerz, das schlechte Gewissen Solène gegenüber, dieser Hunger nach Gemeinschaft, nach Verstanden werden, fressen sich tief in seinen Magen. Schon lange ist ihm der Appetit vergangen, auch wenn ihn so viele um sein luxuriöses Leben beneiden. Immer wieder hört er sie schwatzen. Eine schöne Frau, die ihm Erben schenkte, ein riesiges Anwesen mit ertragreichem Land, der hat doch alles, bestimmt mangelt es ihm auch nicht an Geliebten.
Die Worte verstärken dieses Gefühl in seinem Magen nur. Er weiss, dass sie recht haben und dennoch fühlt er es nicht. Er stellt sich ein erfülltes Leben anders vor und er fühlt sich nicht im Stande, diese Vorstellungen der landläufigen Meinung anzupassen. Doch gleichzeitig ist er auch nicht in der Lage, einfach einen anderen Weg zu gehen. Schon oft hat er dieses Gespräch mit Fay geführt, während sie alle alt wurden.
Ensemble, tout seul...
※※※
Im Dunkeln starre ich an die Decke meiner Hütte. Mein Magen fühlt sich an, als lägen Steine darin. Auch meinen Körper kann ich kaum spüren. Doch was mir wirklich zu schaffen macht, ist diese Eiseskälte in meinem Herzen. Ich kenne sie, diese Einsamkeit. Grausam schneidet sie die Verbindungen zu allem ab. Das Fehlen meiner Erinnerungen macht mich einsam, auch wenn ich Gesellschaft habe. So getrennt von mir selbst und dennoch ich selbst.
Es ist dieser Augenblick, als es leise an die Tür klopft. Rasendes Pochen kämpft mit der Eiseskälte in meiner Brust. Jie hebt neugierig den Kopf, während Lenny aufgeregt im Raum flattert. Es dauert einen Moment, bis mein Körper in Bewegung kommt. Mit dem Öffnen der Tür, schwappt die kalte Luft von draussen herein und verbündet sich mit der in meinem Herzen.
Niemand ist zu sehen, doch das kenne ich bereits. Ein leises Wispern lockt mich nach draussen zu kommen. Mit dem kläglichen Rest meiner geistigen Kräfte, schnappe ich mir meinen zart gestrickten Wollmantel. Warm schmiegt er sich um meinen feingliedrigen Körper. Dann trete ich nach draussen, wo ich meine dünnen Lederschuhe überstreife. Dabei realisiere ich das erste Mal, dass es nur kalt ist, aber nicht mehr regnet.
Mit Blick zurück sage ich: «Wartet hier, ich bin gleich zurück.» Damit schliesse ich die Tür, um Jie und Lenny vor dem frieren zu bewahren.
Unter dem Dach hervortretend, nehme ich einen tiefen Atemzug der Nachtluft. Wie am Tag, wabert die Feuchtigkeit nebelartig durch die Luft. Über die Heide gehend, verursachen meine Schritte kaum Geräusche, während ich horche, wohin mich das Flüstern führt. Eine Weile folge ich dem Waldrand, doch dann wechselt die Richtung und lockt mich weg von dem schützenden Dickicht. Mein Herz hämmert immer noch gegen die Kälte an, gegen die äussere und innere. Schauer arbeiten sich durch mich, während mir immer wieder Adrians Gesicht durch den Kopf geht. Die grauen Augen müde und stumpf, dem Ende entgegensehend.
Ich hoffe, dass meine nicht genauso aussehen. Allein der Gedanke daran, versetzt mir nochmals einen Stich im Magen. Das wiederum wirft in mir augenblicklich die Frage auf, ob ich das überhaupt bei mir selbst erkennen könnte. Beschäftigt mit diesen Sorgen, achte ich wenig auf den Weg und meine Umgebung, nur das Flüstern führt mich.
Als einer meiner Füsse tiefer sinkt und von kaltem Wasser empfangen wird, reisse ich meinen Kopf hoch und versuche zu erkennen, wo ich bin. Vor mir zieht ein bis über seine Ufer gefüllter breiter Bach vorbei. Mit eben diesem hat mein Fuss eben Bekanntschaft gemacht. Augenblicklich flackern mir die Bilder von Adrian und Fayette an meinem inneren Auge vorbei. Mein Atem geht schwer und bildet kleine Wölkchen. Suchend sehe ich mich um.
Dann erhasche ich sie, seine ersten Vorboten. Kleine Glühwürmchen schweben über das dunkle Wasser in meine Richtung. Ihr Glühen ist anders, als das jener, die ich um den See hin und wieder, bei guten Bedingungen beobachten kann. Diese hier leuchten in einem kalten eisblau, welches an manchen Stellen ins Indigo übergeht. Genauso verhält es sich mit den Augen, nach denen ich nun Ausschau halte.
Geräuschlos scheint er beinah über das Wasser zu gleiten, während sein dunkelblaues Gewand, leicht fluoreszierend um ihn wabert. Seine schwarzen Haare fallen ihm in wohlgeformten Wellen weit über die Schultern. Als er vor mir zum Stehen kommt, öffnet er die Augen und fokussiert direkt und ohne Erbarmen, die meinen.
«Faryd...»
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