4 - Hingabe
Wenn eine Katze ihr Fell putzt...
Wenn eine Mutter ihr Kind versorgt...
Wenn ein Künstler an seinem neuen Werk arbeitet...
Wenn ein Kind die Biene in der Blüte beobachtet...
...steht die Zeit, sie hält den Atem und dennoch fliesst alles in diesen Augenblick.
Der Augenblick im Hier und Jetzt durch Hingabe erfüllt.
※※※
Meine Tränen trocknen nicht, ihr stetiger Strom ähnelt jenem der sich ausserhalb meiner Hütte erneut über das Land ergiesst. Hart und kalt, erbarmungslos wird er die zarten Blüten, welche so prachtvoll erstrahlten, zerstören und mit sich reissen.
Allein der Gedanke daran entzieht mir jede Kraft. Mein ganzer Körper fühlt sich taub an. Mit aller Kraft meines Geistes versuche ich meinen Arm zu heben, doch dieser zuckt nur leicht. Erschöpft und wahrscheinlich schweissgebadet von dieser kleinen Bewegung, lasse ich mich fallen. Immer weiter falle ich in die Tiefen der Schatten, wabernd winden sie sich um mich und zwingen mich weiter ins Vergessen.
Als ich das nächste Mal in die Region des Bewusstseins gelange, kann ich die kühle Nase von Jie an meiner Hand fühlen. Seine Sorgen fliessen über meine Handfläche zu mir. Ich versuche ihm Zuversicht zu vermitteln. Es wird vorbeigehen, bestimmt.
Schon bald hat mich die Dunkelheit wieder voll eingenommen. Schmerzen zucken durch mich und gleichzeitig ist es, als würde ich ihnen nur zusehen. Das Schwarz schmeckt bitter und brennt beinah in meinem Mund, als ich diesen öffne um nach Hilfe zu rufen. Doch alles bleibt stumm. Wie kann es zeitgleich so laut und dennoch still wie in einem Vakuum sein?
Das was von meinem Verstand noch funktioniert, dreht sich im Kreis, versucht eine Lösung zu finden. Dann höre ich es. Eine liebliche Melodie dringt sanft zu mir durch. Kontinuierlich arbeitet sie sich durch die Düsternis und beginnt meinen Körper zu umgarnen. Heilsam legt sie sich auf meine unsichtbaren Wunden. In einem warmen hellen strahlen breitet sie sich immer mehr um mich herum aus. Sobald sie meinen ganzen Körper bedeckt hat, beginnt sie mich zu erfüllen. Das erste Mal, seit wann auch immer, denn das Zeitgefühl habe ich vollends verloren, beginne ich mich leichter zu fühlen.
Ich fühle die sanften Klänge mit jedem Atemzug meine Lungen füllen und dann erkenne ich sie. Laila, war ich so lange weg? Doch sie antwortet nicht, um sie herum nehme ich ein kleines beinah nervös flatterndes Wesen wahr. Hell wie ein Stern leuchtet es. Nach einem Augenblick erkenne ich dessen Energie. Lenny...
Aus Lenny erklingen die Licht- und Tonströme, die mich geheilt haben. Tränen füllen meine Augen und eine unendlich tiefe Liebe breitet sich aus, heisst nun die Melodie richtig willkommen, lässt sie jede Zelle in mir erhellen.
Dann wandert mein Blick wieder zu Laila. Ihr leuchtend helles Gewand, wabert um ihren Körper, als würde sie sich unter Wasser befinden. Mit ihren hellblauen, fast schon weiss leuchtenden Augen sieht sie mich durchdringend an. Manchmal spricht sie, doch heute tut sie es nicht. Immer mehr beginne ich in ihren Blick zu fallen, während ihr durchscheinender Körper langsam immer näher kommt.
Mit einem Keuchen und einer ruckartigen Bewegung setze ich mich in meinem Bett auf. Es ist dunkel in meiner Hütte, doch sofort fühle ich Jies waches Wesen, welches mich freudig begrüsst. Auch Lenny zwitschert glücklich los und flattert um meinen Kopf. Ich strecke meine Hand nach ihm aus, damit er sich darauf setzen kann. Sofort nimmt er das Angebot wahr.
Das warme und tiefe Gefühl der Dankbarkeit, beginnt sich in Wellen auszubreiten und Lenny plustert sich wohlig darin auf, als würde er ein Sandbad nehmen. Jie hüpft indes neben dem Bett auf und ab. Seine Brummgeräusche klingen fröhlich und erleichtert. Ich strecke meine andere Hand nach ihm aus, um ihm liebevoll über sein dichtes Fell zu streichen, dabei drückt er seinen Kopf regelrecht in meine Hand.
«Ich habe eine Geschichte für euch», sage ich ihnen nach einer Weile freudig, «und ich glaube, diesmal könnte sie euch gefallen.»
Vom langen liegen steif, entschliesse ich mich, erst aufzustehen und dem Glimmen des Feuers nachzuhelfen. Bald darauf breitet es sein Licht freundlich im Raum aus. Sowohl Lenny, als auch Jie bekommen ein paar Beeren und Nüsse. Nebenbei nehme auch ich eine Beere in den Mund. Langsam zerdrücke ich sie und die restliche Feuchtigkeit in ihr verbindet sich mit meinem Speichel und verteilt das Aroma der Beere. Genüsslich gebe ich mich einen Moment dem Geschmack hin. Anschliessend setze ich mich auf meinen Stuhl.
Lenny macht es sich indes auf meinem Tuch gemütlich, welches ich mir über die Beine lege und Jie, für den der Platz niemals reichen würde, legt sich wieder zu meinen Füssen.
«Also dann erzähle ich euch mal woran ich mich erinnere...»
※※※
Hell und golden ziehen sich die Fäden durch die lichten Wälder, in denen Dayron aufgewachsen ist. Es gibt kaum eine Nische, die er nicht kennt, einen Baum dessen Geschichten er nicht gehört hätte oder einen Zwerg, dessen wilden und lustigen Erzählungen er noch nicht gelauscht hätte. Dennoch ist es genau dieser Wald, der die noch fehlenden Visionen bereithält, die ihm den Übergang zum vollständigen Erwachsensein weisen werden.
Also schreitet er durch die ihm so vertraute Welt, lauscht deren Klängen und schmeckt ihre Gerüche, bevor sie sich in einer Symphonie aus Melodien in ihm ausbreiten. Die Sonne neigt sich bereits dem Horizont entgegen, als er das leise Flüstern im Wind zu verstehen beginnt. Darunter mischt sich das zarte Lachen und Kichern eines winzigen Wesens. Ein Lächeln des Wiedererkennens, breitet sich in Dayrons Gesicht aus.
Als sich ihm die kleine und hell leuchtende Elfe zeigt, zwinkert sie ihm zu und weist auf eine mächtige Eiche. Sofort erkennt er sein Nachtlager. Als die Elfe sieht, dass er ihre Nachricht verstand, zieht sie sich zurück.
Der mächtige Baum breitet seine Äste bereits ein paar wenige Meter über dem Boden aus, welche sich von da als Krone bis hoch in die Lüfte strecken. Die Kraft und Energie zieht die Eiche aus dem Boden, aus der Luft und dem Licht. Mit eben diesem Licht erhellt sie die dichteren Erdschichten und erfüllt diese mit dessen Essenz.
Zwischen ein paar oberflächlich verlaufenden Wurzeln, setzt Dayron sich auf den kühlen Boden und schliesst die Augen. Sein Körper verbindet sich mit der Erde und er fühlt die pulsierende Kraft der Eiche um sich. Langsam zieht sie ihn in ihren ureigenen Rhythmus. Fort von seinem Körper. Durch Farben und Zeiten, Wirklichkeiten und Träume hin zu dem, was er zu sehen, gekommen ist. Graue Augen graben sich in die seinen dunklen.
Zur selben Zeit finden im Klang des rauschenden Meeres Vorbereitungen für das Sommersonnenwendefest statt. «Hier Mama, da sind die Perlen, die du dieses Jahr zur Feier mitnehmen wolltest.»
«Danke Inara, die hätte ich in der Vorfreude vergessen»
Liebevoll fährt die Mutter ihrer Tochter durchs lange rabenschwarze Haar. Wilde Wellen geben ihm etwas unbändiges, was der jungen, sonst so ruhigen und scharfsinnigen Frau so gar nicht entspricht. Dennoch drückt es einen Teil ihres Wesens aus und zaubert ein wundervolles Bild, wenn sie auf den Flossen über die Wellen gleitet.
Mit ihrem starken Blick beobachtet Inara ihre Mutter, wie diese sie liebevoll mustert. Um ihr Herz wird es ein wenig schwerer. Sie und ihre ganze Familie wissen, dass dies die letzten Tage hier in den Meereslanden sein werden. Denn es ist diese Sonnenwende, die sie letztes Jahr bei ihrer Initiation als lebensverändernd gesehen hatte.
Lange Gespräche mit ihrer Familie und den Dorfweisen folgten und bereiteten sie auf ihre weiteren Schritte vor. Genauso intensivierten sich ihre Träume schon seit Monaten, hin zu dieser Sonnenwende. Immer klarer kann sie die Veränderung fühlen, geradezu eine Art Spannung baut sich in ihrem lebendigen Körper auf.
Lange beobachten sie an diesem Abend das Wogen des Meeres von ihrem Lieblingsfelsen aus. Tief atmet sie die Brise ein und ihre Sinne empfangen die so vertrauten Impulse. Jede Nuance verbindet sie mit so vielen Erinnerungen, würde sie allein diese Erzählen wollen, würde sie ein Leben dazu benötigen. Also lässt sie es und geniesst den Augenblick mit all seinen Liebkosungen. Die Sonne ist schon lange untergegangen und das weite klare Himmelszelt glitzert über ihr.
Mit Blick zu ihrem Stern nimmt sie die Botschaft in sich auf, die in ihren Gedanken widerhallt: Als Besucher sind wir hier. Tiefe Hingabe bringen wir mit, sie lässt diese Welt erstrahlen und gedeihen. So anders wir sind, so sehr gleichen wir uns, war es doch einst die selbe Energie die uns kreierte.
Von allen Winkeln des Kontinents reisen sie an zum grossen Fest der Sonnenwende. Alle möglichen Geschenke werden zu ehren dieses Ereignisses transportiert. Doch niemandem ist die Last zu schwer. Frohmut durchdringt die Wandernden. Begleitet von Elfen und Zwergen, die ebenfalls dem Schauspiel beiwohnen wollen, gibt es immer etwas zu Lachen.
Als Dayron seinen Blick über die Massen schweifen lässt, beobachtet er, wie jedes Mal fasziniert, die vielen bunten Kreationen zu Ehren der grossen Göttin. Bereits seit Tagen sind die grossen Weisen aus den Kristallstädten hier und bereiten den Platz vor.
Jeder Besucher, der mit seiner Sippe eintrifft, fügt sich in die hier herrschende Energie ein und vitalisiert alles. Die Erde und deren Pflanzen erstrahlen in diesen Tagen in ihrer schönsten Pracht. Beinah so, als würde sie mit ihnen feiern.
Den ganzen Tag schon finden Tänze statt. Dayron hat bereits selbst an einigen teilgenommen, doch nun zieht es ihn woanders hin. Neugierig folgt er diesem starken ziehen und entdeckt eine Gruppe des Meervolkes. Sie sind ebenfalls in ihre Tänze vertieft. Fasziniert beobachtet er ihre Dynamik, sie wirken so anders, als jene von seinem Stamm und dennoch sprechen sie von der gleichen Hingabe und Liebe zur grossen Göttin.
Als sein Blick weiter über die Tanzenden streift, fühlt er wieder diesen starken Drang in sich, diesmal jedoch um sich anzuschliessen. Mit der nötigen Vorsicht sucht er Anschluss an die sanft wiegenden Bewegungen. Eine Weile fühlen sie sich fremd an, doch als sich eine sanfte Hand um die seine schliesst, fällt der Schleier des Verborgenen. Die wellenartigen Bewegungen werden zu ihm und er zu ihnen. Bis er so darin aufgeht, als hätte er nie einen anderen Tanz vollzogen.
Langsam öffnet sich sein Geist, verbindet sich immer mehr mit seinem Umfeld, bis er realisiert, dass seine Hand immer noch mit der anderen Verbunden ist. Wärme pulsiert von seiner zu ihrer und genauso anders herum. Während er sich den Bewegungen weiter hingibt, seine Augen geschlossen hält, fügen sich Bilder in ihm zusammen. Es ist ihre Energie.
Sanft grüssen sich die beiden, ohne jedoch in ihren Bewegungen innezuhalten oder die Augen zu öffnen. Dennoch sehen sie sich. Ohne irgend einen Schleier, zeigt Dayron Inara sein Wesen. Die Visionen vereinen sich, während sich der Tanz seinem ekstatischen Höhepunkt nähert. Immer stärker fliessen die Energien durch alles sein, die sich bewegenden Körper scheinen zu einem zu verschmelzen und dennoch bleibt jeder sich selbst.
Die feierlichen Tänze erreichen mit dem abtauchen der Sonne hinter dem Horizont ihren Höhepunkt. Die einzelnen Tänze werden zu einem und bleiben doch individuell. Jeder Tanz greift in den anderen über, der wiederum zum nächsten passt.
Als die ersten Sterne das Licht der Sonne ablösen, wird es ruhig. Die Bewegungen, die Inara nun verspürt, binden sie an die Erde. Flach liegt sie darin gebettet, die kräftige Hand des Mannes um ihre. Des Mannes, den sie von nun an begleiten wird. Er liegt ebenfalls neben ihr und gemeinsam horchen sie, was die Welten ihnen zu sagen haben.
Einige Tage später wandeln die beiden durch die für Dayron vertrauten Wälder. Der Abschied Inaras von ihrer Familie wurde zuvor gebührend gefeiert und ihr Übergang zu ihrer neuen Familie gesegnet.
Neugierig und voller Staunen beobachtet sie die so vollkommen andersartige Lebendigkeit der Natur hier. Die grossen Bäume, die vielen Pflanzen und Blumen, das Gras unter ihren Füssen. Alles fühlt sich neu an und dennoch vertraut. Die Farbenpracht, obwohl die des Meeres auch gewaltig ist, übersteigt das bisher erlebte. Einfühlsam begleitet Dayron seine Gefährtin, Stabilität geben, wenn sie sie braucht.
Zusammen besuchen sie die Eiche. «Hier habe ich meinen Initiationstraum erlebt», erzählt Dayron Inara, die ihm aufmerksam lauscht.
«Hast du nur mich gesehen?», fragt sie nach einer Weile.
Ihre wissenden Blicke treffen sich.
Das Dorf nimmt Inara genauso liebevoll und gut auf, wie der Wald und seine Wesen. Die weisen Frauen teilen gerne ihr Wissen mit ihr und die kleinen Zwerge freuen sich riesig darüber eine neue Zuhörerin zu haben. So fliesst die Zeit dahin und Inara findet ihre Freude daran, den Garten mit Dayron zu pflegen, die Kristalle auszurichten und zu programmieren.
Die Ernten fallen reich und üppig aus und es wird viel wohlwollend geteilt. Kräuter aus dem Wald ergänzen die vielen Früchte, Gemüse und Wurzeln, die im Garten gedeihen. Die Energie und Kraft, die sie liefern, wirken langanhaltend und bereichern die Traumreisen. Hin und wieder führen diese Inara zu ihrem Lieblingsplatz am Meer.
Obwohl das gemeinsam erdachte und erbaute Haus ihr zu Hause ist, verbringen Inara und Dayron ihre Zeit gerne draussen. Immer wieder besuchen sie die alte Eiche und legen sich zwischen deren Wurzeln zur Ruhe.
An diesem Abend entscheiden sich die beiden erneut auf eine kleine Reise in die Wälder zu gehen. Eine angenehme Spannung liegt in der Luft. Sanft und liebevoll umspielen sich ihre Hände. Die Bewegungen ähneln jenen von ihrem ersten gemeinsamen Tanz.
Ohne darauf zu achten, wohin sie die Natur führt, absorbiert von ihren jungen Gefühlen und Erfahrungen, bricht die Nacht herein. Immer mehr Sterne schicken ihr Licht durch die Weiten des Alls, hin zu den beiden. Auf einer kleinen Waldlichtung legen sie sich ins dort wachsende Gras. Die Blumen haben sich zur Nachtruhe zurückgezogen und nur wenige Nachtblüher verströmen ihren Duft.
Tief verbunden mit der Erde unter und um sie, nehmen Inara und Dayron noch viel dezentere Gerüche und Farben wahr. Das kühllebendige Erdreich, das Pheromonspiel der Bäume, welches ihr Orchester reguliert. Tief atmet Inara dieses Farben- und Klangspiel in sich ein. Die süssen und herben Geruchsnoten breiten sich in ihr aus. Für sie fühlt es sich an, als ob jemand den Schleier zu anderen Dimensionen hebt. Klarer hat sie noch nie gesehen.
Als sie ihre Augen vom Gestirn löst und zu Dayron blickt, erkennt sie, dass auch er sie mit diesem tiefgehenden Blick betrachtet. «Es ist heute oder?», dringt seine Stimme im Einklang mit der Melodie des Waldes gehaucht zu ihr. Ein leises Gefühl der Vorfreude wandert durch ihren Körper. Ihre Haut prickelt sich und sendet ihm damit die Antwort.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, dreht er sich zu Inara, seine Lippen berühren die ihren. Sie braucht keinen Gedanken daran verschwenden, ob sie sich ihm öffnen mag. Jede ihrer Zellen ist bereits von ihrem Traum eingenommen. Dem Selben, den auch er nur wenige Monde zuvor bei seiner Initiation erträumt hatte.
Die Art wie Dayron Inaras Haut liebkost, lässt sie bis tief in den Kern vibrieren. Hingebungsvoll bewegt sie sich ihm entgegen, während sie die Verbindung zur Erde und deren Kraft genauso fühlt. Ein Blick in seine Augen verrät ihr seine Empfindungen, wie es sich für ihn anfühlt, sie so zu berühren. Während sie seine Eindrücke in sich aufnimmt, gibt er sich den ihren hin.
Langsam bewegt sich die Welt durch das Universum. Die Bäume tragen mit ihrem Wind, zum Liebesspiel der Beiden bei, stützen sie, begleiten sie, halten sie, streifen sanft über ihre Haut. Sodass die beiden in ihrer Ekstase keine Unterschiede mehr wahrnehmen können. Die Grenzen verschwimmen und die Verbindung zu allem Sein öffnet sich in ihrer totalen Hingabe. Ihr Traum vereint sich, graue Augen erblicken sie, ein helles Strahlen erleuchtet ihre Welt.
Das Lachen eines befreundeten Zwerges weckt die beiden. Die Sonne ist dabei ihre volle Kraft zu entfalten. «Ich habe etwas für euch, trage ihn bei dir Inara», sagt er und übergibt ihr damit einen wunderschönen kleinen Kristall. Wenn sie ihn bewegt zeigt er seine im milchigen Weiss verborgene Farbenpracht. Blautöne dominieren dieses Spiel und dennoch zeigen sich noch so viele Farben mehr.
Damit sie ihn immer bei sich tragen kann, hat der Zwerg eine wundervolle kleine Kette darum gearbeitet, die viele Schnörkel und Spiralen formt. Sein wissender Blick und sein voraussehendes Geschenk, festigen ihren Traum. Als Dank laden die beiden Beschenkten den Freund ein, mit ihnen ins Dorf zu kommen, wo er dann seine neusten Geschichten mit allen Teilen könne. Das begeisterte Glitzern in seinen Augen, ist alles, was es als Zusage braucht.
Viele Monde später fühlt Inara, dass der Zeitpunkt naht, in dem ihr kleiner Junge das Licht der Welt erblickt. Von weit entfernten Sternen hat er die Reise zu ihnen gemacht, seinen Eltern, die seinem Kommen freudig entgegenblicken.
Die Dorfältesten bereiten seit Tagen das grosse Kräuterbett mit Inara zusammen vor. Spezielles Binden der Kräuter macht sie haltbar, lässt sie deren Duft entfalten. Die Muster und Formen, die sie mit den Bündeln und den Kristallen bilden, übertreffen jegliches Kunstwerk und Inaras Herz klopft schneller, denn sie kann fühlen, dass es ein Muster ist, welches genau für sie und für diese Geburt erträumt wurde. Sie hätte sich nie vorstellen können, wie sehr es sie rührt, da doch für jede Geburt ein solch eigenes Bett gemeinsam geschaffen wird. Dennoch kann sie die Kraft darin erkennen und die hingebungsvolle Liebe für den Eintritt des neuen Mitgliedes ihres Verbundes.
Als es ein paar Tage später soweit ist, versammeln sich die engste Familie und die Weisen im Haus der werdenden Eltern. Dayron begleitet seine Frau liebevoll und stützt sie, massiert sie, liebkost sie. Kleine Feuer sorgen für die Wärme und ein angenehmes Licht. Die wichtigsten Freunde der Familie, Zwerge, Elfen und Feen finden sich ebenfalls in einem gebührenden Abstand in der Hütte ein, während draussen bereits getanzt und gefeiert wird. Der Weise, der für die Lesung zur Bestimmung des Jungens extra aus der Kristallstadt anreiste, ist ebenfalls vor Ort.
Inara fühlt die Kraft in ihrem Körper, die nun erweckt ist. Mit leichten Bewegungen gibt sie sich ihr hin. Vollständiges Vertrauen erfüllt sie und sie fühlt, wie ihr Körper und der des Jungen sie darin bestärken, führen und zeigen, was sie nun brauchen. Der Kleine möchte nun kommen. Hockend und von Dayron gestützt, fühlt sie trotz der mächtigen Kontraktionen, wie jeder Augenblick seine Ordnung hat. Sie bestimmt nicht mehr darüber, er hat die Führung übernommen. Als er kurz im Geburtskanal zur Ruhe kommt, fühlt sie die tiefe Liebe und kräftige Umarmung die sie dem kleinen Körper mit auf seine Reise gibt. Augenblicke später ist es vorbei und Àhron erblickt das sanfte Licht der Welt. Einen Augenblick bleibt es vollkommen ruhig im Raum, dann legt eine Weise Àhron seiner Mutter auf die linke Brust, nah an ihr Herz.
Seine grauen Augen, ganz anders, als jene seiner Eltern, wirken klar und weit voraussehend und so klingen auch die Vorhersagen und Visionen des Weisen. Inara erkennt die Kristallstadt und obwohl sie noch nicht da war, weiss sie, dass ihr Junge bereits vor diesem Augenblick seiner Geburt dahin gerufen wurde. Doch erst würden sie sich kennenlernen, Zeit verbringen und ihn in Liebe auf seine grosse Aufgabe vorbereiten. Dayron küsst seinen kleinen Stern glücklich auf die Stirn und massiert sanft seine Füsse.
※※※
Draussen ist es hell geworden. Das Licht verspricht mir ein paar Sonnenstrahlen zu begegnen, wenn wir nachher aus der Hütte gehen.
Lenny und Jie sind noch immer ganz ruhig und beobachten mich. «Ja, das ist das Ende dieser Geschichte», antworte ich der Frage im Raum. Eine Welle von Unverständnis schlägt mir entgegen. Ein Lächeln zaubert sich in mein Gesicht. «Ich weiss, dass es euch interessiert, wie es mit der Familie weitergeht. Was mit dem Jungen Àhron ist, was ihn in seinem Leben erwartet. Ich verspreche euch, dass ich euch immer alles erzähle, was ich weiss, woran ich mich erinnere.»
Meine beiden Gäste wirken nicht sonderlich begeistert und wieder kann ich den beinah vorwurfsvollen Ton hören: Bei den traurigen Geschichten erinnerst du dich immer an mehr.
Sanft rolle ich mit den Augen. Als ob ich das absichtlich machen würde.
«Kommt, lasst uns das schöne Wetter da draussen geniessen.»
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