13 - Ursache

_Jay_M_ gerne widme ich dir dieses Kapitel, liebe Jay, ich musste so oft an dich denken beim Schreiben. Deinen Kommentar aus Kapitel 11 noch immer hörend 😅. Auch wenn nicht beabsichtigt und auch wenn es eigentlich nichts konkretes mit dem Gesamtkonzept zu tun hat, wirst du hier wieder dieses gewisse Element finden.😂🌸

🌸🌸🌸

Der Anfang ist das Ende.
Das Ende ist der Anfang.
In Unendlichkeit verbunden.

Der See liegt still.
Ein seichter Wind bewegt die langen Äste der Trauerweide.
Sie lässt eines ihrer Blätter ziehen.
Der kurze Tanz in der Luft und das Blatt landet sanft auf dem See.
Die Oberfläche kräuselt sich unter dem sachten Kontakt.

Was hat den Wind dazu gebracht loszuziehen?
Was bewog die Weide sich von ihrem Blatt zu lösen?
Was wird das Blatt noch beeinflussen, nachdem es die Oberfläche des Sees in Bewegung brachte?

Alles hat einen Anfang, alles hat ein Ende, eingebettet in der Ewigkeit – ist es eine Illusion?

※※※

Zufrieden und in mir ruhend, wandle ich über eine weite Wiese. Meine Handflächen gleiten sanft über die Gräser und Blüten. Warm und süss kitzeln sie mich und ich fühle die tiefe Freude in mir emporsteigen, immer heller wird mir ums Herz und ich grüsse jedes kleine Insekt, jeden Vogel und die wundervollen Tierfamilien, die meinen Weg kreuzen. Am Himmel erstrahlt die Sonne, meine Freundin und meine Wärme, während unter ihren Strahlen alles gedeiht und wächst, sich ihr entgegenreckt.

Das sanfte Plätschern eines im Licht funkelnden Baches zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und ich sehe das tiefe Blau des Himmels darin spiegeln. Fische bewegen sich pfeilschnell durch ihr Element und hie und da vollziehen sie einen Hüpfer an die frische Landesluft.

Die Hügel emporgehend, in froher Erwartung was ich sehen werde, beschleunige ich meine Schritte. Der Wind stärkt meinen Rücken, schiebt mich weiter, verfängt sich in meinem Haar. Noch ein Schritt...

Windstille, ruhe, alles hält den Atem an, auch ich selbst. Mein Fuss berührt den warmen Stein, verbindet sich mit dem Grund. Die Kraft in meinen Beinen baut sich auf und presst mich den halben Meter hoch. Vor mir öffnet sich die Weite, ich atme aus und der Wind braust erneut auf. Weht mir diesmal von vorne ins Gesicht, trägt den würzigen Duft des Lebens entgegen. Von weitem kann ich sie erkennen und vor allem ihre wundersamen Bauwerke.

Ich kann die Kraft und Energie um sie zirkulieren sehen und die Härchen an meinen Armen stellen sich empor. Liebe breitet sich in mir aus, Freude, ich bin unendlich glücklich...doch...

※※※

Als Sithara mit ihrem Stamm sich darauf vorbereitet, ihren Kontinent zu verlassen, sind schon einige Jahrzehnte durch sie geflossen. Dennoch hinterliessen diese kaum sichtbare Spuren in ihrem Erscheinungsbild. Während sie ein letztes Mal vor ihrem Kristallspiegel ihr strahlend helles und dichtes Haar flechtet, lässt sie die vielen Eindrücke und Erlebnisse nochmals an sich vorbeiziehen. Das fröhliche Lachen, als sie in ihren Kinderjahren mit Freunden und Geschwister über die Wiesen und durch die gigantischen Wälder des Kontinents tobte. Die Freude, die sie empfand, als ihre Geschwister die Familie verliessen und mit anderen den Stamm erweiterten. Die Jahre, die sie mit ihrem Studium des Körpers und Geistes in den Tempeln verbrachte.

All dies sah sie wie einen Traum an sich vorbeiziehen, während ihre türkisfarbenen Augen die Bewegungen ihrer Hände im Spiegel verfolgte. Mit einem tiefen Atemzug beendet sie ihre Flechtkunst und kehrt ins Hier und Jetzt zurück.

Schon seit ihrer Geburt sprachen die Weisen von Veränderungen, die nun entstehen würden. Eine düstere Ära, in welcher jede Entscheidung von grossem Einfluss sei, dieser indes nur wenig erkannt werden sollte. Immer, wenn sie mit diesen Schriften und Vorhersagen konfrontiert wurde, überkam sie eine Gänsehaut. Sie konnte es immer fühlen, dass sie diesen Wandel erleben würde. Sie wusste es einfach und genauso war ihr klar, dass diese Zeit nun gekommen war. Der Strang der Geschichte war gewählt und der Stein ins Rollen gekommen.

Energisch reibt Sithara über die sich erneut prickelnde Haut. Das dröhnende Donnern, welches seit einiger Zeit ihre Welt erschüttert, dringt erneut zu ihr durch. Es ist Zeit, dass wir gehen...

Nur wenige bleiben zurück, der Strom jener, die den Kontinent verlassen, gleicht einem kaum enden wollenden Fluss. Er erstreckt sich weit über die Horizonte hinweg. Mit einem letzten Atemzug und dem genüsslichen Aufnehmen, des Duftes ihrer alten Heimat, setzt Sithara den Fuss über die Grenze. Das Holz unter ihren Füssen, heisst sie willkommen und verspricht ihr leise flüsternd, einen sicheren Weg über das grosse Wasser. Nur wenige Tage würde es dauern den neuen Kontinent zu erreichen.

Die Schriften erweisen sich als exakt und in einer für Sithara kaum relevanten Zeit, setzt sie mit einem erneuten tiefen Atemzug, ihren Fuss auf das neue Land. Ein Stück Erde so reich an Rohstoffen, dass sie kurz erschauert. Das Empfinden der Qualitäten hier ist ein anderes, dennoch schwingt das Land sanft und lieblich. Die Vegetation scheint ähnlich, wenn auch ein wenig kleiner. Einige Bäume, sie schätzt ihre Existenz auf gute 50 Jahre, sind nur gerade doppelt so gross, wie sie selbst. Auch die älteren Baumwesen sind kleiner, als sie es sich gewohnt ist. Ihr Duft hingegen ist beinah der Selbe.

Von diesem Landepunkt aus verteilen sich die Stämme in beinah alle Richtungen. Gehen ihre eigene Reise, lösen die seit Jahrhunderten gewobenen losen Verbindungen eines Volkes vorerst auf. Sithara, als eine von drei Wissenshaltern und Heilern ihres Stammes berät mit ihren Vertrauten, in welche Richtung sie aufbrechen sollen. Mit den Händen auf der Erde fühlen sie die Energieströme und sie fliessen nach Südosten. Immer weiter in noch wärmere Gefilde und hin zu einem Knotenpunkt der Erdkräfte. Über einen kurzen Blickaustausch verständigen sich die drei und die Richtung ist klar.

Die Reise dauert beinah ein Sonnenjahr. Unterwegs treffen sie auf Stämme, die eine ähnliche Richtung eingeschlagen haben, wie sie. Die Aufeinandertreffen werden gefeiert und die Bindungen gestärkt. Familienmitglieder wechseln die Stämme, je nach Bestimmung der Einzelnen und in Rücksprache mit den Wissensträgern.

Als sie sich ihrem Ziel nähern, kann Sithara die leise Aufregung in sich wachsen fühlen. Immer weiter tragen sie ihre Füsse durch lange Grassteppen, die von klar glitzernden Bächen durchzogen sind. Als sie den letzten Berg erklimmen, öffnet sich vor ihnen ein wundervolles, sehr breites Tal. Auch hier glitzert ein breiter Fluss hell in der Sonne und lässt das Land um sich strahlend grün erblühen. Das Summen der Insekten erfüllt die Luft mit seinem heilsamen Klang.

«Wir sind da», haucht Sithara.

«Ist es das wirklich, Schwester?», flüstert die jüngere Frau neben ihr.

«Ja, das ist es. Dort vorne, sieht du, wo sich der Fluss gabelt?» Ein leises zustimmendes Murmeln, lädt Sithara ein fortzufahren. «Genau an der Stelle ist der Knotenpunkt, dort werden wir unsere Tempel errichten können.»

Eine Welle der Freude durchfährt den Stamm, welcher rund 300 Menschen umfasst. Langsam und andächtig betreten sie das Tal, welches für die nächste Zukunft ihre Heimat sein würde.

Einige Jahre später stehen die Tempelanlagen, genauso wie die Wohngemeinschaftsareale. Allesamt harmonisch in die Gegebenheiten der Natur eingebettet. Sithara und ihre beiden Vertrauten verbringen viel ihrer Zeit in den pyramidenähnlichen Tempelbauten. Sie arbeiten das gesammelte Wissen ein und festigen die heilsamen Schwingungen, während immer wieder hilfesuchende Stammesmitglieder für ihre Gesundwerdung vorbeikommen.

«Gestern hat sich ein neues Stammesmitglied geboren. Sie wird eine Wissenshalterin werden», teilt Mánadis mit, als sie abends mit Sithara und Trajan bei einem einfachen Essen zusammensitzt.

«Gut, dann werde ich mich ihrer Wissensverbindung annehmen», erwidert Trajan und tritt damit in seinen vorhergesehenen weiteren Aufgabenbereich ein. «Was ist mit dir Sithara, siehst du jetzt, wo wir hier sind, klarer für dich?»

Teilweise unvorbereitet auf die Frage, schweigt Sithara einen Moment und fühlt in sich hinein. Sie hatte erwartet, dass diese leichte Unruhe mit der Ankunft verschwinden würde, doch sie besteht weiter. Immer in leiser Erwartung auf etwas, was noch bevorsteht.

«Nicht wirklich. Meine Empfindung ist noch die Selbe.»

«Vielleicht wird es sich dennoch bald zeigen», erwidert Mánadis einfühlsam. Ihre helle, beinah durchschimmernde Hand legt sie dabei auf Sitharas deutlich grober geformte.

«Schön wäre es. Es ist unangenehm zu wissen, dass etwas kommt, aber nicht was und wann.»

«Vielleicht liegt es daran, dass wir dafür noch keine Übersetzung haben?», steuert Trajan seine Überlegung bei.

Leise zustimmend nicken, die beiden Frauen. Damit könnte er richtig liegen. Es muss so anders sein, als das was wir kennen, dass ich kein klares Bild bekommen kann...

Wenige Jahre nachdem das Kind sich als Wissenshalterin geboren hatte, folgten noch drei weitere diesem Ruf und Trajan erblühte Tag für Tag mehr in seiner Aufgabe. Mánadis hingegen gründete selbst eine Familie. Nach vielen Jahren, begegnete sie unter einem der noch reisenden Stämmen ihrem Gefährten. Aufgrund ihrer Funktion als Wissenshalterin entschieden sie im Verbund, dass er bei ihr bleiben würde und sein restlicher Stamm ohne ihn weiterziehen würde.

Das unruhige Gefühl in Sithara ist indes immer stärker geworden. Immer häufiger zieht sie sich deshalb in die Wälder weiter nördlich zurück, um lange, schweigende Spaziergänge im Einklang mit der Natur zu machen. In der leisen Hoffnung, die stete Ordnung könne dieses Ungewisse in ihr ausgleichen.

Durch den Wald schlendernd nimmt sie den Atem der Erde in sich auf und wahr. Alles lebt, alles schwingt und fühlt sich harmonisch an. Nur wenn sie immer tiefer in die Fäden der Realitäten dringt, findet sie einige, die weniger schön leuchten. Krampfhaft versucht sie eben diesen zu folgend und herauszufinden, woher diese kommen. Doch etwas stösst sie weg.

Sie öffnet ihre Augen und lässt ihren Blick wachsam über ihre Umgebung schweifen. Während sie diesen Fäden nachging, hatte ein Teil von ihr eine Bewegung wahrgenommen, welche sich von allen anderen unterschied. Auf ihrer rechten Seite knackt ein Ast und sofort wendet sie sich dem Geräusch zu.

Augenblicklich hält sie in ihrer Bewegung inne, als sie sich einem Mann gegenüber sieht. Sie erkennt ihn als Mann, doch er stammt nicht von ihrem Volk. Sein gesamtes Äusseres unterscheidet sich. Hastig sucht sie seinen Blick.

Sie erkennt ähnliche Gefühlsregungen in seinen dunklen, bronzeartig schimmernden Augen. Er ist ein gutes Stück kleiner als sie selbst und sein Körper ist schlaksig. Ohne zu wissen, wie sie mit ihm Sprechen soll, versucht sie es damit; ihre Hand, auf ihr Herz zu legen und den Kopf leicht zu senken. Leise murmelt sie: «Ich bin Sithara, ich folgte dem Strom der Erde aus dem Norden und lebe mit meinem Stamm in der Nähe.»

Als sie ihren Blick wieder hebt, erkennt sie, dass er ihre Geste imitiert und genauso Worte murmelt. Die Schwingungen dringen über die Luft zu ihr und werden von einem Lichtstrahl der Sonne berührt.

«Ich bin Vinod, meine Familie nennt mich Vinay. Wir leben hinter der Bergkette im Osten.»

Sithara starrt Vinod ungläubig an. In vielen Jahrzehnten Lebzeit, hatte sie noch nie Kontakt mit einem der anderen Völkerstämmen, wenn sie auch durchaus wusste, dass sie ebenfalls hier lebten. Fragen strömen durch ihren Geist und sie kann sich nur mit Mühe konzentrieren. Also fokussiert sie sich wieder auf seinen Blick. Sein dunkles Haar fällt ihm locker in die Stirn. Sanft legt er seinen Kopf zur Seite und lässt dadurch das Sonnenlicht mit den Farben spielen, so dass Sithara im dunklen Braun auch goldene Spuren erkennen kann.

Weil ihr nichts besseres einfällt und sie in ihrer Unbeholfenheit leicht verzweifelt, platzen die Worte unbedacht aus ihr heraus:

«Was tust du hier so weit weg von deiner Familie?» Noch während sie spricht, könnte sie sich bereits an den Kopf fassen. War sie doch selbst viele Wegstunden von zu Hause entfernt.

«Ich bin auf einer Selbstfindungsreise», erwidert er und als wäre ein Filter zwischen sie gelegt, kann sie seine fremd klingenden Worte ohne Mühe verstehen. Es scheint ihm mit meiner Sprache genauso zu gehen, stellt Sithara für sich fest. «Und was tust du hier in den heiligen Wäldern, Sithara?»

Ein Schauer durchfährt sie, als sie ihren Namen aus seinem Mund hört. Er klingt vertraut und dennoch anders.

«Schwierig zu erklären, ich glaube etwas ganz ähnliches wie du.» Erneut legt er seinen Kopf schräg und ein Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus, welches seine mandelförmigen Augen sanfter erscheinen lässt.

«Was daran ist schwierig?», fragt er nun direkt, immer noch lächelnd. Irritiert über die Klarheit der Frage, schüttelt sie leicht ihren Kopf.

«Wenn ich das wüsste...», erwidert sie dann leise.

«In meinem Volk leben wir danach, dass nichts aus Zufall geschieht. Alles folgt einer grösseren Struktur, auch wenn wir sie nicht immer erkennen. Vielleicht sollen wir uns gegenseitig helfen?»

Sie erkennt die naheliegende Schlussfolgerung und wundert sich, dass sie selbst noch nicht darauf gekommen ist. Wo doch ihr Stamm nach der Selben Grundhaltung lebt. Nach kurzem Überlegen willigt sie also ein.

«Wollen wir erst etwas gehen?», fragt Sithara, weil sie fühlt, wie sich eine unangenehme Spannung in ihrem Körper aufbaut. Irgendetwas an diesem Zusammentreffen hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Oder war ich nicht schon aus der Balance?

Erst schweigen sie, während sie langsam durch den Wald gehen. Unsicher, ob sie die erste sein soll, die die Stille durchbricht, wartet Sithara ab. Ausserdem sprudeln noch immer unzählige Fragen in ihrem Kopf, die sie aber nicht in eine klare Struktur bringen kann. Es vergehen einige Stunden, in denen sie einfach nebeneinander gehen und kein Wort wechseln, während sich ihre Körper langsam auf einen Rhythmus zusammen und mit der Natur einspielen. Als die Sonne langsam untergeht, blickt Vinod zu ihr auf.

«Hast du Hunger?» Sanft nickt sie. «Wenn wir in diese Richtung gehen, kommen wir an einen Wasserlauf, an dem wir für die Nacht Ruhe finden können. Da gibt es auch viele Wurzeln und Pflanzen die essbar sind.»

Sithara, die sich selbst gut mit den Kräutern und Pflanzen auf ihrem Kontinent auskannte, hat hier noch nicht alle wiedergefunden. Wiederum entdeckte sie auch neue Gewächse, von denen sie jedoch nicht wusste, ob sie essbar waren oder nicht. Vielleicht kann er mir da behilflich sein?

Die Sonne wirft ihre letzten Lichtstrahlen über das Land, während sie aus dem dichten Wald in eine weitere Wiesenlandschaft treten. Sithara fühlt die Ruhe, die Energie ist eine andere, sehr angenehm und beruhigend. Ideal für ein Nachtlager. Milde überrascht sieht sie zu Vinod, doch dieser schreitet unbeeindruckt weiter, als wäre es das natürlichste der Welt, dass er sich auf diese Weise hier auskennt.

Schnell hat er Äste gesammelt, die von den Bäumen losgelassen wurden und kurze Zeit später flackert ein kleines Feuer. Sithara ist beeindruckt. Ihr Stamm entzündet nur zu speziellen Anlässen Feuer. Meist um Reinigungs- oder Übergangsrituale zu feiern. Selten wird eines aus Komfortgründen entfacht.

«Sieh hier, diese Pflanze können wir heute ernten und essen. Sie ist bereit und die Konstellation ist gerade sehr gut dafür.» Schnell geht Sithara im Geist ihre Kenntnisse durch und abgesehen davon, dass die Pflanze sie an eine von zu Hause erinnert, kann sie das mit der Konstellation bestätigen. Vinod zeigt ihr, wie sie die Blätter und auch Teile der Wurzel am besten erntet, worauf sie seine Bewegungen imitiert.

Es dauert nicht lange, da sitzen sie am Feuer, beobachten im vorhandenen Licht das vorbeifliessende Wasser in der Nähe ihres Lagers. Tiere der Nacht werden um sie herum wach, doch Sithara sind die Geräusche vertraut. Nichts würde ihr hier draussen ein Haar krümmen, auch Vinod vertraute sie bereits genug, um loszulassen.

«Du bist sehr unruhig in dir oder?», bricht Vinod das Schweigen.

«Das ist so. Seit vielen Jahren wird diese Empfindung stärker. Ich kann sie aber nicht verstehen.»

«Musst du sie verstehen?»

Ein Lächeln schleicht sich in Sitharas Gesicht. Sie war schon häufiger davor, einfach davon zu lassen und zu warten, doch dieses Gefühl liess sie nie ganz gehen.

«Teile davon sollte ich verstehen lernen, ja. Aus irgend einem Grund scheint es wichtig zu sein. Ich bin nicht die Einzige, die es fühlt, aber bei mir ist es anders und stärker.»

«Erzählst du mir von deinem Leben?»

«Was möchtest du denn wissen?» Auf Vinods Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.

«Alles...» Lächelnd hebt Sithara die Augenbraue.

«Dann sind wir in zehn Sonnenzyklen noch hier.»

«Ich habe Zeit...»

«Gut, dann versuche ich es aber dennoch zu kürzen. Ich bin Sithara, mein Stamm kommt aus dem Norden, wir haben unseren Kontinent verlassen, weil wir Wissenshalter und Heiler seit langem Dinge voraussahen, deren Zeit immer näher kommt. Mein Stamm lebt seit einigen Jahren unten an der grossen Flussgabelung, weil da ein starker Energiepunkt der Erde ist. So können wir mit unseren anderen Stämmen in Kontakt bleiben. Einige sind noch auf Reisen. Ich bin vor guten 80 Zyklen in dieses Leben gekommen und habe an die zwölf Geschwister. Viele von ihnen leben auch hier, andere sind mit ihren Partnern in andere Stämme gezogen. Viele von ihnen haben ihre eigene Familie gegründet. Ich bin Heilerin und Wissenshalterin geworden. Das ist eine Aufgabe, die schon bei der Geburt wahrgenommen wird und ein lebenslanger Weg ist.»

Kurz unterbricht sich Sithara um Luft zu holen, während sie zeitgleich von einem Gefühl der Unsicherheit geflutet wird. Ist es überhaupt das, was er hören wollte? Seit wann bin ich so unsicher?

«Darfst du als Heilerin keine Familie gründen?», fragt Vinod sichtlich fasziniert von ihren Erzählungen. Dankbar für die Frage, erwidert sie:

«Doch wir dürfen genauso eine Familie haben, nur kommt das bei uns meistens etwas später. Wir müssen erst eine gewisse innere Stabilität in der universellen Verbindung erreichen.»

«Hast du die denn?»

«Ja, eigentlich schon, auch wenn ich mich zurzeit verloren fühle.» Vinod schweigt darauf, auch Sithara weiss nicht weiter. Sie ist wieder an dem Punkt, wo alles blockiert.

«Vinod...»

«Nenn mich Vinay, das machen alle meine Freunde.»

«...gut, dann...Vinay, erzählst du mir auch von dir?»

Eine Weile schweigt er und blickt sie nur durchdringend an. Als würde er genau abwägen, was und wie er es ihr sagen soll.

«Mein Volk lebt schon viele Generationen hier in diesen Ländern. Ich bin selbst seit 64 Sonnenzyklen in diesem Leben und befinde mich zurzeit auf der Suche danach, wo ich meine Lebensenergie weiter investieren kann. Viele in meinem Alter begeben sich dann auf eine Reise, wie ich jetzt. Wobei, nur wenige dabei auf andere Menschen, geschweige denn einem anderen Volk begegneten.» Wieder breitet sich ein Grinsen in seinem Gesicht aus, welches die Surrealität des Ganzen wundervoll widerspiegelt. Das wiederum bricht das Eis und auch Sithara beginnt zu Lachen – herzhaft, seit langer Zeit das erste Mal.

Gelöst von der Spannung atmet Sithara tief durch.

«Erzähl mir, wie es sich anfühlt, dieses seltsame Gefühl.»

«Du willst Dinge wissen, die sich kaum in Worte fassen lassen. Es ist eine Unruhe, eine immer stärker werdende auseinanderdriftende Kraft oder Energie. Als würden sich Kluften in mir oder der Welt öffnen. So gegensätzlich wie Wasser und Feuer, aber nicht friedlich und regulierend, wie die beiden Elemente es sind. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?»

Einen Augenblick starrt Vinod mit beinah leerem Blick in die kleinen Flammen, während hinter dem nahen Licht, das Sternenmeer an Kraft gewinnt.

«Wie Licht und Schatten...der Schatten wächst.» Damit wendet er sich Sithara zu. Seine Augen sind suchend und forschen immer tiefer in ihr. Bis sie etwas zu finden scheinen und sich ein Schauer über Sitharas Haut wandert. «Du bist die erste, die es auch so klar fühlen kann.»

Unter dem kaum enden wollenden Schauer, versucht sie ihre Stimme wieder zu finden. Nur mit Mühe bringt sie die Worte hervor:

«Du fühlst es auch?» Sein Nicken vermittelt ihr ein tieferes Mitgefühl, als er es mit irgend einem Wort hätte ausdrücken können.

Die Melodie der Nacht umfängt sie, während sie beide verstummt im Moment verweilen. Irgendwann fühlt Sithara, wie sie kurz mit ihrem Kopf nach vorne kippt. Umgehend wird sie von etwas weichem aufgefangen, während sie in andere Welten reist.

Erste Sonnenstrahlen streichen über Sitharas Gesicht und wärmen es liebevoll, während sie langsam die Augen öffnet. Für einen Moment orientierungslos versucht sie sich blinzelnd daran zu erinnern, wo sie gerade ist. Dabei entdeckt sie die fein gearbeitete Stofftasche, welche ihr bis eben als Kissen diente. Sich weiter aufrichtend, lässt sie den Blick über die erwachende Welt gleiten und die Erinnerungen kehren nach und nach zurück.

Als sie Vinod im Wasser stehend sieht, erscheint auf ihrem Gesicht ein leichtes Lächeln. Die geschmeidigen Bewegungen, die er vollzieht, wirken eins mit der Natur. Aber er wirkt so konzentriert, realisiert Sithara. Auch in ihrem Stamm und gerade unter den Wissenshaltern, sind solche Körperpraktiken tägliche Routine. Doch heute scheint sie selbst länger geschlafen zu haben, als sonst. Normalerweise steht sie mit den ersten Sonnenstrahlen auf und nicht erst, wenn diese in ihrer vollen Pracht den Horizont bereits überwunden hat.

Leise, um Vinod nicht zu stören, steht sie auf und beginnt sich den Schlaf aus den Gliedern zu strecken. So tief und fest hatte sie schon seit vielen Sonnenzyklen nicht mehr geschlafen. Kurz versichert sie sich, dass zu Hause alles in Ordnung ist, während sie Mánadis wissen lässt, dass sie noch eine Weile weg sein würde. Eine eigenartige Welle der freudigen Aufregung schwappt Sithara dabei entgegen. Doch wirklich zuordnen kann sie sie nicht.

Anschliessend richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Vinod und stellt erstaunt fest, dass er sie beobachtet.

«Guten Morgen», grinst er ihr entgegen, während er näher kommt, «brauchst du noch etwas Zeit für dich?» Ohne gross nachzudenken, schüttelt sie den Kopf und erwidert seinen Gruss.

«Hast du eine Idee, wie wir den heutigen Tag verbringen wollen, sofern du meine Gesellschaft möchtest?» Vinod blickt sie durchdringend an und fasziniert von seinem Mienenspiel vergisst Sithara ihre Frage beinahe wieder.

«Natürlich.» Irritiert blickt sie ihm entgegen. Wie jetzt? Was natürlich? Ihre Gedanken vom Gesicht ablesend, grinst er breiter und ergänzt: «Ich habe heute Nacht von einem Ort geträumt, der nach uns zu rufen scheint. Lass uns gleich losgehen.»

Ihre Wanderung sollte beinah den gesamten Tag in Anspruch nehmen, wodurch Sithara verstand, wieso Vinod so zügig los wollte. Doch obwohl er ein strenges Tempo vorlegte, genoss sie jeden Augenblick. Es fühlte sich wundervoll an, die Führung für einmal einfach abzugeben. Währenddessen fühlte sie sich in die sich dauernd verändernde Natur ein. Lauschte dem wechselnden Vogelgesang und erfreute sich an der üppigen Blumenpracht.

Seit einiger Zeit nun, folgen sie einem sehr schmalen Pfad, wahrscheinlich von Tieren rege verwendet, weiter hinauf in die Berge. Zwischen schmalen Felswänden gelingt es Vinod deutlich einfacher voran zu kommen, als Sithara, die immer wieder den Kopf einziehen muss. Geduldig wartet er, wenn sie den Anschluss droht zu verlieren und reicht ihr seine Hand, wenn er das Gefühl hat, dass sie sie gebrauchen könnte.

Seit einer Weile scheint Vinod dem Geräusch von einem leise plätschernden Gewässer zu folgen. Auch in der Luft liegt der zarte Duft eines Versprechens, bald auf Wasser zu treffen. Um sie herum wird das Tal wieder breiter, wobei es immer noch durch die sanften Berge komplett umrundet und geschützt liegt. Als sie einen weiteren Felsvorsprung umrunden, läuft Sithara staunend gegen Vinod, der gerührt von diesem Anblick stehen geblieben ist.

Vor ihnen liegt ein beinah rund umfasste Tallichtung. Wundervolle Bäume verströmen ihren angenehmen Duft und ihr sanftes Lied im Wind. Das Spiel des Windes wiederum ist unterlegt von einem tiefen Rauschen - einem beinah donnernden Grundton. Auf der Suche nach dessen Quelle bleibt Sitharas Blick an einem wundervollen Wasserfall hängen, der weiter hinten im Tal, von einem der höheren Berge hinunter fliesst. Unten hat sich ein verhältnismässig grosser See gebildet, der von Wellen des stetig aufprallenden Wassers gezeichnet, dennoch Frieden ausstrahlt.

«Es ist wundervoll hier», flüstert Sithara leise und nah bei Vinod stehend.

«Das ist es.» Überwältigt, lassen sie die Szenerie einen Moment auf sich wirken, während Vinod sanft seinen Arm um Sithara legt. Ein leiser Schauer durchfährt sie, während sie kurz hofft, dass ihm das entgeht. Der leicht stärkere Druck mit seiner Hand, lässt ihre Hoffnung jedoch schnell platzen.

«Sollen wir einen geeigneten Schlafplatz suchen?», fragt er nach einer Weile. Sithara nickt und überlässt ihm erneut dankbar die Führung. Wieso fühle ich mich nur das erste Mal in meinem Leben, wirklich ruhig?

Gerade als sie den Gedanken zu Ende gedacht hat, überkommt sie ein tiefer Schauer und zeitgleich sieht sie gestochen scharf, die dunkleren Energiefäden von gestern. Bebend unter diesen diametral auseinandergehenden Gefühlsregungen, reibt sie sich energisch über die Arme und versucht weiter tief zu atmen. Doch ganz funktionieren will es nicht.

«Hier ist ein guter Platz für die Nacht...», hört sie Vinod sagen, während ihr Körper bereits darauf reagiert und sich ins weiche Gras sinken lässt. «Stimmt etwas nicht?» Seine Stimme dringt langsam zu ihr durch, als würde er durch Wasser sprechen. Vorsichtig versucht sie sich weiter auf ihren regelmässigen Atem zu konzentrieren. Für eine Antwort oder Reaktion auf seine Frage, fehlt ihr sämtliche Kraft oder Beherrschung. Noch nie zuvor entgleiste ihr die Kontrolle so sehr und ein gewaltiges Gefühl breitet sich in ihr aus.

Während sich dieses unangenehme Kribbeln immer weiter drängt, krallt sie ihre kühlen und schwitzigen Hände in ihre Halt versprechenden Schultern. Die dunklen Flecken schränken immer grössere Teile ihres Sichtfeldes ein, bis sie sich nur noch in diesen grossen dunklen, bronzeschimmernden Augen festklammert.

Erst viele hunderte oder vielleicht tausende Augenblicke später, nimmt sie wahr, wie ihr Rücken von der rauen starken Rinde eines Baumes stabil gestützt wird, während Vinod Kräuter in einem Feuer verbrennt. Ihr herber Duft breitet sich im Tal aus und rüttelt Sitharas Lebensgeister wieder in die Gegenwart. Nur langsam beginnt sie sich zu bewegen und augenblicklich ist Vinod bei ihr.

«Geht es dir ein wenig besser Tara?», spricht er mit gedämpfter Stimme. Nickend versucht sie ihn zu beruhigen, obwohl sie nicht annähernd so sicher ist, wie es ihr wirklich geht, geschweige denn, was das für ein Anfall war.

«Ich versteh nicht, was das war...»

«Angst...auch wenn ich es noch nie in diesem Ausmass gesehen habe. Ich glaube, du hast Angst.» Mit riesigen Augen blickt sie ihm, im spärlichen Licht des Feuers, entgegen. In ihrem Kopf hallt das Wort Angst wie ein Echo wieder.

«Was ist...Angst?», fragt sie nach einer Weile, in der sie die Qualität des Wortes versucht hatte mit einem der ihr bekannten Dysbalancen überein zu bringen. Doch es entzieht sich ihr wie Dunst.

«Eine der tiefsten Dysharmonien, die uns bekannt ist. Ein Gegenteil von Vertrauen.» In Sithara arbeiten die Gedanken unerlässlich in einem Zwiegespräch. «Ich bringe dir ein wenig Wasser. Das hilft dir sicher ein wenig Klarheit zu bekommen.»

Einen Moment für sich, entlässt Sithara erschöpft ihren gespannten Atem und schüttelt irritiert den Kopf. Als sie sich an die Stirn greift, fühlt sie den trocknenden Schweiss. Wie kann das sein? Angst? Ich weiss nichts damit anzufangen und Vertrauen, ich hatte noch nie so viel Vertrauen gefühlt, wie am heutigen Tag. Eine andere Stimme in ihr erwidert darauf: Vielleicht hat es auch genau das ausgelöst...

Mit Wasser versorgt und erschöpft von dem intensiven Erlebnis, lehnt sich Sithara bei Vinod an und starrt dabei ins Feuer. Seinen Arm beruhigend um ihre Schulter fühlend, überkommt sie eine bleierne Müdigkeit. Als hätte Vinod es gefühlt, zieht er sie mit ins Liegen und bettet ihren Kopf auf seine Schulter. Sein herber, erdiger Duft umfängt sie noch intensiver und erzählt von ihrer Reise und dem Feuer, welches er für sie entzündete. Schnell ist sie vom Schlaf übermannt.

Früh morgens, noch eine ganze Weile, bevor die Sonne den Horizont erhellt, erwacht Sithara. Die leisen Atemgeräusche Vinods dringen zu ihr und entsprechend leise löst sie sich von seiner Seite. Ihr Schlaf war tief und beruhigend, dennoch kann sie den gestrigen Anfall noch immer an sich fühlen. Erst, als sie ein paar Schritte weg von ihrem Lager ist, beginnt sie zügiger und aufrechter zu gehen.

Die Nacht ist klar und hell, schnell erreicht sie so das Ufer des Sees. Ohne zu zögern lässt sie ihr Kleid an sich heruntergleiten und durchbricht mit ihrem Fuss das kühle Nass. Ein tiefer Seufzer erklingt aus ihrem Mund und genüsslich legt sie ihren Kopf in den Nacken. Mit geschickten Fingern entfernt sie die kleinen Schnüre, die ihr geflochtenes Haar hielten. Gleich darauf gleitet sie sanft, kopfüber, ins Wasser. Mit kräftigen Zügen bringt sie sich weiter in die Mitte des Sees und verharrt dort eine Weile unter der Oberfläche.

Die Klänge der kräftigen Wassermassen, die auf die Oberfläche treffen, umhüllen Sithara in einer dynamischen Symphonie. Tief mit der Erde verbunden und fühlend, wie alles um sie pulsiert, taucht sie wenige Augenblicke später auf und schenkt ihren Lungen einen erlösenden Atemzug.

In diesem Moment nimmt sie die Bewegung in ihrer Nähe wahr und folgt schnell mit ihrem Blick. Sofort beruhigt und beschleunigt sich ihr Herzschlag zugleich. Vinod steht bereits zur Hälfte im Wasser und sieht zu ihr. Als er erkennt, dass sie ihn entdeckt hat, gleitet er ganz ins Wasser und schwimmt genauso kräftig, wie sie zuvor, ihr entgegen. Sithara ist es nicht möglich, ihren Blick von ihm zu lösen, während sich ihre Atemfrequenz der ihres Herzens anschliesst. Eine erstaunliche Mischung aus Ruhe und Aufregung, welche ihren Verstand komplett ausser Kraft zu setzen scheint. Nur eine Armlänge entfernt, hält Vinod inne. Doch er schweigt, sie fühlt seine Frage in seinen Augen und ihre Erwiderung kommt, ohne, dass sie darüber hätte nachdenken können. Eine Einladung, ein Versprechen, eine Vertrautheit...und dann liegen seine Lippen auf den ihren.

Ihre Augen schliessend, seine Hände auf ihrer Taille fühlend und seine Wärme mit ihrem Mund in sich aufnehmend, wird alles in ihr samten weich und geschmeidig. Liebevoll bewegt sie sich ihm entgegen. Gibt sich seiner zärtlichen Liebkosung hin, während ihr zwischen seinen Küssen, ein leises Seufzen entweicht.

Neugierig erkunden ihre Hände seinen starken Körper und fühlen, wie sich seine Haut prickelnd unter ihren Fingern verändert. Auch ihm entrinnen leise stöhnende Laute, die deutlich herber und tiefer, als seine sonstige Stimme klingen. In jeder Zelle fühlt sie ihr Verlangen nach mehr, nach mehr von ihm. Unter der Intensität ihres eigenen Wollens erbebt sie erneut, als sie realisiert, dass er sie langsam um den Wasserfall geführt hatte. Der felsige Untergrund gibt ihr Halt, als er sich zwischen ihre sich bereitwillig öffnenden Beine schiebt.

Als sie ihn immer näher an ihrer empfindlichsten Stelle fühlen kann, erschauert sie und zieht ihn näher zu sich, während ihr Verstand ganz leise, irgendwo weit hinten in ihrem Kopf kommentiert. Als Vinods Hände indes ihre Brust berühren, bringt ihr Erbeben die Stimme zum Verstummen und sie fühlt, wie sie sich ihm hingibt. Sein Begehren ist liebevoll und sanft, selbst, als er langsam beginnt in sie zu dringen, fühlt sie ausschliesslich dieses zirkulieren ihrer Energien.

Vorsichtig beginnt sie sich während seinem Eindringen - mit ihrem Becken kreisend - seiner Kraft zu öffnen. Als er sie vollständig ausfüllt, stöhnt er keuchend auf und beginnt sich in ihrem Rhythmus mitzubewegen. Immer stärker bauen sich ihre Energien auf, bis sie fühlt, wie etwas in ihr kaskadierend einer Erlösung entgegen streckt, etwas, was ihren Körper nur Augenblicke später erzittern lässt. So sehr vibrierend bekommt sie erst kurze Zeit später - als sich ihr Blick langsam klärt - mit, dass es auch Vinod so ergangen sein muss.

Später, als Sithara auf Vinods Brust unter dem Baum im Gras liegt, flüstert er leise:

«Hat dein Volk etwas gegen unsere Verbindung?» Einen Augenblick schweigt Sithara und fühlt nach.

«Nein, sie werden sicherlich Fragen haben, aber nein. Aber Vinay, kannst du bei uns leben? Als Wissenshalterin, ist es immer sehr schwierig vom Stamm weg zu gehen.»

«Keine Sorge, das ist keine Hürde, ich habe keine derlei Funktionen in meinem Volk. Ausserdem leben wir ja nicht sehr weit voneinander entfernt.»

Mit einem zufriedenen Lächeln und der Sonne, die ihr Gesicht liebkost, dämmert Sithara erneut weg.

Einige Mondzyklen später, sind alle Einzelheiten zwischen den Stämmen geklärt und Vinod als vollwertiges Stammesmitglied aufgenommen. Seit ihrer Rückkehr, verbrachten er und Sithara viel Zeit miteinander und konnten so die Ähnlichkeiten ihrer Lebensweisen erkunden. Ausserdem baute sich ein reger Austausch und Handel zwischen den beiden Stämmen auf und florierte. Es dauerte nicht sehr lange und es bildeten sich weitere Verbindungen und so wurden an einem wunderbar sonnigen Tag, gleich drei Hoch-Zeiten gefeiert und Familien neu gegründet.

Das Gefühl der Angst zeigte sich indes nicht mehr und Sithara schwebte mit Vinod in ihrer Wolke aus Gefühlen und Verbundenheit.

So zogen die Sonnenjahre ins Land und die Liebenden schenkten zwei Söhnen und einer Tochter das Leben. Eine spannende und liebreizende Mischung ihrer beider Körpersignaturen zeigte sich in jedem der drei Kinder, während sie heranwuchsen.

«Mánadis, wann ist es soweit?», fragt Trajan belustigt, während er die Hochschwangere bei ihrer Arbeit beobachtet. Diese wiederum wirft ihm einen mütterlich genervten Blick zu, während Sithara das Ganze über den Rand einer Schriftrolle hinweg beobachtet und leicht amüsiert grinst. Sie hat selbst den Überblick verloren, wie viele Kinder Mánadis mittlerweile haben musste, aber sie kannte sie kaum noch nicht schwanger. Doch sie schien darin Frieden und Freude zu finden, so hatte Sithara nichts daran zu erwähnen.

Trajan hingegen, der sich nie für eine Verbindung hatte entscheiden können, widmet sich nach wie vor der Ausbildung der heranwachsenden Wissenshaltern. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Zeit, kommen immer mehr Kinder, mit den sonst so aussergewöhnlichen Merkmalen der Wissenshaltern zur Welt. Nur wenn Sithara sich in diese Gedankengänge weiter hineingibt, stösst sie dabei auf die alte Unruhe, von der sie vor dem Zusammenfinden mit Vinod so getrieben war. Also schüttelt sie die Gedanken schnell weg und versucht sie nicht weiter zu beachten. Hin und wieder besprach sie diese Gefühle mit Vinod, der sie mit seiner ruhigen und rationalen Art, schnell wieder besänftigen konnte. Dennoch inspirierte er sie auch dazu, in ihrem Rhythmus dran zu bleiben, andere Perspektiven einzunehmen.

«Was grinst du so verträumt, Sithara?», dringt nun Trajans Stimme zu ihr durch. Dabei realisiert sie, dass beide Augenpaare neugierig auf sie gerichtet sind. Wie lange war ich in Gedanken versunken?

«So schaut sie nur drein, wenn sie an Vinay denkt», grinst Mánadis vielsagend und wechselt einen entsprechenden Blick mit Trajan. Sithara entscheidet indes nichts zu erwidern und wendet sich wieder den Schriften zu.

Als sie am Abend nach Hause kommt, hat sich ihre Familie bereits versammelt und das Essen steht zubereitet auf dem Tisch. Vinod haucht seiner Frau einen Kuss auf die Wange und streicht sanft über ihren Rücken, als er diesen leisen Schatten in ihren Augen wahrnimmt. Augenblicklich atmet sie tief durch und lächelt ihn dankbar an.

«Ama, wir haben das Abendessen vorbereitet», empfängt Inaya, ihre Jüngste, sie strahlend, während ihre Brüder gleich hinterher eilen, um zu bekräftigen, wie viel sie geholfen hatten.

Während Sithara das Essen mit ihrer Familie geniesst, fühlt sie immer wieder dieses unruhige Vibrieren in sich. Indes lauscht sie den abenteuerlichen Geschichten ihrer Kinder, welche Wärme mit sich bringen, die sie dringend brauchen kann.

Als sie später im Bett liegt, an Vinod geschmiegt, der ihr sanft den Rücken streichelt, teilt sie ihm ihre Sorgen mit. Es überrascht sie wenig, als er offenbart, dass er es bereits bemerkt hatte.

«Ich habe Angst, nicht so, wie damals, aber ich fühle sie und sie breitet sich aus. Leise und langsam. Ich hatte gehofft, es wäre vorbei...»

«Manchmal entziehen sich uns die Gründe, warum wir durch solche Empfindungen müssen. Aber irgendwo wissen wir es, da sehen wir den Plan, die Idee, das Wieso und das Was. Im Moment kannst du nur Vertrauen und offen bleiben. Offen für das, was noch kommen wird...»

Sie fühlt seine Worte und weiss tief in sich, dass er recht hat...

...doch mit den verheerenden Ereignissen, die später in der Nacht ausbrachen, hätte niemand gerechnet. Niemand hatte sie so geahnt, so sehen können. Sie hatten sich tief in den Schleiern der Ideen versteckt gehalten und mit grösstmöglicher Wucht die Welt aller erschüttert. Der Beginn einer anderen Zeit...

Das Erste, was Sithara aus dem Schlaf reisst, ist das starke Vibrieren um sie. Alles vibriert, erst glaubt sie, dass es in ihr sei, doch als sie Vinods erstaunen und seine Sorge sieht, frisst sich eine Kälte in ihre Magengegend. Alles krampft sich in ihr zusammen und mit einem Wimpernschlag wird ihr bewusst, dass es nun da ist. All das, was sie versucht hatten zu umgehen. Auf diesen Augenblick hatte sie ihre Vorahnung vorzubereiten versucht und dennoch hätte sie dies niemals gekonnt. Die Welten driften auseinander...schnell und erbarmungslos.

Hektisch stürzen die beiden zu ihren Kindern, welche verängstigt ebenfalls aus den Betten kommen. Hastig bewegt sich die Familie nach draussen, immer wieder an den Wänden festhaltend, wenn eine erneute Erschütterung ihre Umgebung erfasst. Draussen blickt Sithara instinktiv nach oben und da sieht sie es, rotes Licht.

«So ein Licht habe ich noch nie gesehen...», haucht sie und bleibt schockiert stehen, während sich die Kälte in ihr ausweitet.

«Wir sollten zu den Tempeln, sie sind am massivsten erbaut...», dringt Vinods Stimme zu ihr durch. Doch ihr Körper denkt nicht daran, sich in Bewegung zu setzen. Alles um sie herum ist hektisch, laut und immer wieder schüttelt der Untergrund. Sithara hört es jedoch kaum, die Stimmen der hilfesuchenden Menschen, dringen wie durch Wasser zu ihr und die Hektik wirkt wie in Zeitlupe auf sie. Der Himmel über ihr erglüht erneut Rot und als sie Richtung nordwestlichen Horizont sieht, erkennt sie es.

«Laelia, es ist Laelia...», kommen die Worte über ihre Lippen, wobei sie im Lärm untergehen.

«Komm jetzt...Tara, mach schon...», schreit Vinod sie förmlich an und zerrt an ihrem Arm. Sie lässt es zu, während ihr Blick auf den kleinen Mond, der sich so nah an der Erde befindet gerichtet bleibt. Das was sie sieht, kann sie kaum in Worte fassen, zumal all die anderen Eindrücke ebenfalls ihre Sinne fluten. Doch der Mond scheint immer mehr von allen Seite von diesem roten Licht getroffen. Seine Erschütterungen wirken sich beinah umgehend auf die der Erde aus.

Indes erreichen sie, wie viele andere die Pyramidenbauten, wo sie den Kontakt zu ihrer Familie verliert. Das letzte was sie hört sind ihre Stimmen, die nach ihr Rufen. Sithara jedoch bleibt stehen, sieht nach oben und die Menschen strömen an ihr vorbei.

Ein starker Wind kommt auf, wirbelt durch ihr Haar und drückt ihr Nachtkleid an ihren Leib. So schnell wie er kam, so schnell wird er wieder Still, als in dem Augenblick, der kleine Mond explodiert. Das bildliche Meisterwerk vor Sitharas Augen ist von Grauen begleitet. Die Druckwelle beginnt die Erde zu erfassen und weckt Sithara, die nun ebenfalls ins innere der Tempel flieht, indes bauen sich die Meere der Welt auf. Wassermengen türmen sich und ganze Landzungen stehen in Flammen.

Als das Licht die Nacht zu dominieren beginnt, wobei der Unterschied auch einige Tage nach der Katastrophe gering ist, sammeln sich kleine vereinzelte Gruppen. Inaya sucht unter diesen Menschen hilflos weinend, ihre Familie, ihr schwarzes Haar klebt Nass an ihrem Körper, nur mit viel Glück hatte sie sich aus dem zerrenden Strömen der Wassermasse ziehen können. Kurz davor hatte sie ihren Vater noch gesehen, wie er versucht hatte sie zusammen zu halten. Ama, war schon lange weg.

Sie kam nie in der Pyramide an, wobei sich Inaya fragt, ob das überhaupt einen Unterschied gemacht hätte. Das Wasser drang schliesslich von unten her in die prachtvollen Bauten ein und richtete eine Zerstörung an, die sie sich bei diesen Gebilden nie hätte vorstellen können.

Viele Tage später haben sich, die wenigen Überlebenden soweit organisiert, dass sie einige, darunter Inaya losschickten, um mit ihren direkten Nachbarn kontakt aufzunehmen. Doch Inaya ist klar, dass es auch dort ähnlich verheerend aussehen muss, wie bei ihnen. Die gesamte Kommunikation in der Pyramide war gestört und flackernd.

Als sie den Hügel erreichen, von welchem sie auf die Ebene sehen können, in welcher das Volk ihres Vater so lange Zeit lebte, zieht sie ihren Atem ein. Trümmer, Feuer und Wasser hatten hier beinahe alles dem Erdboden gleich gemacht. Doch in der Zwischenzeit hatten sich auch hier die Menschen versammelt, es waren noch weniger, als bei ihnen. Gemeinsam kehren sie zurück, gezeichnet vom Schock und Verlust...

※※※

«...Inaya fand halt bei den anderen überlebenden. Von ihrer Familie fand sie keine Spur mehr. Der in der Nacht geborene Sohn von Mánadis wurde später ihr Gefährte. Wie er überleben konnte blieb ein Rätsel, wo doch nur eine weitere Schwester von ihm es geschafft hatte...», beende ich die Geschichte mit hängendem Kopf und bleierner Schwere auf mir lastend. «Es dauerte sehr lange, bis sich die Menschen davon erholt hatten...», ergänze ich, wobei meine Stimme tonlos klingt und ich nicht weiss, woher diese Worte kommen.

Der ekelhafte Nebel draussen drückt indes gegen die Fenster und ich frage mich, was ich hier mache. Wieso soll ich mich an solche Dinge erinnern?, frage ich mich. Übelkeit breitet sich in meinem Magen aus und ich wünsche mir nur einen traumlosen Schlaf herbei.

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