Buch Onyx: Überlegungen

Onyx

Ein ihm unbekannter Pfeifton weckte Onyx. Er war schrill, dann flötend und schließlich drangen von draußen die Geräusche aufgescheuchter Elfen an seine Ohren. Vorsichtig erhob er sich. Sein Kopf dröhnte, als hätte man ihm eine mit einem Eisenspaten übergezogen. Er schluckte und spürte, wie trocken sein Hals war. Sofort verfiel er in einen Hustenanfall, den er mit Mühe niederrang.
Leises Klirren und Gemurmel hing in der Luft.
Mit einem Mal überzog eine seltsame Stille alles um ihn. Egal wie sehr er sich anstrengte, es schien, als wäre das Tohuwabohu eingefroren.
Es ertönten Schritte und jemand öffnete vorsichtig die Tür zu seinem Zimmer. Onyx sah auf und erblickte Naelin, der zu ihm spähte.

»Komm rein, ich bin wach«, sprach Onyx und unterdrückte ein Lächeln.

Ein breiter Grinser zierte Naelins Lippen. »Ich bringe dir Tee.«

Misstrauisch besah Onyx die dampfenden Tonbecher in Naelins Händen.

»Was für eine Spezialität ist es diesmal?«

Naelin lachte erheitert auf.

»Ach nur die, die dir letztens so gut geschmeckt hat«, kicherte er und kam näher. Feixend hielt er ihm einen der Becher hin.
Als er das Getränk an sich nahm, tanzte der Geruch von Holler- und Lindenblüten um seine Nase.

»Du hast mich reingelegt«, bemerkte Onyx. Seine Augen wanderten von dem wohlriechenden, gelben Gebräu zurück zu Naelins Gesicht.

Grinsend setzte Naelin sich auf den Boden vor Onyx Bett. »Hab ich das? Oder steigt dir das Fieber wegen der Sonne gestern doch wieder zu Kopf?«

»Gestern?«, verwirrt zogen sich Onyx Augenbrauen zusammen.
Ein flüchtiger Blick zum Fenster verriet ihm, dass der magiefressende Nebel sich immer weiter ins Tal absenkte. Bald würde alles von der weißlichen Masse verschluckt werden und dann hieß es ausharren, bis er weitergezogen war.

Naelin nickte. »Du hast geschlafen wie ein Stein.« Er überlegte. »Die letzten 28 Stunden? Ja ich glaube, das kommt ziemlich genau hin.«

Ungläubig schüttelte Onyx den Kopf.

»Trink, du musst viel Flüssigkeit aufnehmen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass dir Shiska irgendwann mal Wasser oder Tee eingeflößt hat. Er pflegt seine Patienten immer sehr gründlich.«

Onyx nickte und trank.

Während er mit Hilfe des Tees Wärme in sich hinein spülte, spürte er, wie matt er sich fühlte. Wie neu auferstanden, aber trotzdem erschlagen. Als stecke ihm die Erschöpfung trotz Schlaf noch immer in den Gliedern.

»Würde es Magie geben, wäre ich schon längst wieder auf den Beinen«, dachte Onyx laut nach, beobachtete dabei die Wellen in seinem Tonbecher.

»Ich bin mir sicher, dass es sie noch gibt«, schaltete Naelin sich dazu.

»Ja, dort drinnen«, und dabei nickte Onyx in Richtung draußen, wo nur mehr Weiß existierte. In den undurchdringlichen Schwaden blitzte und knisterte es. Wilde bunte Blitze jagten sich dort in den Nebeln. Die Magie war so präsent und doch völlig unerreichbar. Seit die Obeliske zerstört worden waren, gab es keine Zirkulation mehr. Die Magie konnte nicht mehr geerdet werden, sondern befand sich in Form der Nebel unreguliert zwischen Himmel und Erde.

Wilde Magie, oder chaotische Magie, so wurde sie genannt.

Als Onyx seinen Blick zurück zu Naelin gleiten ließ, prangte ein geheimnisvolles Lächeln auf dem Gesicht des Labradoritelfen.

»Weißt du, die Nebel haben ihren eigenen Klang. Verstehen wir diesen Klang, diese feine Melodie, die sich durch die Schwaden zieht, bin ich mir sicher, dass wir die Magie zurückerhalten können.«

»Früher haben die Obeliske für Ausgleich gesorgt, dafür, dass die Magie von Himmel und Erde für uns Wesen zugänglich war, wie stellst du dir vor, etwas Ähnliches zu erschaffen? Was ist dein Plan?« Onyx Interesse war echt. Während er auf eine Antwort wartete, nippte er wieder von dem Tee.

»Irgendjemand muss die Obelisken gebaut haben. Irgendjemand muss den Obelisken ihre Funktion verliehen haben. Wenn ich sie studieren könnte ... «
Naelin seufzte und trank.

»Du willst zu einem Obelisken?«

»Der Gedanke spukt mir seit längerem im Kopf herum. Jedes Mal wenn die Nebel hier im Dorf stehen, um genauer zu sein.«

Onyx nickte nur, trank den Tonbecher leer und stellte ihn auf den Boden. Danach fasste er sein langes, weißblondes Haar zusammen und drehte sich einen lockeren Zopf, den er über die rechte Schulter legte.

»Gibt es hier Wasser? Ich würde mich gerne waschen«, wechselte Onyx das Thema. Innerlich dachte er über Naelins Worte nach.

Ich könnte ihn hinbringen. Nach Onyx. Zu der heiligen Kammer, die jetzt wahrscheinlich nicht mehr existiert. Wenn die Menschen die Überreste des Obelisken nicht komplett vernichtet haben, könnten wir Hinweise finden.

»Ja, warte, ich bringe dir welches. « Sofort sprang Naelin auf. Als er aus dem Raum lief, bemerkte Onyx das patschende Geräusch von nackten Füßen. Erst jetzt sah er, dass Naelin keine Schuhe trug.

Wie damals.

Während Onyx auf Naelin wartete, spielte er mit einer seiner drei Steinketten, die er um den Hals trug. Meist unter Kleidung versteckt, unerreichbar für die Blicke anderer. Seine Finger tasteten den Turmalinsplitter ab. Er war so scharfkantig wie ein Messer. Unzählige Male hatte er ihn in der Vergangenheit dazu verwendet, seine Handgelenke aufzuschlitzen, um zu bluten, um aus seinem Blut die Geister zu beschwören, die ihm dann gute Dienste geleistet hatten. Mit versteinerter Miene sah er an sein linkes Handgelenk. Es gab kaum Narben von den Schnitten. Seine Haut war dort nur ein bisschen unebener.

»Hier, bitte sehr«, mit diesen Worten stieß Naelin die Tür auf und brachte einen kleinen Trog mit einem Lappen.

Onyx nickte dankbar.

»Ich lasse dich dann mal alleine.« Schon war er durch die Tür nach draußen auf den Flur verschwunden.

Langsam richtete Onyx sich auf.

Beinahe meditativ streifte er seine Kleider vom Leib und kniete sich vor den Trog. Seine Finger berührten die Wasseroberfläche, glitten hinein.
Es war lauwarm.

Kaltes Wasser hätte mich wahrscheinlich wacher gemacht.

Onyx griff den Lappen, spürte, wie weich und angenehm er sich anfühlte und tauchte ihn ins Nass. Ebenso bedächtig, wie er sich zuvor entkleidet hatte, wusch er sich. Wurde den fiebrigen Schweiß und die lähmende Müdigkeit los. Großteils, nicht zur Gänze. Die ewige Reise, auf der er sich seit sieben Jahren befunden hatte, die elendslange, mühselige Suche hatte endlich ein Ende. Aus Reflex blickte er zum Fenster, wurde der Nebel gewahr, die dort lagen. Von allen gefürchtet, weil sie denen mit Magie im Herzen den Tod brachten, wenn sie sich darin aufhielten und den Menschen Krankheit und Schwäche. Die Nebel waren der gemeinsame Feind aller Wesen und er existierte, seit es Magie gab, genährt durch die fehlende Regulation durch die Obeliske.

Nachdem er sich gewaschen hatte, schlüpfte er in seine Robe, die frisch gereinigt und penibel zusammengefaltet an seinem Bettende lag. Danach setzte er sich wieder auf den Boden, überkreuzte die Beine und meditierte.
Während er sich auf seine Atmung konzentrierte und seinen auf Naelin fixierten Geist zur Ruhe brachte, hörte er am Rande seiner Wahrnehmung, wie die Tür geöffnet wurde. Leise und vorsichtig.
Mit einem stillen Gebet beendete Onyx seine Meditation. Er öffnete die Augen und erblickte Naelin, der wieder durch den Türspalt linste.

»Komm herein«, sprach Onyx. So ruhig sein Herz zuvor gewesen war, so wild donnerte es jetzt in ihm.

Dein Hiersein war bis vor kurzem nur ein Traum. Ich kann mit deiner Präsenz noch nicht umgehen.

Seine Gedanken brachten ihn zum Schmunzeln, das er erfolgreich niederrang.

»Ich dachte, du wärst eingeschlafen«, murmelte Naelin, »auch gut. Dann kannst du mir beantworten, wie du zu Rüben stehst.«

Naelin baute sich neben der Tür auf und verschränkte die Arme vor der Brust, das Kinn hob er leicht an. Sein Blick war prüfend.

Rüben. Du hasst sie immer noch.

Dieses Mal konnte Onyx ein amüsiertes Schmunzeln nicht unterdrücken.

»Ich habe nichts gegen Rüben. Bei uns in Onyx gab es viele Gerichte mit ihnen.«

»Das war klar«, seufzte Naelin enttäuscht und fügte resigniert hinzu, »warum frage ich eigentlich. Gut, dann hast du auch nichts gegen Shiskas Rübeneintopf.«

»Ist Shiska im Haus?« Bei dieser Frage richtete Onyx sich noch gerader auf und erhob sich. Er klopfte den Staub von seiner grauen Robe und bemerkte erst jetzt, dass seine halbe Brust entblößt war. Stumm zupfte er sich seine Gewandung zurecht. Zog den Ausschnitt so, dass der Stoff seine drei Talismanketten verdeckte. Als er aufsah, bemerkte er Naelins interessierten Blick, der direkt auf Onyx Oberkörper gerichtet war.

»Nein, die Nebel waren schneller als er. Er wird bei Elaile und ihrem Sohn untergekommen sein. Das bedeutet, bis die Nebel weg sind, musst du mit mir vorlieb nehmen.« Ein jungenhaftes Grinsen zierte Naelins Gesicht. »Ich bin zwar nicht der Heiler des Dorfes. Shiska hat mir offiziell verboten, meine Gebräue an Kranken auszuprobieren, aber du hast leider keine Wahl.«

»Ich brauche keine Wahl«, antwortete Onyx.

Naelins Gesicht erstarrte vor Überraschung.

Für einen kurzen Moment hing Stille zwischen ihnen.

»Du bist ein ziemlich williges Opfer«, sprach Naelin feixend, »ach, ist der große Beschwörer ein Masochist?«

»Kommt drauf an«, gab Onyx von sich und setzte sich aufs Bett hinter sich. Trotz der vielen Ruhe fühlte er sich schnell erschöpft.

Zuerst fror Naelin erneut vor Erstaunen über Onyx Antworten ein, dann prustete er los. »Also gut.«

»Soll ich dir beim Kochen zur Hand gehen?«

Naelin schüttelte den Kopf.

»Es ist ohnehin schon fertig.«

»Isst du mit mir?«, fragte Onyx.

»Natürlich, ich hasse es, alleine zu essen. Ich hole die Schalen.«

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