Buch Onyx: Träume

Der lange, schwarze Gang, der von unzähligen Fackeln erhellt wurde, war, bis auf Onyx und den Sohn des Königs der Silberelfen, leer.

»Halt!« Onyx reckte seinen Kopf etwas in die Höhe und richtete seine Wirbelsäule auf. Er baute sich vor dem Tor auf, das er zu bewachen hatte. Und er würde es bewachen, dafür sorgen, dass niemand eintrat, der keine Genehmigung hatte.
Wenn es sein musste, stellte er sich eben einem Silberelfen in den Weg.

»Ach? Und wer bist du, dass du mich davon abhalten kannst, einzutreten?« Die Haut des Elfen vor ihm war cremefarben, seine Haare lang und kastanienbraun. Das Gewand bestand aus feinem Leinenstoff, aus mehreren Schichten, die ihn gewaltiger und imposanter wirken ließen. Bei jeder Bewegung seines Gegenübers vernahm Onyx ein leises Rasseln. Wahrscheinlich trug der Sohn des Silberelfenkönigs ein Kettenhemd unter all dem Stoff.

Hätte mich auch gewundert, wenn auch nur ein Silberelf es schaffen würde, ohne irgendein Rüstungsteil aufzutreten.

Mit diesem hochnäsigen Gesichtsausdruck, der in fast alle Gesichter der Silberelfen eingraviert war, blickte der junge Elf ihn an.

»Die Erwachsenen halten eine Besprechung ab. Eintritt verboten!«

Wachsam beobachtete Onyx sein Gegenüber, das jetzt vor ihm auf und ab schritt. Langsam und lauernd.

»Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Dritter, einem Königssohn Einhalt gebieten darf. Kennst du deinen Platz nicht?«, sprach der Elf. Sein Blick wurde arroganter, als er ihm direkt in die Augen sah.

Onyx wich ihm nicht aus.

Erwiderte das Starren und siegte.

Der Königssohn blinzelte.
Wütend schickte er einen derben Fluch in perfektem Standartelfisch hinterher, ging drohend auf Onyx zu.

»Aus dem Weg, Dritter«, knurrt er.

In dem Moment schwang das Tor auf. Onyx blinzelte, als das Licht von unzähligen Fackeln aus der Besprechungshalle auf den Gang schwappte. Eine hochgewachsene Silhouette erschien in der Tür. Langes weißblondes Haar, das perfekt über die Schultern von Lorjenn von Silbertal floss, fing den warmen Schein der Flammen und wurde in Orange und Gelb getaucht. Eine schneidende Männerstimme zischte leise: »Da bist du ja.« Und dann lauter: »Mein Sohn, du kommst gerade recht. Für diesen Abend gelten die Besprechungen als beendet. Wir gehen.« Und damit rauschte der Silberelfenkönig mit Sohn und einem Gefolge von zwei Männern und zwei Frauen an Onyx vorbei.
Die Silberelfen würdigten ihn keines Blickes.
Bevor die anderen gehobenen Gäste aus der Halle schritten, beeilte er sich den Korridor hinunter. Seine Tätigkeit als Wächter war mit dem Ende der Besprechung erledigt und somit konnte er sich zurückziehen. Und er würde sich zurückziehen. Vielleicht würde er davor noch kurz in der Küche vorbeisehen, um etwas zu Essen zu stibitzen.

Hinter sich hörte er die anderen die Halle verlassen. Verschiedene Stimmlagen, unterschiedliche Dialekte.

Mit dem nächsten Schritt war er nach links abgebogen, lief einen weiteren Korridor entlang, bis er auf die erste der drei Türen auf der rechten Seite stieß und eintrat.
Verschiedenste Gerüche überschwemmten seine Nase.
Wurzelgemüse Eintopf, Marababrot, frisch gebacken mit schwarzem Sesam und Kümmel.

»Onyx d'Onyx, solltet Ihr nicht an der Besprechung teilhaben?« Die Stimme gehörte zu Kukune einem hageren Schwarzalben, dessen Hände in einer Holzschüssel steckten und eine weitere Partie Marababrotteig kneteten. Hinter ihm werkelten zwei andere, bereiteten in der engen, mit überquellenden Regalen vollgestopften, ebenfalls von Fackeln ausgeleuchteten Küche, weitere Gerichte zu.

»Die ist beendet«, gab Onyx von sich, wobei er um den Beistelltisch mit noch heißem Marababrot strich.

»Kukune, du weißt doch, dass er nicht zur Besprechung darf«, warf eine Köchin ein. Onyx blickte flüchtig auf. Seine schwarzen Hände tasteten dabei wie von selbst und zufällig an einen der Brotfladen.
Das ovale Gesicht der grauhäutigen Elfin hatte er bis jetzt noch nie gesehen. Und er lebte in der Schwarzalbenstadt Onyx seit genau zehn Jahren.

Wahrscheinlich ist sie nur eine Helferin.

Kukune knetete weiter, als hätte niemand etwas gesagt.

»Werdet Ihr der Feier beiwohnen?«, fragte der Koch dann und schenkte Onyx ein zaghaftes Lächeln.

»Nein. So etwas interessiert mich nicht«, antwortete er trocken.

»Tarak d'Onyx würde sich aber sicher über Euer Beiwohnen freuen.« Bei Kukunes Worten ließ Onyx das Marababrot hinter seinen Rücken gleiten, wo er es unter seine Tunika schob und in den Taillengurt zwängte.

Natürlich hatte Kukune recht. Sein Ziehvater würde sich freuen, wenn er am Bankett teilhaben würde.
Seufzend wandte Onyx sich um und verließ die Küche durch eine andere Tür, die zu einer Art Vorraum führte. Rolltische mit verschiedensten Gerichten standen da, bereit, abgeholt zu werden.
Er durchquerte auch dieses Zimmer und stieß die Seitentür zur Festhalle auf.

Die gewaltige Halle, deren Wände und Säulen aus Onyx bestanden, war vom Lärm hunderter Stimmen gefüllt. Unweit neben sich sah er die Künstlertruppe der Labradoritelfen sich vorbereiten.
Die Mitglieder des herumziehenden Künstlerstammes kamen von verschiedensten Stämmen, Clans und Sekten. Was sie gemeinsam hatten, waren ihre bunten, auffälligen Gewänder, die meist wallend um ihre Körper flossen.
Ein Großteil der künstlerisch arbeitenden Elfen versammelte sich zu einem Kreis, aus dessen Mitte Flötenmusik erklang. Noch probten sie, aber in wenigen Augenblicken würden sie das Bankett zu seinem Höhepunkt treiben. Und den Spaß und die Freude heraufbeschwören.

Kosi hatte gestern kurz erwähnt, sie waren draußen in den Wäldern jagen gewesen, dass der Labradoritstamm dieses Mal nicht nur für die gute Stimmung sorgen würde, sondern, sie hätten auch einen Heiratskandidaten bei sich. Sie waren also nicht bloß wegen der Arbeit hier, sondern auch wegen politischer Gründe.

Als Onyx es schaffte, sich von der bunten Truppe abzuwenden, fiel sein Blick etwas abseits der Spielleute, auf eine Gestalt mit einer leeren Holzmaske, die das Gesicht ihres Trägers völlig verdeckte. Um die Maske befand sich ein buschiger Fellkranz, der nichts von dem Haar des Trägers erkennen ließ. Seine Handgelenke wurden von schweren Eisenketten verhüllt. An der Seite der Person stand eine Wache der Labradoritelfen, die die Eisenketten, die zu deren Handgelenke führten, fest im Griff hatte. Sie standen an der Wand, beobachten die Probenden.

Das ist dann wohl der mittlere Sohn, der zweite Drilling, der Dämon.

»Bring Naelin her!«, befahl eine harsche Stimme, die zu einem grimmig dreinblickenden, in bunte Gewänder gehüllten jungen Elf mit gräulicher Haut gehörte.

Die Wache nickte knapp und machte ein paar Schritte auf die Truppe zu. Der Junge mit der Maske blieb sitzen. Als die Wache dies merkte, zerrte sie so fest an der Eisenkette, dass der Junge nach vor stürzte, auf alle viere.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top