Buch Onyx: Spezialmischung
»Herr Onyx, schön, dass Ihr wieder bei Bewusstsein seid.« Schritte ertönten neben ihm. Noch war er nicht fähig, die Augen zu öffnen. »Verzeiht mir, dass ich Euch vorgestern Nacht nicht erkannt habe. Es ist nicht selbstverständlich den großen Beschwörer bei sich beherbergen zu können.«
Langsam dämmerte es ihm.
Er war auf den Berg gestiegen, hatte nach Ihm gesucht und war auf ein Dorf gestoßen.
»Ich stelle Euch Quellwasser und Eintopf neben das Bett. Bedient Euch, wenn Ihr Euch fähig fühlt. Ich werde nach einer Stunde wieder nach Euch sehen«, und mit diesen Worten verließ der junge Elf den Raum, von dem Onyx immer noch nicht wusste, wie er aussah, da er die Augen nach wie vor geschlossen hielt.
Vorgestern Nacht? Ich war wohl erschöpfter als gedacht.
Tock, tock, tock.
Jemand klopfte an seine Zimmertür.
»Bitte«, ermutigte er den Besucher, einzutreten.
Mit einem kaum hörbaren Knarren schwang die Tür auf und erst jetzt öffnete Onyx die Augen.
Und sah ihn.
Naelin.
Ein Kloß bildete sich augenblicklich in seinem Hals, den er hörbar hinunter schluckte, als Naelin sich näherte. Ein ehrliches Lächelns zierte die Lippen des karamellhäutigen Labradoritelfen.
»Schön, dass du wach bist«, sagte er und kam näher. In seinen Händen trug er ein Tablett, auf dem zwei Becher standen. Aus einem dampfte es, aus dem zweiten nicht. Aber Onyx glaubte, einen feinen Geruch von Honig zu erhaschen.
»Wie ich hörte, ist dein Fieber gesunken.« Dann stockte Naelin in der Bewegung. Ein leicht verlegener Ausdruck stahl sich auf sein Gesicht. »Oh, oder sollte ich ‚Euer Fieber' sagen? Meine Manieren sind etwas eingerostet.«
Onyx stützte sich auf seine Ellbogen, schob seinen Oberkörper in die Höhe und setzte sich schließlich im Bett auf.
»Schon gut«, gab er trocken von sich. Seine Augen wanderten über das Gesicht Naelins. Zogen die Form seiner Lippen nach und erinnerten sich an-
»Um deine Genesung zu unterstützen, habe ich dir eine eigens gebraute Mischung mitgebracht«, erklärte er mit einem Lächeln. Geschmeidig ließ er sich vor Onyx' Bett auf die Knie sinken und reckte ihm das Tablett entgegen.
Naelin, mach es mir nicht so schwer, dich abzuweisen.
Mit sich selbst ringend, besah Onyx das Tablett mit den Bechern.
»Die Wirkung spricht für sich und der Geschmack, naja ... «, Naelin pausierte kurz, überlegte, welche Worte er wählen sollte, »nichts was Honig nicht richten kann.« Sein Lächeln wurde spitzbübischer.
Ich weiß Naelin. Das sagst du zu jedem, dem du deinen Wundertrank das erste Mal aufdrängst ...
»Ich nehme den Trank ohne Honig, danke«, mit diesen Worten fasste Onyx den Becher, vermied es, hineinzusehen, und legte den Ton an die Lippen. Ohne zu atmen, trank er das Gebräu mit einem einzigen Schluck.
»D-du weißt nicht, was du tust«, stotterte Naelin beinahe entrüstet, fuchtelte mit seinen Händen, um Onyx davon abzuhalten, den Becher auf einmal auszutrinken.
Natürlich ignorierte Onyx Naelin.
Erst als der Becher leer war, stellte Onyx ihn auf das Tablet zurück, das Naelin immer noch in Händen hielt.
Als sich ihre Blicke trafen, lag Überraschung in Naelins Gesicht. Seine sonst schon großen, grünen Augen waren jetzt noch größer und seine Lippen öffneten sich leicht, als wolle er etwas sagen.
Onyx nickte nur dankend und richtete sich im Sitzen weiter auf. Dabei wandte er seinen Kopf von Naelin ab, um ihn nicht die ganze Zeit anzustarren.
»W-Wow«, brachte Naelin schließlich hervor. Mit einer fließenden Bewegung stellte er das Tablett neben sich auf den Holzboden und setzte sich in diesem Zug bequemer hin.
Der Blick, mit dem Naelin ihn musterte, wies eindeutig darauf hin, dass er auf eine Reaktion wartete. Auf eine Regung im Gesicht, ein Zucken des Mundwinkels, ein verziehen der Augenbrauen, ein Naserümpfen.
Onyx tat nichts dergleichen.
Ein erheitertes Lachen folgte. »Ich bin beeindruckt. Selbst die taffesten Schwarzalben bei uns schaffen es nicht, das Gebräu ohne Honig zu trinken, oder, ohne das Gesicht zu verziehen. Du wirst dem Ruf deines Titels gerecht.«
»Was für ein Ruf?« Im Stillen war sich Onyx bewusst, welcher Ruf ihm vorauseilte, was für Geschichten die Wesen sich über ihn und seine Taten erzählten, aber es konnte nicht schaden, Naelins Version des Ganzen zu hören.
Mit aufmerksamer, aber neutraler Miene wartet Onyx auf die Antwort seines attraktiven Gegenübers.
»Nun, man hat mir gesagt, der werte Herr Beschwörer sei immer für eine Überraschung gut. Sei es, dass er sich alleine gegen eine Arme wildgewordener Menschen stellt, oder, trotzdem er als Adliger aufwuchs, auf den Feldern arbeitet, bis seine Hände bluten oder er meine Spezialmischung trinkt, ohne eine Miene zu verziehen.«
Überrascht über die Aufzählung Naelins, zuckten Onyx Augen an seine Hände. Die Schwielen der Feldarbeit von vor drei Wochen waren nur mehr zu erahnen.
Woher weiß er davon?
»Ich habe mich im Dorf umgehört, was man sich so über dich erzählt«, dabei schmunzelte er, »und selbst in den entlegensten Gegenden, kommt man doch irgendwann an ein paar Informationen.«
»Adelig bin ich trotzdem nicht«, lenkte Onyx der Korrektheit wegen ein. Ruhig musterte er den Labradoritelf mit dem Halbmondohrring aus Onyx.
»Naja, manche Dinge drehen sich die Leute eben, wie sie sie brauchen.« Naelin zuckte die Schultern.
Ein kaum merkliches Nicken war alles, was Onyx von sich gab.
Sein Kopf hatte seit ein paar Minuten wieder zu pochen begonnen und er fühlte sich erneut schwächer. Nicht so schwach, wie zu Beginn, aber doch so erschöpft, als könnte er sofort einschlafen, wenn er sich bettete.
Als hätte Naelin seine Gedanken gelesen, griff er nach dem Tablett und stand auf.
»Ich denke, du solltest dich jetzt ausruhen. Das Gebräu kann müde machen.« Bevor er sich umwandte, schickte er die Worte: »Wenn du etwas brauchst, rufe nach Shiska«, hinterher.
Mit drei großen Schritten war Naelin bei der Tür angelangt, hielt wieder inne und murmelte. »Meine Manieren sind heute wirklich nicht die Besten.«
Mit wehendem, schwarzem Haar drehte er sich noch einmal zu Onyx.
»Ich bin übrigens Naelin.«
Ich weiß. Ich weiß, wer du bist.
Ohne es zu wollen, wurden seine Lider immer schwerer. Sein Körper sackte in sich zusammen und bevor er gänzlich in Träume versank, legte er sich auf die Seite. Von fern hörte er ein Tapsen, wie von nackten Füßen auf Holzboden. Hinter sich fühlte er eine Präsenz und dann, wie ihm jemand die Decke über seinen Körper streifte.
Naelin.
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