Vierter Schritt


6.Dezember, 2016.

6 Tage ist es her, dass Adam und ich uns den Film anschauten.Wirklich Großartiges ist an diesem Abend nicht passiert. Wir lachten, redeten und schauten seelenruhig Harry dabei zu, wie er von der Wahrheit überrumpelt wurde. Ob sich Adam wohl auch so fühlen wird, wenn ich ihm einfach so die Wahrheit erzähle? Das würde alles einfacher machen, doch ist es nicht unfair so hart in das Leben verfrachtet zu werden? Wäre er sauer? Oder wäre er glücklich darüber?
Manchmal, da versuche ich mich in seine Lage zu versetzen, aber das ist gar nicht leicht. Das ist so verdammt schwer. Wie kann das sein, dass man einen Menschen, für den man selbst sein Leben opfern würde, einfach so vergisst?
Wieso lässt die Liebe so etwas zu?
Wieso lässt sie so etwas grässliches zu?
Wie kann es sein, dass das Leben und die Liebe so absolut schön sein können. Und im nächsten Moment lebt man das Gegenteil. Und nur die Erinnerungen können unsere Liebe schön machen. Unser Leben schön machen.
Ich wusste, dass das nicht leicht wird. Und obwohl ich erst angefangen habe, zieht diese Situation meine ganze Kraft aus meinen Fingern.

Vorsichtig, ziehe ich meine Beine an meinen Oberkörper und kuschle mich weiter in die Decke. Wohltuend tauche ich in das Knirschen des Holzes, welches im Kamin vor sich hin leuchtet ein, bis mir plötzlich etwas einfällt.

Ich schlüpfe aus der Decke und sause die Treppen hoch. Im Zimmer angekommen, öffne ich die Tür des großen Schrankes, welches auch Opfer Adams Kritzelei wurde. Nein, keine Kritzelei, sondern pure Kunst. Seine Kunst entsteht, wenn er aufgeregt ist. Aber auch Nervosität, Angst und Trauer veranlassen ihn dazu, den alten Schnitzmesser seines Vaters in die Hand zu nehmen und tolle Gravuren auf unseren Holzmöbeln zu hinterlassen. Natürlich habe ich ihm an einigen Möbelstücken ein Verbot erteilt, wie unser kleiner Fernsehtisch im Wohnzimmer. Aber ansonsten sehe ich gerne seine Bilder an.

Ganz nach hinten verkrame ich meine Hände und finde im nächsten Moment die zwei Prachtstücke. Den weißen Schneeanzug lasse ich mir über meinen Körper gleiten, während ich die Treppen runter schlendere, um kurz darauf in Schuhen, Schal und Mütze vor Adams "Reich" zu stehen.

"Nachbarin!" ruft Adam erschrocken auf, als ich das Garagentor mit meiner Fernbedienung hochfahren lasse.

Grinsend schmeiße ich ihm den blauen Anzug zu und nehme ihm mein Buch, welches er in der Hand hatte, aus der Hand. Mit forschendem Blick, begutachte ich das Buch nach Kratzer, Dellen oder sonstigen Beschädigungen. Dabei spüre ich seinen Blick auf mir. Heiß, als würden seine Augen mit Lava nach mir werfen, fängt meine Haut an zu brennen.

"Hast du einen Sohn, von dem ich nichts weiß oder was soll ich mit dem Schneeanzug?" betrachtet er den Anzug. In mir entsteht wieder die Wolke der Trauer, jedoch holt meine Seele einen Regenschirm raus, um das Ganze erträglicher zu machen.

"Der ist für dich. Los, mach schon, sonst ist es zu dunkel um draußen zu spielen."

"Spielen?" seine Augen weiten sich und sein Blick zeigt pure Ahnungslosigkeit.

Nickend setze ich mich auf das Sofa und sehe ihn auffordernd an "Na los."

Starr schaut er auf mich herab, bevor er grinsend seinen Kopf schüttelt und "Ich hasse Schnee." entgegnet.

Ich schmunzle, bleibe aber hartnäckig. "Wir sehen uns gleich draußen." trällere ich und laufe aus der Garage.

Grinsend laufe ich ins Haus, um Karotten aus dem Kühlschrank zu holen.

Als ich die Veranda betrete steht Adam in babyblau eingepackt, mit Mütze, Schal und Handschuhen verloren im Schnee. Wieder einmal beginnt mein Herz zu flattern. Ich meine, dieser Anblick... er ist einfach unbezahlbar, wie ein kleiner Junge in babyblauen Strampler steht er da und sieht gedankenverloren und unschuldig in den Schnee. Ein Schritt nach dem anderen setze ich behutsam, um kein Geräusch von mir zu geben. Als hätte ich Angst, dass er wegläuft, wenn ich auch nur einen Mucks mache. Wie ein Jäger, welcher seinem Hirsch lauert.

"Was soll das?" weckt Adam mich aus der Trance und lässt mich verwirrt zu ihm sehen.

Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um auch wirklich wieder bei klarem Kopf zu sein. Nicht, dass mein Mund meine Gedanken einfach freilässt.
"Wir werden Schneemänner machen." antworte ich und überwinde die letzten Schritte über den Steg.

"Schneemänner? Nicht nur einen?"

"Nein. Wir werden zusammen eine Schneemannfamilie machen."

(...)

Beide betrachten wir, mit unseren heißen Schokoladen, unsere Familie.
Und ich könnte vor Glück heulen. Unsere Familie hat sich kein einziges Stück verändert. Er hat sie so gebaut, wie auch damals. Er ist der größte Schneemann. Neben ihm stehe ich und ein Lächeln aus Steinen verziert unser rundes Gesicht. Unsere Hände sind mit den unserer Kinder verbunden. Meine Hand hält die des kleinen Mädchens und seine Hand, die des kleinen Jungen. Auch ihre Gesichter werden von einem Lächeln geschmückt.

"Danke." haucht er in die kalte Luft und umarmt mich seitlich. "Ich weiß noch, wie wir am Nikolaustag diese Familie machten."
"Danke." flüstert er nochmals und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

Eine ganze Weile verweilen seine zartrosa Lippen an meiner Stirn und lassen Elektrizität durch mich gleiten. Eine Welle an Glück überkommt mich, lässt meine Beine plötzlich taub werden, raubt mir für einen kurzen Moment all meine Sinne und lässt mich fast dumme, dumme Dinge tun. Doch dann kommt sie wieder zurück. Die kleine Raupe, welche in meinem Kopf immer wieder flüstert "Es ist noch zu früh.".
Deshalb, lege ich bloß meine Hände um seine Taille, verknote sie an seinem Rücken und lasse meinen Kopf ganz langsam an seine Brust fallen. "Das werden wir gemeinsam schaffen." meine Stimme ist ein kleiner Ton, welcher nur zu meinen Ohren durchdringt und die Welt davon nicht teilhaben lässt. "Ich liebe dich." flüstere ich so leise. Ob man das noch flüstern nennen kann? Kleines Pochen hinter meinen Augen, lässt sie schließen und meine Lider kämpfen gegen die Tränen an.
Und auch jetzt, flüstert diese kleine Stimme "Es ist noch zu früh." und lässt diesen Satz in meinem Kopf ausklingen.

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