Klitzekleine Lücke

"3 Stunden!" voller Elan berichtet Hope meiner Schwester Ana, wie lange wir im Stau standen. "Mir war so langweilig."

"Du hast geschlafen, während ich kaum die Augen mehr offen halten konnte." Ja genau. Sie hat geschlafen, während ich nur davon träumen konnte, endlich die Autobahn zu verlassen und den alten vertraulichen Waldweg zu befahren.

"Ich sag ja, mir war langweilig." sie zuckt mit den Schultern, bevor sie ihren Kopf nach hinten an die Couch lehnt. Auch ich mache es ihr nach, jedoch plumpst meiner an die Schulter von Ana, welche immer wieder zärtlich über ihren Bauch streichelt. Noch ist nicht viel zu sehen, da sie erst in der fünften Woche schwanger ist, jedoch sieht man ihr dieses mütterliche Glück an und das wiederum bringt auch mich zum schmunzeln. Ob Adam auch so schmunzeln würde, wenn ich an Anas stelle wäre?

Auszeit Avelin, Auszeit....

Ich schließe kurz die Augen, bevor ich sie mit gefilterten Gedanken wieder öffne. Ich brauche Ablenkung.

"Wo bleibt er denn?" fragt Hope nun und setzt sich wieder auf. Auch ich nehme eine aufrechte Haltung ein, denn sonst verfalle ich wieder dem Land der Träume.

"Er hat gesagt, er müsste gleich da sein." meine beste Freundin Katja lehnt sich an die Küchentheke und trommelt mit ihren Fingern auf dieser. In dem Wohnzimmer, mit der offenen Küche, herrscht absolute Stille. Nur das Trommeln Katjas Finger verrät, dass sich hier jemand aufhält.

Ein Klingeln dröhnt aus dem Flur, weshalb Hope blitzschnell aufspringt und schon zur Tür läuft. Ist ja nicht so, dass es Anas Haus ist.

"Ist bloß Talon." mit gesunkenen Schultern schlendert Hope wieder in das Wohnzimmer, hinter ihr der altbekannte Braunschopf. Ich fange an zu grinsen, als er mir eine Tafel Milka-Schokolade-Nuss überreicht und mich dann in eine Umarmung schließt.

"Willkommen Zuhause." sagt er noch, bevor sich die Umarmung auch schon auflöst und er sich neben mir nieder lässt.

"Und, was verschafft uns die Ehre, dich hier anzutreffen?" er setzt ein kleines Grinsen auf und lehnt sich zurück.

"Sie braucht Ablenkung." spricht Hope für mich und lässt sich auf den kleinen Hocker, an der Küchentheke nieder.

Fragend sieht er mich an, jedoch schüttle ich den Kopf und flüstere "später.". Er versteht und wendet sich dann an Hope.

"Nur Talon also?" fragt er und sieht sie gespielt mürrisch an.

Sie zuckt mit den Schultern, dabei grinst sie allerdings "Meine Begeisterung dir gegenüber solltest du schon lange gewohnt sein."

"Wo du recht hast, hast du recht."

Ich schmunzle.

"Argh! Pizzalieferanten haben nur eine Aufgabe und diese bekommen sie nicht mal auf die Reihe." und ich stimme Hope zu. Mein Magen ist dabei sich selber zu verdauen. Dieser Hunger ist unbeschreiblich!

"Wann habt ihr bestellt?" fragt Talon und fährt sich durch seine Haare.

"Ist doch egal, die brauchen trotzdem zu lange." erwidert Hope.

Nach gefüllter Ewigkeit, verabschiedet Hope endlich den langersehnten Lieferanten. "Das nächste mal auf's Gaspedal drücken." ihr sarkastisches Grinsen ist rauszuhören.

Immer noch grinsend kommt sie mit den zwei schachteln Pizza in der Hand in das Wohnzimmer. Sie lässt sich auf die Couch plumpsen und stellt die Pizzas auf den kleinen Tisch davor ab. "Ana, Messer. Die Operation kann beginnen."

Als wir alle unsere Mägen mit der ersten Pizza gefühlt hatten, stellt der erste schon Fragen.

"Wie lange bleibt ihr?" fragt Talon.

"Bis Montag." antwortet Hope und beißt nochmals genüsslich von der Pizza ab.

Ich muss zugeben. Ein Stück Pizza hat meinen Magen komplett gestopft, sodass mir beim Anblick meiner mampfenden Freunde übel wird.

"Ich geh mal an die frische Luft." werfe ich in die Runde und stoppe somit die Konversationen. Augen voller Misstrauen und Verwirrung blicken mir entgegen, jedoch scheint mir keiner Folgen zu wollen. Was definitiv nicht schlecht ist, denn irgendwie brauche ich eine Auszeit in der Auszeit. Wow, man könnte glatt meinen, ich wäre schwanger.

Ich stehe auf und tapse zur Balkontür. Draußen empfängt mich die kalte Luft, jedoch jagt die mir keine Gänsehaut über den Rücken. Es ist irgendwie angenehm. Zumindest noch.

Meine Hände lehnen an dem Geländer, während ich vorsichtig über den Rand spicke. Meine Schwester lebt ihm vierten Stock, weshalb man sich die Höhe wohl denken kann. Bei solch einer Höhe bekomme ich den ein oder anderen Schauer und ich spüre, wie meine Beine in Wackelpudding getauscht werden. Jedoch, wenn ich vom Flugzeugfenster hinunterblicke, spüre ich keine Unsicherheit oder die Angst, mir könnte etwas geschehen. Im Gegenteil, es ist, als würde ich all meine Sorgen aus dem Fenster werfen, welche hinaus in den Weltall schweben und sich dort für die Zeit aufhalten, für welche ich auf diesem Flugzeug bin. Vielleicht sollte ich zurück fliegen, als zu fahren?

"Hey.." ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass Talon derjenige ist, welcher gerade vorsichtig die Balkontüre schließt und sich neben mich stellt.

"Hier, die kannst du vielleicht gebrauchen." er hält mir eine Decke hin, welche ich mit einem dankbaren Lächeln entgegennehme.

Einige Minuten stehen wir da, bis er zu einem Satz ansetzt, welcher mich augenblicklich zum Schmunzeln bringt. "Dir reicht also immer noch ein Stück Pizza aus, um deinen Hunger zu legen?"

Ich zucke mit den Schultern und lasse das Geländer los, um mich etwas in die Decke einzukuscheln. Jetzt jagt mir die Eiseskälte doch eine Gänsehaut über den Rücken.

"Damals auf unserer Abschlussfeier hast du dein Pizzastück nicht einmal zu Ende gegessen." ergänzt er. Ja, das stimmt. "Sarah hat den Rest übernommen." erwidere ich.

"Sie hat nicht nur deine Pizza übernommen. Marvin's wurde auch von ihr vernascht."

An den Gedanken an dieses Mädchen, muss ich Lachen. Mit ihr hatte ich auch Komplikationen. Sie kam mir immer in die Quere, wenn ich mich mal mit einem Jungen gut verstand. Dabei dachte ich gar nicht daran, mit diesem Jungen je zusammenzukommen oder eine Beziehung in dieser Art aufzubauen. Ich verstand mich bloß freundschaftlich mit demjenigen, jedoch verstand Sarah das nie. Auf einer Klassenfahrt, habe ich mich gut mit einem Klassenkameraden verstanden, rein freundschaftlich natürlich, sie jedoch hat uns nie reden lassen und war immer eifersüchtig, wenn ich mal in der U-Bahn neben ihm saß. Das ganze führte dazu, dass sie einen ganzen Tag nicht mit mir sprach, weil er mit mir eine Attraktion auf dem Freizeitpark fahren wollte und sie dadurch 'abservierte'. Dabei trug ich doch keine Schuld! Vor allem verstand ich nie, weshalb dieses ganze Theater sein muss. Sie hatte einen Freund und ich war ebenfalls auf Wolke 7. Dieses Wort beschreibt es am genauesten, 'war'.

"Genug gelacht. Was ist bei dir passiert?" fragt er nun. Durch jahrelange Erfahrung, weiß ich, dass es nichts bringt, ihm etwas zu verschweigen.

"Adam ist passiert. Eigentlich ist es toll, dass er passiert ist. Aber es ist nicht toll, was mit ihm passiert ist. Oder nicht toll, was mit uns passiert ist." rede ich drauflos und merke erst danach, dass man daraus nichts entnehmen kann. Man sagt nicht umsonst, man sollte erstmal denken, bevor man redet. Also hole ich nochmal tief Luft und erzähle ihm, was im letzten Monat in einem Leben schief gelaufen ist. Der Gedanke, dass so etwas allein in einem Monat geschehen ist, lässt mich erschaudern und schlucken. Es ist fast unglaublich, wie viel in einem blossen Monat passieren kann. Es ist, als hätte eine dicke Gewitterwolke über diesem Monat ihre Wurzeln eingeschlagen und mit den Blitzen, all den Schaden angestellt. Ach was, es sind hunderte von Tornados über die Tage hindurchgerast.

"Wow." haucht Talon bloß und sieht, wie auch ich, dem Wind dabei zu, wie er die Äste zum Rascheln bringt. "Du tust mir echt leid. Ich weiß, du möchtest kein Mitleid, aber deine Lage ist so verzwickt."

"Erzähl mir was neues." erwidere ich. "Sollte ich mich melden?" frage ich nun und sehe zu ihm.

Er neigt seinen Kopf etwas und schüttelt danach den Kopf. "Nein. Er hat dumm gehandelt. Er hätte bei dir bleiben und dir zuhören sollen. Das ist er dir schuldig gewesen, nachdem du vom ersten Tag an da warst. Ich meine, kommt er nicht selber darauf, wie absurd Kathrins Gerede ist? Wenn Kathrin wirklich die ist, für die sie sich ausgibt, wo war sie dann, als Adam völlig orientierungslos aufwachte?" 

Ich zuckte mit den Schultern.

"Siehst du. Daran hat Kathrin wohl nicht gedacht, und so wie ich Adam kenne, wird er dies auch hinterfragen." ein sanftes Lächeln liegt auf seinem Gesicht und er sieht mich aufmunternd an. "Hey, das bekommst du schon hin. Du hast dein Abitur mit Sarah als Sitznachbarin geschafft, da wirst du doch wohl mit Kathrin fertig."

Ich zucke mit den Schultern. "Das sollte lustig sein! Komm etwas Lächeln." er stupst mich mit seiner Schulter an. Ein klitzekleines Lächeln entsteht auf meinem Gesicht. "Siehst du. Geht doch." grinst er. "Und jetzt lass uns wieder rein."

Mit etwas mehr Hoffnung straffe ich meine Schultern und geselle mich zu meinen Freunden. Diese kleine Lücke, welche Kathrin vollkommen ausser Acht gelassen hat, könnte alles ändern. Alles. Komplett alles.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top