Erster Schritt
Schlaflose Nächte. Eine auf die andere folgend. Quälend mit dem Wissen, das Wichtigste verloren zu haben.
Manchmal trifft das Schicksal einen an den unerwartetsten Momenten. Gerade da, als alles perfekt scheint, kommt das Schicksal und zeigt dir die zweite Seite des Lebens. Die Schlechte. Die von Teufel höchstpersönlich erschaffen wurde. Und man denkt sich bloß "Du kannst mich mal, Teufel"
Aber hey, wie sagt man immer? Das Leben ist wie ein Zebrastreifen. Und ich habe wohl den dicksten schwarzen Streifen vor mir. Ich brauche nicht nur einen Schritt, um auf den weißen Streifen zu kommen. Nein, ich brauche tausende von schmerzvollen Schritten, um wieder glücklich zu sein.
Dazu gibt es ein zweites Sprichwort. "Nach dem Regen kommt der Regenbogen."
Ich liebe den Regen. Aber wenn das mein Regen ist, der mich auf dem Weg zu meinem weißen Streifen begleitet. Dann werde ich den Regen hassen.
Ich lasse meine Füße auf dem Boden des Krankenhauses gleiten und versuche die weiße Farbe der Wände in mich aufzunehmen. Nur einzelne Bilder mit wilder, abstrakter Kunst schmücken diese Leinwände. Ganz wirr verteilt, in ungleichmässigen Abständen hängen sie da. Als würden sie Unreinheiten verdecken.
Mit Mühe drücke ich auf den Knopf für den Aufzug, welche mich so viel Kraft kostet und warte. Ich sehe auf die Zahl, die mir zeigt, wo der Aufzug sich befindet. 4... 3... . Mein Blick fährt nach links zum kleinen Aquarium, welches fremd im Krankenhaus steht. Wie bestellt und nicht abgeholt. Es passt hier einfach nicht her.
Das Lachen des Pärchens erlangt meine ganze Aufmerksamkeit und ich lächle ihnen entgegen. Wie gerne ich doch mit Adam aus dem Krankenhaus gehen möchte.
Arm in Arm, lachend & verliebt.
Ich betrete den Aufzug und drücke auf den Knopf '2'. Kurz überflutet mich das Gefühl, als würde ich schweben, wie eine Welle. Kennt ihr das, wenn der Aufzug hochfährt und ihr ein klitzekleines Kribbeln im Bauch verspürt? Nun das habe ich auch als der Aufzug stoppt. Die Türen gehen auf und ich setze meinen Fuß aus dem Lift. Dort schleppe ich meinen Körper zur Station 2c, laufe an den vielen Zimmern vorbei, bis ich an dem richtigen stehen bleibe. 15. Noch einmal atme ich durch, fahre mir durch meine Haare und klopfe behutsam.
Dann drücke ich die Türklinke runter und betrete den Raum.
Mit dem Buch in der Hand sitzt er auf seinem Bett und blickt zu mir, sobald ich meinen ersten Schritt setze. Er lächelt mich an und legt sein Buch auf sein Nachttisch.
"Hey." begrüßt er mich und setzt sich etwas besser hin.
"Hey." flüstere ich und lächle ihm entgegen.
"Was liest du da?" frage ich ihn und lege die Tüte ab, die ich mit mir schleppe.
"Das habe ich in der kleinen Bibliothek, unten am Empfang entdeckt. Es heißt Cancer. Wieso gibt es hier Bücher, die vielleicht das Leben eines anderen Kranken hier darstellen?"
Ich zucke mit den Schultern "Solche Bücher haben doch meist eine Lehre..."
"Wie bei einer Fabel, meinst du? Also ist der Protagonist ein Esel und erzählt davon, wie er das Gewicht auf seinem Rücken, seinen ganzen Weg lang tragen musste?" legt er die Stirn in Falten und ankert seinen Blick an mir.
"Es muss keine Fabel sein. Diese Leute, die es schaffen ein Buch über ihr Leben als Krebspatient zu schreiben, haben einen starken Willen, ihn zu besiegen. Sie wollen damit zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen. Dabei geht es nicht um's Überleben, sondern um das Leben. Einfach leben und die Krankheit ausblenden."
Adam sieht mich immer noch stirnrunzelnd an, bevor sich ein kleines Schmunzeln auf seinen Lippen bildet. "Da ist was dran.." fährt er sich übers Kinn und sieht zum Buch. Seine Augen wandern zu mir und dann zu meiner Tüte.
"Wieso stinkt es hier so fischig?" rümpft er die Nase und ich lache.
"Es stinkt nicht, es duftet." verbessere ich und laufe zur Tüte. Ich hebe sie an, laufe zu seinem Nachttisch und stelle sie ab.
"Darf ich spicken?" fragt er neugierig, als ich zu einem Stuhl laufe, um ihn zum Nachttisch anzuschieben.
"Sushi?" er greift in die Tüte und holt eine Packung mit Futo Maki raus. "Ist das diese Vorliebe, von der du erzählt hast?"
Ich nicke.
"Und du bist dir sicher, dass ich Sushi früher geliebt habe?".
Ich lache "Aber sicher".
Während ich meinen Schal und meinen Mantel auf der Stuhllehne platziere, holt er auch die Packung für mich aus der Tüte und platziert es vorsichtig auf den Nachttisch.
"Gut, so wie ich mich auch nicht an meine Vorliebe für Sushi erinnere, kann ich mich genau so wenig erinnern, wie das überhaupt geht. Wie isst man sowas?" Ahnungslos nimmt er die Stäbchen, ohne sie vorher in die Hälfte zu brechen und ist dabei, eines aufzuspießen.
Lachend nehme ich mir die anderen Stäbchen und durchquere seinen Plan.
Mit Leichtigkeit breche ich seine Stäbchen und sehe ihn belustigend an. Amüsiert schaut er auf die Stäbchen, haut sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
"Halte sie so, als wären sie ein Stift." ich nehme sie in die richtige Position "Jetzt hebst du eines der Köstlichkeiten an und dann isst du es." Ich schnappe mir eines und führe es blitzschnell zum Mund. "Siehst du, so schwer ist das gar nicht.".
Vorsichtig versucht er eines anzuheben, doch auch nach dem vierten Mal gelingt es ihm nicht. Schmunzelnd nehme ich ihm die Stäbchen weg, nehme ein Sushi und übergebe sie ihm wieder. Mit einem verzogenem Ausdruck dreht er das Sushi in der Luft, bevor er seine Augen zu Schlitzen formt und abbeißen wollte.
"Das darfst du nicht!" unterbreche ich ihn "In Japan ist es unhöflich Sushi zu zerteilen. Das darfst du keinesfalls machen, wenn wir im Restaurant sind. Sonst zerhacken sie dich mit ihren Katanas."
Amüsiert schaut er mich an "Ach, du planst nach einem Tag schon mit mir ins Restaurant zu gehen? Du bist aber schnell in Freundschaften schließen."
Ein Funke von Schmerz durchfährt mich. Ach was, ein Tsunami trifft es eher.
"Ist nur ein Scherz." sagt er. Seine Hand fährt einmal über meinen Ellenbogen und sofort stellen sich meine Haare wie Samuraikämpfer auf.
"Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mich besuchen kommst. Sonst wäre ich gezwungen 15 von diesen Büchern zu lesen." rollt er mit seinen Augen, bevor er sein Sushi aufhebt, welches in seine Packung zurückgefallen ist und es verschlingt. Mit geschlossenen Augen sitzt er da und kaut in langsamen Bewegungen, forschend nach dem Geschmack. Als seine Augen aufreißen und er mich mit geweiteten Augen ansieht, denke ich, dass es ihm nicht schmeckt. Doch als er plötzlich nach einem weiteren Sushi greift, fange ich an zu schmunzeln.
"Und stinken sie immer noch?"
Ertappt hält er inne, bevor er mich angrinst.
Ich nehme mir auch ein Sushi und lasse es blitzschnell in meinem Mund verschwinden.
"Mh, so fischig." murmelt er und nimmt sich noch ein Sushi.
Ich lache auf und verschlucke mich in der Sekunde. Nach Luft ringend, hebe ich die Hände und huste beinahe meine Lunge blutig. Adam vor mir fängt auch an zu lachen, während ich mich an die Flasche Wasser kämpfe, um ein Schluck zu nehmen. Nach einigen Schlücken, kann ich wieder normal aufatmen, ohne an Atemnot zu sterben, jedoch lacht dieser Lockenkopf weiter.
"Hey!!!" ruft er gespielt empört, als ich ihm die Flasche an den Kopf werfe.
"Habe gehofft, dass du dich vielleicht jetzt an meinen Namen erinnerst."
"Wieso? Ist das so wichtig?"
Der zweite Tsunami ertränkt meinen Körper in Schmerz. Seine Ahnungslosigkeit ist so ahnungslos, als würde ein Kind sagen, dass sein Opa für immer friedlich schläft, ahnungslos, dass er tot ist. Die eigentlichen Wörter, die ich hören möchte sind "Klar, kleiner Schmetterling. Wie könnte ich deinen Namen nicht wissen?"
Natürlich könnte ich ihm einfach die Wahrheit an den Kopf werfen, aber ich schweige. Ich möchte, dass er selber drauf kommt. Ich möchte, dass er sich an mich erinnert, statt es von mir zu erfahren. Deswegen möchte ich ihm auch meinen Namen nicht sagen. Er soll sich selber erinnern.
Ich zucke nur mit den Schultern. "Vielleicht, vielleicht auch nicht." Unschuldig blicke ich zu ihm hinauf. "Hat die Flasche wirklich nicht geholfen?"
Er fängt an zu lachen und ich steige mit ein.
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