Spieglein, Spieglein an der Wand
Eng quetscht sich das Film-Team in die Ecke der Küche. Sobald die Aufnahme startet, werden meine Ticks spürbar intensiver. „Ich wurde bei einem Dreier gezeugt", beginnt Gisela das Interview noch vor der ersten Frage. Alle nehmen es jedoch gelassen und es ist ein angenehmer Dreh.
Bis die Fragen bezüglich meiner Jobsuche kommen. Gezwungenermaßen müssen wir in diese Richtung lügen oder, wie ich es meiner Mutter erklärt habe, so tun, als wäre der letzte Monat nicht passiert. Meiner Ansicht nach bringt sie das auch glaubwürdig rüber, als sie davon spricht, wie zuversichtlich sie ist, dass ich bald eine Ausbildung finden werde und auch Xenia scheint zufrieden.
Das nette Gespräch, wird durch ein lautes klingeln der Haustüre unterbrochen. Ich bete für Tim, dass er es ist, da ich auch dem Augenwinkel beobachten konnte, dass Xenia mehr als einmal genervt auf ihre teure Armbanduhr geblickt hat. Wir unterbrechen den Dreh. Während Marion unseren Gästen Getränke anbietet, begebe ich mich in den Flur, um die Türe zu öffnen.
Ein gehetzt wirkender Tim steht davor, er verschnauft noch, da er offensichtlich die letzten Meter gerannt ist, sodass ich beginne zu sprechen: „Hast du es auch mal geschafft? Du bist fast eine Stunde zu spät! Der Termin ist verdammt wichtig!! Ich hoffe du hast eine vernünftige Erklärung dafür." Ich bin nicht wirklich wütend auf ihn und auch nicht in der üblichen Art genervt von ihm, aber so ein Verhalten ist einfach nicht okay, wenn wir zukünftig zusammenarbeiten sollen. „Ich erkläre es dir später", erwidert er und ich lasse ihn rein. Höflich stellt er sich Marion und dem Team von Galileo vor, bevor er kurz auch Xenia grüßt, die ihm einen Blick zu wirft, der durchaus angsteinflössend ist. Tim nickt, als ob er auf irgendeine unausgesprochene Frage antworten würde.
Xenia leert ihr Glas und verkündet dann, dass es höchste Zeit wäre weiter zu machen, da wir ja noch unendlich Zeit hätten. Die Aufnahmeleiterin stimmt ihr sogleich zu und ergänzt, dass wir jetzt, da Tim eingetroffen ist auch mit seinem Interview beginnen können. Dafür wechseln wir ins Esszimmer, wo uns angewiesen wird, dass wir für ein paar Schnittbilder einfach meine Bewerbungen durchschauen sollen. Wir sitzen schon, als der Kameramann noch irgendwas einstellen muss. Tim wirkt angespannt. Eigentlich kein Wunder so, wie Xenia ihn mit Argus Augen bei jeder Bewegung beobachtet.
Nach der kurzen Drehpause spüre ich umso deutlicher, dass meine Ticks mit der Kamera deutlich stärker werden. Ich versuche so gut es geht alles zu unterdrücken, aber schlussendlich schellt meine Hand doch hoch und ich greife Tim ins Gesicht, während ich „Aliens haben meinen Penis geklaut!" rufe. Bis jetzt hatte ich in seiner Gegenwart noch keinen derartigen Tick, weshalb ich umso überraschter bin, als er mit einem Schmunzeln im Gesicht gekonnt meine Hand entfernt. Es ist einer der Momente in denen ich nicht nur wegen seinem Aussehen faszinierend finde, sondern auch einfach seine Art. So schnell wie der Augenblick gekommen ist, ist er jedoch auch wieder vorbei und wir konzentrieren und auf unsere eigentliche Aufgabe.
Mir werden nochmal ein paar Fragen bezüglich vergangenen Bewerbungsgesprächen gestellt und ich erzähle die Geschichte mit dem schielenden Personalleiter. Abschließend soll auch noch Tim etwas dazu sagen. Er spricht offen und irgendwie gekonnt in die Kamera: „Ich kenne eigentlich niemanden, der sich nicht gut mit Jan versteht. Er findet immer relativ schnell neue Freunde und alle verstehen sich mit ihm. Und er ist auch allen Personen neutral eingestellt, deswegen ist es immer so ein Gegenzug, wenn man das Tourette sieht, was eigentlich genau das Gegenteil von Jan widerspiegelt, was er eigentlich darstellt."
Die Sätze kommen ihm locker über die Lippen, als wäre es wirklich so. Als wüsste er all diese Dinge über mich. Als würden wir uns schon viel länger als nur zwei Wochen kennen. Als hätten wir als Freunde schon so das ein oder andere erlebt. Als wäre es nicht ein auswendig gelernter Text, den Xenia ihm davor in die Hand gedrückt hat. Als wäre es nicht eine einzige Lüge.
Ich lehne im Türrahmen zur Küche und beobachte das Treiben im Wohnzimmer als auch die letzte Szene im Kasten ist. Das Film-Team packt seine Sachen zusammen, während Marion ihnen nochmal die Wasserkaraffe auffüllt. Xenia hat sich Tim zu gewendet und spricht leise mit ihm, aber ich verstehe es von hier nicht. An Hand ihrer Mimik vermute ich, aber stark, dass er sich eine Abmahnung wegen seiner Verspätung bekommt.
Wir verabschieden die ganzen Menschen, sodass nur noch Tim, meine Mutter und ich bleiben. Die beiden scheinen sich gut zu verstehen, was auch daran liegen könnte, dass er gerade wieder die Perfekter-Schwiegersohn-Seite ausgepackt hat. Ich mein mit so jemanden unterhält sich doch jede Mutter liebend gerne, oder? Ich beteilige mich nicht wirklich am Gespräch über Kuchen und ähnliches. War auch irgendwie klar, dass man mit Tim immer über Essen reden kann. Er scheint zwar sehr seltsame Essgewohnheiten zu haben und nicht kochen zu können, aber das ist offensichtlich kein Hindernis für eine Diskussion darüber, welche Marmelade denn im Berliner jetzt die beste ist.
Ich entschuldige mich kurz und fliehe ins Bad. Ich wasche mir kurz die Hände, bevor ich in den Spiegel blicke. Vor meinem inneren Auge spielt sich die Situation von vorhin ab, wie Tim so knallhart in die Kamera gelogen hat. Und mit wird nach und nach deutlicher, dass ich eigentlich nicht will, dass er all diese Dinge nicht über mich weiß. Dass ich nicht will, dass er jedesmal das blaue vom Himmel erzählen muss. Dass ich, ihn eigentlich echt gerne habe und dass ich es schön fände, wenn wir uns ernsthaft anfreunden würden, nicht nur weil wir es müssen.
Ich spritze mir noch etwas kaltes Wasser ins Gesicht, bevor ich mich abtrockne und wieder zu den anderen ins Wohnzimmer gehe.
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Meine Kapitel werden gerade immer länger... Normalerweise versuche ich so knapp 800 Wörter, jetzt sind es schon über 900... 😂
Ich persönlich finde diese Kapitel ja etwas chaotisch, was durchaus auch daran liegen könnte, dass mir die Ideen für die Dinge die passiert sind, wirklich erst mit dem schreiben gekommen sind und ich diesmal auch zwischen drin noch ne ganze Passage eingefügt habe. Sonst versuche ich immer am Stück zu schreiben.
GuNa
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