Kleine Kinder auf dem Heimweg
„Wer will noch mal?", fragt Tim angeheitert in die Runde und hebt seine leere Tasse. „Gerne", nimmt Sina das Angebot an, scheint aber Schwierigkeiten zu haben auf ihren hohen Winterstiefeln im Gleichgewicht zu bleiben, sobald sie sich von Tisch löst. „Auf gar keinen Fall!", schreitet ihre kleine Schwester ein, „du hattest mehr als genug und jetzt kannst du wenigstens noch selber laufen." In der letzten Stunde haben Sina und Tim fleißig Glühwein getrunken, vielleicht etwas zu überengagiert, wie sich an Sina jetzt zeigt. Diese hat mittlerweile einen ordentlichen Pegel. Kein Wunder bei so wenig Körper, in dem sich der Alkohol verteilen kann. Tim scheint noch gefasster zu sein, aber heim fahren kann er so ganz sicher nicht mehr.
„Nur noch eine Tasse", bettelt ihre große Schwester Svenja an. Dabei versucht sie einen unschuldigen Hundeblick aufzusetzen. Betonung auf ‚versucht', denn es sieht mehr wie eine unglücklicher Grimasse aus. „Ganz sicher nicht", widerspricht sie ihr, „wir beide sollten uns jetzt sowieso auf den Heimweg machen." „Warum denn jetzt schon? Es ist doch erst", Sina versucht ihren Ärmel hochzuschieben, um auf ihre Armbanduhr zu schauen. Sie scheitert. „...doch noch gar nicht so spät", beendet sie ihren Satz. „Ja, aber wir haben alles erledigt: Wir haben unsere gebrannten Mandeln probiert. Du hast deinen Glühwein getrunken und bist nun betrunken und mir ist kalt. Weihnachtsmarkt Besuch erfolgreich vollendet.", erklärt sie ihr nüchtern.
„Ich will aber nicht!", äußert Sina nun, wie ein kleines bockiges Kind und wir anderen müssen lachen. Dafür kassieren wir von ihr einen strafenden Blick. Genervt schüttelt Svenja den Kopf und sagt mehr zu sich selbst: „Das war eine Tasse zu viel..." Dann wendet sie sich ihrer Schwester zu: „Wenn du normale gebrannte Mandeln besser findest, dann kommst du jetzt mit mir nach Hause.", trickst Svenja sie geschickt aus und Sina stimmt sofort zu. Wackelig löst sie sich von dem Stehtisch. Schnell wispert und Svenja zu: „War schön euch kennenzulernen. Gerne bald wieder, aber vielleicht ohne Alkohol." Ihr Blick fällt auf ihre Schwester, die sich bereits durch die Menschenmenge zwängt. „Okay, ich muss jetzt los, bevor sie noch hinfällt oder sich doch nochmal umentscheidet." „Ja, mach das lieber und bis bald!", verabschiedet Tim sie und ich ergänze noch: „Kommt gut nach Hause!" Dann folgt sie schnell ihrer großen Schwester in das Treiben der Menschen.
„So und was machen wir zwei schönen jetzt noch?", fragt mich Tim und langsam merkt man auch ihm den Alkohol deutlicher an. „Ich würde vorschlagen, ich bringe dich jetzt ebenfalls heim.", offenbare ich ihm meinen Plan, da ich bezweifle, dass er in absehbarer Zeit selbständig bei sich zuhause ankommt. „Du weißt doch gar nicht, wo ich wohne.", stellt er fest. „Das stimmt, aber du wirst es mir sicherlich gleich sagen?", fordere ich ihn indirekt auf. Tatsächlich habe ich keinen Schimmern, wo er wohnen könnte, da wir uns immer bei mir getroffen haben. Schließlich ist er mit dem Auto der flexiblere von uns beiden. Er meinte anfangs mal, dass er aus Bonn kommt, aber diese Aussage hilft mir jetzt relativ wenig weiter.
„Ich sollte mein Auto hier lassen, oder?", lässt Tim meine Frage unbeantwortet. „Ja, es wäre besser." Stille breitet sich zwischen uns aus. Nachdenklich dreht er seine Tasse in den Händen. „Komm lass uns die Tassen abgeben und uns auf dem Heimweg machen.", beschließe ich und nehme die Tassen vom Tisch. Gemeinsam gehen wir an den Stand, an dem wir vorhin die Getränke geholt haben und nehmen den Pfand entgegen.
„Es war schön heute Abend", meint Tim in die Gesprächsstille zwischen uns, als wir bereits in eine leere Seitenstraße abgebogen sind. „Fand ich auch.", stimme ich ihm zu. Schweigend laufen wir weiter zu der Straßenbahnhaltestelle. „Es ist kalt", stellt Tim fest, als wir auf die Bahn warten. „Das hat so ein Winter an sich.", erwidere ich trocken. „Ach was, wusste ich ja noch gar nicht.", gibt er patzig zurück. „Dann sei doch froh, dass du es jetzt gelernt hast", provoziere ich ihn weiter. Sonst ist es ja eher anders herum und in mir macht sich ein triumphierendes Gefühl breit, als er beleidigt schnaubt.
Der Zug fährt ein und begleitet von einer betrunkenen Gruppe Weihnachtsmarktbesuchern betreten wir die Bahn. Wir überlassen die Sitzplätze den schon im Stehen schwankenden Personen und halten uns an einer der Stangen fest. „Ich bin müde", nuschelt Tim und versucht sich an die Stange zu lehnen, was nur so halb funktioniert, da er immer wieder abrutscht. Es sieht wirklich ziemlich erschöpft aus und nicht so, als ob er noch lange die Augen offen halten kann. Hoffentlich muss er in Bonn nicht nochmal umsteigen und wohnt nicht allzu weit weg von der Bahnstation.
Zwei Stationen später verlassen wir die Bahn. Ein Blick auf die Abfahrtsanzeige verrät mir, dass die nächste Bahn in 10 Minuten kommt. Tim trottet mir hinterher als ich durch die Unterführung gehe. Immer wieder drehe ich mich um und kontrolliere, ob er noch da ist und nicht im stehen eingeschlafen ist. Am richtigen Gleis angekommen, lässt er sich sofort auf eine der Bänke fallen und schließt die Augen. Sofort rüttelt ich an seinem Arm, um ihn zu zwingen die Augen offen zu halten. Langsam bezweifle ich, dass er die Bahnfahrt ohne einzuschlafen übersteht. „Glaubst du, du schaffst es noch bis nach Hause?", spreche ich meine Bedenken an. Er gähnt herzhaft bevor er antwortet: „Ich weiß nicht... Ich will schlafen."
Eigentlich wollte ich es wirklich vermeiden, erst recht, wenn schon wieder Alkohol mit im Spiel ist, aber mir bleibt keine andere Wahl, wenn ich nicht riskieren möchte, dass er heute nicht mehr in seinem Bett landet. „Okay... Komm mit, du kannst bei mir im Gästezimmer übernachten. Dann musst du jetzt nur die paar Hundert Meter bis zu meiner Wohnung.", biete ich ihm zögerlich an. Man kann förmlich beobachten, wie die Information bei ihm ankommt und dann die Bedenken kommen. Er schüttelt sich kurz, als ob er die drückende Müdigkeit so los werden könnte. „Nein, das... ich schaff das schon noch heim."
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Ich habe dieses Kapitel schon seit heute Mittag fertig und dann kam die ganze Zeit etwas dazwischen, sodass ich es nicht posten konnte, deshalb ist es erst jetzt online...
Zu zweit und betrunken... geht das gut aus?
Die Antwort auf diese Frage kommt dann im nächsten Kapitel 😂
Schönen Abend euch noch!
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