Hatten wir das nicht schon mal?

„Nein, schaffst du nicht. Jetzt komm schon, ich habe es dir schließlich angeboten.", fordere ich ihn nun mit etwas mehr Nachdruck auf. „Bist du dir sicher?", fragt er nochmal nach und wir wissen beide, was dass letzten mal passiert ist. „Solange du diesmal wirklich im Gästezimmer bleibst und es nicht zur Gewohnheit wird, dass du nach jedem gemeinsamen saufen bei mir übernachtest, Ja. Und jetzt komm schon. Es ist kalt.", erwidere ich und mache Anstalten los zu gehen. Er schwingt sich auf und folgt mir. Wie lassen das Bahngelände hinter uns und gehen durch einen kleinen Fußgängerweg in die Parallelstraße. Hier funktionieren nur vereinzelt die Straßenlaternen und die Straße ist wie leer gefegt. Andere würden diese Abkürzung vielleicht meiden, da sie ihnen zu gefährlich erscheint, aber was soll schon passieren, wenn hier nie jemand lang kommt.

„Danke.", erklingt leise neben mir. Und verwundert blicke ich Tim an. „Danke, dass ich bei dir pennen darf.", wiederholt er. „Ich konnte dich ja schlecht deinem Schicksal überlassen.", meine ich. „Nein, wirklich danke. Wir... Ich... Das... Du weißt schon was ich meine.", versucht er sich zu erklären. Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm: „Schon klar. Aber wir haben gesagt, dass wir das vergessen und einfach Kollegen beziehungsweise Freunde sind und da kann man ja sehr wohl bei jemandem mal übernachten." Er nickt und möchte schon weiter gehen, als er innehält.„Trotzdem Danke.", äußert er erneut und zieht mich kurzerhand in eine Umarmung. Überfordert von seiner Handlung erwidere ich diese nur so halb. Er löst sich wieder und scheint die Verwirrung in meinem Gesicht zu sehen, murmelt ein „Sorry" und setzt unseren Heimweg fort.

Bei mir angekommen zeige ich ihm direkt, wo sich das Gästezimmer befindet. „Ich bringe dir gleich noch bequemere Klamotten, außer du willst umbedingt in deiner Jeans schlafen.", kündige ich an und er nickt nur dankend. Ich verlasse den Raum und gehe zu dem Kleiderschrank in meinem Schlafzimmer. Der Abend hat verdächtig viele Parallelen zum letzten, fällt mir auf als ich ein T-Shirt für Tim aus meinem Schrank nehme.

Kurzerhand nehme ich auch noch eine Jogginghose für ihn raus. Dann ziehe ich mir selbst noch bequemere Klamotten an.

Ich stütze mich an der Wand ab, als ich mit den Klamotten für Tim zurück ins Wohnzimmer gehen möchte. Aus dem Flur erkenne ich, dass Tim gerade die Wodka-Flasche von seinem Mund absetzt. Ich drücke ihm die Klamotten in die Hand und frage: „Warum benutzt du nicht dein Glas?" Die Situation ist seltsam und ich weiß, dass ich im nüchternen Zustand sagen könnte, was mich stört, aber an meinem nebeligen Hirn gehen die Informationen unbemerkt vorbei. „Geht nicht schnell genug.", nuschelt er. Jetzt fällt mir auch auf, dass seine Wangen nass sind. Er weint wohl... warte ER WEINT? Mit einemmal bin ich komplett überfordert. Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nicht trösten! Wohlgemerkt bin ich alkoholisiert und er sitzt immer noch oberkörperfrei vor mir.

Ohne darüber nachzudenken, nehme ich ihm die Flasche aus der Hand. „Wir sollten schlafen gehen.", beschließe ich, während ihm immer noch stumme Tränen über das Gesicht laufen. Willenlos lässt er sich von mir aushelfen und ins Schlafzimmer führen.

Er hat Schwierigkeiten den Knopf seiner Hose zu öffnen und ich helfe ihm sich seine Jeans zu entledigen. In meinem Kopf spielen sich identische Situationen ab, bei denen ich mich jetzt ebenfalls ausziehe, aber der Rest meines Verstandes hält mich davon ab. Tim weint. Ihm geht es eindeutig nicht gut. Und auch wenn ich nicht weiß, warum, wir können uns heute nicht näher als nur Freunde kommen. Auch wenn ich wirklich nichts dagegen hätte. Wenn es keine Konsequenzen hätte.

Nachdem er umgezogen ist, schleife ich ihn ins Bad, damit er sich noch die Zähne putzen kann. Plötzlich geht es ganz schnell und er kniet vor der Toilette und übergibt sich. Das war dann doch zu viel des guten. Ich reiche ihm dem gefüllten Zahnputzbecher und er trinkt ihn brav aus. Nach einigen Augenblicken helfe ich ihm vorsichtig wieder aufzustehen. Er weint wieder. Und ich bin heillos überfordert. Eigentlich möchte ich nur um ihn herum greifen, um ihm eine Zahnbürste aus dem Schrank zu holen. Er scheint es falsch zu verstehen, schlingt seine Arme um mich und vergisst an meiner Schulter weiter Tränen. Ich erwidere die Umarmung zögerlich und streiche ihm beruhigend über den Rücken.

Einige Minuten stehen wir so in dem kleinen Bad, bis er sich schniefend löst. Ich nehme nun wirklich eine zweite Zahnbürste aus dem Schrank und reiche sie ihm. Er nimmt sie entgegen und greift nach der Zahnpasta. Schweigend putzen wir unsere Zähne. Ich merke, dass er dann doch betrunkener ist, oder zumindest nicht so häufig in dieser Verfassung ist, da er es nicht schafft die Zahnpasta in seinem Mund zu behalten und über seine Klamotten sabbert. Na, lecker...

Ein Klopfen reißt mich aus der Erinnerung. Tim steht im Türrahmen. Ich schiebe die Erkenntnis von eben auf die Seite und schaue ihn fragend an. „Wolltest du mir nicht noch Klamotten bringen?", äußert er vorsichtig. „Ähm... ja... klar", fällt es mir nun auch wieder ein. „Hier, bitte" Ich reiche ihm die Klamotten, die ich bereits in der Hand halte. „Danke" 


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Und heute gleich wieder ein Kapitel! Ich hoffe ich schaffe morgen das nächste auch noch fertig, aber ich will nichts versprechen...

Meinungen zu Jans Erinnerungen?

Schönen Freitag und guten Start ins Wochenende!

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