CEOs auf Facebook

Bing. Mein Nachrichtenton erklingt in der Stille meiner Wohnung. Verwirrt, weil ich keine Nachricht erwarte, entsperre ich mein Handy. ‚Facebook?', frage ich mich und klicke auf die Nachricht, was mich sofort in die dazugehörige App weiterleitet. Ich bin zwar häufiger mal in Touretteforen aktiv und unterhalte mich mit anderen Betroffenen, privat schreiben wir jedoch selten. Und erst recht nicht so völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Aber die Nachricht scheint auch von keinem mir bekannten Account zu kommen. Interessiert lese ich den Text.

Hallo Jan,

Wir das Artist Management Everything suchen dich!

„Was zur Hölle...?", murmle ich vor mich hin. Wer oder was ist das überhaupt?

Kurz zu uns: Wie sind ein Management Unternehmen für deutsche Influencer und sind immer auf der Suche nach neuen Gesichtern, die die YouTube-Landschaft aufmischen können. Falls du mehr über uns erfahren möchtest oder sehen möchtest, mit welchen Personen wir aktuell zusammenarbeiten, dann schau doch gerne mal auf unserer Website vorbei:

Ich ignoriere den Link, da ich lieber wissen will, was diese Firma von mir will.

Jetzt aber zu unserem Anliegen. Schon länger spielen wir mit dem Gedanken, auch Menschen bei uns aufzunehmen, die vielleicht kein perfektes Social Media Leben führen. Wir wollen Deutschland zeigen, dass es nicht nur Sonnenscheintage gibt und wir sind fest der Meinung, dass du der perfekte Kandidat dafür bist. Du scheinst trotz Tourette ein lebensfroher Mensch mit einer großen Portion Humor zu sein.

Gerne würden wir mit dir zusammenarbeiten und einen YouTube-Kanal starten, in dem du über dein Leben mit Tourette berichtest. Falls du daran Interesse hast, dann melde dich doch gerne mal bei uns und ich gebe dir weitere Infos dazu!

Liebe Grüße

Xenia Burggert

CEO Artist Management Everything

Was ist das denn für eine seltsame Werbung? Auch wenn ich jetzt weiß, was sie ungefähr von mir wollen, habe ich keine Ahnung, was ich damit anfangen soll. Verwirrt von der Nachricht schließe ich Facebook wieder und widme mich stattdessen meinem E-Mail-Postfach in der Hoffnung nicht schon wieder nur Absagen erhalten zu haben.

Nachdem ich meine Ausbildung als Physiotherapeut aufgrund meiner zunehmenden Ticks abbrechen musste, suche ich nun schon seit einem halben Jahr nach einem neuen Ausbildungsplatz. Auch wenn ich mich mittlerweile mit meiner Krankheit arrangiert habe, regt es mich jedesmal aufs neue auf, dass ich keinem Beruf mit direktem Kundenkontakt ausüben kann. Was heißt hier ‚kann'? Man will auf diesen Stellen lieber kein Risiko eingehen. Mein Tourette wäre ein Risiko. Ich könnte Kunden beleidigen oder gegen ihren Willen anfassen. Auch wenn ich tausendmal versichert habe, dass das nur selten passiert und die meisten Menschen es nach meiner Erklärung sowieso mit Humor nehmen, wurde am Ende der Platz an das ‚normale' Mädchen vergeben.

Jetzt schaue ich mich halt nach Büro-Ausbildungen um. Etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig, wenn ich meiner Mutter nicht länger auf der Tasche liegen möchte. Bei der Vorstellung jeden Tag stundenlang einen Bildschirm anstarren zu müssen, könnte ich jetzt schon kotzen. Irgendwann werde ich sicherlich etwas anderes machen können, wenn die Menschen toleranter geworden sind.

Leider sind in meinem Postfach weder Absagen noch Zusagen, dafür aber jede Menge Spam. Schnell lösche ich diesen, bevor ich automatisiert Instagram öffne. Vielleicht verbringe ich dort zurzeit dezent zu viel Zeit, aber viel anderes kann man alleine nicht machen. Draußen ist es zu kalt. Viele Freunde habe ich nicht und diese arbeiten um diese Uhrzeit noch.

Ein reinkommender Anruf unterbricht mein Scrollen durch die Instagram Beiträge.

Mama

Ich drücke auf den grünen Hörer und halte mein Handy an mein Ohr. „Hallo Mama!", begrüße ich Marion. „Hey Jan!" „Fotze!",gibt auch Gisela dazu wie, ich mein Tourette liebevoll getauft habe. Sie ignoriert die Beleidigung. „Wie geht es dir?", werde ich gefragt. „Ganz gut", antworte ich ihr, obwohl ich weiß, dass sie viel lieber wissen würde, ob ich endlich ein Zusage bekommen habe. „Und dir?", gebe ich die Frage zurück. „Gut. Bärbel war gerade hier und hat Kuchen vorbei gebracht, deswegen wollte ich fragen, ob du heute Nachmittag vielleicht zu Kaffee vorbei kommen willst." „Ähm... ja okay..." „Super da freue mich drauf! Wir müssen dann auch mal wieder über dein Lieblingsthema sprechen, so kann das echt nicht weiter gehen." ‚Lieblingsthema' oder auch Jobsuche genannt. Mit leicht genervtem Unterton frage ich sie: „Wann soll da sein?" „Wie wäre es so gegen 15 Uhr?" „Ja das passt." „Okay, dann bis später!" „Bis später", nuschle ich ebenfalls noch in mein Handy bevor ich auflege. Das kann wieder mal ein anstrengender Nachmittag werden.

Ja, sie macht sich Gedanken über meine Zukunft, aber ausnahmslos jedesmal, wenn wir miteinander sprechen geht es nur um meinen nicht vorhandenen Ausbildungsplatz. Außerdem versteht sie mein Abneigung gegenüber Bürojobs nicht so wirklich, weil sie selbst seit Jahren in der Stadtverwaltung arbeitet. Sie versucht mir jedesmal all die Vorteile aufzuzeigen, aber es ändert nichts an meinem Meinung, dass ich eigentlich lieber mit Menschen oder zumindest Tieren zusammen arbeiten würde. 


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So das war auch schon das erste Kapitel. Nicht sehr spannend, ich weiß.

Feedback, Meinungen, Ideen etc. gerne in die Kommentare!

Schönen Freitag euch noch!



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