R
Meine Füße tragen mich weg von der sicheren Straße. Ich laufe auf einem kleinen Trampelpfad.
Wo mich dieser hinführt, ist noch ungewiss.
Ich bleibe noch einmal stehen, um mich umzusehen. Doch viel ist nicht zu erkennen.
Ich drehe mich wieder um und verschwinde schnell in der Dunkelheit. So schnell wie man eben mit zu viel Alkohol im Blut vorwärts kommt.
Ich habe das Gefühl, auf Safari zu sein, mitten im dunklen Dschungel. Zwar begegne ich keinen wilden Tieren, doch immer wieder schlagen mir Äste ins Gesicht, die ich durch die Dunkelheit nicht wahrnehmen konnte. Und jedes Mal entfährt mir ein kleiner Aufschrei, weil ich mich furchtbar erschrecke.
Wer weiß, was für Gestalten hier nachts noch so durch den Wald streifen. Serienmörder. Bankräuber. Geiselnehmer. Oder eben Betrunkene. So wie ich. Dennoch hoffe ich, niemanden zu begegnen.
Ich bin nicht sonderlich muskulös und momentan auch nicht in der Lage, klar zu denken. Da wäre es ein Leichtes mich zu überwältigen und zu töten.
Meine vom Alkohol deutlich verlangsamten Gedanken schweifen ab.
Tod.
Immer wieder hallt das Wort in meinem Kopf wider und trotzdem scheine ich es nicht recht zu begreifen. Zu frisch ist die Wunde, die mein Bruder hinterlassen hat. Zu tief das Loch in meinem Leben, welches niemand mehr füllen kann.
Er ist einfach gegangen.
Mein Bruder. Zu dem ich stets aufgeschaut habe, obwohl er nie über mir stand. Der mich so viel gelehrt hat und der immer für mich da war.
Er ist einfach weg.
Selbstmord.
Ich bleibe an einer Wurzel hängen. Aller Kräfte beraubt, lasse ich mich auf den Boden fallen, anstatt mich aufzufangen. Nun sitze ich im feuchten Laub und zittere. Aber nicht vor Kälte, sondern vor Schmerz. Tränen rinnen mir über die Wangen, tropfen auf den Boden und verschwinden schließlich in der Erde. Und immer Neue kommen nach. Ich kann überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen und starre auf einen kleinen Busch neben mir, auf dessen nassen Blättern sich das Mondlicht fängt.
Mir fällt etwas ein. Vorsichtig hole ich die Glasscherbe aus meiner Jackentasche und wiege sie in den Händen hin und her.
Warum nicht Schmerz mit Schmerz bekämpfen?
Meine Tränen sind aufgebraucht. Lediglich vertrocknete Spuren bleiben auf meinen Wangen zurück.
Ich schiebe den Ärmel meiner Jacke nach oben und setze die scharfkantige Scherbe an.
Blut rinnt über meinen Unterarm.
|R wie Rot|
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