I

Nach einer Weile ebbt mein Lachen ab, bis es schließlich ganz verstummt.
Inzwischen ist der Morgen angebrochen. Die Sonne verhilft dem Wald zu neuem Leben. Es sieht mystisch aus, wie der Nebel langsam und bedächtig nach oben steigt. Einen Moment genieße ich die Atmosphäre und betrachte meine Umgebung genau.

Ich sitze auf einer alten Bank, deren Holz schon an einigen Stellen morsch ist. Rings herum sind überall kleine Sträucher zu sehen. Morgentau sammelt sich auf ihren Blättern. Alles in allem ein sehr schönes Plätzchen hier, wenn auch etwas unbequem.

Ich weiß noch genau, wie ich mit meinem besten Kumpel zelten war. Eine Nacht am Lagerfeuer. Mit Stockbrot, Marshmallows, Würstchen und ganz vielen Gruselgeschichten. Ich glaube, wir haben uns beide ein wenig gefürchtet.
Am Morgen sind wir dann völlig verschlafen aus unserem Zelt gekrochen und haben die frische Luft gierig eingeatmet.
Es war ein Morgen wie dieser. Nebelverhangen, faszinierend und wunderschön. Was würde ich darum geben, noch einmal mit ihm zelten zu können.
Und wieder schleicht sich ein dunkler Gedanke in meinen Kopf und verdrängt die schöne Erinnerung.

Er ist nicht mehr da.

Angewidert von mir selbst verziehe ich das Gesicht. Ich konnte ihn nicht halten. Habe geglaubt, er würde sich schon wieder fangen. Aber er war zu kaputt. Ich hätte da sein müssen!
War ich nur leider nicht.

Als er angefangen hat, immerzu mit sich selbst zu reden, habe ich ihn wie alle anderen nur schräg angeschaut. Ich dachte, er mache das aus Spaß. Hat er aber nicht. Eine innere Stimme trieb ihn zur Verzweiflung. Und ich bemerkte es nicht.
Fuck.

Einmal aßen wir gemeinsam zu Mittag, als er plötzlich aufsprang. Er ließ seinen noch fast vollen Teller mit den Nudeln stehen und rannte ins Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin machten so einige Gegenstände Bekanntschaft mit dem harten Boden. Ich saß noch immer verwirrt in der Küche. Erst als ich ein dumpfes Pochen vernahm, eilte ich ihm nach.
Er stand an der Wand neben dem Fernseher und schlug seinen Kopf gegen die Wand.
Immer wieder.
Unaufhörlich.
Es dauerte eine Weile bis ich mich aus meiner Schockstarre löste, um ihn zu beruhigen. Was leichter gesagt, als getan war. Schlussendlich mussten noch der Fernseher, einige Bilder an der Wand und eine Vase dran glauben, bis er schluchzend auf dem Boden neben den Trümmern zusammen brach. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die er weinend und zitternd verbrachte, begann er leise zu erzählen. Immer wieder wurde er von Schluchzern unterbrochen und mehrmals wischte er sich über die verquollenen Augen. Er meinte, dass in seinem Kopf eine Stimme haust. Eine Stimme, die manchmal so laut kreischt, dass er sie sich am liebsten aus dem Kopfe reißen wollte. Also hat er seinen Schädel gegen die Wand gedonnert. In der Hoffnung die Stimme zum Schweigen zu bringen.
Ich bot ihm meine Hilfe an und versicherte, dass ich ihm als jahrelanger Freund erhalten bleiben würde und er auf mich zählen könnte.
Oh Gott, wie grottig ich damals gelogen habe. Es war alles nur leeres Geschwafel.
Ich hätte mich einfach ein meine Worte halten sollen.
Er war es, der den Kampf gegen sich auszutragen hatte. Ich war für die Rückendeckung zuständig. Aber anstatt ihm zu helfen, bin ich einfach weg gerannt.

Und auf einmal war auch er weg. Als hätte der Wind ihn davon getragen.
Auf den Bahngleisen lag er. Neben ihm eine junge Frau mit blondem Haar und rotem Mantel.
Ob sie sich zusammen in den Tod gestürzt haben? Ich weiß es nicht und werde es auch niemals mehr erfahren.
Weil ich feige war.
Schwach.
Erbärmlich.
Idiotisch.

Und so habe ich nicht nur meinen geliebten Bruder verloren, sondern auch meinen allerbesten Freund.

Ich hebe den Kopf und schaue auf das Blätterdach über mir. Vereinzelt leuchten ein paar Flecken blauer Himmel hindurch.
Ich stelle mir vor, wie beide nun dort oben sind. Vielleicht auf einer Wolke. Am besten nebeneinander.
Kitschig diese Vorstellung. Aber sie hilft.

Ich werde euch beide im Herzen tragen.

|I wie Immer|

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