Das Unbekannte Teil 4


Alonvy bestätigte die Wünsche ihrer Reiterin wortlos und ging dann zum Angriff über. Die weiße Drachendame schoss auf die Reihen der anstürmenden Feinde zu, drehte dann ab bis sie parallel zur Schlachtformation der Kreaturen flog und entfesselte ihr Feuer. Die Flammenzunge steckte das trockene Gras der sich ausbreitenden Ebene in Brand und bildete so eine feurige Barriere zwischen dem Zwergen und den angreifenden Feinden.
- "Guter Gedanke!" - lobte Marlena ihre Seelenschwester. - "Das sollte sie eine Weile aufhalten." -
- "Nicht so lange wie du vielleicht glaubst kleine Halbling." -
Eine Welle von ungläubigem Erstaunen begleitete Alonvys Worte. Marlena späte am Hals ihrer Drachendame vorbei und erkannte was ihre Treuebegleiterin so in Erstaunen versetzte. Sie konnte selbst nicht glauben was sie da sah.
Einzelne Kreaturen traten scheinbar ohne jede Angst vor Schmerz und Tod direkt in die Flammen und um sie herum erlosch zischend das Feuer. Marlena musste ganz genau hinsehen um zu begreifen was genau die Wesen taten. Im Unterricht ihres Vaters hatte die junge Drachenreiterin gelernt, dass ein großer Teil des Körpers aller lebenden Wesen aus Flüssigkeit bestand. Irgendwie gelang es diesen Kreaturen diese Flüssigkeit in Sekunden schnelle durch ihre Haut abzugeben. Ihre vertrockneten Körper vielen anschließend wie totes Laub zu Boden und andere Kreaturen aus der angreifenden Armee nahmen ihren Platz ein und wiederholten den Vorgang. So überbrückten die grotesken Wesen Stück für Stück die flammende Barriere.
- "Das ist doch Wahnsinn, heller Wahnsinn!" - rief Marlena ungläubig aus. - "Jedes lebende Wesen hat doch einen Selbsterhaltungstrieb. Es ist eine Sache dem Tod ohne Angst zu begegnen aber was diese Wesen dort unten tun ist....."-
-" Einfach wider natürlich." - vollendete Alonvy.
Stumm stimmte Marlena ihrer Drachendame zu, kämpfte aber ihre Verwirrung nieder. Es war jetzt keine Zeit dafür! Mehr denn je war die junge Halbling überzeugt, dass man diesen Feind nur besiegen konnte indem man ihn verstehen lernte. Eilig blickte sie sich um und entdeckte, dass auch Ismira und Anarie Svenajas Hilferuf gefolgt waren. Burod und Beoram hielten sich noch beim Flüchtlingszug auf um diesen nicht schutzlos zurückzulassen. Auf dem Gesicht ihrer Cousine erkannte Marlena dieselbe Verwirrung die sie auch in sich spürte. Eilig schreckte sie ihre geistigen Fühler.
- "Ismira ich brauche deine Hilfe." -
- "Du kannst immer auf mich zählen Cousine, das weißt du aber im Augenblick bin ich auch ratlos. Was diese Kreaturen dort unten tun ist einfach nicht zu begreifen." -
Einen Wimpernschlag lang blitzte Enttäuschung bei Marlena auf. Ein irrationaler Teil ihres Wesens hatte wohl gehofft, dass die erfahrenere Drachenreiterin eine Erklärung oder Lösung für alles haben würde. So war es schließlich auch in ihren Kindertagen gewesen. Ismira war wie eine große Schwester für die heranwachsende Marlena gewesen. Mit ihr hatte sie über alles reden können was selbst für die verständnisvollsten Eltern zu peinlich gewesen wäre und stets war die Ältere für jeden Schabernack zu haben gewesen.
Marlena verbannte jedoch auch diesen irrationalen Impuls aus ihrem Denken. Sie war kein kleines Kind mehr und es ging hier nicht darum Vater und Mutter einen kleinen Streich zu spielen. Sie war eine Drachenreiterin und eine Menge unschuldige Wesen verließen sich auf sie. Sie musste eine Lösung finden!
- "Wir haben etwas ungewöhnliches beim Aufmarsch dieser Wesen bemerkt." - übermittelte sie schnell. - "Wir müssen das untersuchen und unseren Feind besser verstehen lernen aber dazu brauchen wir Zeit." -
- "Schon verstanden." - vollendete Ismira den Gedankengang ihrer Cousine. - "Anarie und ich übernehmen es die Kreaturen so lange wie möglich aufzuhalten. Ich hoffe du entdeckt etwas Marlena! Langsam aber sicher verlieren wir an Boden. Wenn wir keine Lösung finden wird es kein gutes Ende für uns nehmen." -
Dem konnte sich Marlena nur anschließen. Ein Augenblick verfolgte sie von Alonvys Rücken aus noch wie die violette Drachendame Anarie die feurige Barriere verbreiterte und mit immer neuen Flammenstößen versuchte die Kreaturen davon abzuhalten Breschen in das Hindernis zu schlagen was sie von vorwärtskommen abhielt, dann jedoch drehte Alonvy bei und strebte auf den Punkt zu, wo die Kreaturen scheinbar aus dem Nichts auftauchten.
Marlena Blicke an der Seite ihrer Drachendame in die Tiefe und erschauderte. Die Anzahl der Kreaturen war erschreckend schnell gewachsen. Unter ihr drängten sich Hunderte dieser Wesen dicht aneinander und drängten weiter vorwärts.
- "Weißt du was mir gerade auffällt Alonvy?" -
- "Du wirst es mir sicher gleich verraten." - gab die Drachendame leicht gereizt zurück und strebte weiter mit kräftigen Flügelschlägen vorwärts.
Normalerweise hätte dieser Kommentar Marlena ein Kichern abgerungen, doch nun konzentrierte sie sich lieber auf die Fakten.
- "Jede dieser Kreaturen gleich der anderen aufs Haar. Es gibt keine individuellen Eigenheiten." -
- "Nun, es wundert mich nicht, dass mir das nicht aufgefallen ist." - räumte Alonvy ein. - "Zweibeiner sehen sich aus meiner Perspektive sowieso sehr ähnlich." -
Marlena konnte beobachten wie ihre Drachendame leicht den Kopf zur Seite legte und die Wesen unter ihr etwas genauer in Augenschein nahm. Auch verrieten schnaubende Atemzüge, dass Alonvy auch andere Sinne bemühte um ihre Gegner besser beurteilen zu können.
- "Ich denke du hast Recht." - sagte sie nach einigen Augenblicken. - "Und es ist nicht nur das Aussehen dieser Kreaturen. Auch ihr Geruch. Natürlich sind zum Beispiel alle Ohren-rund-2-Beine-Menschen die aus demselben Dorf kommen ähnlich. Doch es gibt auch Unterschiede selbst bei Wesen wie sehr dicht zusammen leben. Das liegt daran, dass sie beispielsweise unterschiedlichen Berufen nachgehen oder andere Lebensgewohnheiten haben. Bei diesen Kreaturen ist das anders. Sie riechen völlig gleich. "-
- "Es scheint bei ihnen kein ich in dem Sinne zu geben." - murmelte Marlena ebenso sehr zu sich selbst wie zu ihrer Seelenschwester. - "Sie scheinen ein einziges großes wir zu bilden! Das würde auch ihr Verhalten erklären gegenüber dem Feuer. Die Verluste von einzelnen Kriegern sind ihnen egal solange das wir siegreich bleibt." -
- "Weißt du was mir noch aufgefallen ist kleine Halbling? Wir haben doch schon viele dieser Kreaturen getötet aber die dort unten schenken uns überhaupt keine Beachtung. Sie blicken nicht einmal zu uns hoch. Jede andere Armee würde sich doch versuchen zu verteidigen aber sie die Kreaturen an. Sie alle starren auf den Zug der Zwerge als ob sie nichts anderes existiert als die leben dort auszulöschen." -
- "Du hast recht. Das ungewöhnlich aber....."-
Marlena brach ab. Zu sehr fesselte sie der Anblick von dem was sie nun vor sich sah. Alonvy schwebte nun über der Stelle an der die Kreaturen auftauchten. Der genaue Punkt an dem sie erschienen lag in einer kleinen Senke der sich ausbreitenden Ebene. Statt des üblichen robusten Grases zeigte sich der verblüfften Drachenreiterin etwas, was sie noch nie gesehen hatte. Irgendjemand schien buchstäblich ein Loch in die Welt geschnitten zu haben. Die Struktur der Welt selbst zog sich zusammen wie ein Strudel gleich dem Malstrom, den Marlenas Onkel Roran einst auf der Flucht nach Surda tapfer Umschrift hatte. Aus den unbekannten Tiefen dieses Strudel jedoch strömten die Kreaturen heraus, formierten sich und marschierten in Flüchtlingszug der Zwerge entgegen.
- "So etwas habe ich noch nie gesehen." - hauchte Marlena. Sie wusste zwar, dass es möglich war durch Magie einen Gegenstand von einem Ort zum anderen zu schicken, auch hatte ihr Vater ihr beigebracht wie man eine Falte erzeugte in der man kostbare Dinge verstecken konnte wie er einst die Eldunari aber was sie dort vor sich sah überstieg alles was sie je gesehen hatte und alles was sie für möglich hielt. Diese Öffnung musste praktisch ein Tunnel in der Realität sein. Irgend jemandem war es gelungen einen Ort der Schöpfung direkt einem anderen zu verbinden. Marlena konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen welche Energien dafür nötig waren.
- "Dann versteckt sich also, wer immer diesen Kreaturen Befehle erteilt, am anderen Ende dieses Tunnels. Dann halte dich jetzt mal fest kleine Halbling." -
Alonvy hatte offenbar die Gedanken ihrer Reiterin verfolgt und ging nun in einem rasanten Sturzflug über. Marlena war noch viel zu verblüfft von dem Anblick der sich ihr geboten hatte und ernsthaft zu widersprechen.
Direkt über der strudelartigen Öffnung bremste Alonvy, hielt sich mit kräftigen Flügelschlägen auf Höhe und spukte eine gewaltige Flammenzunge direkt in die klaffende Öffnung. Zunächst schien der Strom der Kreaturen das Feuer aufzuhalten doch dann fraßen sich die Flammen unaufhaltsam in die Tiefe. Dann plötzlich war aus der unbekannten Tiefe ein Streih zu hören. Schrill wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel und laut wie rollender Donner. Marlena presste die Hände gegen die Ohren und hatte das Gefühl, dass jede Sekunde ihr innerstes selbst in 1000 Stücke springen würde. Die junge Drachenreiterin kämpfte mit sich und konnte sich schließlich dazu überwinden die Augen, welche sie vor Schreck zusammen gepresst hatte wieder zu öffnen.
- "Ich glaube das war ein Fehler meine Große!"- flüsterte sie ihrer Drachendame zu als eine geradezu geisterhafte Stille das furchtbare Geräusch ablöste. Selbst die Marschtritte der Kreaturen waren verstummt und Marlena erkannte auch wieso. Noch vor wenigen Augenblicken hatten die grotesken Kreaturen sie und Alonvy völlig ignoriert nun starrte jeder einzelne Kreatur mit seinem riesigen, eitergelben Auge auf die weiße Drachendame und ihrer Reiterin.

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