74. Bitte bleib

"Du würdest mich erschlagenen müssen und das kannst du nicht, Ubbe.", standhaft stellte ich mich vor ihn und sah hinauf in sein Gesicht.

Ubbe seufzte und drehte sich um, "Zeig Vernunft, Tjara. Du hast keine Ahnung vom Herrschen."

Ich kniff meine Augen zusammen und erhob mich, "Ich habe keine Ahnung, Ubbe? Du hast einige Male Björns Thron übernommen, doch das heißt noch lange nicht, dass du weißt, wie man herrscht!", schrie ich gebieterisch, "Du tauchst hier auf, als mein älterer Bruder und hast immer noch vor mich zu belehren, mir zu sagen, was ich tun soll, doch so läuft das hier in Kattegat nicht mehr.", flüsterte ich bedrohlich.

"Ivar hat dich ruiniert, kleine Schwester."

"Ivar, immer geht es dir um Ivar. Ivar ist tot!", schrie ich und schlug wütend auf einen Tisch.

"Sind das deine letzten Worte?", fragte Ubbe fast schon einsichtig.
Als er keine Antwort bekam, nickte er verständnisvoll, "Dann werde ich Kattegat wieder verlassen und zurück in das goldene Land kehren.", sagte er ruhiger denn je.

Er war enttäuscht, ich fühlte es und es war kein angenehmes Gefühl. Außerdem wollte ich nicht, dass Ubbe mich schon verlässt.

"Bleib Bruder, bitte.", brachte ich hervor, als er gerade meine Halle verlassen wollte.
Er drehte sich zu mir um und sah mich an.

"Weißt du, als du damals Kattegat verlassen hast, um Ivar zu suchen, brach mein Herz.", er senkte seinen Blick, "Ich wollte niemals, dass wir erneut getrennte Wege gehen, doch ich wusste genau so gut, dass dein Leben lang Ivar dein Weg war."

Langsam ging ich auf ihn zu und sah ihn an.

"Nun, wo du merkst, dass du alleine bist, dass du einen Bruder an deiner Seite brauchst, rennst mir hinterher, weil ich dich nun verlassen will. Doch was wäre, wenn Ivar noch hier wäre? Wen würdest du hier an deiner Seite haben wollen?", enttäuscht verließ Ubbe die Halle.

Geschafft von Ubbes Worten setzte ich mich auf meinen Thron.
Wen ich gerne hier haben würde? Natürlich Ivar, was für eine Frage. Doch Ivar war tot und an zweiter Stelle stand immer Ubbe. Dies war seit unserer Kindheit so, doch ich war mich sicher, dass er dies niemals bemerkt hatte, denn er hatte viele Geschwister, um die er sich kümmern musste.

Nachdenklich trat ich zur Tür hinaus und sah Ubbe hinterher. Doch er machte sich nicht auf den Weg zu seinem Schiff. Anscheinend hatte er anderes vor.

Später stellte ich einige Wachen an der Halle auf und verließ diese. Ich konnte nur ahnen wo Ubbe war und so stieg ich den Berg hinauf. Weit nach oben, wo unser Bruder Björn Eisenseite seine Grabstätte hatte.

Ubbe saß mit dem Rücken zu mir dort, vor den Steinen, die aufeinandergelegt waren.
Stumm setzte ich mich neben ihn, wenn er reden wollte, sollte er dies tun.

"Er war ein wundervoller Bruder, als Hvitserk und ich klein waren.", flüsterte er.

"Björn war ein großer Krieger.", flüsterte ich eben so leise, wie mein Bruder.
Lange herrschte Stille zwischen uns, bis ich wieder das Wort ergriff.

"Ubbe.", begann ich leise, "Wie du sagtest, sind wir die letzten Nachfahren von Ragnar.", ich legte eine Pause ein, "Wir sollten den Krieg zwischen uns Geschwistern vergessen. Wir sollten gemeinsam herrschen, gemeinsam Entscheidungen treffen. Aber am wichtigsten ist für mich, dass wir gemeinsam in eine Schlacht gegen die Sachsen und König Alfred ziehen werden."

Nun schwenkte er seinen Blick und sah mich an, "Du willst es erneut in England versuchen?"

"Ich will Rache für Ivars Tod und im gewissen Sinne auch Rache für Hvitserks Tod. Wenn ich nur hier in Kattegat sitze und herrsche...was würden die Sachsen von mir denken?", fragte ich entschlossen.

"Wir haben eine große Streitmacht, größer als jede, die wir jemals gesehen haben, Ubbe. Sie wollen alle nach England mitkommen, sie wollen an unserer Seite kämpfen.", flüsterte ich und wartete auf seine Antwort.

Ubbe sah mich ernst an und atmete aus, "Wir kehren immer nur aus Rache nach England zurück."

"Die Christenplage breitet sich immer weiter aus. Wir müssen unser Volk daran erinnern, wer sie sind, wer unsere Vorfahren waren und wofür sie gekämpft haben.", kopfschüttelnd sah ich zu meinem Bruder, der mich nun interessiert ansah, "Denk an die Götter, Ubbe. Immer mehr fallen dieser Plage zum Opfer. Ich werde unser Volk davor bewahren, wir werden niemals unseren Göttern abschwören.", flüsterte ich.

Ubbe begann zu lachen und lächelte mich an, "Tjara die Willensstarke, ich verstehe.", er erhob sich und sah weit runter über den Fjord, "Du willst also nicht direkt Rache. Du willst die Christen zurückdrängen, sie warnen.", er drehte sich zu mir und reichte mir die Hand.
Nickend nahm ich seine Hand und erhob mich.

"Also gut.", sagte er schließlich, "Wir werden gemeinsam in die Schlacht ziehen, doch vorher sollten wir mit König Alfred reden."

Ohne Verständnis sah ich ihn an, "Wie oft wollen wir noch versuchen mit den Sachsen zu reden? Ivar versuchte es, Vater versuchte es, doch es stellte sich immer wieder als Fehler heraus.", ich verschränkte die Arme und sah über Kattegat, "Sie verstehen nur die pure Zerstörung.", flüsterte ich voller Hass in meiner Stimme, "Ich werde nicht mit ihnen reden oder gar verhandeln, Ubbe.", sagte ich laut und bestimmend.

Mein Bruder zog die Augenbrauen hoch, "So kommen wir hier nicht weiter.", sagte er ruhig.

"Lass uns nach Kattegat zurückkehren. Wir sollten uns dort mit Kjell und Hildur besprechen. Sie sind erfahrene, starke Krieger.", ich atmete ruhig aus und drehte mich um, um zurück nach Kattegat zu kehren. Plötzlich spürte ich den Arm meines Bruders um meine Schultern.
Es fühlte sich an wie in alten Zeiten.
Glücklich lächelte ich ihn an und nahm seine Hand.
Gemeinsam kehrten wir in das Dorf zurück.

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