70. Heimkehr nach Kattegat

Es war Ivars Messer, welches er immer bei sich getragen hatte. Nun soll es meins sein und ich würde es in Ehre halten.

In der dunklen Ferne konnte ich Kattegat bereits sehen.
Ich war nun rechtmäßige Thronfolgerin Kattegats, doch wollte ich das auch? Konnte ich das überhaupt? Ivar war ein wunderbarer Herrscher, was man von mir wohl niemals behaupten wird.

Obwohl es spät in der Nacht war wurden wir von den Bewohnern des Dorfes begrüßt.
"Wo ist König Ivar?", hörte ich von allen Seiten rufen, doch ich ging einfach weiter.
Weiter in Richtung der großen Halle, weiter an den Ort, wo ich mit meinen Brüdern aufgewachsen bin, an den Ort, den ich mit zwei meiner Brüder verlassen hatte. Doch zurück kehrte ich ohne sie, ich war alleine, das wurde mir nun klar.

Ich schloss die Türen der großen Halle hinter mir und sperrte meine Wachen regelrecht aus.
Langsam drehte ich mich um und sah durch den Raum.
Viel hatte sich nicht verändert.
Vorsichtig, als würde ich diesen Ort nicht kennen, schritt ich durch die Halle und schließlich langsam die Stufen zum Thron hinauf.
Ich umkreiste ihn und strich mit der Hand über die Lehne.
Irgendetwas blockierte mich, ich konnte mich nicht auf diesen Thron setzen.
Laut atmete ich auf und ging die Stufen wieder hinunter.
Grübelnd setzte ich mich nun am Ende der Stufen auf den Boden und starrte den Thron an.

Es wurde schon hell in der Ferne, als ich immer noch grübelnd vor dem großen hölzernen Stuhl saß.
Endlich stand ich auf, ging entschlossen auf den Thron zu und setzte mich selbstsicher auf ihn. Doch im nächsten Moment schreckte ich auf.
"Runter von meinem Stuhl, kleine Schwester.", hörte ich Ivars Stimme. Es klang so, als würde er hier sein, so als wäre nichts von all dem in England geschehen und Ivar würde gleich mit seinem Gehstock aus dem Hinterzimmer kommen.
Doch er kam nicht, denn die Stimme war nur in meinen Kopf.
Erleichtert, aber auch enttäuscht setzte ich mich zurück auf den Thron und tippte mir auf den Kopf, "Heil dir, Königin Tjara.", murmelte ich und starrte zu der geschlossenen Tür der Halle.

Auch wenn ich in dieser Nacht kaum geschlafen hatte, war ich nicht müde.
Langsam öffnete sich die Tür und ein Wachmann kam mit jemanden herein.

"Dieser Mann wünscht mit euch zu sprechen.", sagte die Wache fast schon dümmlich und sah mich fragend an.

Hinter ihm trat ein Mann mit tiefblauen Augen und braunen langen Haaren hervor.

"Kjell.", flüsterte ich überrascht und nickte meiner Wache zu, die anschließend die Halle verließ.

Ich stand von meinem Thron auf und ging auf ihn zu, "Was treibt dich hier nach Kattegat?", fragte ich, während ich ihn von oben bis unten musterte.

"Jemand musste es euch sagen, ihr solltet es nicht über wen anderes oder gar gar nicht erfahren."

Ich bat ihm an sich an einen der Tische zu setzten. Dankend nahm er an und ich setzte mich schließlich zu ihm.

"Ihr wart lange Freunde.", Kjell sah mich seufzend an, "Nels ist in der Schlacht von England gefallen.", flüsterte er.

Verstehend nickte ich ihm zu und strich mit meiner Hand über mein Gesicht, "Möge Odin ihn in Walhalla empfangen.", hauchte ich und stand auf, "Gibt es noch etwas, was du mir sagen möchtest?", ich ging in der Halle auf und ab und sah mich um.

"Ich habe mir gedacht, dass ihr, da ihr nun Herrscherin seid einen Vertrauten brauchen könntet."

Nachdenklich drehte ich mich zu ihm um.
Natürlich hatte er recht. Wären meine Brüder noch am Leben, hätte ich Vertraute gehabt, doch dann wäre auch keine Herrscherin.
Doch Kjell als Vertrauten? Ich kannte ihn kaum und es kam mir merkwürdig vor.

"Woher kommst du, Kjell?", mit verschränkten Armen sah ich ihn an.

"Götaland.", er erhob sich und kam auf mich zu.

"Ich werde meinem Volk heute Abend die Botschaft übermitteln, dass ich von nun an die neue Herrscherin von Kattegat bin.", nun war seine Frage wohl geklärt. Von heute an sollte er mein Vertrauter sein.
Ich hatte nie schlechtes über das Götaland gehört und hoffte richtig entschieden zu haben.

Kjell bedankte sich bei mir, als leise die Tür aufging und alte bekannte Gesichter hereinkamen.
Es waren meine Sklavinnen, die sich sofort bemühten uns Met und Bier zu bringen.
Freundschaftlich reichte ich Kjell einen Krug, "Skål.", sagte ich und lächelte kurz.

"Du darfst in meiner Halle schlafen, bis eine Hütte für dich errichtet wird."
Mein neuer Vertrauter bedankte sich und ich sah seufzend durch die Halle.

"Was habt ihr? Gefällt euch etwas nicht?", er stellte den Krug auf den Tisch und musterte mich.

"Ich wünschte mein Bruder wäre hier.", flüsterte ich kindlich.
Ich war die jüngste von uns gewesen. Ich hatte mein ganzes Leben lang wenigstens einen meiner Brüder immer an meiner Seite. Es war merkwürdig nun ganz alleine zu sein.

"König Ivar ist in Walhalla und speist mit den Göttern.", aufmunternd sah er mich an, doch ich schüttelte mit dem Kopf.

"Mein Bruder Ubbe. Er ist irgendwo, weit weg von hier, doch er lebt noch, ich fühle es.", flüsterte ich, "Er ist mein ältester Bruder, wenn einer meiner Brüder Ragnar am ähnlichsten war, dann wohl er."

Kjell lächelte. Sein Lächeln hatte etwas Schelmisches an sich, es gefiel mir.
"Soweit ich die Geschichten von Ragnar Lothbrok kenne, kann ich nur sagen, dass er immer wieder zurück nach Hause gekehrt ist oder etwa nicht?"

Ich nickte, "Schon, doch er war die meiste Zeit meines Lebens nicht hier, wie lange soll es also dauern, bis Ubbe zurückkommen wird? Doch er wird mich hassen, ich weiß es, ich habe Hvitserk ermordet.", betreuend sah ich gegen die Holzbretter an der Wand und setzte mich schließlich wieder zurück auf meinen Thron, "Es muss alles für heute Abend vorbereitet werden. Geh und verkünde im Dorf, dass es heute Abend ein Treffen in der großen Halle geben wird."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top