68. Nicht heute

Ich betrachtete die Sachsen ganz genau und musterte sie im Vorbeigehen, "Wir werden kämpfen.", flüsterte ich Ivar feststellend zu, als wir uns auf den Weg in unser Lager machten.
Ivar ging neben mir her und tat, als wenn er mich gar nicht hören würde. Hin und wieder verzog er das Gesicht vor Schmerz.
Ich wusste was es bedeutete, seine Knochen taten ihm weh und davon nicht wenige.

Ich suchte sofort Hvitserk auf, der wartend auf der Liege im kleinen Unterstand saß. Er hielt seine Waffen in den Händen, er war bereit zu kämpfen.

"Wir werden kämpfen.", sagte ich erschöpft, als ich mich neben ihm niederließ.

"Worauf warten wir denn noch?", übermütig stand mein Bruder auf und sah sich um.

"Warte auf unseren Bruder.", ich sah zu Ivar und seinen Wachen, die ein wichtiges Gespräch zu führen schienen.

"Ich wäre unzählige dieser Christen erschlagen.", sagte ich wutgeladen.
Es ist lange her, dass der Zorn aus mir gesprochen hatte.
Kein Wunder, als unsere Mutter starb war ich 14 Jahre alt, doch das lag nun schon fast 10 Jahre zurück und wir alle sind erwachsener geworden, wir alle die noch lebten.

"All das wird schon bald uns gehören.", sagte Hvitserk stolz, als er Ivar auf uns zukommen sah.

"Macht euch bereit, beeilt euch. Die größte Schlacht eures Lebens ruft.", schwer stützte er sich auf seinen Gehstock ab und drehte wieder ab.

Hvitserk und ich sahen uns freudig an, schnell prüfte ich, ob ich all meine Waffen dabei hatte und rannte mit Hvitserk zu den anderen Kriegern, die bereit waren um für unser Volk zu kämpfen.
Ivar schlug mir und Hvitserk stolz auf die Schulter und führte schließlich unser Volk auf das Schlachtfeld.
Am Rande eines Waldes warteten wir.
Weit vorn stand die riesige Streitmacht von König Alfred.
Die Krieger um uns herum fingen an mit ihren Äxten und Schwertern gegen ihre Schilde zu schlagen.
Grinsend zog ich mein Schwert und sah meinen Bruder an, bevor Hvitserk und ich Seite an Seite in die Schlacht stürmten.
Es dauerte nicht lange, bis mein Bruder und ich die ersten Sachsen niederstachen. Wir kämpften uns immer weiter durch, wir fühlten uns unbesiegbar, wir fühlten uns gut, wir wussten wir taten das Richtige.
Plötzlich fiel Hvitserk durch die Hand des Gegners zu Boden. Ohne zu zögern erschlug ich den Sachsen und half meinem Bruder schnell wieder auf die Beine, wir waren ein unschlagbares Gespann. Doch schnell merkten wir, dass diese Schlacht nicht wie all die anderen sein würde.
Wir waren deutlich in der Unterzahl und kämpften teilweise gegen drei Sachsen gleichzeitig, das Schlachtfeld war nun von verletzten und toten Kriegern übersät.

"Odin, wo bist du?!", hörte ich Ivar plötzlich schreien und sah mich um.
Er war auf dem Schlachtfeld, "Sag mir, was soll ich tun?", schrie er immer und immer wieder.
Doch ich konnte nicht weiter auf ihn achten, denn wir wurden erneut angegriffen und dieses Mal waren es keine leichten Gegner.
Schwer atmend kämpfte ich gegen zwei Sachsen.
In letzter Sekunde zog ich meine Axt zur Hilfe und erschlug einen meiner Gegner. Einen Augenblick später fiel der zweite ebenfalls zu Boden, ein Pfeil hatte ihn in den Kopf getroffen.
Erleichtert atmete ich aus.

"Hier sind die Kinder von Ragnar, erschlagt sie!", ertönte eine durchdringende Stimme und schon stürmten die Gegner auf Hvitserk und mich zu, doch wir konnten sie gemeinsam bezwingen.
"Woher wissen sie das?", keuchte ich außer Atem und ging auf die Knie.

"Nicht jetzt.", brachte mein Bruder hervor und zog mich auf die Beine.
Meine Beine fühlten sich an, als würden sie mich in den nassen Boden ziehen wollen.
Ich wollte weiter gehen, weiter kämpfen, doch meine Beine ließen es nicht zu und ich landete erneut auf meinen Knien.
Ich blickte erschöpft hoch und sah einen Christen auf mich zu kommen, der sofort zu Boden ging, als ihn eine Axt traf.
Ivar hatte es geschafft sich zu uns durchzukämpfen und zog mich auf die Beine.
Dankend sah ich ihn an und wollte wieder mit Hvitserk an meiner Seite weiter kämpfen.
Gerade als wir zum Angriff ansetzen wollten, packte Ivar uns und zog uns zurück, "Nein! Ihr habt genug getan!", schrie er uns an.
Fragend sah ich zu meinen Brüdern.
"Ich habe mich mein ganzes Leben lang auf diesen einen Augenblick vorbereitet. Bleibt weg, geht!", sagte Ivar nun ruhiger.
Entsetzt nahm ich seine Hand und drückte sie.

"Deine Augen, Ivar. Sie sind blau. Nicht heute.", flüsterte Hvitserk, "Nicht heute, Bruder."

Doch Ivar nickte nur und wir wussten Bescheid.
Hvitserk nahm den Kopf unseres Bruders und drückte ihn an seinen.
Ivar legte seinen Arm um mich und drückte sich so fest er konnte an sich, "Ich liebe euch, meine Geschwister.", sagte er fast weinend.

"Ich liebe dich, Bruder.", die Tränen liefen mir schon an den Wangen herunter, doch es war mir egal.

"Und jetzt geht.", er sah uns beide ernst an.
Flehend blickte ich zu ihm, denn einst sagte ich, dass wenn er sterben wird ich mit ihm sterben wolle.

Ivar sah mich an und schüttelte den Kopf, "Nein, Tjara. Mein Leben lang habe ich versucht dich zu schützen, dir den rechten Weg zu zeigen. Ich wollte dir stets ein guter Bruder sein..."

"Das hast du geschafft, Bruder.", flüsterte ich so leise, dass ich nicht wusste, ob er mich hören konnte.
Hvitserk legte eine Hand auf meine Schulter.

"Und nun geht!", brüllte er so laut er konnte.

Wir zogen uns in die Reihen unserer Krieger zurück, als Hvitserk erschöpft zu Boden ging.
Er drehte sich um und sah erneut zu Ivar.
Er lächelte uns ein letztes Mal zu, bevor er zu kämpfen begann.
Ich beugte mich über Hvitserk und hielt in schützend fest.
"Ivar, Sohn von Ragnar Lothbrok. So viele fürchten ihn.", flüsterte Hvitserk, während wir zusahen, wie Ivar kämpfte.
Es war unglaublich mit anzusehen.
Es schien, als wenn er die Krieger steuern würde, als wenn er wirklich ein Gott war und es geschehen ließ.

"Jeder wird Ivar den Knochenlosen kennen.", flüsterte mein Bruder vor sich hin.
Entsetzt richtete ich mich auf und sah zu Ivar, "Was geht dort vor sich?", flüsterte ich.
Ein feindlicher Krieger stand Ivar gegenüber und stach mit einem Messer auf ihn ein.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Langsam schwenkte Ivar den Kopf und sah zu uns herüber.
Ich stützte mich bei Hvitserk ab und humpelte so schnell ich konnte zu Ivar hinüber, der bereits am Boden lag, als ich bei ihm ankam.

Hvitserk kam ebenfalls herbeigeeilt und hob Ivar hoch, so dass er ihn halten konnte.
"Bruder.", flüsterte ich und nahm erneut seine Hand.

Plötzlich hörten alle Krieger um uns herum auf zu kämpfen und sahen uns an.

"Nicht heute.", flüsterte Ivar und fing an zu weinen.
Weinend legte ich meinen Kopf auf Ivars Brust.
Hvitserk legte seine Hand behutsam auf meinen Kopf.

"Niemand wird jemals Ivar den Knochenlosen vergessen.", hauchte er in Ivars Richtung.

Immer noch hielt ich Ivars Hand fest, doch sie wurde immer schwächer, bis sie mich schließlich ganz losließ.
Langsam hob ich den Kopf.
Mein Kiefer zitterte und die Tränen liefen mir über die Wangen.
Vorsichtig sah ich zu Hvitserk, der sich auf die Lippen biss, meinen Kopf packte und ihn weinend gegen seinen drückte.

Langsam drehte ich meinen Kopf und sah zu Ivar, dem Bruder, dem ich seit klein auf vertraute, zu dem ich hielt und den ich so sehr liebte wie keinen anderen meiner Brüder.
Das Leben war aus seinen Augen verschwunden.

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