66. Legende

Hvitserk musterte Ivar und stellte fest, dass es stimmte, "Du weißt, was das heißt, Ivar.", sagte er standhaft, "Wir mussten immer auf dich achten. Wir wussten, dass wenn deine Augen blau wurden, die Gefahr für dich groß war, dir Knochen zu brechen."

Zorn und Schmerz standen in Ivars Gesicht geschrieben, "Nicht heute, Ivar. Du erinnerst dich?", fragte ich flüsternd.

"Nicht heute.", sagte Hvitserk, während er sich erhob, um sich auf die bevorstehende Schlacht vorzubereiten. Er schlug Ivar kurz auf die Schulter und verließ uns.
Ivar sah ihm bitterböse hinterher, "Ich habe es nicht vergessen."

"Denk an unsere Worte, bitte, Bruder.", flehend sah ich ihn an, bevor ich Hvitserk folgte, denn auch ich musste mich vorbereiten.

Ich setzte mich an das Ufer des Flusses und legte mein Schwert, meine Axt und Pfeil und Bogen nebeneinander.
Ich untersuchte jeden Gegenstand, denn es würde eine der wichtigsten Schlachten werden.
Ich war sehr konzentriert und fixierte mich auf meine Waffen, als ich neben mir das Wasser des Flusses Plätschern hörte.
Schnell drehte ich mich um und erblickte einige unserer Männer, die am Ufer des Flusses badeten.

Erleichtert keinem Feind über den Weg gelaufen zu sein begab ich mich mit meinen Waffen an ein Waldstück, wo Hvitserk sein Schwert schärfte.
Ich lehnte mich gegen einen Baum und beobachtete ihn.

"Ivar ist kein Kind mehr. Wir können ihm zwar sagen, dass seine Augen strahlend blau sind. Aber er wird bei dieser großen Schlacht niemals kürzertreten wollen.", Hvitserk redete, ohne mich anzusehen, er war ganz auf seine Waffen konzentriert.

Ich drehte mich um, um sicher zu sein, dass unser Bruder nicht im Anmarsch war und hockte mich neben Hvitserk, "Ich weiß.", sagte ich ruhig, "Aber er ist unser Bruder und wir müssen alles geben, damit er nichts dummes tut."
Sanft klopfte ich ihm auf die Schulter und richtete mich wieder auf, um zum Lager zurück zu kehren.

"Tjara.", rief Hvitserk plötzlich, "Du hast doch Träume, und Gefühle, so wie Mutter sie hatte."

Ich biss auf meine Lippen und dachte nach, "Es ist anders. Es kommt plötzlich und ist sehr merkwürdig. Ich glaube nicht, dass ich eine Seherin bin. Das was ich fühle und sehe sind nur wichtige Botschaften, mein Bruder.", flüsterte ich.

"Und wie stehst du zu den bevorstehenden Wochen?"

Langsam drehte ich mich um und sah, dass Hvitserk sich aufgerichtet hatte und mich zweifelnd ansah ich schluckte und sah durch den Wald, "Ich weiß es nicht.", flüsterte ich und verließ ihn schnell.
Ich wollte mich damit nicht auseinander setzten, denn ich hatte seit Wochen ein merkwürdiges Gefühl. Ein Gefühl, welches ich zuvor noch nie hatte und es bis heute nicht in Verbindung mit der bevorstehenden Schlacht gebracht habe.

Ich hielt nach Ivar Ausschau und fand ihn schließlich in einem Unterstand, auf einer Fellliege.
Stumm legte ich mich auf die danebenstehende und starrte gegen das Dach des Zeltes.
Ivar sagte nichts und blieb stumm, es war ziemlich ungewöhnlich, dass er seine Gedanken nicht mit mir teilte, doch ich wollte ihn auch nicht drängen.
Ich schloss die Augen und schlief schließlich ein.

"Ivar!", hörte ich die Stimme meines Bruders rufen, riss die Augen auf und setzte mich aufrecht hin.
Ich starrte Ivar an, der immer noch seelenruhig auf seiner Liege lag.
Seufzend stand ich auf und ging langsam in die Richtung, aus der die Rufe kamen.
Hvitserk kam schnellen Schrittes auf mich zu und hielt erst an, als er vor Ivar stand, "Ivar. Du musst dir etwas ansehen.", sagte Hvitserk. Es klang sehr dringend.

"Was ist, Hvitserk?", fragte ich verwirrt.

Ivar hatte sich inzwischen aufgesetzt und sah uns desinteressiert an, bis er schließlich nach seinem Stock griff und aufstand.

"Komm.", Hvitserk drehte sich um und ging voran.
Ivar folgte Hvitserk. Kurz sah ich ihnen hinterher und beschloss ihnen zu folgen.

Oben, am Ende des Berges blieben wir stehen. Einige Krieger hatten sich versammelt und starrten vor sich hin.
Im Tal vor uns war alles voller Nebel. Wir konnten nichts mehr dort unten erkennen.

"Ivar.", sagte ich eher fragend und sah ihn an. Selbst ich wusste nicht, was nun zutun war, "Wenn unsere Gegner nun kommen, werden wir nichts davon bemerken.", ich starrte wieder in das Tal hinunter.
Mein Bruder schüttelte den Kopf, "Es wird Wochen dauern, bis sie hier sind.", grübelnd sah er in die Ferne.

"Können wir den Nebel für einen Hinterhalt nutzen?", fragte Hvitserk schließlich.

Unser Bruder nickte langsam, "Egal woher sie kommen, sie müssen durch den Wald dort vorne. Wir werden dort auf sie warten.", er drehte sich um und ging zurück zum Lager.
Ich sah ihm hinterher, merklich fiel ihm jeder Schritt schwer, kein Wunder, seine Augen waren schließlich wieder einmal so blau.
Hvitserk sah mich kurz an und verließ mich ebenfalls.
Ich sah weiterhin in die Ferne, in den dichten Nebel und grübelte vor mich hin. Immer wieder trat ich kleine Steine den Hang hinunter. Schließlich drehte ich mich entschlossen um und kehrte ebenfalls in unser Lager zurück, denn ich hatte großen Hunger.

Im Lager setzte ich mich zu erfahrenen Kriegern ans Feuer. Ich kannte sie nicht, doch ich wollte nicht zu meinen Brüdern zurückkehren.
Mit einem herzlichen Schlag auf den Rücken wurde ich begrüßt und hatte keine zwei Augenblicke später Met und Fleisch in der Hand.

"Und?", fragte ein älterer Krieger mit Essen im Mund, "Wie ist es eine Legende zu sein?"

Verwirrt sah ich ihn an, "Legende? Ich?", ich sah in die Runde und die vier Männer nickten neugierig.

"Schwester von Björn Eisenseite und Ivar dem Knochenlosen, stärkste Schildmaid in ganz Kattegat, wenn nicht sogar der ganzen Welt.", sprach einer der anderen.

Ich verschluckte mich fast an meinem Essen. Ich wusste, dass man mich kannte, aber dass ich als Legende und stärkste Schildmaid bekannt war, das war mir neu.

"Was sagte uns einst ein Wanderer?", er sah seine Freunde nachdenklich an.

"Tjara Lothbrok ist wie das Pferd, welches trotz fallenden Regens die Gabe besitzt Tyr im Eis zu finden.", sagte ein bisher stiller Krieger und trank einen Schluck Met, "Eure Geschichte wird in ganz Norwegen und noch weiter besungen.", flüsterte er geheimnisvoll.

Ich sah kopfschüttelnd in die Runde, "Mein Bruder Ivar ist die Legende, nicht ich.", flüsterte ich. Ich konnte nicht glauben, was diese Männer mir erzählen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top