59. Unerwartete Begegnung
"Das habt ihr gut gemacht.", sagte Ivar zu König Harald, als das fest schon in vollem Gange war.
"Danke.", sagte der König und erhob kurz seinen Krug, "Ich habe nur versucht die Wahrheit zu sagen."
"Niemand will die Wahrheit wissen.", warf Hvitserk ein.
"Ganz im Gegenteil.", sagte Harald.
Ich sah zwischen meinen Brüdern und dem König hin und her, "Entschuldigt mich kurz.", ich stand auf und verließ die Halle.
Ich brauchte frische Luft, um klar denken zu können.
Es war eine sternklare Nacht, darum war es bitterkalt.
Ich stieg die Stufen der Halle hinab und sah mich um, Kattegat hatte sich so gut wie gar nicht verändert.
Auf einmal öffnete sich die Tür hinter mir, die Laute der Halle schallten einen Augenblick lang durch die Nacht, doch dann wurde die Tür wieder geschlossen.
Ich wusste, dass jemand hinter mir war, dieser jemand kam die Treppe herunter und auf mich zu.
Schnell drehte ich mich um.
Dort stand Nels. Ich hätte ihn fast nicht erkannt, denn er ist, wie ich in den letzten Jahren immer erwachsener geworden.
Er war sehr groß, seine damals kurzen braunen Haare waren inzwischen lang und zu mehreren Zöpfen geflochten außerdem hatte er ein Tattoo am Hals.
"Nels.", flüsterte ich und musterte ihn von oben bis unten.
Um ehrlich zu sein hatte ich nicht einmal erwartet ihn lebend wieder zu sehen, doch er war es.
"Tjara Lothbrok.", sagte er, als wäre die Zeit niemals vergangen.
Er fing an zu lächeln.
"Du bist erwachsen geworden.", sagte ich und versuchte zu unterdrücken, dass ich ein wenig betrunken war.
"Und du bist wohl betrunken.", er lachte auf.
Ich hob lachend die Hände, "Schuldig.", sagte ich übermütig.
"Du und deine Brüder habt uns angegriffen und trotzdem seid ihr zurückgekehrt.", mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er zu mir runter. Er schien es nicht zu verstehen.
Ich zuckte mit den Schultern, "Ivar hatte die ganze Zeit einen Plan, nur beinhaltete er wohl nicht hier auf König Harald zu treffen.", mein Lachen verging.
"Ich habe dich auf dem Schlachtfeld gesehen, ich habe gekämpft.", er legte eine Pause ein und holte tief Luft, "Wenn Ivar vorhaben sollte, wieder in eine Schlacht zu ziehen, wäre es mir eine Ehre an König Ivars Seite zu kämpfen."
Schon fast zufrieden sah ich ihn an und nickte, "Bist du nun über den Tod deines Bruders hinweg?"
Nels seufzte, "Das war ich wohl schon lange, ich habe nur nach einem Grund gesucht, König Ivar zu hassen. Doch nun, wo meine Eltern an Fieber gestorben sind, brauche ich ein neues Ziel im Leben, denn ein Bauer möchte ich nicht sein.", er schüttelte ernst mit dem Kopf.
Ich wischte mir über mein Gesicht. Der Met schien immer mehr Wirkung zu zeigen.
Die Tür der großen Halle öffnete sich erneut, doch nun trat Ivar heraus und schloss sie wieder hinter sich.
Als er Nels erblickte erlisch seine gute Laune und Ivar verzog das Gesicht.
So schnell er konnte kam er die Stufen herunter und ging auf Nels zu.
Ich wusste nicht, ob er sich an ihn erinnern würde, oder ob er ihn überhaupt wieder erkannte, doch er drohte mir damals ihn zu töten, wenn ich ihn wieder treffen würde. Doch nun konnte er ihn nicht einfach so töten.
Er musterte Nels, mit seinem zornigen Blick.
"Was machst du hier draußen?", fragte er mich zischend.
"Ich wollte frische Luft schnappen, Ivar.", sagte ich ruhig.
Ivars Blick schien auf Nels festgefroren zu sein, "Ich habe dir einst gesagt, dass du diesen Jungen nicht mehr sehen sollst, Tjara."
Ich zog die Augenbrauen hoch und sah ihn an, "Nels sagte, wenn du irgendwann wieder in eine Schlacht ziehen möchtest, will er auf deiner Seite kämpfen und dich unterstützen.", flüsterte ich, um ihn umzustimmen.
Nels nickte, "Es wäre mir eine Ehre, König Ivar.", sagte er freudig, als würde er gar nicht wissen, dass er ihn hasste.
Mein Bruder legte den Kopf schief und dachte anscheinend nach, bevor er Nels anerkennend auf die Brust schlug, "Komm kleine Schwester. Das Fest ist für uns zu Ende.", Ivar ging langsam in die Richtung unserer Hütte.
Ich nickte Nels zu und folgte meinem großen Bruder, der schweigend neben mir herlief.
Jedoch sah er mich immer wieder an und fragte schließlich, "Woher kennst du ihn? Du hast es mir nie erzählt."
"Du wolltest die etwas von ihm wissen.", sagte ich fast lachend, "Als ich mit dem Kämpfen begonnen habe, habe ich im Wald versucht mit Pfeil und Bogen etwas zu treffen. Zufällig war er dort auf der Jagd und so haben wir uns kennengelernt und zufällig immer wieder getroffen.", sagte ich verträumt.
Ivar nickte verstehend und ich hielt ihm die Tür zu unserer Hütte auf, bevor ich hinter ihm eintrat.
Wir setzten uns an die Feuerstelle, um uns aufzuwärmen.
Erneut kippte ich mir Met in meinen Becher, doch Ivar nahm ihn mir weg und trank ihn selber, "Du hast genug.", sagte er, als er den Becher absetzte.
Seufzend starrte ich zur Tür, "Warum ist Hvitserk noch geblieben?", fragte ich meinen Bruder.
"König Harald und er verstehen sich anscheinend immer noch sehr gut.", ein falsches Lächeln huschte über Ivars Gesicht, "Wir sollten uns nun schlafen legen, Hvitserk wird den Weg auch ohne uns finden.", Ivar erhob sich, nachdem er den Becher abgestellt hatte.
Unsere Hütte hatte sogar für jeden ein Bett. Wie lange ich auf keinem mehr geschlafen habe, wusste ich schon nicht mehr, doch es war sicherlich eine halbe Ewigkeit seitdem vergangen.
"Ivar?", fragte ich, bevor ich mich schlafen legte, "Was tun wir nun? Was ist dein Plan?"
Ich saß auf der Bettkante und sah zu ihm rüber doch er schüttelte den Kopf, "Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was wir tun sollen, Tjara. Ich glaube nicht, dass unser Schicksal hier in Kattegat liegt. Doch ich habe keine Ahnung, wo wir sonst hinsollten.", flüsterte mein Bruder, "Es ist kein Land in Sicht. Meine Reise hat keine Bedeutung und keinen Zweck mehr. Kennst du dieses Gefühl?"
Ich musste lächeln. Es ist lange her, dass wir über so etwas so offen gesprochen hatten.
"Natürlich kenne ich dieses Gefühl.", flüsterte ich, "Jedes Mal, wenn ich von dir getrennt wurde fühlte ich mich genauso."
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