57. Kattegat

"Es ist eine List, er glaubt nicht an Liebe. Er lügt.", sagte Prinz Dir in einer unglaublich ruhigen Stimmlage.

Währenddessen wiederholte Oleg sich.

Schmerzvoll schlug mir Ivar gegen den Bauch. Verwirrt sah ich ihn an, doch sein hasserfüllter Blick lag immer noch auf Oleg.

Ich musterte Ivar von oben bis unten. Normalerweise verstanden wir uns ohne Worte, doch heute wusste ich das erste Mal nicht, was er von mir wollte.

"Gib mir deinen Bogen und einen Pfeil!", zischte er voller Hass.

Schnell übergab ich ihm, wonach er verlangt hatte. Ivar nahm den Bogen, ohne den Blick von Oleg zu lassen und spannte den Pfeil. Gnadenlos schoss er ab und traf ihn direkt in die Brust.

Oleg sah erschrocken in den Himmel, er schien etwas zu flüstern, bevor er über das Geländer fiel und vor der Menge auf dem harten Boden landete.

In der Stadt wurde es so leise, als würde kein Mensch anwesend sein.
Fragend sah ich zu Hvitserk, der Ivar brüderlich eine Hand auf die Schulter legte.

Prinz Dir schritt langsam nach vorne und kniete sich neben seinen Bruder.
Er flüsterte ihm etwas zu und erhob sich schließlich wieder und drehte sich zu uns um.
Er begann zu lächeln und die Bewohner der Stadt fingen an zu jubeln und zu klatschen. Selbst Olegs Männer stimmten mit ein.

Wir betraten die Halle, in der Oleg mich und Hvitserk einst willkommen hieß.
Erleichtert atmete ich aus und setzte mich auf die Treppe, die zum Thron führte. Glücklich beobachtete ich die Menschen, denn ich wusste, dass es hieß, dass wir bald heimkehren würden.

Am Abend wurde ausgiebig gefeiert.
Ich saß mit einem Becher Bier auf einem Tisch und starrte vor mich hin. Um ehrlich zu sein war ich schon gut angetrunken und torkelte zu meinen Brüdern rüber.
Hvitserk empfing mich mit einer Umarmung und zog mich zu sich.
"Wie fühlst du dich, Schwester?", fragte er lallend.

"Einfach wundervoll.", antwortete ich lachend und sah zu Ivar, der an der Spitze des Tisches saß und brüderlich seine Hand auf meinen Kopf legte, bevor er uns verließ.

"Meine Freunde!", rief Prinz Dir durch die Menge, "Wir haben den Unterdrücker, der immer nur an sich selbst gedacht hat gestürzt! Auch wenn er mein Bruder war, konnte ich nicht zulassen, dass er die Macht über die Rus ergreift. Doch ohne die Wikingergeschwister hätten wir dies nicht geschafft. Skål!", lachend trank der Prinz seinen Krug leer.

Nach langer Feierei legte ich mich schlafen. Morgen früh würden wir aufbrechen, um zurück nach Kattegat zu kehren. Mir war komisch, denn Ivar hatte unser Volk verraten und es mit Christen angegriffen, ob unsere Leute uns so einfach wieder aufnehmen würden?

In den frühen Morgenstunden wurde der tote Prinz Oleg, trotz allem, was er getan hatte, würdevoll von seinem Volk verabschiedet.
Ivar nahm dran teil, doch Hvitserk und ich wollten so schnell wie es geht diesen Ort verlassen und bereiteten die Pferde vor.

Es dauerte nicht allzu lange, bis Ivar, gefolgt von Prinz Dir, auf uns zu kam.
Wir bedankten uns beim Prinzen und verabschiedeten uns von diesem Ort.

Hvitserk nahm die Zügel von Ivars Pferd und führte es.
Ich ritt neben meinem Bruder Ivar und sah in die Ferne, "Du hast dich kein Stück verändert, Ivar. Es scheint so, als könnte dich niemals etwas brechen.", sagte ich verträumt.

"Wir sind wer wir sind.", flüsterte Ivar und wir ritten los.

Ich bemerkte, wie Hvitserk mich den ganzen Ritt lang ansah und schließlich zu reden begann, "Weißt du noch, als Mutter damals zu Ubbe sagte, dass er schon Kinder haben sollte?", fragte er mich.
Ivar und ich sahen ihn fragend an.

"Na ja, nun wäre es doch auch an der Zeit für dich. Was ist eine Frau ohne Mann und Kinder?", sagte Hvitserk selbstsicher.

Ich lachte auf und wollte ihm gerade sagen, dass ein Mann ohne Frau und Kinder wohl genau so traurig wäre. Doch ich war mir sicher, dass Ivar sich angesprochen fühlen würde.

"Kinder wären gewiss etwas tolles, doch ich brauche keinen Mann um mich stark zu fühlen."

"Mutter hätte sich gefreut, wenn du Kinder gehabt hättest.", sagte Hvitserk seufzend.

"Wage es nicht im Wort unserer Mutter zu sprechen.", zischte Ivar, "Überlass Tjara ihre Entscheidungen. Sie will es nicht, also lass sie."

Hvitserk lachte belustigt auf, als wir am Meer ankamen und auf ein Schiff, welches schon auf uns wartete stiegen. Es sollte uns endlich Richtung Heimat bringen.

Aus der Ferne hörten wir das Horn von Kattegat, als wir das Dorf erblickten.

"Also, wir sind Zuhause, wie denkst du nun darüber, hm?", fragte Hvitserk unseren Bruder, der nachdenklich vorne auf dem Schiff stand.

"Dass es sich vielleicht als Fehler herausstellt.", antwortete ich für meinen Bruder und sah ihn an. Stumm nickte er.

Wir waren fast am Pier angekommen, als wir schon die Dorfbewohner, die sich dort angesammelt hatten hören konnten.
Sie schienen uns erkannt zu haben und waren wohl nicht erfreut uns zu sehen.

Sie riefen uns Dinge zu, als wir durch die Menschen hindurch gingen.
Ivar ignorierte dies ganz einfach, doch Hvitserk und ich fühlten uns nicht wohl bei dieser Sache.
Plötzlich stellten sich uns einige Männer in den Weg.
Ein Mann sah uns an, Ivar schenkte ihm sein wunderschönstes falsches Lächeln, welches schnell wieder verblasste.

"Folgt mir.", sagte der Mann knapp und führte uns durch die Menschen hindurch, "Ich führe euch zu König Harald."

Ivars Blick erstarrte, "König Harald?", wiederholte er flüsternd den Mann und sah mich entsetzt an.
Ich atmete aus und folgte meinen Brüdern schnell.

In der großen Halle saß König Harald auf dem Thron und sah überlegen zu uns hinunter.

"Ich grüße euch, König Harald Schönhaar.", sagte Hvitserk und verbeugte sich. Widerwillig taten Ivar und ich es ihm gleich.

"Wir haben nicht erwartet euch hier auf dem Thron zu sehen, König Harald.", sagte Hvitserk und verschränkte unschuldig die Hände hinter dem Rücken.

"Ich hätte nie gedacht, dass ihr meine ersten Besucher sein würdet.", sagte Harald schon fast enttäuscht.

"Die Götter geben uns immer wieder Rätsel.", sagte Ivar mit seinem inzwischen wieder typischen Grinsen im Gesicht.

"Gewiss, Ivar der Knochenlose.", sagte Harald und blickte nun zu mir, "Also, was führt euch hier her?"

"Kattegat ist unsere Heimat.", sagte ich selbstverständlich.

"Ihr habt mit Christen gekämpft.", widersprach der König.

"Wir wollten sie zurückhaben.", widersprach ich ebenfalls und sah zu Ivar.

"Von eurem eigenen Bruder?", Harald sah Ivar schon fast provozierend an.

"Brüder entzweien sich und kämpfen manchmal sogar gegeneinander, das wisst ihr wohl nur allzu gut.", Ivar trat einen Schritt an Harald heran, um sich in den Vordergrund zu stellen.

"Die Menschen hier hassen euch, solange ihr hier seid, werdet ihr in Gefahr sein."

"Wir werden als die Kinder Ragnars immer noch geschätzt.", warf ich ein, doch der König lachte nur leise.

"Ihr könnt uns nicht sagen, dass die Bewohner Kattegats unseren Vater nicht mehr verehren.", Hvitserk stellte sich nun neben Ivar und ließ mich zurück.

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