40. Die Rus

"Du demütigst ihn, Ubbe.", sagte ich vorwurfsvoll.

"Das hat er ganz alleine geschafft. Es wundert mich, dass Ivar ihn heimsucht und nicht dich."

Ich musste lachen, "Hvitserk hat ihn verraten und sich gegen ihn gewendet, nicht ich.", sagte ich standhaft.

Zwei Tage später passierte etwas Merkwürdiges, mein Bruder Ubbe und ich waren im Dorf unterwegs, es schien alles ruhig zu sein, doch dann hörten wir Hvitserks verrückte Stimme.
Er ließ von einigen Männern eine eiserne Tür durch das Dorf ziehen, "Sie wird mein Schutz vor Ivar sein.", flüsterte er uns wie ein Irrer zu und folgte den Männern.

Nachts hörte ich Hvitserk, der immer wieder schrie, dass jemand verschwinden solle. Ich wusste, dass niemand in seiner Hütte war. Schnell lief ich zurück in die Halle, wo Ubbe auf mich wartete.

"Was tut er?", er sah mich prüfend an.

Ich erzählte ihm was ich hörte, als ich an der Hütte war.
Ubbe seufzte und sah zu Boden. Ihm gefiel es genauso wenig wie mir, was mit unserem Bruder dort geschah.

"Das Bier und Met so etwas aus jemanden machen können.", flüsterte ich entsetzt, doch Ubbe schüttelte sarkastisch lachend mit dem Kopf, "Da steckt mehr hinter.", flüsterte er zurück.

Es vergingen viele Wochen, in denen Hvitserks Zustand immer schlechter wurde, er verwahrloste immer mehr und wandelte immer mehr umher, ohne ein Ziel zu haben.

"Tjara!", rief mein Bruder Ubbe durch das Dorf. Ich schreckte auf und suchte ihn in der Menschenmenge. Als ich ihn erblickte, eilte ich zu ihm, "Wir haben etwas Dringendes zu bereden.", er führte mich in die Halle und dort in das Hinterzimmer.

Wir setzten uns an das wärmende Feuer.
"Was hast du zu erzählen?", ernst sah ich ihn an.
Ubbe lächelte kurz, "Du bist wirklich groß geworden. Du bist eine junge starke Frau, Tjara. Auch wenn du mich einmal verraten hast, ich habe dir verziehen und schenke dir mein vollstes Vertrauen."
Nickend sah ich zu ihm, ich wusste nicht worauf er hinauswollte.

"Unsere Händler sind über die Seidenstraße zurückgekehrt und haben große Neuigkeiten zu erzählen gehabt.", er legte eine Pause ein, "Sie sind auf ein Volk getroffen, welches sich Rus nennt. Dort erfuhren sie, dass unser Bruder Ivar in einem Palast ihres Königs aufgenommen wurde.", ernst sah er mich an und wartete auf meine Reaktion.
Mein Herz pochte, ich konnte es kaum glauben, nach so vielen Monaten endlich von einem Lebenszeichen von meinem Bruder zu hören. Ich war glücklich, ja.

"Was tun wir nun, Ubbe?"

Überrascht sah er mich an, "Du musst es Hvitserk sagen, vielleicht lindert es seinen Zustand."

Ich machte mich sofort auf den Weg zu unserem Bruder. Aus der Hütte kamen wieder einmal Schreie, doch ich ließ mich nicht abschrecken und überbrachte ihm diese Nachricht.
Er schien meine Worte nicht wirklich wahr zu nehmen denn er starrte weiter panisch vor sich hin.
Als er nicht weiter auf meine Worte einging verließ ich ihn schließlich.

Schweigend betrat ich wieder die Halle, ich hatte den Gedanken das Volk der Rus zu finden und somit wieder mit Ivar vereint zu sein. Mein Herz war trotz Ubbes Rückkehr leer und es schmerzte sehr, doch ich fühlte mich an Ubbes Seite auch wohl.
Egal wie ich mich entscheiden würde, es wird der Wille der Götter sein, denn sie führten mich.

Nach dem großen Abendessen in der großen Halle, verließ ich den Tisch und setzte mich im Hinterzimmer an das Feuer. Gedankenverloren starrte ich in die Flammen. Ich war mal wieder bei meinem Bruder, er wusste, dass wir bald wieder vereint sein würden, er war wirklich ein Gott.
Müde legte ich mich neben dem warmen Feuer schlafen.

Nachts hörte ich ein knacken des Holzbodens. Mein Bruder legte sich in das große Bett, schweigend drehte ich mich wieder auf meinem Schlafplatz am Feuer um und lauschte, er schien ein wenig betrunken zu sein, was ihn am nächsten Morgen nicht dran hinderte früh aufzustehen und unserem Volk zur Verfügung zu stehen.

Laute Schreie aus der Halle weckten mich.
Ich schreckte hoch und griff gleich nach meinen Waffen, die nur einige Meter weg lagen.
Vorsichtig betrat ich die große Halle, wo Ubbe mit einigen anderen Leuten um einen Tisch herumstanden.

"Wer hat sie getötet?", fragte mein Bruder einen der Männer.

"Wir wissen es nicht.", antwortete er.

Langsam und vorsichtig ging ich auf den Tisch zu und versuchte an meinem Bruder vorbei zu sehen.
Dort lag sie. Lagertha, die Frau, die meine geliebte Mutter umgebracht hatte.
Ein kurzes Lächeln durchhuschte mein Gesicht. Sie war tot. Sie war wirklich tot.

"Was wollte sie hier?", schrie er laut die Männer an, als er mich vom Tisch weg zog.
Doch diese schüttelten nur mit dem Kopf.

"Wo ist mein Bruder, hm? Wo ist Hvitserk? Sucht ihn, los."
Ubbe drehte sich zu mir um. Er sah mich ernst an. Anscheinend hatte das Lächeln mein Gesicht noch nicht ganz verlassen.
"Was ist so komisch, hm?"

"Gerechtigkeit. Die war schon lange überfällig, mein Bruder.", ich grinste übermütig.

"Geh mir aus den Augen.", sagte er ruhig, aber bestimmend.

Ohne ihn noch einmal anzusehen verließ ich die Halle.
Doch ich hatte kein Ziel. Noch nie hatte mein Bruder mich nicht mehr sehen wollen und nun schmiss er mich aus der großen Halle.

Mit verschränkten Armen stellte ich mich an den Steg und sah über das Meer.
Wie würde ich eigentlich zu den Rus gelangen, wenn meine Brüder mir erlauben würden ihn zu suchen?
Ich hatte keine Ahnung, was die Seidenstraße sein sollte, ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde und ob ich dort lebend ankommen könnte, aber ich war mir sicher, dass ich es versuchen musste.

Plötzlich spürte ich eine große Hand auf meinem Hinterkopf. Ruckartig drückte sie meinen Kopf nach vorne und ließ mich wieder los.
Ich sah in Ubbes Augen, der über den Fjord blickte.
Stumm standen wir nebeneinander, bis einer der Männer, die Ubbe losgeschickt hatte, um Hvitserk zu finden, neben uns auftauchte, "Wir können ihn nicht finden. Jedenfalls nicht hier in Kattegat."

"Sucht weiter."

Der Mann wendete sich ab und kehrte zu den anderen zurück.

"Warum Hvitserk? Er ist zu nichts zu gebrauchen, Ubbe."

"Ich brauche ihn nun hier.", sagte Ubbe stumpf.

"Du verdächtigst ihn, habe ich Recht?", flüsterte ich leise.

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