4. England
Einige Tage später waren meine Brüder endlich wieder im Wald am Trainieren, ich folgte ihnen. Bei mir hatte ich natürlich meine Axt und Pfeil und Bogen.
"Für einen Mann mit verkümmerten Beinen bist du ganz schön schwer.", meine Brüder trugen Ivar und setzten ihn auf einen Baumstumpf.
Uns waren drei Tiere in die Falle gegangen. Ubbe nahm seinen Bogen, spannte den Pfeil auf und schoss den Bogen genau in den Kopf des Tieres, ohne auch nur hinzusehen.
Ivar tat es ihm gleich und reichte mir daraufhin seinen Bogen weiter, "Versuche es. Tote Tiere können immerhin nicht mehr fliehen.", sagte er in einem gemeinen Unterton.
Ich nahm den Bogen entgegen. Diesmal war ich mir sicher, dass ich treffen würde.
Und tatsächlich, ich schoss den Pfeil direkt in das Auge des Tieres.
Ich grinste meine Brüder an.
Ubbe nickte mir kurz zu.
Ivar riss mir seinen Bogen aus der Hand und tätschelte mir auf den Kopf.
Währenddessen waren Hvitserk und Sigurd am Kämpfen. Es war wirklich spannend ihnen dabei zuzusehen.
Ich bemerkte, wie Ivar nach einem Pfeil griff und mich herausfordernd ansah. Im gleichen Moment schoss der Pfeil auch schon, zwischen den Köpfen von Sigurd und Hvitserk hindurch.
Hvitserk kam lachend auf Ivar zu und sie begannen mit ihren Schwertern zu kämpfen. Auch wenn Ivar ein Krüppel war, kämpfen konnte er.
Sigurd sah dem Geschehen aus sicher Entfernung zu. Er war wütend, ich konnte es spüren.
Er verlor Ivar nicht aus den Augen.
"Das war wunderbar Ivar.", begeistert ging ich auf ihn zu, als beide ihre Schwerter wegsteckten.
"Das weiß ich doch, Schwester.", Ivar griff nach einem Becher, den Ubbe ihn reichte. Doch kaum hatte er ihn, wurde er ihm von einer Axt aus der Hand geschlagen.
Ich drehte mich schnell um, denn die Axt konnte nur von Sigurd kommen. Ich wollte gerade auf ihn losstürmen, als Ivar mich packte und seine Axt ohne Rücksicht auf Verluste nach Sigurd warf.
Ivar legte seinen Arm nun um meinen Hals und zog mich zu sich, dabei behielt er Sigurd ganz genau im Auge. Nutzte er mich gerade tatsächlich als menschliches Schild?
Ich setzte mich zu ihm auf den Baumstumpf und sah etwas hilfesuchend zu Hvitserk.
"Lass sie los, Ivar.", Hvitserk verschränkte die Arme.
"Wieso? Ich zwinge sie zu rein gar nichts.", er hob die Hände, um zu zeigen, dass ich freiwillig bei ihm saß, ich rührte mich nicht von der Stelle, woraufhin er seinen Arm wieder um mich legte.
Am Nachmittag trugen Sigurd und Hvitserk unseren Krüppelbruder wieder ins Dorf zurück.
Ubbe, der hinter mir ging hielt mich am Arm fest und drehte mich zu sich.
"Wie war das? Du lässt dich nicht von ihm manipulieren?", er sah mich ernst an und wartete auf eine Antwort.
"Lasse ich auch nicht, Ubbe.", ich riss mich von ihm los und folgte meinen Brüdern.
Aus irgendeinem Grund versuchte Ubbe mich immer wieder gegen Ivar aufzuhetzen, er glaubte wohl, dass Ivar es ausnutzt, dass ich nach ihm die jüngste war.
Wir hielten am Fjord an, denn wir mussten heute noch fischen.
"Tjara, fang.", Sigurd warf mir einen zappelnden Fisch zu. Ich schlug ihn mit meinem Speer von mir weg und er schwamm schnell in Richtung Freiheit.
"Hvitserk und ich haben bereits zwei Fische.", Ubbe sah uns vorwurfsvoll an und wir machten uns weiter an die Arbeit.
Am Ende hatten wir fünf Fische, sogar ich hatte einen gefangen.
Ich verließ das Wasser und ließ mich neben Ivar am Strand fallen und sah in den Himmel.
"Ich kann es nicht.", sagte Ivar plötzlich und starrte zu unseren Brüdern im Fjord.
"Natürlich kannst du nicht Fischen, du bist ein Krüppel.", ich setzte mich auf.
Er schüttelte mit dem Kopf und rückte zu mir. Er nahm mein Kopf und zog ihn an sein Gesicht, "Ich bin nicht in der Lage ein Weib zu befriedigen.", er stieß mich von sich weg.
"Ich werde keine Kinder haben können, keine Nachfahren.", er klang bedrückt.
"Verrate es niemanden, Tjara."
Ich schüttelte mit dem Kopf, "Niemanden, Bruder."
Meine Brüder und ich saßen, wie fast jeden Abend, zusammen in der großen Halle.
Oft tauschten wir uns hier aus oder berieten uns gegenseitig, wenn es Probleme zu klären gab.
"Unser Vater kehrt aus Hedeby zurück, was sollen wir ihm sagen?", Ubbe sah Hvitserk an.
"Ich habe alles gesagt, ich bin Björn verpflichtet. Ich gehe nicht mit Vater."
Ubbe nickte, "Sigurd?"
"Wie kannst du mich das nur fragen ohne eine Miene zu verziehen?", fragte er lachend.
Ivar lachte ebenfalls.
"Du weißt, dass ich nicht mit Vater gehen werde. Darüber haben wir sehr oft gesprochen.", Sigurd stand auf und ging durch den Raum.
"Unser Vater wurde besiegt, er hat verloren. Und der Zauber seiner ersten Erfolge und Raubzüge ist auch verloren gegangen. Es liebt ihn niemand mehr und niemand glaubt mehr an ihn.", er setzte sich wieder.
"Ganz besonders die Götter nicht."
"Glaubst du das stimmt?", fragte Hvitserk ihn.
"Ja. Es ist wohl so. Was ist mit dir?", Ubbe zeigte auf Hvitserk. "Du tust so, als wenn du Björn verpflichtet wärst aber du könntest es dir auch anders überlegen und mit Vater segeln, warum machst du das nicht, hm?"
Ich hörte ein genervtes Stöhnen und Ivar meldete sich zu Wort, "Ihr seid doch alle Feiglinge. Keiner von euch hat unseren Vater verdient.", er sah zu mir und dann zu Ubbe.
"Ubbe. Du fragst Sigurd und Hvitserk, aber wieso darf Tjara nicht entscheiden, ob sie mit Vater segeln möchte? Sie ist keine Sklavin, sie kann selber ihre Entscheidungen treffen."
"Mutter würde niemals zulassen, dass sie mit Vater segelt.", Ubbe sah ihn ernst an.
Ivar wendete sich nun direkt an mich, "Möchtest du mit unserem Vater nach England segeln, Tjara?", er lächelte mich mit seinen blauen Augen an.
"Ich würde gerne nach England segeln. Ich will die Welt sehen, ich will wissen, wie es sich anfühlt auf See zu sein. Aber Ubbe hat Recht. Mutter würde es niemals zulassen."
Mein Bruder grinste mich an.
"Ich lege mich schlafen.", ich stand auf und ging in den hinteren Teil der Halle.
Am nächsten Morgen saßen meine Brüder und ich bei Tisch, wir lachten und machten Späße.
Ivar saß an der Spitze des Tisches und ließ sich von unserer Sklavin füttern.
"Sie ist jetzt meine Lieblingsdienerin.", sagte er schulterzuckend, "Und es gibt vieles, wofür sie mir dankbar sein muss."
"Ich weiß nicht, ob ich dir das glaube, kleiner Bruder."
"Ach, du bist eifersüchtig."
"Du kannst eine Sklavin nicht für dich beanspruchen.", warf Hvitserk ein.
"Lass ihn doch seinen Spaß.", ich zuckte mit den Schultern und sah Ivar an.
"Mutter. Sag ihnen sie sollen aufhören mich zu quälen."
"Es macht mich glücklich ein Mädchen an deiner Seite zu sehen. Deine Brüder sollten längst vermählt sein. Ubbe, du solltest Kinder haben."
"Ich habe wahrscheinlich bereits welche."
Wir lachten.
"Dass ihr die Söhne des Königs seid, heißt nicht, dass ihr verantwortungslos handeln dürft. Es ist wichtig, dass ihr ein Weib findet und sesshaft werdet."
"Ich dachte ich hätte ein Weib gefunden, aber jetzt hat Ivar es mir weggenommen.", Sigurd sah zu unserer Mutter, als würde er auf Mitleid hoffen.
"Skål.", Ivar sah zu Sigurd und trank.
"Ich spreche nicht von Liebe, ihr müsst euer Weib nicht lieben. Als Söhne des Königs könnt ihr so viele haben, wie ihr wollt. Aber ihr braucht ein Weib, um euch fortzupflanzen."
"Du glaubst also nicht an Liebe."
"Das habe ich nicht gesagt."
"Dann hast du Ragnar also geliebt, als ihr euch vermählt habt und er hat dich geliebt?", Sigurd konnte ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
"Gewiss habe ich ihn geliebt.", unsere Mutter wurde lauter.
"Es heißt du hättest ihn verhext.", Sigurd sah unsere Mutter an.
"Was geht nur in dir vor?", Ivar sah in kalt an.
"Ich will nur wissen, ob sie jemals jemanden geliebt hat, abgesehen von Harvard. Ihr erinnert euch an Harvard oder?", er sah in die Runde.
Ich schüttelte mit dem Kopf, "Nein, ich erinnere mich nicht."
"Natürlich hat sie noch jemanden geliebt, sie hat immer jemanden geliebt. Mich.", Ivar sah kurz zu mir, "Und Tjara. Gewiss auch Tjara. Habe ich Recht, Mutter?"
Unsere Mutter lächelte nur unsicher.
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