34. Brennende Menschen

Ich bedankte mich höflich für das Essen, Hvitserks Freundin sollte nur das Beste von mir denken.

Bevor ich die Tür erreichen konnte wurde diese laut aufgetreten.
Ein Wachmann kam herein, ging auf Thora zu und packte diese am Arm, "Du kommst mit.", sagte er bestimmend.

"Was tust du da?!", rief ich verwirrt, bevor der Mann sich umdrehte, um mir zu antworten, "Es ist eine Anweisung eures Bruders.", er drehte sich um und zog Hvitserks Freundin hinter sich her.

Ich schloss die Tür der Hütte und folgte ihnen. Sie brachten Thora zu Ivar. Stumm blieb ich am Eingang des Hinterzimmers stehen und sah zu Ivar. Dieser schien zu überlegen, ob er mich rausschmeißen sollte oder ob ich zuhören dürfte.
"Setz dich zu mir, kleine Schwester.", sagte er ruhig. Immer noch stumm ging ich zu ihm rüber und setzte mich neben ihn.

"Setz dich.", sagte er nun ebenso freundlich zu Thora.
Sie sah ihm nicht in die Augen, hatte sie Angst vor meinem Bruder?

"Ich versuche Tag für Tag ein guter Herrscher zu sein.", begann Ivar, seine Stimme wirkte auf mich beruhigend, "Alles was ich mache, mache ich nur für das wohl unseres Volkes."
Thora sah ihn nun an, doch sie schien nicht überzeugt von Ivar zu sein.
"Ich will das Volk nur schützen, wie ein Vater, aber trotzdem hasst ihr mich? Wieso?"
Ivar schien Thora schon länger zu kennen.

"Zu Ragnars Zeiten war sein Volk ein freies Volk, meine Eltern erzählten es mir so. Jeder konnte sagen und tun, was er wollte. Ragnar hat niemals jemanden zu etwas gezwungen.", Thora liefen Tränen über die Wangen.

Mein Bruder sah mich ratlos an und wischte mit seiner Hand über sein Gesicht und atmete tief ein, "Du hast gut gesprochen, geh.", sagte er und lächelte sogar dabei.
Thora konnte es kaum glauben, dass sie ihn gehen ließ. Schnell stand sie auf, warf mir einen kurzen Blick zu und machte sich auf, um den Raum zu verlassen.
Ivar lächelte ihr mit seinem Hundeblick hinterher, doch als Thora den Raum verlassen hatte verfinsterte sich seine Miene.
"Ivar?", fragte ich vorsichtig, als ich ihn wieder ansah, "Was hast du vor?"

"Das wirst du schon bald herausfinden.", er grinste mich fies an.
"Du darfst ihr nichts tun, Ivar.", sagte ich mit zitternder Stimme
"Dafür ist es nun zu spät.", flüsterte er leise.

Entsetz stand ich auf, ich wollte ihr folgen, ich wollte ihr helfen, doch mein Bruder packte mich am Handgelenk und schüttelte ernst mit dem Kopf, "Denk nicht einmal daran.", flüsterte er bedrohlich.
Schwer atmend vor Wut sah ich ihn an. Ich konnte und durfte ihm nicht widersprechen, aber wenn ich dies nicht tat, würde Ivar eine nette Frau unseres Volkes umbringen.

"Bitte, Bruder.", flüsterte ich so leise, dass man es kaum hören konnte, doch meine Versuche waren zwecklos, denn er ließ mich nicht gehen.

Ich setzte mich auf einen Stuhl und starrte in das Feuer, bis Ivar plötzlich nach seinem Stock griff und sich aufrichtete, "Du wartest hier auf mich.", sagte er und verschwand, ohne mich auch nur kurz anzusehen.

Ich sah meinem Bruder hinterher, Hvitserk würde außer sich vor Wut sein, wenn er zurückkehrt und erfährt, dass Ivar ihr etwas angetan hat, er war sowieso in letzter Zeit nicht gut auf Ivar zu sprechen.

Nachdem ich alles durchdacht hatte, kam ich auf den Entschluss, dass ich eingreifen musste.
Mit rasendem Herz folgte ich meinem Bruder, der in Richtung des Waldes unterwegs war.
Ich versuchte, während ich ihm folgte nicht aufzufallen und erst, als er im Wald verschwunden war, kam ich hinter meinem Versteck hervor und rannte hinterher.

Aus der Ferne sah ich brennende und schreiende Menschen, Menschen unseres Volkes, die Ivar umbrachte.

Thora konnte ich nirgendwo erkennen. Erleichtert, aber auch entsetz über die Macht meines Bruders kehrte ich um. Ich wollte nicht, dass er erfährt, dass ich die Halle verlassen hatte.

Ich setzte mich wieder an das Feuer, doch mich packte der Zweifel. Was ist, wenn Thora doch unter ihnen war? Hätte ich ihr überhaupt noch helfen können?
Schnell verdrängte ich diese Gedanken aus meinem Kopf, denn Dinge, die Ivar tat hatten immer einen Grund und einen Sinn.
Also verließ ich mich auf den Verstand meines Bruders.

Erschöpft von den Geschehnissen des Tages griff ich nach einem großen Krug mit Met. Statt ihn mir in einen Becher zu schütten, trank ich direkt aus dem Krug.
Seufzend setzte ich ab. Liebend gerne wäre ich jetzt betrunken, dann könnte ich den ganzen Trubel des Tages vergessen und vielleicht sogar drüber lachen.
"Ich sollte mehr wie Ivar sein.", murmelte ich leise vor mich hin.

Ich trank immer und immer wieder aus dem Krug, bis ich merkte, dass die Macht des Alkohols einsetzte. In diesen Momenten kamen in meinem Kopf immer zwei gedanken; weiter trinken, bis ich umfalle oder sofort aufhören. Doch in den meisten Fällen fiel meine Entscheidung auf ersteres.

Ich leerte den Krug.

Als Ivar nach sehr langer Zeit zurückkehrte, machte ich mir nicht einmal die Mühe, meine Trunkenheit zu unterdrücken.
Ivar setzte sich schnell auf seinen Platz und redete aufgebracht von Dingen, die mich gerade nicht mehr interessierten.

Ich tat so, als würde ich ihm zuhören, doch ihn schien mein Grinsen auf den Lippen sehr zu stören.
"Sag mir nicht, dass du schon wieder betrunken bist, Tjara.", genervt legte er den Kopf schief und sah mich kalt an.

Mein Blick fiel kurz auf den nun leeren Krug.
Mein Bruder stöhnte genervt auf und schleuderte den Krug gegen eine Wand.
Wütend schrie er mich an, "Hast du denn nichts besseres zutun gehabt, als den Met in dich reinzukippen?"
Sein Blick schien bis in mein Innerstes zu gelangen, doch ich blieb standhaft.
"Ich habe viel zu tun, Ivar! Aber ich sollte nun mal hier auf dich warten und du warst sehr lange weg!", schrie ich zurück.

Mein Bruder riss sich zusammen und schüttelte den Kopf, "Rede nicht so mit mir.", sagte er und versuchte ruhig zu wirken.
Mir fiel natürlich auf, dass er sich sehr Mühe gab mich nicht anzubrüllen.
"Wo warst du Bruder?", fragte ich nun ernst, obwohl ich genau wusste, was er getan hatte, "Wo ist Hvitserk?", schrie ich ihn an. Der Alkohol sprach eindeutig aus mir.

Mit einem leichten Lächeln erhob sich mein Bruder wieder und kam langsam auf mich zu, doch schlagartig erlosch sein Lächeln und er setzte seinen kältesten Blick auf.
Es fühlte sich an, als wenn mein Blut gefrieren würde.

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