11. Ivars Zorn
Ubbe sah mich noch kurz nachdenklich an und wendete sich schließlich von mir ab.
Ich zog mein Hosenbein hoch, bis die Wunde, die schon halbwegs eine Narbe war zum Vorschein kam.
Ich drückte kurz drauf, woraufhin wieder einmal ein Schmerz durch meinen ganzen Körper schoss und mich schmerzhaft aufschreien ließ.
Ivar sah besorgt auf und kam zu mir gekrochen, "Ich möchte Sigurd sicherlich nicht zustimmen, trotzdem bin ich der Meinung, dass du lernen musst dich besser zu verteidigen. Dann wäre so etwas -", er tippte gegen die Wunde, ich unterdrückte den Schmerz, indem ich tief einatmete, "- gewiss nicht passiert."
Ich verzog das Gesicht und drehte mich weg.
Doch Ivar ließ dies nicht auf sich beruhen.
"Wenn wir Rache an Aelle und Egbert nehmen wollen und du kämpfen willst, musst du mir versprechen, dass du dich bis dahin verteidigen kannst!", zischte mein Bruder.
"Ich kann mich verteidigen, Ivar. Das hätte doch jedem passieren können."
Ivar starrte mich an, packte mich am Kragen und zog mich zu ihm runter, "Du übst nun schon lange genug, dass so etwas nicht mehr passieren sollte.", er ließ mich los, durchbohrte mich ein letztes Mal mit seinem eiskalten Blick und kroch aus der Hütte hinaus.
Ubbe sah zu mir herüber und ich konnte in seinem Blick erkennen, dass er genau so denkt, wie Ivar.
Ich sah kurz zu Boden, "Hvitserk hat mir so gut wie alles beigebracht, was ich kann! Wie soll ich lernen, wenn er nicht da ist?!", schrie ich aufgebracht.
Ubbe seufzte kurz und legte seine Axt weg. Er drehte sich zu mir und sah mich an, "Hvitserk ist nicht dein einziger Bruder, der kämpfen kann. Selbst Ivar könnte dir eine Menge beibringen."
Wütend darüber, wie meine Brüder dachten und darüber, dass mein Bruder Hvitserk nicht da war, um mir zu helfen schmiss ich mit ganzer Kraft eine Schale aus Holz gegen die Wand und sah Ubbe an, den es nicht zu interessieren schien.
"Vielleicht hat ja Sigurd Zeit für dich.", sagte Ubbe, während ich mich auf den Weg aus der Hütte machen wollte.
"Sigurd?", ich lachte und kehrte um, "Sigurd wäre so ziemlich der letzte, den ich um Hilfe bitten würde, Bruder.", sagte ich.
Anschließend verließ ich die Halle und machte mich auf die Suche nach Ivar.
Ich fand ihn schließlich beim Schmied, wo er an seiner Axt arbeitete.
Stumm setzte ich mich neben ihn und sah zu, wie er seine Axt schärfte.
Wir schwiegen uns an, bis Sigurd auftauchte, um seine Axt überarbeiten zu lassen.
"Ich habe mit dir noch ein Hühnchen zu rupfen, Sigurd.", sagte Ivar, ohne seinen Blick von der Axt abzuwenden.
Sigurd schielte zu uns herüber, "Warum hast du geschwiegen, als ich von Lagertha Gerechtigkeit gefordert habe?"
"Wir denken nicht das gleiche über Mutter. Euch hat sie geliebt, mich hat sie übergangen. Sie hatte nur Augen für dich und Tjara. Zu mir war sie kalt und herzlos.", Sigurd klang bedrückt.
"Du suhlst dich also in Selbstmitleid?", Ivar sah unseren Bruder belustigt an, "Armer, kleiner Sigurd."
Der Schmied reichte Sigurd die überarbeitete Axt zurück, "Nein, Ivar, ich suhle mich nicht in Selbstmitleid.", Sigurd sah kurz genervt zu mir.
Ich konnte nur ahnen, dass diese Diskussion wieder ausarten würde.
"Ja, ganz Recht, nein, gewiss nicht.", Ivar klang nun sarkastisch und unterdrückte sich ein gehässiges Grinsen.
Schließlich kam Sigurd auf uns zu, "Ich sage dir die Wahrheit. Ich habe guten Grund auf Lagertha nicht zornig zu sein."
"Was bist du nur für ein schlechter...Sohn.", Provokation lag in seiner Stimme.
Ich packte ihn am Arm, um auszudrücken, dass es reichen würde, doch Ivar war so in Fahrt, dass er meine Hand packte und regelrecht wegschleuderte.
"Es ist völlig gleich, wie sie dich behandelt hat, sie war deine Mutter."
"Du hast leicht reden, nicht wahr?"
"Was willst du mir damit sagen?", hakte Ivar nach und sah ihn drohend an.
Sigurd lachte kurz "Was glaubst du denn?"
"Sag du es mir."
Sigurd verschränkte die Arme und sah kurz zu mir und dann wieder zu Ivar, "Wie du willst, Muttersöhnchen. Mutters kleiner Liebling. Gewiss bist du traurig, dass du nicht mehr an ihrer Brust trinken kannst."
Wie aus dem nichts holte Ivar aus, um seine Axt nach Sigurd zu werfen, doch der Schmied, der das ganze Gespräch mitgehört hatte, hielt Ivars Arm letzten Moment fest.
"Wollt ihr euch umbringen?!", schrie ich meine Brüder an, "Reicht es euch nicht, dass Mutter und Vater tot sind?!"
Der Schmied ließ Ivars Arm los.
Meine Brüder sahen mich mit Blicken an, die ausdrückten, dass ich mich nicht einmischen sollte.
"Man sollte kaum glauben, dass ihr Brüder seid.", der Schmied wendete sich von uns ab und Sigurd verließ schließlich die Hütte.
Ich sah zu Ivar, der wutgeladen vor sich hinstarrte und schließlich von seinem Hocker auf den Boden glitt, um die Hütte ebenfalls zu verlassen, "Komm, Schwester.", sagte er schon fast liebevoll.
Stumm folgte ich ihm.
Er kroch mühselig hoch in die Berge und setzte sich auf einen Stein.
Ich tat es ihm gleich und setzte mich neben ihn in das Gras und umschlang meine Beine mit den Armen.
"Wir sind Weisen, Tjara. Mutter und Vater sind beide tot.", er sprach sehr ruhig und sah weit auf das Wasser hinaus, welches man von hier oben noch besser überblicken konnte.
"Vater sagte er könnte in mir seinen Nachfolger sehen. Einen, der von seinen Feinden unterschätzt werden, aber sie alle bezwingen wird."
Ich sah meinen Bruder überrascht und begeistert zugleich an.
"Dich als seinen Nachfolger.", ich nickte zustimmend. Mein Bruder als König, das konnte ich mir sehr gut vorstellen, "Darum willst du Lagertha töten?"
"Nicht nur. Sie hat unsere Mutter getötet. Ich möchte Gerechtigkeit, ganz einfach.", Ivar sah mich nun an, "Du wirst mir helfen und schon bald werde ich alleine über Kattegat herrschen."
"Wenn das der letzte Wunsch unseres Vaters ist, helfe ich dir gerne, Ivar.", ich lächelte ihn kurz an und bekam sogar ein lächeln zurück.
Ich mochte es, wenn er lächelte, es stand ihm sehr, jedoch fand dieses Lächeln eher weniger den Weg auf seine Lippen.
"Doch allererst müssen wir Rache an Aelle und Egbert nehmen.", warf ich ein, "Ich werde kämpfen."
Anschließend sah ich fehlend zu Ivar, "Kannst du mir helfen zu lernen mich besser zu verteidigen?"
"Du willst von deinem Krüppelbruder Hilfe in Anspruch nehmen?", er zog seine Augenbrauen hoch und grinste dann auf seine Art.
Er legte mir seinen Arm um die Schulter, "Natürlich helfe ich dir, wenn das dein Wunsch ist, kleine Schwester."
Ich lächelte ihn freudig an.
Wir saßen noch bis in die späten Abendstunden dort oben und tauschten uns aus, bevor wir zurück in die Hütte kehrten.
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