ungeliebt

Kapitel 22
13 Monate zuvor
Nora erwachte, als der Alarm der Haussicherung ansprang und war kurz versucht einfach im Bett liegen zu bleiben und dümmlich in sich hinein zu grinsen, doch da erhob sich auch schon Alec aus dem Sessel neben ihrem Bett und rüttelte sie an der Schulter.
„Aufstehen Prinzessin, es ist soweit", sagte er und Nora drehte sich zu Alec um, der kein bisschen verschlafen oder auch übermüdet wirkte. Manchmal fragte sie sich wirklich, wie er es schaffte ausgeruht und gleichzeitig so wachsam zu sein. Seit er damals dank der Koordinierung mit seinem Vorhaben sie zu missbrauchen und zu töten scheiterte, war er ihr kaum von der Seite gewichen. Auch nicht in der Nacht. Wie auch heute saß er steht's neben ihrem Bett und machte nicht den Eindruck, als würde er jemals schlafen. Irgendwie gruselig.
Nora erhob sich und zog sich einen dunklen Pulli über, den er ihr reichte. Dann wartete er nur noch bis sie in ihre Schuhe geschlüpft war, bevor er sie mit sich zog. Alec umfasste ihre Hand in einem eisernen Griff, bevor er sich eine Tasche über die Schulter warf und leise ihre Schlafzimmertür öffnete.
Wie sie erwartet hatten, herrschte helle Aufregung im Haus des großen Mafia-Bosses und nur Sekunden nachdem Alec Nora aus dem Zimmer zog, kam es zu den ersten Schüssen.
„Der Code, Nora!", befahl Alec und drängte Nora zu einer kleinen Sicherheitstür, die unauffällig in der Wandverkleidung eingearbeitet war. Der Raum dahinter diente ihr selbst und ihrer Familie als privaten Schutzraum. Und nur diese  kannten den Code. Es ging nicht wirklich darum in den Raum zu gelangen, um in Sicherheit zu sein. Alec und sie planten den Fluchtweg zu nutzen, der an den Raum anschloss und einzig ihnen allein zugänglich war. Natürlich wussten die Angestellten von dem Raum, aber nichts von dem Fluchtweg. Es machte auch keinen guten Eindruck, dass man über eine Fluchtmöglichkeit im Ernstfall verfügte, der nur einem selber vorbehalten war. Und das, während man von den Angestellten verlangte ihr Leben zum Schutz dieses Gebäudes zu lassen. Ein Sicherheitsraum für die Familie aber wurde als clever angesehen, nicht als Feige.
Zumindest hatte sie das gedacht.
Nora tippte die zwölfstellige Zahl ein, die ihr Vater sie im geheimen immer und immer wieder eingebläut hatte. Doch immer wieder wurde ihr gesagt, dass es sich um den falschen handelte. War sie so nervös, dass sie sich andauernd vertippte? Sie versuchte in Ruhe in sich zu gehen und drückte dann wieder nach und nach auf die Tasten, aber der Raum blieb dennoch verschlossen.
„Nora!", fuhr Alec sie ungeduldig an, aber seine Miene wurde sanft, als sie sich zu ihm herumdrehte.
„Nora?", fragte er und als das Wissen sich in ihrem Herzen anreicherte und der Funken der Erkenntnis übersprang, war sie für wenige Sekunden den Tränen nahe.
„Der Raum bietet genug Platz für zwei Personen", flüsterte sie leise und Alec runzelte die Stirn. Das wusste er, denn sie hatte es ihm gesagt. Sie hatte ihm alles erzählt was ihr Vater ihr dazu erklärt hatte. Genug Platz für zwei Personen. Nahrung, Verpflegung, Fluchtmöglichkeit, allerdings nur für zwei Personen. Ihren Vater selbst und das was ihm am liebsten auf der Welt war: Nora. Oder besser: nicht Nora. Denn als ihr Vater ihr den Code gegeben hatte, hatte auch ihre Mutter einen erhalten, einen Falschen um sie nichts ahnen zu lassen, hatte er beteuert.
„Sie betrügt mich und sie schätzt mich nicht. Du bist mein Fleisch und Blut, du bist alles für mich. Deswegen bist du mir das Liebste auf der Welt." Das hatte er ihr gesagt und es wahr wahrscheinlich das gleiche was er ihrer Mutter gesagt hatte, nur das es in dem Fall ihrer Mutter nicht gelogen war. Er liebte Lisa trotz all der Dinge, die sie ihm und seinem Kind antat mehr als Nora. Sein einziges Kind, das er die ganze Zeit verwöhnte. Dieser Dreckskerl! Sie war diejenige, die ihn stolz gemacht hatte! Die brav gewesen war und dennoch...
„Der Dreckskerl, hat mich angelogen. Er liebt sie mehr als mich!", hauchte sie und mit einer unbändigen Wut, pochte sie den Code ihrer bescheuerten Mutter ein. Lisa war das Lernen schwer gefallen und so hatte sie Stunden im Garten verbracht und versucht, diese zwölf Zahlen ohne Hilfsmittel in ihren Kopf zu bekommen. Immer wieder hatte sie die Zahlen vor sich hin gemurmelt und Nora hatte dieses Gemurmel nur einmal hören müssen, um es sich ebenfalls zu merken.
Etwas was ihren Vater sicher wieder stolz gemacht hätte, er gab ja zumindest immer vor, ihre Klugheit zu schätzen. Von wegen! Alec streckte die Hand nach ihr aus und berührte ihre Wange, eine Geste, die sie trösten sollte, aber es tat nur eines: sie und auch ihn ablenken.
Mit einem kräftigen Ruck wurde Alec von ihr weggezogen und gegen die gegenüberliegende Wand des Flures gedrückt. Er kam nicht mal dazu nach einer seiner Waffen zu greifen, als zwei bullige Typen ihn mit Gewalt an der Vertäfelung festhielten und Victorius sich vor Nora schob.
„Hallo, Liebling. Wo wolltet ihr den hin?", fragte der Mann vor ihr und Nora fiel es schwer, weiterhin einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten während der Kampflärm hinter Victorius immer lauter wurde. Wie es aussah hatten die beiden Handlanger, die ihr Verlobter mitgebracht hatte, selbst zu zweit Schwierigkeiten Alec im Schach zu halten. In der Regel kämpfte Alec wie ein tollwütiges Tier. Mehr als einmal hatte sie bei Trainingskämpfen dabei zugesehen, wie er Gegner nicht nur zu Fall brachte: Nein, wie ein Besessener schlug er auf die Männer ein, die ihn herausforderten und er hörte in der Regel nur auf, wenn sein Opfer tot war oder Nora sich einmischte.
„In den Panikraum meines Vaters. Da waren Schüsse und wenn etwas passiert soll ich hier herkommen. Was ist da draußen los? Geht es meinen Eltern gut?", fragte sie eindringlich und etwas überhastet als wäre sie tatsächlich froh ihn zu sehen und verstünde überhaupt nicht, was hier gerade vor sich ging. Victorius liebte ihre Naivität anscheinend und legte ihr eine Hand ans Gesicht, als seine Lippen sich zu einem breiten Lächeln verzogen.
„Keine Angst, Nora. Es ist alles in Ordnung. Dein Vater hat beschlossen, dass du bei mir sicherer bist als in diesem Raum. Es gibt anscheinend einen Verräter hier und wir dürfen kein Risiko eingehen", sagte er und blickte kurz über die Schulter, wo Alec sich einfach nicht geschlagen gab.
„Meinst du Alec?", stellte sie sich dumm, „Aber er ist ein Freund und Dad vertraut ihm!", fuhr sie dazwischen und versuchte auch einen Blick auf ihren Leibwächter zu erhaschen, doch Victorius griff mit beiden Händen nach ihren Armen und hielt sie fest.
„Du bist so hübsch Nora. Emporkömmlinge, wertlose Männer wie er, würde alles tun um ein unbedarftes Mädchen wie dich in die Falle zu locken. Aber keine Angst: Du hast ja jetzt mich", säuselte er versuchsweise zärtlich und so aufdringlich manipulativ, dass ihre eigene manipulative Ader in schallendes Gelächter ausbrach. Hätte das jemand in einem Film gesagt, hätten die Zuschauer sofort gewusst was er dahinter steckte. Victorius selbst schien das aber nicht aufzufallen, denn er beugte sich einfach zu ihr herab und küsste sie.
Nora ließ es geschehen, nutzte den Moment, in dem er sich herunter lehnte, um einen Blick auf Alec zu erhaschen, der für einen Moment erstarrte und dann so plötzlich ausrastete, das einer der Handlanger ihn nicht mehr halten konnte. Alecs Faust knallte dem Mann ins Gesicht, der daraufhin K.O. zu Boden glitt. Dann kam Alec endlich an sein Messer und rammte es den zweiten in die Seite.
Aufgeschreckt von dem Lärm hinter sich, drehte Victorius sich um und konnte nicht weit genug zurückweichen, um Alecs Klinge ganz zu entkommen. Sein Hals wurde aufgeschlitzt und Blut quoll aus der Wunde, auf die er seine Hand drückte.
Dann erschütterte die erste Explosion das Gebäude. Nora erschrak, wunderte sich aber nicht. Im ganzen Haus und auf einen Großteil des Geländes hatte Alec im Laufe der Zeit unglaubliche Mengen an Sprengstoff angebracht, die mit der Alarmanlage des Hauses verbunden waren. Wenn Viktorius wie von dem geheimen Informanten, Alec, empfohlen, seine Männer das Haus stürmen ließ, um mögliche Ersatzeinheiten ihres Vaters auszulöschen und das Gebäude unter Kontrolle zu bekommen, dann würden nach exakt zehn Minuten die Bomben detonieren. Die Erste allerdings nach acht Minuten um für Ablenkung zu sorgen. Für die Nachhut der stürmenden Truppen, die außerhalb des Geschehens geblieben waren, würde eine einzelne Explosion nur ein weiteres Zeichen von Gegenwehr von Noras Vater sein und sie würden hinrennen, um ihre Kameraden zu unterstützen. Bevor sie alle in die Luft gingen.Das bedeutete aber auch, das Alec und sie nur noch zwei Minuten hatten um von hier zu verschwinden.
Das war auch ihm klar, denn Alec kümmerte sich nicht um den stark blutenden Victorius obwohl Mordlust in seinen Augen glitzerte. Stattdessen zog er Nora in den Panikraum, schloss die Tür hinter sich um einer Verfolgung zu entgegen und sie nahmen den in den Boden eingelassenen Fluchttunnel, auf dessen anderer Seite ein Wagen wartete, der eigentlich für Noras Vater und ihre Mutter gedacht war. Aber die würden hier drinnen sterben und das war der glücklichste Tag ihres Lebens.

Beta: MrsGeany

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