Kostbarkeiten
Kapitel 7
3 Jahre zuvor
Nora hasste den Lateinunterricht. Für sie gab es kein anderes Fach, das sie als nutzloser betrachtete als das, in dem sie eine tote Sprache lernte, die sie nie brauchen würde. Sie legte keinen Wert auf Prestige trächtiges Wissen, dass nur von Angebern wiedergegeben wird, auch wenn ihr Vater anderer Meinung war.
Nichts war wichtiger als der Schein.
Das sagte ihr Vater andauernd, der sein Haus mit Kunstwerken, Antiquitäten und Büchern füllte, die er weder las noch wertschätzte. Es waren Attrappen. Platziert um eine Fassade zu erschaffen, die ihn besser dastehen lassen sollte. Er wollte als Mann mit guten Geschmack gelten und dabei verlor er langsam aus den Augen worauf seine Macht gründete.Respekt.Ihr Vater war gefürchtet und gehasst. Für einen Waffenhändler war Ersteres ein Vorteil und Letzteres wohl unvermeidlich. Aber es war auch die Grundlage für alles andere. Die Männer um ihn herum waren nicht nur wegen des Geldes hier. Es waren exzellente Soldaten und Söldner. Gut verdienen konnten sie auch bei jemand anderen. Sie waren hier, weil sie glaubten einem mächtigen Mann zu dienen und dieser ließ seine Machtbasis bröckeln.Sie hatte es bereits als Kind erkannt: Es würde nicht mehr lange gut gehen und wenn sich das Blatt wendetet, brauchte sie jemanden, der sie aus der Schusslinie brachte.
„Miss Clay? Wenn sie Hilfe bei der Textstelle benötigen, müssen Sie es nur sagen", zog ihr Lateinlehrer, mit seinem schweren europäischen Akzent sie aus ihren Gedanken. Ihr Blick, der die ganze Zeit auf die Abfolge lateinischer Worte gerichtet war, ohne sie wahrzunehmen, hob sich.
Samuel Diaz, war ein junger motivierter Mann, der sich von dem Schein ihres Vaters hatte blenden lassen. Er war eine künstlerische Seele und als Magnus Clay ihn auf seine Residenz in Mexiko einlud, um seine Tochter zu unterrichten, hatte er nicht gewusst, wen er da vor sich hatte. Er hatte Schwierigkeiten gehabt es zu akzeptieren und war beinahe vor Angst gestorben. In ihren ersten Unterrichtsstunden, hatte er immer einen halben Nervenzusammenbruch gehabt, wenn er Alec begegnet war.
Jetzt schien er sich an die große, breitschultrige männliche Gestalt, die stehts wie ein Schatten hinter seiner Schülerin aufragte gewöhnt zu haben.
„Tut mir leid. Ich bin abgelenkt wegen der Feier", log sie freimütig und so süß, dass es Samuel eine leichte Röte auf die Wange trieb. Er war nicht wirklich an ihr interessiert, er würde der Tochter eines Mafiabosses niemals zu nahe kommen, aber ihre äußere Erscheinung ließ ihn auch nicht kalt.Nora war schön geworden. Mit ihren nun sechzehn Jahren hatte sie neben eine größere Oberweite und einer schlanken Figur auch noch die hohen Wagenknochen und die großen Augen ihrer Mutter zu bieten. Augen, die in dem intensiven dunklen blau ihres Vaters erstrahlten. Zusammen mit ihren dunklen Haaren und den bronzefarbenen Ton ihrer Haut, war sie so schön wie man es als Tochter eines ehemaligen Models nur sein konnte.
„Das verstehe ich. Sechzehn ist ein schönes Alter aber Geburtstag hin oder her, Miss Clay. Noch haben Sie Unterricht." Nora hob verwundert eine dunkle Augenbraue nach oben, solche Worte hätte sie nie von Samuel erwartet. Er war sich seiner Lehrerposition ihr gegenüber sehr wohl bewusst. Und sie gefiel ihm.
„Selbstverständlich", lenkte sie ein ohne sich tatsächlich unterlegen zu fühlen. Sie fühlte sich niemandem gegenüber unterlegen auch ihrem Vater nicht, wenn sie ehrlich war ... fühlte sie allgemein sehr wenig. So war es immer gewesen und vor einigen Monaten hatte sie auch erfahren, woran das lag. Sie hatte im Rahmen ihres Biologieunterrichts auch eine Einführung in die Psychologie gehabt und wusste, dass diese fast ständige innere Kälte nicht normal und ein eindeutiges Zeichen für Psychopathie war. Eine antrainierte Psychopathie, was angesichts ihrer häufigen Konfrontation mit Folter und Grausamkeit jeder Art, seit ihren frühesten Kindheitsjahren, wohl dann doch wieder normal schien
Ob die Tatsache etwas änderte, dass sie nun wusste was mit ihr nicht stimmte und warum?
Nein.
Es änderte gar nichts, bis darauf, dass sie aufhörte sich zu fragen, warum Menschen sich manchmal so viel dümmer verhielten als sie selbst.
Sie beendete den Unterricht und ließ ihren Hefter auf den Tisch im Arbeitszimmer, in dem sie immer Unterrichtet wurde, liegen.
„Dein Vater will dich sehen", hauchte eine dunkle, maskuline Stimme ihr entgegen und als Nora sich umdrehte begegnete sie den kalten Gesichtsausdruck von Alec. Seine Gegenwart jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Selbst nach all der Zeit, in der sie Gelegenheit gehabt hatte sich an ihn zu gewöhnen, schien ihr Körper immer außer sich zu sein wenn sie ihn sah.Er war mittlerweile mit Abstand der attraktivste Mann in dem ganzen Anwesen und ihr war sehr wohl bewusst, dass er das schamlos ausnutzte, um zu bekommen, was er wollte. Sex. Harten, unnachgiebigen und schmutzigen Sex. Er hatte so einige der weiblichen Angestellten verführt und sie dafür büßen lassen, dass sie so dumm gewesen waren, sich auf ihn einzulassen. Sogar ihr Vater hatte sich bereits besorgt über seine Vorlieben gezeigt und Nora hatte ihn nur beruhigen können, als sie ihm versicherte, dass Alec sich ihr niemals unsittlich genähert hatte.
Er war sechs Jahre älter als sie und Noras mangelndes Interesse an Männern, schien Magnus davon überzeugt zu haben, dass Alec keine Gefahr für seine Tochter darstellte. Doch das entsprach nicht wirklich der Wahrheit. Gerade in diesem Augenblick wurde Nora wieder bewusst, wie sehr Alec sie eigentlich wollte.Seine Augen waren kalt, weil sie einfach immer kalt waren, aber da war noch mehr. Ein dunkles, angsteinflößendes Leuchten, das auch in ihr etwas auslöste: Sehnsucht, nach der Sicherheit, die ihr seine gnadenlose Gewalt bieten könnte. Er war ihre Rettungsleine, ein Trumpf in ihrem Ärmel, den sie nicht gerne ausspielen würde. Seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, ihn anzuflehen sie zu retten, würde sie gleichzeitig zu einer Gefangenen machen und sie konnte an den Blessuren seiner Verflossenen sehen, was dann mit ihr geschehen würde. Es sei denn sie schaffte es ihn bis dahin dazuzubringen sie besser zu behandeln. Ein Spiel mit dem Feuer, an dem sie sich definitiv verbrennen würde. Auf die eine oder andere Art.
„Weißt du was er von mir will?", fragte Nora und wandte sich ohne eine sichtliche Reaktion auf seine Nähe, von ihm ab.
„Das wird sich..."„Miss Clay? Darf ich Sie noch einmal kurz sprechen?", hielt Samuel sie auf und Nora kramte ihr symphatisches Lächeln hervor.
„Sicherlich. Alec, bitte sag meinen Vater, ich komme gleich." Für einen kurzen Augenblick warf Alec einen Blick über sie hinweg, musterte Samuel und stellte sicherlich zum hundertsten Mal fest, dass von dem Lateinlehrer keinerlei Gefahr für Nora ausging. Dennoch verdüsterte sich seine Miene noch etwas weiter und Nora wusste sofort, dass er sich nicht wegschicken lassen würde.„Ich warte vor der Tür", knurrte er trocken und schloss die Tür zum Arbeitszimmer, als er ging. Nora wandte sich an ihren Lehrer
.„Ja, bitte?", hauchte sie in vollendeter Höflichkeit und mit einem leicht verlegenen, aber dennoch entschiedenen Ausdruck auf dem Gesicht, überreichte Samuel ihr ein Päckchen. Es war kaum so groß wie ihre Handfläche und war mit einer ungeschickt gebundenen Schleife verziert, die Nora verriet, dass er es selbst eingepackt hatte.
„Es ist vielleicht nicht angebracht, Ihnen etwas zu schenken vor allem da ich nicht genau weiß, was man einem Mädchen schenken sollte, die alles besitzt was sie sich wünscht. Ich hoffe dennoch es gefällt Ihnen." Nora starrte auf das kleine Geburtstagsgeschenk in ihrer Hand und zögerte einen Moment bevor sie nach dem Band griff und daran zog.
Samuel lächelte gespannt, als sie den kleinen Deckel hob und sie den Stein in einem Bett aus Satin betrachtete. Ein Bernstein, geschliffen wie ein Opal und in dessen Mitte war ein winziger Schmetterling auf ewig gefangen. Er war außergewöhnlich, besaß merkwürdig Oval geformte sechs geteilte Flügel, die in einem eigenartigen Violet schimmerten.Sie wusste, dass sie freuen sollte, doch anstatt sich an diese Höflichkeit zu erinnern ratterte ihr rationaler Verstand.
„Diese Spezies habe ich noch nie gesehen", murmelte sie, vollkommen unfähig dazu so etwas wie Dank tatsächlich zu empfinden, auch wenn sie in der Lage war glaubhaft zu lächeln und sogar charmant zu sein.
„Oh, das glaube ich gerne. Er hat nur für eine kurze Epoche existiert. Eine Mutation, die sich nicht durchgesetzt hat, aber außergewöhnlich und wunderschön." Die letzten Worte hauchte er lediglich und betrachtete aufmerksam ihr Gesicht, als hätte er nicht von dem Stein, sondern von ihr geredet. Nora sah zu ihm auf. Er war nicht unattraktiv mit diesem klugen Lächeln und den stets verwuschelten dunkelblondem Haar. Er besaß ein freundliches Gesicht und Nora wurde klar, dass sie ihn sicherlich als ihren Ersten auserwählt hätte, hätte sie ihre Unschuld nicht schon einem Monster versprochen. Ihn zu verführen wäre ein leichtes gewesen.
„Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann, er scheint kostbar zu sein."
„Darum geht es doch bei Geschenken, oder nicht?", hauchte er süßlich und für einen kurzen Augenblick berührte er zärtlich ihre Wange. Dann trat er zurück und räumte seine Notizen ein.„Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei ihrem Geburtstag, Miss Clay. Wir sehen uns am Freitag wieder." Nora sah ihm eine Weile dabei zu, wie er seine typische Lehrertasche zusammen packte, als ihr wieder einfiel, was sie tun sollte.
„Vielen Dank, Mister Diaz", hauchte sie und lächelte ihn wieder an. Er betrachtete sie lange, zu lange um sein Interesse nicht offensichtlich zu machen. Sie wollte diese alberne Schwärmerei nicht weiter unterstützen und wandte sich deshalb ruckartig um.
Alec stand in der Tür.
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