Kapitel 3
Ich fragte mich, warum ich hier war, wo es doch eigentlich so eindeutig war. Ich hatte immer noch nicht mein Notitzbuch wieder und Lewi und meine Mutter hatten ihre Gespräche in unser Haus verschoben, weil es ihnen zu sehr zog.
Das kleine, ledergebunde Buch war wieder in meinen Besitz und ich freute mich. Ich mochte es, meine Gedanken aufzuschreiben und, dass ich es gestern Abend nicht hatte, hatte mich meinen Schlaf gekostet. Meine Mutter meinte einmal, ich würde zu viel nachdenken. Ich wusste nicht ob ich ihr rechtgeben sollte, aber damals hatte ich ihr vehment widerspochen.
Es war Silvester gewesen. Erwachsene hatten Knicklichter verteilt und ein Mädchen hatte, im Gegensatz zu mir, keins bekommen. Ihr trauriges Gesicht ging mir den ganzen Abend nicht mehr aus dem Kopf und irgendwann ging ich zu ihr und gab ihr meins. Als meine Mutter mich darauf fragte, ob ich es verloren hatte, schüttelte ich den Kopf und zeigte auf das Mädchen. Sie lächelte kopfschüttelnd und beugte sich zu mir herunter. ,,Das war sehr nett und toll von dir, Rosie.", flüsterte sie. ,,Aber jetzt hast du doch keins mehr."
Die Bedeutsamkeit ihrer Worte wurde mir erst mit den Jahren klar, aber danach würde ich sie nie wieder vergessen können. Sie beschäftigten mich und waren der erste Eintrag in dem Buch, was mein Herz offenbarte. Der kaputte Rücken und die eingerissenen Seiten waren ein Zeichen davon, wie abgenutzt und alt es war und ich hatte nie vergessen, dass es das einzige ist, was ich von meinen Vater noch hatte. Auch wenn er ein beschissener Arsch war, der keinen von meinen Gedanken verdient hatte, kriegte ich es damals nicht über mein Herz, das Buch zu verbrennen. Zig Einträge handelten von ihm und insgeheim hoffte ich, er würde sie irgendwann lesen und vor Schuldgewissen sterben.
Ich setze mich in den Schaukelstuhl, winkelte mein Knie an und stütze mein Kinn ab. Es war ruhig und ich genoss die Stille. Der Laden war klein und überfüllt und roch alt und abgestanden. Die Wände waren verziert mit hunderten Bildern, alle in verschiedenen Rahmen und alle mit unterschiedlichen Bildern.Auf der rechten Seite war ein riesiger Schrank in dem Teller und Tassen mit den verschiedensten Verzierungen standen und die große Kuckuksuhr machte komische Geräusche. Ich stand auf und guckte mir die Bilder an.
Gunnar war schon immer ein Familienmensch gewesen. Sie bedeutete ihm mehr als alles andere, trotzdem hatte ich nie gewusst, dass er einen Sohn gehabt hatte. Es musste schmerzlich gewesen sein und ich verzog das Gesicht.
Die Luft veränderte sich in dem Moment, als er eintrat. Ein Luftböhe kam mit ihm in den Laden und wirbelte die Partikelchen auf. Erschrocken drehte ich mich und sah den Jungen, der mich zu verfolgen schien. Auch er schien erstaunt und stellte langsam seine Tasche ab, die er in der Hand hielt. Peinliche Stille. ,,Guten Tag, ich bin Louis Tomlinson."
Er überwand den Abstand und hielt mir seine Hand hin. Ich drehte meinen Kopf schnell und fummelte nervös an den Ärmeln meines Pullovers. Er guckte mich weiter vewirrt an, ließ dann aber ab. Nein, er redete einfach weiter. ,,Bist du nicht das Mädchen, was mich umgerannt hat?"
Empört drehte ich mich um. Ich? Er hatte mich doch umgerannt, um Gottes Willen was fiel ihm ein, mir die Schuld zu geben? Er zwinkerte mir zu und ich war mir sicher, dass er mich provozieren wollte. ,,Na Babe, wolltest du mich unbedingt sehen, oder warum bist du hier? Ich weiß ich bin sexy, aber das wäre doch nicht nötig."
Mein Mund klappte auf, er fing an zu lachen. ,,Spaß, nimm das nicht ernst. Natürlich darfst du hier sein, jeder Chef braucht doch ein paar sexy Angestellte, oder?"
Er hatte wirklich den Laden gekauft. Der Grund, weshalb Lewi ausgeflippt und er geweint hatte.
Am liebsten wollte ich mich ein paarmal um mich selbst drehen, um zu gucken, ob irgendwo eine versteckte Kamera war, aber das würde komisch aussehen und so stand ich einfach nur da und sagte nichts. Wie immer.
,,Nicht sehr gesprächig, was? Macht nichts, wir sind ja auch nicht bei einem Kaffeepläuschen. Außerdem mag ich auch viel lieber Tee, statt diesen ekeligen Geschmack von schwarzer Brühe. Und der Geruch erst. Grausig. Wenn es draußen regnet und man dann im Bett sitzt und Tee trinkt, ist es das beste, was einem passieren kann."
Ich liebte Kaffee. Ich versuchte ihn zu ignorieren und schaltete die Musik lauter.
Mit einer ausladenen Geste fegte er die Gegenstände, die auf der Theke standen, runter und stellte seine Tasche drauf. Erst dann sah er sich an, was auf dem Boden lag. Auch wenn ich gehen wollte, interessierte es mich zu sehr. Die alte Kaffeemachine klackerte, als ich sie anschaltete und aus reiner Provokation eine ganze Kanne tief schwarzen Kaffee zubereitete.
Er nahm es war und ich zwinkerte ihn an. ,,Wow, du willst aber viel Kaffee trinken. Wenn sich deine Zähne irgendwann verfärben, heul dich aber bitte nicht bei mir aus, ok?"
Ich fing an zu lachen, es platzte einfach aus mir heraus und ich nickte. Nichts so als wenn Tee besser wäre. ,,Gut. Weißt du was? Wenn wir wieder eröffnen, dann kannst du ganz viel Kaffee machen und dann verteilen wir ihn zusammen an alle Leute aus dem Kaff. Das geht klar, Tee wäre viel zu kostbar für sowas.", fuhr er fort, nicht abwendend von den Sachen, die vor ihm auf dem Boden lagen. Einen Bilderahmen stellte er wieder auf, dann verschärfte er seinen Blick auf die anderen antiken Waren und inspizierte einen Schrank.
Perplex nickte ich und machte unauffällig die Musik wieder leiser. Ich hoffte er bekam es nicht mit, aber ich war mir sicher, er würde auch so einfach weiter reden. Der Junge, der sich mir offenbarte, war so anders als gestern Abend und mir kam der Gedanke, das er garnicht wusste, das ich alles mitbekommen hatte. Würde er sich dann anders verhalten?
Er stemmte seine Hände in die Hüfte. ,,Fuck, dieser Laden ist so runtergekommen. Wo sollen wir anfangen, unbekannte Schöne?"
Wartend auf eine Antwort sah er mich an und ich zuckte mit den Schulter. Er konnte noch nicht lange hier sein, sonst wüsste er, das ich nicht reden kann. Ich genoss es. Das Gefühl durchströmte meinen Körper und ließ ihn kribbeln. Er fand mich hübsch.
,,Die Scheibe muss unbedingt geputzt werden, aber weißt du was, das machen wir zum Schluss. Der Dreck ist praktisch wie eine Schutzmantel und wenn wir sie entfernen und alle Leute sehen, was wir gemacht haben, sind sie viel geschockter, als wenn sie jeden Schritt mitbekommen hätten. Das wird die Offenbarung." Er reckte seine Arme und den Kopf zum Himmel.
Er war sich bewusst, dass er was leisten musste und er wollte es perfekt inszenieren. Ob ich das mitspielen wollte, wusste ich noch nicht, aber bis jetzt war ja noch nichts entschieden, auch wenn er im Plural redete. Ich könnte einfach gehen, aber ich wollte wissen was er als nächstes sagte.
,,Weißt du was, Babe? Wir fangen von hinten an. Wir machen das was man als letztes macht als erstes. Wir räumen erst die Sachen ordentlich ins Regal, dann misten wir sie aus und dann streichen wir die Wände, während wir Musik hören. Und dann schreit jeder "HALLELOUIS!" und will was von deinem Kaffee."
Ich lächelte ihn an und zog meine Kopfhörer raus.
,,Das ist schon irgendwie dumm. Aber was ist schon dumm, ich meine das wurde ja nie richtig definiert. Also scheiß drauf, Miss Ich-renne-dich-um-und-entschuldige-mich-nicht und ich machen das schon."
Er lächelte und ich fragte mich, ob er es auch tun würde, wenn er weiß, dass er niemals eine Antwort auf all die retorisch anhörenden Fragen bekommen würde. Menschen sind häufig nur so lange nett, bis sie deine Schwächen und Fehler kennen und mein Gefühl sagte mir, dass ich seine Reaktion nicht einschätzen könnte. Ich trank einen Schluck von dem Kaffee und er verzog das Gesicht. ,,Der Geruch ist so wiederlich. Es riecht so bitter."
Ich hielt ihm meine Tasse hin und er nahm einen Schluck. Gespielt würgend fiel er auf den Boden. ,,Du musst krank sein, dass du sowas freiwillig trinkst. Oder deine Geschmacksknospen müssen gekündigt haben."
Ich streckte ihm meine Zunge raus und bereute sofort darauf die kindliche Geste. Seine Augen strahlten. Er trug ein einfaches Shirt und Jeans und schaffte es, gut auszusehen. Seine braunen Haare waren verwuschelt und standen zu allen Seiten ab, ein paar Ketten klirrten um seinen Hals und auch etliche Armbänder zierten sein Handgelenk. Ich schaute an mir herunter.
,,Ich steh auf deinen Pullover.", sagte er plötzlich. Ich zuckte mit den Schulter. Ich hatte mir heute morgen den ersten genommen, der mir zwischen meine Finger gekommen war- hauptsache er hatte eine Kapuze. Er wollte mit seinen Finger die Schrift nachfahren, aber ich zuckte zurück. Er sah mich an. ,,Sorry."
Er versuchte abzulenken. ,,Wie heißt du eigentlich? Du siehst aus eine Creta. Oder Maya."
Ach du meine Güte, wenn diese Namen mein äußeres wiederspiegelten musste ich dringend duschen. Ich schüttelte entsetzt den Kopf und er lachte. ,,Ich finde es heraus, vertrau mir."
Sein Blick wanderte auf die Wand neben mir, an dem die vielen Bilder hängen und ich nahm kaum merkbar war, wie er seinen Kopf etwas hob. Ich weiß nicht, was er mit diesem Laden verbindet, aber ich nehme an, es ist eine Menge. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Mir fiel mein Notitzbuch wieder ein und ich ließ den Kugelschreiber schneller als meine Hand mitkam, über das Papier gleiten. Erst nach einer Weile merkte ich, dass er mich beobachtete und im Schneidersitz genau vor mir auf den Boden saß, seinen Blick von der Bildersammlung abgewandt.
,,Was schreibst du da auf? Dass ich sexy bin? Unwiderstehlich? Da kannst du mir auch so sagen, musst nicht extra ein Buch für mich schreiben."
Ich verdrehte die Augen und er stupste mein Knie an. ,,Zeig doch mal, Baby."
Der Strich ging über das ganze Blatt, als mein Stift ansetze und er gleichzeitig das Buch wegzog. Ich sprang auf und wollte es ihm entnehmen, doch er hielt es zu hoch und ich verfluchte meine geringe Größe mehr als je zuvor. Ich war vielleicht eine halbe Stunde hier und er ging mir auf die Nerven.
Ich streckte mich und versuchte dran zu kommen, ich fand das alles andere als lustig. Es machte mich wütend und er hatte grade seinen kompletten guten Eindruck zerstört. Er versuchte zu lesen, was ich geschrieben hatte, aber ich winkelte blitzschnell mein Knie an und rammte es ihm in seine Kronjuwelen. Er jaulte auf vor Schmerz und krümmte sich. Sein Gesicht verzog sich elendig und ich zuckte mit den Schultern. Ich entriss ihm das Buch und wollte gehen, doch er klammerte sich an mein Bein und ich versuchte, mich aus seinem Klammergriff zu befreien.
Das wurde mir zu doof. Er sollte mich verdammt noch mal loslassen. ,,Du hast Temperament, Babe. Gefällt mir und meine Güte, komm runter. Ich wollte doch nur wissen wie du reagierst, deine Krakelschrift könnte ich ja selbst wenn ich wollte nicht lesen."
Er zischte es mehr als dass er es sagte und ich grinste. Selbst Schuld.
,,Ich wollte dir doch nur meine Nummer notieren, Baby. Autsch, also diese Tritte musst du dir wirklich abgewöhnen. Stell dir vor, ich will irgendwann Kinder bekommen und dann kann ich das nicht mehr, wegen dir und dann muss ich das meiner Frau schonend beibringen und dann müssen wir zur Samenbank und ihh, stell dir das mal vor."
Was laberte der Junge eigentlich für eine Scheiße?
,,Kommst du morgen wieder? Wir müssen doch die Wahrnehmung und Zähne jeglicher Leute in Henley ändern. Und tut mir leid wegen dem Buch..- ok, nein, eigentlich nicht. Dein Knie hat meine Eier berührt, das ist mehr als ich je erwartetet hätte. Ich danke dir, Unbekannte Schöne."
Und während ich ihn so perplex anstarrte nahm er meine Hand und schrieb seine Nummer auf. ,,Wir ignorieren die "Drei-Tage-Regel" und du schreibst mich an. Ich würde das ja wirklich gerne machen, aber ich habe deine Nummer nicht. Verzeihe mir."
Ich verdrehte die Augen, dann verließ ich den Laden und ließ ihn zappeln. Ich wusste nicht was ich von ihm halten sollte. In einem Moment wirkte er nett, dann wieder arrogant. Was mir aber am meisten Sorgen machte, war ich. Denn er verwirrte mich so, dass ich nicht mehr wusste, was mein erster Eindruck von ihm war.
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