Kapitel 14
Wie wäre es mit einem Fliegengitter vor dem Fenster. Etwas, mit dem man nicht von surrenden Fliegen oder stechenden Mücken geweckt wird.
Meine Augen brannten und ich schloss sie wieder. Ich hörte meine Mutter unten in der Küche. Kurz überlegte ich, ob die letzte Nacht ein Traum war. Viele meiner Kindheitserinnerungen verschmolzen in der Grenze und bei einigen wusste ich nicht, ob sie wirklich passiert waren.
Ich tapste nach unten und Mum schloss mich in die Arme.
,,Ich hoffe du hast gut geschlafen, Liebling.", sagte sie und reichte mir ein Brot und ein Glas Orangensaft.
Ich nickte, auch wenn es nicht er Fall war, und ging die Post holen. Ich nahm ein paar Werbeanzeigen und einen dicken Umschlag heraus und ging wieder in die Küche. Sie riss mir alles aus den Händen und ich wurde kritisch. Warum wirkte sie so nervös?
,,Ich muss schnell die Sonderangebote checken!", erklärte sie. Ich aß und ging wieder nach oben und las. Ich hörte sie von unten schreien: ,, Rose?", rief sie. ,,Wo kommt das her?"
Verwirrt ging ich nach unten. Mein Herz stockte kurz, als ich sah, das die Tasche mit Lebensmitteln, die ich fallen gelassen hatte, in unserem Flur stand. ,,Hier ist eine Karte.", sagte Mum. Sie hielt sie mit entgegen. ,,Wer ist Augustus Waters?"
Ich riss ihr die Karte aus der Hand. ,,Und warum hat er dir orangene Tulpen geschenkt?" Sie guckte mich argwöhnisch an. ,,Und warum grinst du so? Und wie hat dieser Augustus Waters gewusst, was du an diesem Tag eingekauft hast? Und das ist unsere Tasche! Er muss dir hinterher gegangen sein."
Ich musste aussehen wie ein Honigkuchenpferd. Erst jetzt las ich die Karte.
Weil ich kein weißes Pferd habe...
Augustus Waters
Ich umschloss die Nachricht fester und stürmte in mein Fenster. Sie war von Louis, daran gab es keinen Zweifel. Unglaublich, wie gut er mich kannte, wo ich doch das Gefühl hatte, ich wüsste nichts von ihm. Ich packte The Fault in Our Stars und riss es unter dem Bücherstapel hervor.
Ich vesuchte seine Nachricht zu analysieren. Mittlerweile war mir bewusst, dass er gelogen hatte, als er sagte, er mag keine Bücher. Es war ziemlich sicher ein Test gewesen. Er verglich sich mit Augustus Waters... er war intelligent und lustig. Ich hoffe er hat keinen Krebs. Er wusste, dass ich keine Prinzessin sein wollte, ich wollte kein Schloss oder eine weiße Kutsche, ich wollte jemanden, der die Zeit für mich anhielt. Mit dem ich bis tief in die Nacht diskutieren konnte und der mich alles vergessen ließ.
So stand es in meinem Tagebuch, so hatte ich es aufgeschrieben als ich weinend nicht einschlafen konnte und ich das Gefühl hatte, kein Mensch auf der Welt würde mich verstehen.
Gus zeigt Hazel, dass das Leben schön ist.
Ich drückte den Zettel fest an mich.
Es war wie eine Antwort auf meine nächtlichen Gedanken. Vielleicht weil ich ihn entblockiert habe. In meinem Kopf wurden Gedanken zur Seite gestoßen und einer trat hervor. Die anderen schrien auf ihn ein, das er eingebildet und dumm wäre, aber er ließ sich nicht beirren. Er vermisste mich auch.
Soll ich ihm schreiben? Nein. Dafür ist er zu schlau. Ich änderte mein Profilbild in einen Sketch einer Zigarettenschachtel und ging wieder offline. Bleibt zu schauen wie er darauf reagiert...
Ich verbrachte den ganze Tag damit, erst den Film zu schauen und dann das Buch zu lesen. Ich ignorierte das kurze Geschrei meiner Mutter, aß Pizza und hatte den ganzen Tag einen irren Gesichtsausdruck.
Es war verrückt, wie mich etwas so glücklich machen sollte. Ich hatte Stunden wegen ihm geweint. Das durfte ich nicht vergessen.
Mum kam zu mir ins Zimmer und stämmte die Hände in die Hüfte. ,,Willst du den ganzen Tag im Zimmer verbringen? Ich hätte einen Vorschlag für dich." Ich verdrehte die Augen und sie lächelte gönnerhaft. ,,Übermorgen fängt die Schule wieder an. Willst du dich auf sie vorbereiten, oder mit zu Lewi kommen?"
Ich schüttelte den Kopf und legte mich hin. ,,Du kannst nicht immer nur im Zimmer bleiben."
Das war lustig. Sie sah doch das ich es kannte. Am liebsten würde ich sie daran erinnern, dass sie nach unserem Mädchen-Abend den ganzen Tag gestöhnte hatte und im abgedunkeltem Zimmer gelegen hatte, bei jedem Laut zusammenzuckte und mich anschrie, weil der Geruch von Essen ihr Übelkeit brachte. Das war ein ruhiger Tag gewesen.
Lewi war für mich echt schrecklich geworden. Mir war nie aufgefallen, wie sehr ich sie verabscheute, bis es Gunnar nicht mehr gab. Sie hatte zu breite Augenbrauen für solch ein dünnes, viel zu braun gebranntes Gesicht und zu dünne Lippen für die vielen Zähne. Mum meinte mal, als Jugendliche sah sie echt gut aus, aber ich konnte mir das nicht vorstellen. Gunnar dagegen sah so freundlich und nett aus, Louis musste neunzig Prozent nach ihm kommen.
Den Gedanken fand ich lustig.
Mum stand immer noch an der selben Stelle, an der selben Position, mit dem selben Gesichtsausdruck. ,,Du könntest natürlich auch deinem Jobangebot nachgehen... aber das hast du verpasst. Also, Lewi oder Schule."
Ich schnappte mir ein Lernbuch und zeigte es ihr. ,,Wow, du musst sie sehr hassen." Sie setze sich zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange. ,,Du weißt, warum ich zu Lewi muss, oder?"
Ich nickte. Sie haben uns geholfen, als wir ganz alleine waren...
,,Wir waren nie alleine. Der heilige Geist ist immer bei uns. Aber, ja, sie haben uns geholfen."
Gunnar hat mich erzogen. Hat mit mir gebacken, war freundlich und hat mit mir fangen gespielt. Ich liebe Gunnar. Er war wie ein Vater gewesen. Und er war Louis Vater. Der perverse Gedanke, wir wären etwas wie Geschwister, durchzuckte mich.
,,Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst. Louis ist nicht da, falls dir das Sorgen macht."
Haha. Hahahahahahahahaha. Sie hatte mal wieder keinen Durchblick.
Sie sah nicht das wesentliche; ich hatte nicht Angst vor Louis, sondern vor dem, was Lewi über ihn erzählte. Ich scheuchte sie weg, als Geste, sie solle gehen und sobald sie weg war, schleuderte ich das Mathebuch weg und machte die Musik an.
Ich schloss die Augen und malte mir Sachen. In einem Moment war ich eine berühmte Tänzerin, dann war ich eine erfolgreiche Autorin die ihr erstes Buch veröffentlicht hat und von Kritikern gelobt wird. Eventuell bin ich auch eine Schauspielerin. Ich würde den Stumm-Film wieder in Mode bringen und auf der ganzen Welt gefeiert werden.
Verschiedene Dinge machten verschiedene Menschen glücklich. Bei den meisten, die ich von Twitter kannte, war es die Musik. Aber mich erfüllte nichts so sehr wie ein gutes Buch und ich konnte mir nichts schöneres Vorstellen, als dieses Gefühl bei anderen auszulösen.
Als ich sah, das ich eine Nachricht auf meinem Handy hatte, dachte ich erst es war Louis, aber es war Louise aus meiner Klasse, die voller Panik fragte, ob wir Aufgaben über die Ferien aufbekommen hätten. Oh. Die muss ich ja auch noch machen. Lästige Angewohnheit; alles immer bis auf die letzte Sekunde aufschieben.
Die Nacht verbrachte ich mit Orange is the new Black und googlte anschließend, ob Isolationshaft auch wirklich legal war, weil ich diese Methoden nur aus der Nazi-Zeit und Hitler kannte.
Monate in einem Raum mit nichts? Ohne nichts? Was ist nichts? Ist das überhaupt menschengerecht?
Warum bekommt ein Vergewaltiger weniger Jahre als jemand, der Musik illegal downloadet? Warum zum Teufel bringen Mitschnitte großer Kinofilme mehr Jahre hinter Gitter, als das Vergehen an einem Schulkind?
Ich klappte den Computer zu, legte ihn beiseite. Ich weiß warum Louis Gus genommen hat. Weil er genau weiß, dass ich wie Augustus bin.
Ich bin Augustus. Und wenn ich nicht aufpasse, sterbe ich.
***
Heute morgen klebte ein Zettel an meinem Fenster. Ich hatte bereits verschlafen und so haderte ich - zu spät zur Schule kommen und die Nachricht lesen oder schnell den Bus erwischen und heute Nachmittag schauen, was drauf steht?
Ich entschied mich für das erstere. Ich war von Natur aus Neugierig und mit dem Wissen, ich hätte nicht geguckt, könnte ich nicht im Unterricht sitzen und lernen. Ich machte das Fenster auf und riss es ab. Es war gefüllt, es erinnerte eher an ein kleines Paket, ich war viel vorsichtiger beim aufmachen. Ein USB-Stick purzelte heraus und landete auf meinem Bett, ein Zettel folgte und segelte langsam auf den Boden.
Liebe Rose,
meine Lieblingslieder, für dich zusammengestellt, damit du in der Schule nicht durchdrehst. Lad sie auf deinen Computer und dann auf deinen IPod.
Louis
PS; DU KOMMST ZU SPÄT ZUR SCHULE, SCHWING DEINEN KNACKIGEN ARSCH AUF UND RENN UM DEIN LEBEN
Ich schmunzelte über den Witz am Ende, dann sah ich auf die Uhr und wurde kreidebleich. Fuck! Ich schnappte mir eine Tasche, schmiss den Stick hinein, rannte nach unten und ließ einen Apfel folgen, rannte wieder nach oben und putze mir die Zähne, während ich mir Schuhe anzog und dann das Haus verließ. Die Zahnbürste ließ ich auf dem Boden liegen, nahm meine Beine in die Hand und rannte los. Fünf Minuten hielt ich die Spitzengeschwindigkeit durch, dann hatte ich so heftige Schnappatmung das ich stehen bleiben musste um durchzuatmen. Wenn ich diesen Weg nicht durchhielt, wie sollte das dann in der Schule werden?
Ohne groß zu überlegen setzte ich mich einfach auf den Asphalt. Ich würde zu spät kommen. Es machte nichts, ob eine halbe Stunde oder den ganzen Tag. Ich könnte mir einen schönen Tag machen, mit Louis's Musik an die Klippe gehen und lesen... ich dachte an unseren Lieblingsort ohne zusammen zu zucken. Ich wollte mich wieder mit ihm vertragen.
Ich blinzelte in die Sonne. Es war noch früh am morgen, aber man konnte sehen, dass es ein wunderschöner Tag werden würde. Vertragen... vertragen war das falsche Wort, den wir hatten uns nie gestritten. Ich hatte mich mit mir gestritten, hatte mir Vorwürfe an meine naive Seite gemacht, hatte innerlich geschrien... aber wir hatten uns nie richtig gestritten. Er hatte nur Worte gesagt, die mich in dieser Situation mehr getroffen hatten, als es normalerweise der Fall gewesen wäre.
Aber ich erinnere mich auch an Mums Worte und sie hatte Recht. Louis konnte man in seinen Taten mit meinem Vater vergleichen und meinen Vater hasste ich mehr als alles andere.
Ich spielte mit dem USB-Stick in meiner Hand herum, ließ ihn zwischen meinen Fingern hindurch gleiten und drückte ihn. Ich wollte unbedingt wissen, wie sein Musikgeschmack war, den der sagte soviel über einen Menschen aus.
Ich beschloss, mir den Tag nicht durch die Schule zu vermiesen, es war der erste Tag, es gab nur Besprechungen und haufenweise Zettel. Ich konnte meine Zeit sinnvoller nutzen und setzte einen Fuß vor den anderen, auf dem Weg nach Hause.
Ich hoffte, Mum wäre bei Lewi - ich müsste nichts erklären, sie würde mich nicht sehen. Aber als ich vorsichtig zur Haustür huschte und mein Ohr gegen sie drückte, hörte ich den Fernsehr und aufgebrachtes Gemurmel. Siedens suchte ich nach einer Lösung. Ich knetete meine Hand. Die mit dem Stick. Louis.
Ich konnte durchs Fenster klettern. Es war offen, ich konnte erst auf den Baum und dann in mein Zimmer steigen, mir meinen Laptop und mein Handy mitnehmen und so schnell verschwinden, wie ich gekommen war. Überhaupt kein Problem, wenn ich nicht so unsportlich wäre.
Als kleines Kind hatte ich nie ein Problem damit gehabt, überall zu klettern, rumzutoben und zu spielen, aber nun dachte ich viel mehr an das, was passieren könnte.
Wenn ich von Baum fallen würde - schön und gut. Aber der Ast weiter unten, der ein Stück hervor guckte, könnte mich genauso gut durchspießen und meine Organe zerquetschen.
Ich versuchte die gleiche Schrittreihenfolge zu nehmen, wie, als Louis da war, ich musste nur umdenken, weil ich letztes mal nicht hinein, sondern hinaus geklettert war.
Als ich den schmalen Trampelpfad folgte, die Sachen fest unter den Arm geklemmt, blieb ich nicht stehen an der Stelle, an der er mich angeschrien hatte, sondern ging einfach weiter und steckte schließlich den Stick in meinen Computer.
Das erste, was ich sah, war Taylor Swift mit Red und Blank Space und ich wusste noch nicht genau was ich davon halten sollte. Weiter gings mit Fall Out Boy, Nirvana, Bruno Mars, The Script, Beatles, Harry Styles - er schien alles zuhören. Aber als ich die Playlist das erste mal durchgehört hatte, wurde mir eins klar - alle handelten von Abschied.
Sollte das eine Anspielung auf die Zeit, wo wir uns nicht gesehen hatten, sein? Auf die jetzige Zeit? Wieder kam ich mir unglaublich doof vor. Er war nach Amerika gegangen, hatte seinen Vater verloren und seine Mutter hatte sich von ihm abgewandt... er war genauso alleine wie ich.
Mein Handy vibrierte. Mit Überraschung stellte ich fest, das ich drei neue Nachrichten hatte, von Leuten, die mich nicht mal mit ihrem Arsch angucken.
Gute Besserung..., schrieb die eine.
Ich hatte nie was gegen dich und ich hoffe, dir geht es bald wieder besser, lass dich nicht unterkriegen, Joseph
ich kann nicht fassen das du das getan hast, lautete die dritte Nachricht und ich ging erst mal wieder offline, weil ich nicht wusste, was das sollte. Waren sie betrunken und machten Wetten, wollten sie mich verarschen, dachten sie ich wäre krank? Waren sie so ungebildet das sie dachten, meine Stummheit wäre nur eine kurzfristige Erscheinung und morgen würde ich singend durch die Schule laufen und alle grüßen?
Die dritte Nachricht verwirrte mich am meisten. Ich schrieb ein 'Was?' zurück und hoffte eine gute Antwort zu bekommen.
Hat es irgendwas mit der Schule zu tun? Verdammt! Das erste mal schwänze ich und etwa spannendes passiert? Aber wie kann es spannend sein wenn es mit mir zu tun hat? Ich klickte auf Facebook und Leute hatten in meine Chronik geschrieben. War das ihr verdammter Ernst?
Was kann so früh am morgen wichtig sein? Die Schule hatte vor knapp einer Stunde angefangen und ich saß hier. Die Person antwortete nicht auf meine Nachricht und ich hatte keine Ahnung, wer es war, weil ich niemanden eingespeichert hatte.
Auf den Besserungwunsch antwortete ich ein 'Danke, aber wofür?', auf die zweite Nachricht ein 'Du musst mich verwechseln, schick die Nachricht der Person, die sie gebrauchen kann'.
Es war ein schöner Tag. Ich bekam weitere solcher Nachrichten, aber was solls, sollen sie machen was sie wollen.
Sollen sie machen was sie wollen - und in diesem Moment beschloss ich auf die Party am Freitag zu gehen.
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