Kapitel 12
Wenn Feuer auf Wasser trifft, ist man machtlos. Zwei Todesfeinde, die einander doch innig lieben, wie die Sonne und der Mond. Wenn der eine geht, kommt der andere. Doch was, wenn du kalt wie Eis bist und in einen Topf mit Lava gestoßen wirst, mit voller Wucht, unfähig etwas dagegen zu unternehmen? Stirbst, oder erwacht etwas neues in dir?
Als ich aufwache waren die Kerzen aus. Ich richtete mich auf, strich die Haare aus dem Gesicht und erblickte erneut das Tablett, welches meine Mutter mir am stürmischen Abend davor fertig gemacht hatte.
Der Albtraum war anders gewesen. Ich versuchte mich zu erinnern, wie er aussah, aber ich sah nur schwarz. Eine Gänsehaut bildete sich.
Es war früher Mittag. Als ich sie unten Selbstgespräche führen hörte, schlüpfte ich unter die Dusche und band die nassen Haare zu einem Zopf, ehe ich nach unten ging und überlegte, ob ich meine Mutter umarmen sollte.
Als sie mich bemerkte zeigte sie strahlend den Pfannekuchen den sie just in diesem Moment versuchte hoch zu werfen, der erst an der Decke kleben blieb und dann vor ihre Füße fiel. Entsetzt starrte sie zwischen mir und dem Stück Teig hin und her, ehe sie anfing zu lachen und mich umarmte.
,,Guten Morgen, Rosie. Ich hoffe du hast gut geschlafen."
Sie verteilte neuen Teig in der Pfanne. ,,Übrigens gib ich dir einen Tipp: Immer, ich wiederhole, immer Kerzen auspusten bevor man in's Bett geht. Ich hab da so meine Erfahrungen."
Ich setzte mich an den Tisch und muss leicht grinsen, weil meine Mum beim Kochen völlig überfordert aussah. Diesmal versuchte sie umständig den Pfannekuchen mit Messer und Gabel zu wenden und zerfetzte ihn dabei in kleine Teile. ,,Hmpf."
Schließlich schaffte sie es einen fertigzustellen und bestand darauf, das ich applaudierte. Dann rief sie "Lorenzo wäre stolz auf mich!" und lachte über meinen Gesichtsausdruck. ,,Kleiner, schnieker Italiener. Hat immer für mich gekocht und war so romantisch, das er sogar beim schlafen die Kerzen angelassen hat."
Das meinte sie also mit Erfahrungen. Ich streute Puderzucker über meinen Pfannekuchen und erwischte mich selbst bei dem Gedanken, was sie Nachts so getrieben hatten. Sie und ihr Lorenzo.
,,Im nachhinein wurde er ziemlich langweilig. Immer nur Pasta und Pizza und im Bett auch nicht abwechlungsreich. Zum Schluss musste ich ihm ja fast einen Or-"
Sie hört auf als ich mir vor Lachen die Hand vor's Gesicht schlug und die Augen schloss. Stopp! Ich stopfte mir ein weiteres Stück von Mamas - überraschend gutem - Frühstück in den Mund und versuche die Bilder aus meinem Kopf zu treiben.
Sie stützte sich mit ihrem Ellebogen an dem Tisch ab. ,,Was machen wir heute denn nur mit dir?" Sie guckte mich an. ,,Ich glaube ich weiß was. Du brauchst neue Klamotten."
Hätt ich ja schon haben können. Das letzte mal war sie nur mehr mit Lewi beschäftigt. Ich wollte ihr eine Chance geben, also tue ich es auch. Ich nicke.
,,Es wird Sommer, du brauchst ein paar Kleider! Sommer, Freunde treffen, Partys, jetzt beginnt das Leben. Die Schule beginnt wieder!"
Ich hatte keine Freunde. Den einzigsten, den ich je so bezeichnet hatte, war Louis gewesen und der war weg. Ich hatte wenigstens auf eine Nachricht von ihm gewartet, aber nichts. Er war seit Tagen nicht on. Er könnte tod sein und ich hätte es nicht mitbekommen.
Sie schickte mich zum Anziehen und ich war in eine Zwickmühle: Bequem oder Fein? Was hatte meine verrückt gewordene Mutter noch geplant? Sollte ich eventuell beten?
Wir fuhren also in die Stadt. Wir durchstöberten die Geschäfte, ich setzte mich in einen Kabine und meine Mum brachte mir im sekundentakt neue Outfits, die ich anprobieren sollte. Ich hasste Kabinen in denen vorne und hinten Spiegel sind. Ernsthaft, das kann deprimierend sein, vorallem wenn man seine Mutter dauernd bitten muss die Hose in einer Nummer größer rauszusuchen. Wenn ich dann erstmal eine Jeans gefunden habe, die gut und eng sitzt, kann ich nicht aufhören mich anzustarren.
Schließlich nahm ich eine Bluse und die Jeans, Mum bezahlte und wir setzten uns in ein Eiscafe, gönnten uns ein fettes Eis und genossen einen Moment die Sonne und ich den Fakt das es unwarscheinlich war, das jetzt jemand vorbei kam und ein doofes Kommentar abgab.
,,Endlich kommt der Frühling.", seuftze sie und kratze mit dem Löffel den letzten Rest Eis aus ihrem Becher. ,,Bald kommt wieder Leben nach Henley."
Ja. Ich analysierte die Menschenmenge vor uns und grinste über einen Mann mit Vokuhila.
,,Haarvergewaltigung.", war Mums schlichtes Kommentar.
Langsam gingen wir zu unserem Auto zurück. Ich schnallte mich an, sie wirkte aufgeregt. Ich hatte sie selten so erlebt, wo sie die letzten Wochen abwesend und kalt war, irgendwie krank aussah.
,,Ach Rose, ich hab gemerkt das du kein kleines Kind mehr bist. Deswegen" - sie wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen - ,,hab ich mir gedacht das wir in's Kino gehen, heiße Männer begutachten und uns betrinken." Sie knallte die Weinflasche auf meinen Schoß.
Mit einem Zwinkern: ,,Den Film kannst du dir aussuchen. Ich rate dir nur, nimm keine Liebeskomödie. Meinen Erfahrungen nach gibt's da nichts als altes, benutzes Fleisch. Nimm einen Action-Film, von der Handlung werden wir eh nicht viel mitkriegen."
Ich nickte und versuchte Ernst zu bleiben. Ich wusste nicht ob ich das peinlich oder toll finden sollte.
,,Seien wir froh das das Kino so eine komische Action von wegen "Rund-um-die-Uhr Kino" macht und deswegen den ganzen Tag Filme spielen. Als wüssten sie das wir einen Mission haben."
Mutter... Mission... Betrinken... ich hoffe nur es wird besser als es sich anhört.
Mum machte das Radio an, summte (ich versuchte nicht daran zu denken) genau wie Louis mit und überließ mich meinen Gedanken. Ich fand es wahnsinnig nett, das sie mich ablenken wollte. Ich bin mir sicher das es lustig wird (ich hoffe nur auch für mich) und grinste. Und vermisste Louis als ich Thinking Out Loud hörte und war glücklich das meine Mum einfach so umschaltete, als wüsste sie es.
,,Woran denkst du?", fragte sie und ich schüttelte den Kopf, guckte aus dem Fenster und versuchte erneut nicht daran zu denken, das das der gleiche Weg war den ich mit Louis gefahren bin.
,,An nichts ist immer gut!", sagte sie.
Die Warscheinlichkeit das sich irgendwer für mich interessiert liegt unter zehn Prozent, warscheinlich noch weniger. Das die Liebe meines Lebens grade heute im Kino ist, 1:160 000 000
,,Du willst mir also sagen es ist warscheinlicher im Lotto zu gewinnen?"
Ich nickte.
,,Gut. 'nen bisschen Geld kann man immer gebrauchen."
Links von uns erneut das Meer, sah ich zu, wie der erste Kutter dieses Jahres den Hafen verließ. ,,Wenn bald die Touristen kommen, wird der Ausflugskahn bereit gemacht. Wenn du Lust hast kannst du ja fragen ob du bei den Vorbereitungen helfen kannst."
Mum Augen begutachteten den Parkplatz vor uns. Sie guckte ob niemand hinter uns war, gab Vollgas und parkte in einem eleganten Bogen ein. Wir ließen die Weinflaschen in einer großen Tasche verschwinden, traten in das Kino und kauften ein Tagesticktet.
Als erstes gingen wir in The Avangers. Ich liebte Marvel. Der Film bringt wahre Grundgedanken, mit einer Leichtigeit umspielt, trotzdem gut heraus.
Ich nahm einen kräftigen Schluck, meine Mum ebenfalls und als nächstes gingen wir in Star Trek, einer meiner Lieblingsfilme. ,,Die Jungs von heute werden ja auch immer hässlicher. Jetzt verstehe ich warum du soviel liest.", sagte sie, als ein Haufen pickeliger Jugendlicher an uns vorbei zogen.
Ich schlug mit Mama ein, ließ den Alkohol hinunter laufen und merkte, wie ich ein glückseliges Lächeln auf den Lippen hatte.
,,Wie ist der da?!"
Wir hatten eine Pause von zehn Minuten bis zu dem nächsten Film, dieses mal, trotz Mum's Warnung, ein Liebesfilm.
Sie zeigte auf einen Mann im Anzug und wegen meinem "Anzug - Fetisch" weiteten sich meine Augen. Fuck, der sah gut aus. Ein blondes Püppchen klammerte sich an seinem Arm und ich guckte weg.
,,Hmpf." Mum stieß den merkwürdigen Ton zum zweiten mal an diesem Tag aus.
'Das Leuchten der Stille' war genau so viel Kitsch, das wir den Saal fast ganz für uns allein hatten. Wir breiteten uns aus und ich holte mein Handy aus der Tasche. Unangenehm guckte meine Mutter über die Schulter. Ich war auf Twitter.
,,Warum bist du eigentlich so viel auf solchen Seiten?"
Versuchte sie sich ernsthaft mir meinem Leben auseinanderzusetzen? Sie würde das sowieso nicht verstehen. ,,Du kennst die Leute doch alle garnicht."
Deswegen ja. Sie kennen mich auch nicht. Im Internet kann ich reden.
,,Ich weiß, du schämst dich für deine Krankheit, aber da musst du nicht."
Ich war froh, das er Film anfing und ich einen Grund hatte ihr nicht zu antworten. Sie versuchte trotzdem, mich zu verstehen.
,,Anderes Thema. Erzähl mir von dem Internet. Es ist dir wichtig, also ist es mir auch wichtig."
Das hört sich komisch an. Ich runzelte die Stirn. ,,Tut mir l..- Rosie, ich will einfach nur an deinem Leben teilhaben. Bitte, lass mich teilhaben."
Wann hatte das Gespräch diese Richtung genommen? ,,Denkst du ich habe mich wegen Lewi von dir distanziert? Ich war nie weg!", sie klang verzweifelt. Sie griff nach meiner Hand.
Ich schluckte. Ich richtete meine Augen, versuchte auch meinen Verstand auf die Wand vor mir zu richten, sah aber aus dem Augenwinkel wie Mum den letzten Schluck aus ihrer Flasche nahm. Sie wirkte nun betrübt.
,,Es", sie hickste, ,,tut mir leid."
Und dann umarmte sie mich einfach und ich weinte schon wieder, obwohl ich dachte, ich hätte all meine Reserven für den Rest meines Lebens aufgebraucht. ,,Wir Parker Frauen lassen und nicht niederkriegen, ok? Weder von Louis, noch von Matt, noch von einer Krankheit. Wir sind starke, unabhängige Frauen."
Sie küsste mich auf die Stirn. ,,Hab dich lieb, Rosie."
'Ich dich auch.'
Sie lächelte leicht. Den Rest des Films versuchte Mum wieder eine lockere Stimmung zu schaffen und ich lächelte tatsächlich kurz, als wir Popcorn in der Dauerwelle der Oma vor uns verteilten.
Als wir den Kinosaal verließen, schwankte sie leicht. Wir kamen wir nach Hause? Wir beide konnten nicht fahren. Ich suchte in ihrer Tasche nach Geld und rief ein Taxi. Sie lehnte an meiner Schulter, welche immer schwerer wurde. Wann kam das doofe Ding denn endlich?
Ich stützte Mum und dann - schlief sie ein. Das ich immer und überall schlafen konnte musste ich von ihr haben. Sie fing an zu schnarchen und mich packte Panik. Nicht nur Männer, die mich komisch anstarren, nein, wie sollte ich dem Fahrer sagen, wo wir hinwollen?
Ich hielt dem Taxifahrer das Blatt mit unserer Adresse unter die Nase. Er sah erstaunt erst mich, dann meine Mutter an und dann lächelte er mich an und fuhr los. ,,Sie können nicht reden?", fragte er.
Da ich nicht antwortete, sollte sich das von selbst erklären. ,,Das ich ziemlich interessant." Ok...
,,Darf ich ihnen eine Frage stellen?"
Ich nickte und er fuhr fort: ,,Tanzen sie?"
Überrascht schüttelte ich den Kopf. ,,Wissen sie, ich hatte mal eine Tochter. Zu wenig Luft bei der Geburt brachte sie in den Rollstuhl. Was sie mehr liebte, als alles andere, war Ballett. Papa, sagte sie immer. So werden Geschichten erzählt."
Die rote Ampel ließ ihn anhalten. Er drehte einen Oberkörper zu mir. ,,Ich fahre täglich die verschiedensten Leute durch die Gegend. Viele möchten noch nicht mal ein Gespräch aufbauen, sind zu beschäftigt, haben Sex auf der Rückbank. Wenn sie bezahlen, habe ich eine kurze Sekunde wo ich ihnen in die Augen sehen kann. Alle sehen gleich aus, kalt und wie aus Eis. Sie haben noch nicht mal bezahlt und ich sehe wie sie Funken sprühen."
Als ich ausstieg reichte ich ihm seinen Verdienst. ,,Man muss nicht reden können um Geschichten zu erzählen, Miss.", flüsterte er und sah mir in die Augen.
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