Kapitel 3.5

„Mich würde interessieren, wie du es so lange geschafft hast, nicht von der Schule bemerkt zu werden", sagte er nachdenklich. Etwas, womit ich durchaus gerechnet hatte. Daher lächelte ich schief, um meine Gefühle zu unterstreichen, die eigentlich nur vorgespielt waren. Ich wollte Unsicherheit ausdrücken, obwohl ich eigentlich kein Problem gehabt hatte, mich zu verbergen.

„Ich hatte einfach Glück", behauptete ich. Dass meine Gabe – Portale zu erschaffen – dabei sehr geholfen hatte, musste er nicht wissen. Zudem hätte ich bei dem Alter auch schlecht lügen können. Mir war bewusst, dass die Schule sicherlich gute Leute hatte. Würde man also beginnen nach Hinweisen nach mir zu suchen, würde mein wahres Alter wohl sowieso irgendwann herauskommen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass jeder Schüler komplett durchleuchtet wurde.

Irgendwie war das Gespräch ein wenig unangenehm, weshalb ich einfach das Thema noch mehr wechseln wollte. Da wurden wir allerdings schon wieder durchgeschüttelt und plötzlich zog eisiger Wind auf. Ich spürte ihn nicht, konnte ihn allerdings sehen. Um uns herum wurde es hell, da weißer Schnee um die Kutsche wirbelte. Für mich sah es aus wie eine umgekehrte Schneekugel. Ein faszinierender Anblick, der mich für einen Moment fesselte.

Ich hörte, dass Ophelia sich staunend über den Kutschenrand lehnte, während Iyas versuchte, sie davon abzuhalten. Er schien das System noch nicht verstanden zu haben. Oder aber er war generell wesentlich vorsichtiger. Was nicht schlecht war. Damit war er ein Gegengewicht zu Ophelias Leichtsinn. Vielleicht würden sie sich gegenseitig von Dummheiten abhalten und ich konnte mir eine Pause gönnen.

Ich ließ meinen Blick umherwandern und für einen Moment genoss ich die Schönheit dieses Schauspiels, bevor wir plötzlich mitten im Schnee landeten.

So, wie wir aufkamen, glaubte ich, dass wir im Schnee versinken würden, doch das geschah nicht. Stattdessen wackelte die komplette Kutsche. „Sieh doch", gab Ophelia überrascht von sich und als ich mich über den Rand lehnte, um zu sehen, was sie meinte, entdeckte ich Kufen an den Stellen, wo vorher die Räder gewesen waren. Das Schimmern der Magie, die man dafür genutzt hatte, war noch immer vorhanden. Allerdings sah es nicht aus wie ein aktiver Zauber. Eher, als wäre die Magie in die Räder eingraviert und der Schnee hätte sie aktiviert. Wie interessant. Mit derartiger Runenmagie hatte ich mich schon lange nicht mehr beschäftigt.

„Wo sind wir hier?", fragte Ophelia neugierig in die Runde. Sie zog sich wieder auf ihren Platz zurück, um uns alle nacheinander anzusehen und dann bei Magister Revoinus mit ihrer Musterung zu stoppen. Es schien ihr egal zu sein, wer ihr die Antwort gab, doch da sie bei Magister Revonius verharrte, schien sie von ihm am ehesten eine zu erwarten.

„Noch immer auf der Erde. Im Gebiet der Inuits", erklärte der Lehrer. Ich hätte ihr das nicht ganz so genau sagen können, weshalb ich recht froh war, dass er geantwortet hatte. Es gefiel mir nicht, wenn ich keine zufriedenstellende Antwort geben konnte. Daher neigte ich dazu, dann gar nichts zu sagen. Nur bei Ophelia hatte ich regelmäßig den Drang, auszuweichen.

Ich blickte wieder hinaus in den Schneesturm. War es gut, dass wir hier warteten? War das vielleicht ein Zwischenstopp? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Inuits – auch wenn sie an dieses Leben angepasst waren – bei einem solchen Sturm hinausgingen.

Magister Revonius neben mir räusperte sich leicht. Das gab mir den ersten Hinweis darauf, dass dieser Halt nicht geplant war. „Wir werden hier warten, bis der Schneesturm vorbei ist. Dann sacken wir unsere nächsten Schüler ein, bevor es zu den größeren Anlaufstellen geht", erklärte er. Dass er plötzlich so viel sprach, überraschte mich sehr. Jetzt klang er endlich wie der Lehrer, der er sein sollte. Warum nur war er anfangs so seltsam gewesen?

Ich sah mich um, doch mehr als den Schneesturm konnte ich nicht erkennen. Um uns herum war mittlerweile alles dunkel geworden, weil der Schnee so dicht war.

Innerhalb der Kutsche herrschte allerdings ein sanftes Licht, das vom Boden auszugehen schien. Auch unter den Sitzen schimmerte es, sodass es in der Kutsche hell genug war, um uns gegenseitig zu erkennen.

Während Ophelia und Iyas sich leise darüber unterhielten, dass Iyas noch nie Schnee gesehen hatte, schwiegen Magister Revonius und ich. Kurz überlegte ich, ob ich mich vielleicht mit seinem Dämon unterhalten sollte, doch mir fiel kein gutes Thema ein.

Da mir langweilig wurde, hatte ich auch das Gefühl, dass wir eine kleine Ewigkeit gewartet hatten.

Irgendwann – während ich den Schneesturm beobachtete – setzte sich Ophelia zu mir und legte ihren Kopf an meine Schulter. Sie schien müde und war auch kurze Zeit später eingeschlafen. Ihr warmer, sanfter Atem kitzelte meine Wange, was mich lächeln ließ. Ophelias Gabe überall zu schlafen und sich so zu erholen war schon recht hilfreich.

Selbst Iyas legte sich auf die breite Bank und wirkte, als würde er schlafen wollen. Möglicherweise begünstigte die Wärme hier in der Kutsche seine Müdigkeit. Auch mich begann sie ein wenig einzulullen, doch ich ließ mich davon nicht beeinflussen und versuchte, wach zu bleiben. Wenn Opehlia schlief, musste ich aufpassen. Wer wusste schon, ob Magister Revonius nicht doch noch etwas anderes vorhatte. Ich fühlte mich auch nicht sonderlich müde.

„Ich glaube, der Schneesturm lässt nach", bemerkte ich, als mir auffiel, dass die Flocken und der Wind weniger wurden.

„Dann wird gleich Amka Kallik zu uns stoßen", antwortete Magister Revonius, als wäre das hier der Ort, an dem er sowieso hätte halten wollen. So sicher war ich mir damit jedoch nicht.

Der Name, de er nannte, klang ähnlich ungewöhnlich wie Iyas, aber auf die meisten würde wohl auch mein Name seltsam und anders wirken.

Neugierig ließ ich meinen Blick schweifen und hoffte bald etwas in dem weißen Sturm zu erkennen. Dieser wurde zusehends weniger und schließlich konnte man über uns den blauen Himmel sehen. Auch das leise Rauschen, vor dem uns der Schild auch schützte, wurde weniger, sodass meine Ohren sich nicht mehr ganz so schrecklich anfühlten.

Ich sah mich weiterhin um, auch wenn die Sonne, die von dem weißen Schnee reflektiert wurde, mir immer wieder in den Augen schmerzte.

Irgendwann erkannte ich einen Flecken im Schnee, der näherkam. Langsam gewöhnten sich meine Augen daran und ich entdeckte eine Gestalt, die dick eingepackt auf uns zu stapfte. Dann blieb sie stehen, sah sich um und wartete.

Magister Revonius erhob sich, bevor er die Kutsche verließ. Mich schauderte es, denn er trug noch immer nur seine Robe. War sie warm genug, um draußen nicht zu frieren? Wahrscheinlich ein Zauber, der ihn auch schon in der Wüste geschützt hatte. Ich musste anfangen, ihm solche Dinge zuzutrauen. Er war immerhin ein Magister. Als hoher Magier musste er solche Kleinigkeiten beherrschen. Trotzdem fiel es mir schwer, da ich es nicht mehr gewohnt war, mit Magiern Umgang zu pflegen.

Ich spitzte meine Ohren und lauschte.

Magister Revonius fragte sie, ob sie Amka Kallik war und als das geklärt war, deutete er ihr an, ihm zu folgen.

Sie kam mit festen Schritten und staunenden Augen auf uns zu, bevor sie in die Kutsche kletterte. Ein erleichtertes Seufzen verließ ihre Lippen und sie fing sofort an, ihre Handschuhe, die Mütze und den Schal abzunehmen. Zum Vorschein kamen wunderschöne, schwarze Haare, die in leichten Wellen über ihre Schultern fielen.

Sie war wirklich schön. Auch, weil ihre weiße Haut sehr rein aussah. Fast wie der Schnee.

„Hallo, ich bin Amka", sagte sie direkt an mich gerichtet und schenkte mir ein Lächeln. Dabei schien sie kaum ein Problem damit zu haben, mir in die Augen zu sehen. Der Blickkontakt war zwar nur kurz, doch ich erkannte sofort, dass sie eine sehr aufgeschlossene Persönlichkeit war.

„Ephemera", erwiderte ich genau so freundlich und reichte ihr die Hand. Als ich ihre Haut berührte, war sie so kalt, dass sie noch mehr, wie eine Porzellanpuppe wirkte. Irgendwie hatte ich Angst, ihre feingliedrigen Finger kaputt zu machen. Alles an ihr schien irgendwie zerbrechlich und sanft.

„Freut mich." Mit diesem Worten setzte sie sich zu mir. Im Gegensatz zu Iyas schien sie etwas älter, was ich an ihrer ruhigen Art festmachte. Sie wirkte nicht, als hätte sie Angst, obwohl sie nun einem Dämon gegenübersaß. Ich konnte sehen, wie ihre dunklen Augen ihn eingängig musterten. Darin las ich jedoch nur Neugier. Im Moment zumindest. Vielleicht versteckte sie die Angst aber auch nur sehr gut.

Es war sehr angenehm jemanden zu haben, mit dem ich mich unterhalten konnte, ohne, dass dieser die ganze Zeit Angst vor mir hatte. So verging die Zeit viel schneller und ich spürte kaum, wie wir erneut landeten. Dieses Mal jedoch in einem Bereich, wo sehr viele Menschen warteten.

Soweit ich das einschätzen konnte, befanden wir uns auf einem Hochhausdach mitten in einer recht belebten Stadt. Leider konnte ich nicht aussteigen, um mich genauer umzusehen, doch ich nahm die Geräusche von Autos wahr.

Neugierig sah ich mich um. Es waren sicherlich hunderte von Menschen, die hier warteten, was dafür sorgte, dass ich mich immer unwohler fühlte. Sollten diese alle in die Kutsche?

Magister Revonius stieg aus und begann eine Namensliste von Schülern abzuarbeiten. So füllte sich die Kutsche immer mehr und ich rutschte so weit es ging an den Rand. Ophelia und auch Amka gaben mir ein wenig Schutz vor den anderen Schülern, saßen sie doch neben mir und mir gegenüber. Trotzdem waren es mir zu viele Leute, weshalb ich schwieg und mich auf irgendwas außerhalb konzentrierte.

Als Magister Revonius schließlich wieder dazu stieg, saß er sehr weit von mir weg, was ich schade fand. Allerdings war Ophelia wieder aufgewacht und so konnte ich mit ihr und Amka sprechen, um mir die Zeit zu vertreiben.

Wir würden hoffentlich bald ankommen und nicht noch mehr Zwischenstopps dieser Art mitnehmen.

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