Kapitel 3.4
Als Iyas in die Kutsche kam, setzte er sich so weit wie möglich von uns weg. Auf mich wirkte er sehr unsicher und ängstlich. Eigentlich wollte ich ihm ein wenig Raum geben, damit er sich langsam an uns gewöhnen konnte, doch Ophelia schien das anders zu sehen.
Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und klopfte neben sich auf den Sitz. „Komm ruhig her, wir beißen nicht", sagte sie, was den Jungen zu überraschen schien. Er blickte auf und mit großen, dunklen Augen zu Ophelia. Dabei sah er verwirrt und vielleicht sogar überfordert aus. Als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie so nett war oder ... sie überhaupt zu verstehen?
Das musste es sein. Vermutlich hatte er geglaubt, dass er unsere Sprache nicht sprach, weil wir so anders aussahen als alle anderen, mit denen er zusammen war.
Mich wunderte es allerdings auch, dass er uns verstand. Zumindest sah er so aus.
Stirnrunzelnd fragte ich mich, wie das möglich war. Lag das auch an der Magie der Kutsche und würde das in der Schule so bleiben? Ich schätzte schon, denn das würde sehr vieles einfacher machen. Wenn wir wirklich Leute aus aller Welt abholten, dann war die Sprachbarriere ein Problem. Schon auf der Erde gab es so viele Sprachen, dass man sie kaum alle sprechen konnte. Nahm man dann noch die anderen Welten dazu, wäre es unmöglich sie alle an einer Stelle zu versammeln, ohne derartige Vorkehrungen.
„Ich bin Ophelia", stellte sich Ophelia schließlich vor, als der Junge noch immer nicht sprach. Ich musste schmunzeln. Sie war wirklich süß, wenn sie jemanden hervorlocken wollte.
„Iyas", brachte er leise flüsternd hervor. Obwohl die Sprachsache geklärt war, schien er noch immer ängstlich. Vielleicht, weil unsere Augen nicht natürlich wirkten? An ihm konnte ich keinerlei Anzeichen der Magie erkennen. Vielleicht war sie erst vor kurzem erwacht oder aber er war der Typ Mensch, bei dem es einfach nicht nach außen sichtbar wurde.
Ophelia lächelte ihn zu, bevor sie vorsichtig zu ihm rückte. Vermutlich, um ihn nicht zu verschrecken. Sie war schon immer sehr sozial gewesen und hatte nie Schwierigkeiten gehabt, Freunde zu finden. Manchmal war das eher unpraktisch, doch im Moment sah ich keine Probleme darin. Sollten sie sich anfreunden. Es war sicher gut, wenn Ophelia auf der Schule noch andere außer mir hatte, mit denen sie Zeit verbringen konnte. Wir hockten sowieso zu sehr aufeinander, auch wenn das der einfachste Weg war, sie zu schützen.
„Wie alt bist du?", fragte Ophelia. Ich lauschte ihnen bei ihrem Gespräch, mischte mich aber nicht ein. Es war wohl besser, wenn er erst einmal mit Ophelia warm wurde, bevor er auf mich traf. Mir war bewusst, dass ich auf die meisten Menschen – ob magisch oder nicht – entsprechend einschüchternd wirkte. Etwas, was durchaus gewollt war. Gerade, weil ich es nicht mochte, wenn mir andere zu nahekamen. Daher ärgerte mich auch der Blick des Magiers, der noch immer auf mich gerichtet war. Was wollte er damit bezwecken? Mich einschüchtern?
Wenn das sein Ziel war, dann funktionierte es nicht. Es machte mich lediglich wütend. Ich mochte es nicht, angestarrt zu werden. Konnte er sich nicht lieber auf den Neuankömmling konzentrieren?
Ich konnte hören, wie Iyas anmerkte, dass er mich genauso einschüchternd fand wie den Magier. Er flüsterte und ging wohl davon aus, dass ich es nicht bemerkte. Doch ich hörte es und fühlte mich sogar geschmeichelt. Vermutlich ahnte er aber nicht, dass er mir damit ein Kompliment machte.
Es kam nicht häufig vor, dass man mich auf die Stufe mit einem gut ausgebildeten Magier stellte. Zumal seine Präsenz deutlicher sein sollte als meine. Oder aber er hielt sich zurück. Für mich war sie deutlich genug, nur leider konnte ich mich nicht von außen betrachten. Daher hatte ich bisher nur Ophelias Einschätzung gehabt. Eventuell war sie wohl nicht ganz so ehrlich gewesen.
Die Kutsche gab ein Ruckeln von sich, als wir erneut abhoben. Dieses Mal stieß Iyas einen überraschten Laut aus, Ophelia nur einen leicht verärgerten. Ich hatte mich bereits vorbereitet, weshalb ich kaum zuckte. Das würde wohl jetzt ein paar Mal so sein.
Magister Revonius lächelte, als fände er unsere Reaktionen amüsant.
Es war kein überraschtes oder herablassendes Lächeln. Was es genau war, konnte ich allerdings auch nicht genau sagen.
„Ich muss sagen, ich habe noch nie eine Frau gesehen, die so aussieht wie du. Selbst unter den Magiern ist diese Farbkombination ausgefallen", bemerkt Magister Revonius in meine Richtung. Ich zuckte lediglich die Schultern. Wollte er mir Komplimente machen und was meinte er? Meine schokoladenfarbene Haut mit den roten Haaren und den orangefarbenen Augen? War das wirklich so ausgefallen? Ich wusste es nicht genau, aber wenn er es ansprach, war es vielleicht doch nicht so weit verbreitet. Da ich allerdings in einer Gesellschaft aufgewachsen war, die dahingehend recht offen war, war mir das vielleicht nicht bewusst.
„Und deshalb starrt Ihr mich die ganze Zeit an?", fragte ich höflich, während ich seinen Blick erwiderte. Immerhin störte mich sein stechender Blick noch immer.
„Du bist sehr schön."
Das kam überraschend und zuerst dachte ich, dass er Scherze machte, doch dem schien nicht so. Dazu wirkte er noch immer zu ernst.
Ich musterte Magister Revonius skeptisch aus verengten Augen. „Was erwartet Ihr jetzt von mir?", fragte ich, da ich nicht genau verstand, warum er mir das sagte. Selbst sein Dämon schien mich zu betrachten. Ähnlich irritiert wie ich, wie es schien. Vermutlich konnte er die Reaktion seines Meisters auch nicht nachvollziehen.
„Dich aus dem Konzept bringen?", fragte er nach und grinste leicht. Dabei hatte seine Stimme etwas Neckendes, das ich nicht zuordnen konnte.
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht unwirsch zu reagieren. Versuchte er gerade, mich zu necken oder flirtete er mit mir? Ich war mir nicht sicher, hatte aber irgendwie das Gefühl, dass er sich über mich lustig machte. Etwas, was mir gar nicht gefiel.
„Auch Ophelia hat meine Hautfarbe und meine Augenfarbe", bemerkte ich, da sie mir in diesem Punkt soweit ähnlich war. Lediglich ihre Haare hatten ein tiefes Orange. Warum sprach er sie also nicht darauf an?
Magister Revonius lächelte. „Stimmt, aber sie hat nicht diese Wirkung", sagte er mit rauer Stimme und leise, damit die anderen ihn nicht hörten. „Du hast diese ... undurchsichtige Aura. Dunkel und geheimnisvoll. Ophelia hingegen ist leuchtend. Für meinen Geschmack zu hell."
Ich hob meine Augenbraue. Sprach er hier wirklich von Auren oder war er in der Lage etwas anderes zu sehen? Wenn dem so war, würde ich dem auf den Grund gehen müssen. Seine Aussage machte mich neugierig. Gleichzeitig war es jedoch auch ein Signal, dass ich mich von ihm fernhalten sollte. Was ich nicht würde. Dazu kannte ich mich zu gut. Geheimnisse und Gefahren zogen mich an.
„Könnte an ihrem Alter liegen", bemerkte ich und versuchte damit das Thema zu wechseln.
Magister Revonius hob eine Augenbraue. „Seid ihr nicht im selben Alter?", wollte er wissen. Da er mich noch immer anstarrte und musterte, konnte ich unschwer an seiner Mimik erahnen, was genau er jetzt wollte, daher schüttelte ich den Kopf.
Er lag damit ziemlich weit daneben. „Ich bin hundertfünfundzwanzig und sie achtzehn", stellte ich klar. Kein Alter für ein magisch begabtes Wesen. Es gab also keinen Grund mich dafür zu schämen.
Meine Bemerkung über mein Alter brachte mir einen weiteren, überraschten Blick von Magister Revonius ein. „Tatsache?", fragte er nach, als würde er mir nicht glauben. Vermutlich, weil man mir das Alter nicht ansah. Nicht einmal an meinen Augen oder meiner Magie. Dazu hatte ich mich zu gut unter Kontrolle.
„Ich weiß, man hält Ophelia für älter", stellte ich nüchtern fest. Mir war natürlich klar, dass es ihm um mich ging und nicht um Ophelia. Das wollte ich aber nicht direkt zeigen.
Magister Revonius schnaubte. „Ich hätte dich auch für unter hundert geschätzt", bemerkte er, wobei ich das Gefühl hatte, dass er mich jetzt plötzlich mit ganz anderen Augen ansah. Weniger wie ein Kind und mehr, als würde er endlich die erwachsene Frau in mir sehen. Vielleicht verstand er nun auch endlich, dass ich gefährlich war. Etwas, was er wohl eindeutig nicht ernst nahm. Oder aber, er glaubte mir nicht.
Ich versteifte mich etwas, denn eigentlich wollte ich nicht noch mehr auffallen. Manchmal war mein Mund aber schneller als mein Kopf. Warum konnte ich Dinge nicht einfach dabei belassen, wenn sie mir sogar in die Karten spielten? Vermutlich, weil ich mich lieber so dicht an der Wahrheit hielt, wie es möglich war, damit ich mich nicht so sehr in den Lügen verrennen konnte. „Ich habe mich eben sehr gut gehalten", gab ich von mir. Das lief nicht so, wie ich geplant hatte.
Ich wusste, dass mein Alter mir noch Ärger auf der Schule machen konnte. Mit über hundert war ich wahrscheinlich in meinem Jahrgang die Älteste.
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