RAUM 6

╝ RAUM 6 ╔
❝Chaos oder System❞

KAUM WAR ROE durch das Kraftfeld hindurchgesprungen, steuerte sie die linke Ecke an und ließ sich dort erschöpft nieder. Für einen Moment hielt sie ihre Augen geschlossen. Sie hörte Seans gemächlichen Schritte und wie er sich nicht weit von ihr an der Wand anlehnte. Ihre Haut begann zu kribbeln und sie bekam das Gefühl, als ob er sie beobachten würde.

"Also eines können wir mit Sicherheit ausschließen. Nämlich Chloes Theorie", versicherte Caesar und wanderte gedankenverloren in der Mitte des Raumes auf und ab. "Offensichtlich hat das hier alles nichts mit sportlicher Begabung zu tun."

"Hauptsache diese Diva behauptet handfest, dass es so ist. Die hätte uns alle fast in den Tod getrieben", bemerkte ein Typ zynisch.

Roe öffnete ihre Augen. Die Zahlen. Sie durfte sie nicht vergessen. Möglicherweise würde sie später noch einen Zusammenhang finden können, wenn es mehrere gab. Wie war die des letzten Raumes? W17. Die bisherigen? M4, W9, W11, M14. Sie musste sie sich unbedingt merken.

"Nun, so würde ich es nicht direkt formulieren", widersprach Wolvie. "Ich hatte bereits ebenfalls dieselbe Überlegung. Aber als ich weitergedacht habe, war mir dann klar, dass es nicht stimmen kann. Immerhin hat Berno das Kraftfeld offensichtlich nicht wegen irgendwelchen körperlichen Defiziten nicht passieren können."

"Eben. Aber diese Diva hat sich von ihren eigenen ach so tollen Leistungen blenden lassen und jede Logik ignoriert", kommentierte er. Roe mochte die verachtende Weise nicht, in der er sprach. Caesar machte einige Schritte auf denjenigen zu.

"Wie ist dein Name?", fragte er neugierig, ohne auf seine unsachliche Äußerung einzugehen.

"Pluto. Jap, der komische Stern, nach genau dem bin ich benannt worden", stellte er sich vor und stand seufzend auf. Er musterte Caesar kritisch und lehnte sich nach hinten an die Wand an.

"Du hast recht. Diese Chloe hat ihren Verstand verloren. Aber du darfst das den Leuten in dieser Extremsituation nicht übelnehmen. Wahrscheinlich wäre sie unter normalen Bedingungen freundlich gewesen", besänftigte er Pluto schließlich. Alle Blicke lagen auf den beiden und ihr hin und her.

"Nicht übelnehmen. Was erwartest du? Dass wir jetzt alle ungestraft tun lassen, was ihnen in den Sinn kommt? Ist eher keine so gute Idee, wenn wir es tolerieren, wenn jemand plötzlich auf hirnverbranntes Zeug kommt", stellte Pluto fest. Er verschränkte die Arme und verdrehte die Augen.

"Das meinte ich auch nicht", seufzte Caesar und massierte sich seine Schläfen. "Wie auch immer. Wir sollten uns Gedanken über unsere anderen Probleme machen, die gerade schwerwiegender sind." Er kehrte Pluto den Rücken zu, der daraufhin einen verärgerten Laut von sich gab. Aufmerksam betrachtete er Wolvie, der nervös an seinem Pullover zupfte.

"Wo sind wir stehengeblieben?", fragte Caesar an ihn gerichtet. Es war gleichzeitig an alle gerichtet, sodass sich jeder angesprochen fühlte. Er schaffte es, alle in das Geschehen miteinzubeziehen.

"Nun, Roe hat uns auf die Zeichen an den Wänden in der Endphase der Räume aufmerksam gemacht. Bevor Chloe mit ihrer athletischen Theorie hineingeplatzt ist, wollten wir gerade Zusammenhänge zwischen den Schriftzeichen herstellen. Im Moment sind allerdings keine deutlichen zu finden ...", meinte Wolvie zögerlich.

"Gut. Dann sollten wir dieses Thema vielleicht ruhen lassen und an einem anderen Ansatz weiterarbeiten. Möglicherweise ergibt sich etwas Sinnvolles, wenn wir weiter abwarten und uns die neu dazukommenden Schriftzeichen im Gedächtnis behalten."

"Auf Kosten noch weiterer Menschenleben?", kommentierte Pluto. Caesar schloss für einen Moment die Augen und atmete angestrengt aus.

"Natürlich nicht", konterte er. "Wir sollten eben nicht wertvolle Zeit daran verschwenden, ewig herumzugrübeln." Pluto schüttelte bloß den Kopf und drehte sich anschließend weg.

"Ich weiß etwas", platzte es aus Wolvie heraus. "Chloes Aktion hat mich auf eine Idee gebracht. Sie hat immerhin bewiesen, dass ihre Theorie nicht stimmt."

"Und das hilft uns, weil was?", murmelte Pluto kaum hörbar.

"Die Auswahl der Opfer. Chloe hat bewiesen, dass wir sie nicht steuern können. Nun stellt sich die Frage, ob sie unwillkürlich oder willkürlich ist. Sprich, ob sie nach Zufall oder System geht." Wolvie stand energisch auf und tippte mit den Füßen auf dem Boden.

"Da hast du recht", stimmte Caesar zu und schenkte Pluto beiläufig einen skeptischen Blick. "Noch wissen wir nicht, wie und warum uns Menschen genommen werden. Wir wissen nur, dass es offenbar bis jetzt jeden zweiten Raum jemanden erwischt."

Roe spielte mit ihren Händen und überlegte fieberhaft. Diese Zeichen an den Wänden mussten etwas mit den Toden zu tun haben. Es konnte gar keine andere Möglichkeit geben. Sie waren das markanteste Merkmal hier und mussten deswegen damit zusammenhängen. Doch wie erklärte sie sich, dass es in jedem Raum die Schriftsymbole gab, aber nur alle zwei Räume eine Person starb? Das passte nicht zusammen. Dieser Widerspruch beschäftigte sie.

"Wir sollten vorerst davon ausgehen, dass es sich um ein System hinter dieser Auswahl handelt", schlug Wolvie vor und starrte den Boden an. "Sollte es auf Zufall basieren, haben wir keine Optionen. Wenn es allerdings wirklich eine Ordnung, eine Reihenfolge gibt - und ich bin zu achtundneunzig Prozent sicher, dass es so ist -, müssen wir sie herausfinden."

"Also ich will ehrlich gesagt nicht wissen, wann ich an der Reihe bin, danke aber auch", gab Pluto von sich.

"Das meint Wolvie auch nicht", erklärte Caesar. "Es geht viel eher darum, das alles hier zu verhindern. Nicht, den Leuten Angst einzujagen. Es verschafft uns Zeit. Wir erlangen Überlegenheit." Er fuhr sich durch seine Haare und wandte sich Pluto zu, der nur eine wegwerfende Handbewegung machte.

Roes Kopf wurde ganz heiß vor lauter Nachdenken. Sie griff sich an den Schädel, woraufhin Sean ihr einen besorgten Blick schenkte. Ihr fiel gar nicht auf, dass sie ihre Augen so stark zusammenkniff. Es gab nur jeden zweiten Raum Tote. Nur jeden zweiten. Warum dann die Zeichen?

"Ich stimmte Pluto zu", gab eine quietschige Stimme von sich. Die junge Frau stand auf und warf ihr wasserstoffblondes Haar zurück. Sie stemmte eine Hand in ihre Hüfte und blickte Caesar herausfordernd an.

"Ist in Ordnung", meinte er liberal. "Wir akzeptieren selbstverständlich alle Meinungen." Er blieb höflich und lud sie mit einer Geste dazu ein, weiterzusprechen.

"Moment-", unterbrach Roe. Sie konnte es gar nicht kontrollieren. Ihr eigenes Mundwerk überfiel sie. "Moment. Ich glaube wir haben etwas Wichtiges übersehen." Sie sprang auf und blickte unsicher Caesar an, der sie nachdenklich betrachtete.

"Ey. Hat dir niemand beigebracht, dass man anderen das Wort nicht abschneidet?", ging die Blondine sie gereizt an. Pluto unterdrückte ein sarkastisches Auflachen.

"Es-es tut mir leid. Aber es ist wirklich wichtig-"

"Und was ich zu sagen habe, ist etwa nicht wichtig?", schnauzte sie Roe an und stemmte nun ihre zweite Hand in die Hüfte. Verärgert legte sie ihren Kopf schief.

"In jedem Raum stirbt jemand", platzte es aus ihr heraus und sie ignorierte die Frau einfach. Stattdessen blickte sie Caesar bittend an. Neben ihr hatte Sean sich erhoben und griff ihr an die Schulter, als wollte er sie beruhigen. "In jedem. Es muss so sein. Dann ergeben auch die Zeichen endlich Sinn."

"Heyo, hörst du schlecht?", jammerte die Blondine und winkte mit einer Hand vor dem Gesicht. "Außerdem ist das doch ein Hirngespinst. Das müsste ja schließlich heißen, dass jetzt jemand draufgeht. Und tja, Kleine, das wird nun mal nicht passieren. Sie dich um, alle leben. Also behalt deine Gedanken doch bitte-" Auf einen Schlag war das Licht aus. Ein zischendes Geräusch ertönte und die Blondine verstummte abrupt.

Roe hielt den Atem an und drückte sich gegen die Wand. Das war bis jetzt immer in den Räumen passiert, in denen niemand starb. Oder wo zumindest bis jetzt gedacht wurde, dass niemand darin starb. Warum war ihr diese Auffälligkeit nicht gleich verdächtig vorgekommen?

Das Licht flackerte auf und durchflutete wieder den Raum. Roe rieb sich die Augen und starrte verblüfft den Fleck an, wo gerade eben noch die Blondine gestanden war. Sie war weg. Spurlos verschwunden. Von der einen auf die andere Sekunde.

"Wo ist Blondchen?", fragte Pluto in einem verfälscht weinerlichen Ton.

"Das ist unmöglich", staunte Caesar und ging zu der Stelle. Er kniete sich nieder und sah sich den Boden dort näher an. "Wo ist sie?"

"Tot", hauchte Wolvie und starrte mit kreidebleichem Gesicht die Wand an. "Sie ist tot." Unruhiges Murmeln ging durch die Menge.

Roes Blick richtete sich auf die Glaswand, als plötzlich die nächsten Zeichen erschienen. W21.

"Wir müssen weiter", flüsterte Sean ihr zu, nachdem sie einige Zeit die Ziffern angestarrt hatte.

┘┌21┘┌

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