RAUM 21
╝ RAUM 21 ╔
❝Pegasus❞
OHNE NACH HINTEN zu sehen, betrat Roe den nächsten Raum. Ihre Beine bewegten sich schnell, als würde sie vor etwas weglaufen wollen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen runterschlucken. Ihr war egal, dass sie Sean schon wieder ignorierte. Sie mochte es einfach nicht, in dieser elend schwachen Verfassung gesehen zu werden.
In der Mitte des Raumes blieb sie stehen und versuchte ihre brennenden Glieder zu beruhigen. Ihr Körper zitterte. Sie versuchte langsam ein und auszuatmen, um ihre außer Kontrolle geratenen Gefühle Stück für Stück zu zügeln. Aus ihren Lungen wich alles Schlechte, das sie an diesem Ort aufgenommen hatte. Geräuschvoll sog sie die neue Luft ein und stellte sich dabei vor, sie würde inmitten einer duftenden Blumenwiese stehen. Fest redete sie sich das ein, bis es ihr besser ging. Es gelang ihr tatsächlich, sich selbst für diesen guten Zweck zu täuschen.
"Du hast das wirklich gut gemacht", sprach Sean ihr ein Lob aus. Roe hob ihren Kopf und drehte sich um. Sie hatte seine Schritte ausgeblendet. "Fran ist nicht mehr panisch gewesen. Das hat man ihr am Ende angesehen." Er stand vor dem Kraftfeld und lehnte sich nach hinten. Grüne Kreise gingen von seinen Schultern aus, wo er die flimmernde Wand berührte. Das Muster erinnerte sie an Engelsflügel. Sie wurden stetig größer und strahlten Macht aus.
"Aber Angst hatte sie trotzdem bis zum Schluss", meinte Roe bedauernd. Sie war nicht zufrieden. Etwas in ihr ließ sie glauben, sie hätte es besser machen können. Gewaltsam versuchte sie, diese Gedanken wegzuschieben. Es war hier sowieso nichts in Ordnung. Es hatte keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen.
"Das hat jeder. Es wäre unmöglich gewesen, ihr die Angst zu nehmen", behauptete Sean. Er stieß sich von der Wand ab und bewegte sich in ihre Richtung. Noch kräftigere Kreise entstanden. Die grünen Linien verdickten sich und breiteten sich glitzernd auf dem Feld aus.
"Ich weiß", murmelte Roe und senkte ihren Kopf. Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht. Sie unterdrückte das Verlangen, sie nach hinten zu streichen. Sean blieb vor ihr stehen und legte seine Hand unter ihr Kinn. Sanft hob er es an, sodass sie in seine Augen sehen musste.
"Wie geht es dir?", fragte er sorgenvoll. Es ärgerte Roe, dass er sie so leicht durchschaute. Er las von ihrer Miene die Gefühle ab, als wäre sie ein offenes Buch. Sie riss sich von seinem Blick los und wandte sich von ihm ab. Mit großen Schritten ging sie auf die seitliche Glaswand zu, wo sie für gewöhnlich immer saß. Seufzend ließ sie sich nieder und lehnte sich nach hinten. Die Kühle an ihrem Rücken beruhigte ihre Nerven.
"In diesem Raum wäre Pluto gestorben", überlegte Roe laut, anstatt Sean eine Antwort zu geben. Sie ignorierte seine Frage. Auch, als diese mehrmals durch ihren Schädel hallte und ihr pochende Kopfschmerzen bescherte. Sie fischte ihren zerknitterten Zettel und den metallfarbenen Stift aus der Tasche und beugte sich nach vorne. Entschlossen fixierte sie die Schriftsymbole und schrieb die, des letzten Raumes, dazu.
"Roe?", fragte Sean. Sie starrte das Blatt an und überflog alles. Ihre Gedanken wollten und wollten nicht nach ihren Regeln spielen. Sie verhinderten, dass sie sich konzentrieren konnte. Ihre Augen blickten durch das Papier hindurch, ohne den Inhalt zu beachten. Trotzdem biss sie ihre Zähne zusammen und täuschte Sean vor, sich mit dem Rätsel zu beschäftigen.
"Ja?", murmelte Roe gespielt beiläufig. Bewusst unterdrückte sie das Verlangen, vom Zettel aufzusehen. Ihre Hände umklammerten das Blatt fester.
"Du solltest dich da nicht so hineinsteigern", riet Sean. Trotz machte sich in ihr breit und vertrieb ihr letztes bisschen Beherrschung.
"Ich steigere mich da nicht hinein!", verteidigte sich Roe. Ihre Augen sprangen zu Sean und sahen ihn verärgert an. Einen Moment lang blickten sie sich an, bis er plötzlich zu lächeln begann. Beschämt senkte sie ihren Kopf und knirschte mit ihren Zähnen. Ihr impulsives Verhalten nahm ihr jede Glaubwürdigkeit.
"Leg mal den Zettel zur Seite", forderte er sie sanft auf.
"Was? Warum?", fragte sie verwundert und sah zwischen dem zerknitterten Blatt und ihm her.
"Komm her. Ich möchte dir etwas zeigen", sagte er und deutete mit seiner Hand auf den Boden neben sich. Er sah sie erwartungsvoll an und wartete auf eine Reaktion.
"Also gut", beschloss Roe seufzend. Sean ließ sich zufrieden nickend nieder und legte langsam seinen Kopf in den Nacken. Sie erhob sich mit einem skeptischen Blick und lief auf ihn zu. Unsicher blieb sie einige Schritte von ihm entfernt stehen.
"Setz dich doch", forderte Sean sie auf und lächelte sie an. Sie wich seinem Blick aus und ging langsam näher zu ihm, bevor sie sich niederließ. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte sie ihn. Er sah mit ausgeglichener Miene zur Decke rauf. Sie tat es ihm gleich.
"Siehst du die Sterne?", fragte Sean und deutete hinauf. Roe betrachtete die Glasplatte über ihrem Kopf und versuchte, seine Worte zu deuten. Da waren feine Risse in der Decke, aber ansonsten war diese makellos. Sie spiegelte die Schatten der beiden wider und flimmerte unruhig. Durch die Stille konnte Roe ein leises Knirschen vernehmen. Es verunsicherte sie, was er mit den Sternen meinte.
"Nein", antwortete sie leise und zog das Wort unsicher in die Länge. Als er nichts sagte, schüttelte sie den Kopf und wollte wieder aufstehen. "Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich habe keine Lust auf so etwas, Sean", gab sie von sich. Er griff eilig nach ihrem Arm und sie hielt überrascht inne.
"Du musst endlich akzeptieren, dass es jetzt keine Pflichten mehr gibt. Keiner von uns beiden hat mehr etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Du musst dich endlich entspannen", meinte er und sah sie ernst an. Roe schluckte und rührte sich nicht vom Fleck. "Aber vor allem musst du endlich loslassen." Er starrte sie an und machte keine Anstalten, von ihr abzulassen. Sie fühlte sich von seinem Blick und den Worten hypnotisiert. Ihr blieb gar keine andere Wahl, als ihm zuzuhören und sich das Gesagte zu Herzen zu nehmen.
"Ich kann dir erklären, was ich mit den Sternen meine", bot Sean ihr mit entspannter Stimme an. Seine ernste Miene war von seinem Gesicht verschwunden und er ließ Roe los. Er lehnte seinen Oberkörper nach hinten und legte sich auf den Boden. Eine Hand war stützend hinter seinem Kopf, während die andere nach oben zeigte.
"Okay", murmelte Roe interessiert und legte sich neben ihn. Sie folgte seinem Blick und registrierte plötzlich die vielen Muster in der Decke. Die Risse im Glas waren kunstvoll ineinander verschlungen. Manche überkreuzten sich und bildeten atemberaubende Bilder. Jetzt verstand Roe seine Faszination und entwickelte ein ähnliches Bewusstsein für diese Schönheit. Sie fühlte sich, als ob sie vorher blind gewesen wäre und sie plötzlich einen Regenbogen sehen konnte.
"Das hier", Sean deutete auf einen bestimmten Fleck, "sieht aus wie der Schwan." Roe folgte seinem Blick und ihre Pupillen weiteten sich. Ein Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. Eine wohlige Wärme durchflutete ihren Körper. "Und dieses hier wie ein Pegasus ... ."
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