RAUM 18

╝ RAUM 18 ╔
❝Kein Held❞

ALLE LIESSEN SICH kraftlos nieder, doch Pluto blieb auf den Beinen. Nervös ging er auf und ab, doch er schwieg. Es war ohnehin nicht der richtige Zeitpunkt, andere zu provozieren. Sogar er war nicht zynisch genug, um unmittelbar ernste Situationen zu belächeln. Auch ihn ließ das Blut nicht kalt. Aber das alles kümmerte Roe wenig. Ihre eigenen Komplexe bereiteten ihr genügend Sorgen.

Fran wuschelte sich durch ihre Locken und brachte sie noch mehr durcheinander. Ihr Gesicht war zu einer unsicheren Miene verzogen. Sean blieb ruhig und tauschte immer wieder Blicke mit Roe. Wolvie regte sich gar nicht. Sein Gesicht war ausdruckslos und er drückte seinen Körper verkrampft gegen das Glas hinter sich. Ein anderer Typ, dessen Namen sie nicht kannte, rieb sich seine Augen und seufzte traurig.

"Wieso bist du so leise?", fragte Pluto an Wolvie gewandt und tippte nervös mit dem Bein auf dem Boden. "Du hast bis jetzt immer irgendetwas gesagt. Es war mit deinem nerdigen Theoriengeschwafel nie zu Ende. Du weißt doch sicher etwas inzwischen oder nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir die Ideen ausgegangen sind." Wolvie zuckte zusammen und blickte ihn erschrocken an.

"Ich weiß nicht", stotterte er hilflos und schüttelte den Kopf. Er grübelte und zog seine Augenbrauen zusammen. Plötzlich ging ein Ruck durch ihn, als hätte ihn ein Elektroschock getroffen.

Namen und Zahlen. Die Stimme in Roes Kopf kehrte zurück und wiederholte die Worte. Sie schluckte schwer und versuchte sich, ihre Anspannung nicht ansehen zu lassen. Tausend unterschiedlich hohe Frequenzen schmolzen zu einem geräuschvollen Brei zusammen. Eine Schweißperle löste sich von ihrer Stirn und rann ihr über das Gesicht.

"Ich habe es. Ich habe die Lösung. Ich habe es jetzt", verkündete Wolvie eilig. Er zitterte am ganzen Leib. Pluto hob belustigt eine Augenbraue.

"Das ging aber schnell. Du hast dich selbst übertroffen", lobte er sarkastisch. "Wofür hast du die Lösung?"

"Für alles. Alles was wir uns gefragt haben", erwiderte Wolvie vorschnell.

"So? Du musst schon direkter werden", meinte Pluto verwirrt. Daraufhin antwortete er nicht, sondern atmete tief ein und aus.

"Lass dir Zeit", sprach Roe ihm zu. Sie konnte es nicht ertragen, dass er sich derart unter Druck setzen ließ.

"Nein, lass dir keine Zeit. Du hast nämlich keine", widersprach Pluto unwirsch. Roe gab einen genervten Laut von sich.

"Warum gerade jetzt? Warum weißt du es genau jetzt?", wollte Sean interessiert wissen. Wolvie ließ seinen Blick zögerlich zu ihm schweifen, bevor er ihn betroffen senkte. Schuld spiegelte sich in seiner Miene wider.

"Es tut mir leid. Es tut mir so leid", stammelte Wolvie unbeholfen.

"Spuck's endlich aus, Mann", verlangte Pluto unsensibel und zuckte mit den Schultern.

"Kannst du bitte endlich deine Klappe halten?", fuhr Roe ihn aufgebracht an. In ihr brodelte es und sie verlor ihre Geduld.

"Erst wenn ich tot bin, Baby", antwortete er und lächelte sie schief an. Sie spürte den unzähmbaren Drang, aufzuspringen und ihn zu erwürgen. Sean bemerkte ihre zum Zerreißen angespannte Gefühlslage und hielt sie eilig zurück.

"Ich weiß es seit Raum 11", sagte Wolvie rasch und kniff seine Augenbrauen zusammen. "Ich habe es euch vorenthalten." Er rutschte unruhig auf seinem Platz umher.

"What?", fragte Pluto fassungslos. Roe öffnete ihren Mund.

"Ja. Ich habe es euch vorenthalten. Mir ist es im Zuge der Feuerprobe eingefallen. Die Reihenfolge. Ich wollte sie euch dann eigentlich in Raum 12 sagen", behauptete Wolvie und sog scharf die Luft ein, "aber dann war da diese herrenlose Stimme, die mir das verboten hat." Er senkte betroffen den Kopf.

"Wow, damit habe ich echt nicht gerechnet", gab Pluto milde beeindruckt von sich. "Und du in Selbstmitleid-versunkenes, armes Schwein hast nicht daran gedacht, dass es zu diesem Zeitpunkt in der 12 vielleicht ein paar Köpfe gerettet hätte, die jetzt inzwischen tot sind?" Er schleuderte Wolvie den Vorwurf harsch entgegen, woraufhin er schockiert sein Haupt schüttelte.

"Das können wir nicht sicher wissen. Er hätte womöglich nur sein Leben riskiert", vermutete Sean und rieb sich nachdenklich sein Kinn.

"No risk, no ... life", meinte Pluto zynisch. "Und wie geht's weiter im Text? Du hast also die lebensrettende Info verschwiegen und hattest vor, sie mit in dein Grab zu nehmen oder wie?"

"Ich habe die Schreibmöglichkeit genutzt und habe Roe einen Zettel geschrieben. Darin steht, dass ich die Reihenfolge weiß", sprach er und Roe wurde schwindelig. Das hieß, dass die Zettel von Wolvie waren? Er würde das alles überleben? Das ergab doch keinen Sinn. Wovor hatte er dann so viel Angst? Sie war verwirrt. Da stimmte etwas nicht.

"Ihr beide schreibt euch Zettelchen? Wie romantisch", meinte Pluto emotionslos und drehte sich zu Roe. "Und wieso genau hast du uns davon nichts gesagt, verdammt nochmal?", fuhr er sie an, doch sie biss die Zähne zusammen und wandte sich eilig Wolvie zu.

"Warum hast du nicht einfach die Reihenfolge aufgeschrieben oder mir wenigstens einen Tipp gegeben?", fragte sie irritiert. Er biss sich auf die Lippe.

"Ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht", stotterte er schuldbewusst. "Ich habe es nicht über das Herz gebracht. Es hat mich so beängstigt, den Tod anderer voraussagen zu können. Ich habe mir eingeredet, dass es besser wäre, wenn ihr alle nichts von dem wüsstet."

"Okay, stopp mal", unterbrach Pluto und streckte seine Arme mit nach außen zeigenden Handflächen aus. "Kommen wir mal wieder zur Ausgangsfrage zurück: Warum sagst du es uns jetzt doch? Oder sagst du es uns überhaupt noch oder reden wir hier ewig um den heißen Brei?" Erwartungsvoll blickten alle Wolvie an, der tief Luft holte.

"Ich habe mich entschieden, es euch jetzt doch zu sagen, weil ich der nächste bin. Ich sterbe in Raum 18. Mit den Symbolen M74", erklärte er und seine Miene war schmerzverzerrt.

Roe durchjagte ein Schrecken und am liebsten hätte sie ihren Kopf an die Glaswand geschlagen. Dieses Hin und Her in ihrem Schädel machte sie verrückt. Also war er doch nicht der letzte Überlebende? Das musste heißen, dass nur der zweite Zettel von ihm war. Flüchtig holte sie die beiden Blätter aus der Tasche und verglich die Schriften. Sie waren vollkommen unterschiedlich. Also war nur die erste Botschaft von Sean und die andere hatte Wolvie ihr zugesteckt.

"Ich bin kein Held, ich weiß. Aber jetzt sehe ich es ein", murmelte Wolvie kraftlos. "Thalia hatte recht. Ich schulde es euch." Er seufzte und hob seinen Kopf an. In seinen Gedanken versuchte er bereits, die richtigen Worte für die Lösung des Rätsels zu finden.

Die Luft begann metallisch zu riechen und über seinem Haupt begann sich eine Art Gewitterwolke zu bilden. Panisch sprang er auf und legte den Kopf in den Nacken. Kleine Blitze zuckten umher, als wollten sie ihm drohen. Er merkte, dass er keine Zeit mehr hatte. Eilig sprach er darauf los.

"Es ist kompliziert, ich sage euch einfach schnell die Reihenfolge", sprach er hektisch und ließ seinen Blick schnell von einer Person zur nächsten springen. "Nach mir kommen planmäßig Thalia, Fran, Pluto, Lawrence-" Der Blitz schnitt ihm brutal das Wort ab und verwandelte ihn in einen Haufen Asche. Innerhalb einer Zehntelsekunde sprang der Blitz auf Pluto und anschließend auf den anderen Typen - Lawrence -, über. Er schlug in sie ein und ihre Überreste lösten sich in Luft auf.

Fran entfloh ein Schrei und Roe presste sich die Handflächen auf den Mund. Ihre Augen weiteten sich schockiert und sie erhob sich zitternd. Panisch atmend eilte sie von einer Ecke des Raumes zur anderen. Zu den Stellen, wo sie gerade noch gestanden waren. Drei Menschen waren weg. Einfach tot.

"Warum?", schrie Roe hinauf. Sie hoffte, die Stimme hörte sie. "Warum tust du das? Das ist unfair! Das ergibt keinen Sinn! Du spielst nicht mal nach deinen eigenen Spielregeln, du Psycho!" Sie hockte sich nieder und griff wütend in das Häuflein Asche - Wolvies letzten Überreste. Im Hintergrund ertönten Frans verzweifelten Schluchzer und Seans Schritte.

"Warum mussten sie jetzt sterben? Weil Wolvie ihre Namen genannt hat? Warum?", schrie Roe und schleuderte den grauen Sand gegen die Glasscheibe. Sean fasste sie an der Schulter und drehte sie zu sich um. Sie fiel ihm um den Hals und ließ ihren Tränen freien Lauf.

┘┌м74┘┌

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