RAUM 15

╝ RAUM 15 ╔
❝Nichts zu befürchten❞

"DA IM LETZTEN Raum außer Caesar noch eine weitere Person eliminiert wurde, wird voraussichtlich in einem der nächsten Räume - oder in diesem hier -, niemand sterben", stellte Wolvie fest, nachdem sich alle durch das Kraftfeld geschleppt hatten. Die Dunkelheit hatte jemand Stummes mit sich genommen. Wenn zwei weg waren, entsprach das nicht dem System.

"Dieser Raum, in dem ausnahmsweise alle überleben werden, würde theoretisch Caesar gehören. Er ist für diesen vorherbestimmt. Wenn er noch da wäre, würde er erst dort sein Leben lassen müssen", erklärte Wolvie. Roe fuhr sich durch ihre Haare und blickte zu Sean, der aufmerksam der Diskussion lauschte.

"Wie kann es dann überhaupt sein, dass Caesar vorher gestorben ist? Wenn er wann anders draufgehen sollte, stimmt das ja doch nicht", überlegte Pluto und warf Wolvie einen skeptischen Blick zu.

"Ich bin noch nicht fertig", verteidigte er sich und hob seinen Zeigefinger hoch. "Für jeden Raum gibt es zwar theoretisch einen zugeteilten Tod, aber das heißt anscheinend nicht, dass die betroffene Person dort sterben muss. Offensichtlich kann sie immer und überall eliminiert werden. Trotzdem wird im ursprünglich vorherbestimmten Raum niemand ohne Grund sein Leben verlieren. Es gibt also eine gewisse Abhängigkeit zwischen Ort und Opfer, aber der ursprüngliche Nutzen - der Tod -, kann trotzdem verloren gehen." Er blickte kurz in Plutos Augen, bevor er seinen Blick rasch wieder abwandte. Unsicher rieb er sich seine Hände.

"Auch wenn es verwirrend ist - irgendwie verstehe ich, was du damit sagen willst", meinte er bloß, woraufhin Wolvie eilig nickte.

"Richtig. Der Zusammenhang könnte für einige irritierend sein. Aber ich bin sehr zuversichtlich, was diese Theorie anbelangt. Ob sie nun wirklich stimmt, sehen wir daran, falls in einem Raum tatsächlich alle überleben sollten", fügte Wolvie noch hinzu und biss sich nachdenklich auf die Lippe.

"Dieses Wissen ändert das grundlegende Empfinden, das ich bei den todbringenden Hindernissen in den Räumen habe", überlegte Thalia. "Eigentlich heißt das nämlich jetzt, dass wir nichts mehr zu befürchten haben. Das Urteil ist nämlich schon längst gefallen. Entweder wir sterben in dem Raum oder wir überleben. Ob wir uns ungeschickt anstellen, ob wir vor Angst unsere Hochleistung bringen, ob wir mit Absicht versuchen zu sterben: Das hat alles absolut keinen Einfluss." Sie beugte sich interessiert nach vorne und verschränkte ihre Hände ineinander. Roe fühlte sich angesprochen und dachte an ihren Versuch zurück, das alles zu beweisen. Mit Sicherheit spielte Thalia bewusst darauf an.

"Korrekt", bestätigte Wolvie und suchte Roes Blick. "Mit deinem Experiment neulich wolltest du das austesten, wenn ich mich recht erinnere." Stumm nickte sie ihm zu und wandte sich rasch nach links. Fran saß dort mit angespanntem Kiefer und stur nach vorne gerichtetem Blick.

"Sehr mutig war das. Ich verstehe, warum sie das gemacht hat", verkündete Thalia offen und zog einige verwunderte Blicke auf sich. "Wir haben nichts zu befürchten, obwohl wir alles zu befürchten haben. Das gleicht sich aus und ergibt gemeinsam null. In mir erzeugt das eine Leere und ich bin da anscheinend nicht die Einzige. Seltsam, wie locker man über den Tod sprechen kann, wenn man sich in so einer Lage befindet wie wir. Es könnte nicht mehr schlimmer kommen und trotzdem ist es schlimm genug, dass es nicht mehr bedrohlich erscheint."

Die Worte schienen ihr leicht von der Zunge zu gehen. Es sprudelte nur so aus ihr heraus, was Roe erstaunte. Sie waren sich aber in keiner Hinsicht ähnlich, davon war sie überzeugt. Außerdem schienen sowohl Thalia als auch Wolvie vergessen zu haben, dass Caesar etwas falsch gemacht hatte und er deswegen gestorben war. Somit hatte jeder von ihnen etwas zu befürchten. Wenn man wiederum außer Acht ließ, dass sie sowieso sterben würden und das ohnehin ein Grund war, sich zu ängstigen.

"Hast du denn gar keine Panik?", fragte der blonde Typ, der schon im letzten Raum einen Streit mit Thalia begonnen hatte.

"Nein. Ich habe inzwischen so viel Angst, dass es unnatürlich ist und dadurch verliert die Panik an Wirkung. Es hat so eine Sinnlosigkeit an sich", antwortete sie neutral, ohne zu ihm zu sehen.

"Aber jeder normale Mensch hat doch Angst oder? Warum hast du keine und warum begründest du es so seltsam?", wollte er wissen und ließ seinen Blick nervös hin und herschweifen.

"Normale Menschen", murmelte Thalia, als wollte sie den Klang der Worte ausprobieren. "Wer ist schon normal? Niemand ist es", stellte sie fest.

"Wieso sagst du so etwas? Warum weichst du jeder Frage aus und gibst dann diese komischen Antworten?", rief er und sprang auf. Er begann unruhig auf und abzutigern.

"Wie heißt du?", fragte Wolvie leise.

"Sam", erwiderte er ebenso gedämpft, während er in seinen Gedanken seine nächsten Worte zurechtlegte. "Thalia, kannst du endlich mal eine vernünftige Aussage geben? Was du sagst, ist einfach nur beunruhigend und macht alle misstrauisch."

Roe schloss ihre Augen und atmete genervt aus. Sie blendete das konfliktgeladene Gespräch aus und konzentrierte sich darauf, entspannt zu bleiben. Eine Ablenkung brauchte sie. Sie zog ihre Knie an den Körper an und kramte in ihrer Hosentasche. Ihre Finger erfühlten einen zerknitterten Zettel, was sie innehalten ließ. Das konnte nicht möglich sein. War das schon wieder eine geheime Botschaft?

Unauffällig richtete sie ihre Augen auf Thalia, dann auf Sam und schließlich in Seans Richtung. Alle waren von der Diskussion gefesselt und abgelenkt. Auf sie achtete niemand mehr. Ohne den Blick von den Leuten zu lösen, zog sie das Papier leise aus der Tasche und hielt es verdeckt vor den anderen. Sachte senkte sie ihren Kopf und überflog die Worte.

'Ich weiß die Reihenfolge'. Roe erstarrte zu Eis. Der immer lauter werdende Streit wurde in ihren Ohren immer leiser. Ihr Schädel raste und drohte durchzubrennen. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Was sie gelesen hatte, machte sie unfassbar nervös.

Die Worte bewiesen, dass die Botschaften tatsächlich von Sean stammen mussten. Diesmal war der Zettel abgenutzt und die Schrift unleserlich. Die Nachricht war im Vergleich zur letzten deutlich hektischer geschrieben worden, als wäre er unter enormem Zeitdruck gestanden. Die Reihenfolge. Sean kannte sie und deswegen wusste er auch, dass er der letzte und einzige war, der überleben würde. Wenn es stimmte, dann besaß er eine überaus gefährliche Information.

"Schluss jetzt", meinte Thalia bemerkenswert neutral zu Sam. "Die Wand wandelt sich. Wir müssen weiter." Er erwiderte gereizt, dass sie seinen Fragen nicht einfach so ausweichen konnte. Kurz gedachte Roe Caesar und bewunderte still seine Fähigkeit, Situationen wie diese zu meistern.

Sie steckte den Zettel eilig ein und richtete sich genau wie die anderen schwerfällig auf. Ein Blick in Seans Richtung reichte ihr und sie wusste, dass er eine unauffällige Miene aufgesetzt hatte. Gemeinsam gingen sie auf das Feld zu. Sie dachte daran, dass Sean das Rätsel um die Reihenfolge bereits gelöst hatte, während sie selbst der Bedeutung der Zahlen noch keinen Schritt nähergekommen war.

"Wolvie, ist dir eigentlich vielleicht mal wieder etwas eingefallen, was die Zahlen betrifft?", wollte Roe an ihn gewandt wissen und unterdrückte das Verlangen, interessiert Seans Reaktion auf diese Frage zu beobachten.

"Nein, leider nicht. Ich bin schon alles Mögliche durchgegangen - aber ich kenne einfach keine äquivalente Zahlenfolge", antwortete Wolvie bedrückt.

"Hey!", rief Thalia und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle der durchsichtigen Wand. M55 stand dort. "Ist es euch nicht aufgefallen?"

"Was soll denn aufgefallen sein?", fragte Sam in gereiztem Ton.

"Genau das. Nämlich nichts", meinte Thalia und quittierte einen verstörten Blick von Sam. "Es ist nichts passiert in diesem Raum. Wolvie hatte recht. Es gab hier nicht einmal Hindernisse und Gefahren. Das hier ist tatsächlich Caesars Raum. Möge er in Frieden ruhen."

Roe schrieb M55 auf ihren Notizzettel und betrachtete anschließend die Schriftzeichen. Wolvies Theorie war sogar doppelt bestätigt, da ein M in den Symbolen dieses Raumes enthalten war. Nur die Zahlen bereiteten ihr noch Bauchschmerzen. Verzweifelt klammerte sie sich an die Hoffnung, dass nicht mehr viel für die Lösung des Rätsels fehlte. Wenn Sean dahintergekommen war, würde sie es auch schaffen.

┘┌м55┘┌

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