RAUM 14

╝ RAUM 14 ╔
❝Kostbarste Person❞

MOLLY WAR TOT. Die ganzen Leute um Roe herum waren nicht mehr schweigsam und traurig, sondern verzweifelt. Jeder, der seine gefühlsverbergende Maske noch halbwegs aufrechterhielt, ließ diese spätestes jetzt fallen. Keiner konnte mehr seine wahren Emotionen verstecken, davon war Roe überzeugt. Besonders an Caesar konnte man das gut erkennen. Seit sie in diesem Raum waren, drehte er völlig durch. Dabei war er es zu Beginn gewesen, der allen Mut gemacht hatte.

Roe drückte sich weiter in die linke Ecke des Raumes hinein und versuchte, ihre Gedanken abzustellen. Ihre zitternden Arme schlang sie um ihren Leib. Sie würde die letzten fünf Minuten am liebsten aus ihrem Gedächtnis löschen. Ihr wurde schwindelig, wenn sie an die vielen Rätsel dachte, die gleichzeitig auf sie eingeströmt waren. Sie war überfordert damit, ihre Gedanken zu Ende zu denken. Sie sprang von einem Ansatz zum nächsten und ließ die Probleme unbearbeitet in ihrem chaotischen Kopf ruhen.

Parallel dazu wollten Roe die Bilder von Mollys Leiche nicht aus dem Kopf gehen. Immer wieder drängten sie sich vor, während sie mit aller Mühe den Anblick zu vergessen versuchte. Indem sie sich einredete, dass es nur eine weitere Tote war, log sie sich selbst ins Gesicht. Ein riesiger Nagel hatte Molly durchbohrt und das hatte ihr irgendwie die Augen geöffnet. In kürzester Zeit würden hier alle tot sein. Alle hier waren dem Untergang geweiht. Bis jetzt hatte es hauptsächlich Leute getroffen, die sie nicht gekannt hatte. Dadurch, dass sie kein Wort gesprochen hatten, war Roe sehr viel Leid erspart geblieben.

Doch jetzt? Jetzt begann das alles erst richtig. Alle, die sich aktiv mit den Problemen auseinandergesetzt hatten, würden Roe bald mit ihren toten Augen anblicken, so wie es die blutüberströmte Molly getan hatte. Oder ihr eigener Blick würde die anderen traumatisieren und ewig verfolgen. Aber nein. Nicht alle. Immerhin war da der Zettel. Er besagte, dass Sean überleben würde. 

"Ihr habt es versprochen!", schrie Caesar plötzlich. Er lehnte bereits die ganze Zeit über am Kraftfeld, das zum vergangenen Raum führte. Seine Hände drückten dagegen, als versuchten sie hindurchzugleiten. "Ihr habt es versprochen und ihr habt euch nicht daran gehalten!" Er hämmerte hilflos auf der Wand und produzierte damit grelle Lichtblitze. Wie Regenbögen flimmerten sie über das Feld.

"Sag mal, du brüllst da jetzt schon verdammt lange herum. Wie wäre es, wenn du mal deine Klappe hältst?", fuhr Pluto ihn genervt an. Grimmig blickte er in seine Richtung.

"Ihr habt es versprochen. Wie könnt ihr nur!", rief Caesar, als hätte er nichts gehört. Verzweifelt sah er gen Himmel. Es wirkte so, als wäre er in einer anderen Welt.

"Hey! Hörst du schlecht?", fragte Pluto bissig.

"Mit Caesar stimmt etwas nicht. So war er bis jetzt nie. Erinnert ihr euch nicht, als er alle mit seinen Reden motiviert hat? Schon in den letzten Räumen hat er sich verhältnismäßig stark zurückgehalten. Da passiert etwas in ihm, das er uns verschweigt", überlegte Thalia und lehnte ihren Kopf an der Wand an. "Aber das nehme ich ihm nicht übel. In Wirklichkeit weiß doch jeder etwas, das er allen vorenthält, oder nicht?" Nachdenklich ließ sie ihren Blick über sämtliche Gesichter gleiten. Daraufhin starrten sie einige Augenpaare skeptisch an.

"Er ist anders, in der Tat. Bis vor Kurzem ist er noch optimistisch gestimmt gewesen und den erschreckenden Tatsachen berechnend und neutral entgegengetreten", stellte Wolvie fest und spielte nervös mit dem Reißverschluss seiner Weste.

"Ja, verdammt! Ein Wunder! Als ob es nicht jedem von Raum zu Raum beschissener gehen würde. Was wundert ihr euch denn?", meinte Pluto und machte mit seinen Händen ausschweifende Bewegungen.

"So ist das nicht gemeint. Es ist nicht einfach die psychische Verfassung. Etwas Bestimmtes bedrückt ihn wohl", vermutete Thalia.

"Ja und was denn?", verlangte Pluto zu wissen.

"Die mir kostbarste Person", antwortete Caesar mit gebrochener Stimme und malte kleine Kreise in das Kraftfeld hinein, während er seinen Kopf antriebslos gegen die Wand lehnte. "Sie ist tot. Alles ist jetzt egal. Es ist vorbei."

"Wen meinst du? Meinst du Molly?", fragte Pluto verwirrt.

"Nicht! Sag nicht ihren Namen", rief Caesar eilig und verzog sein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Miene. "Es tut so weh. Das macht es nur noch schlimmer."

"Alter, das kann doch nicht dein Ernst sein. Du hast mit der doch kein einziges, verdammtes Wort gewechselt. Wie geht das?", wunderte sich Pluto. Auch alle anderen wurden neugierig. Roe fragte sich zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal dasselbe wie Pluto.

"Wisst ihr, eigentlich darf ich es euch nicht sagen", gab Caesar zu und lachte kalt auf, "aber mir kann man jetzt mit absolut nichts mehr drohen. Ich habe alles verloren, das mir wichtig ist. Alles." Langsam ließ er von der Wand ab und drehte sich um, sodass jeder sein Gesicht sehen konnte. Sein leerer Blick wanderte durch die Menge. Plötzlich weiteten sich seine Augen.

"Passt genau auf. Vermutlich bleibt uns nicht mehr viel Zeit", sprach Caesar eilig und sprang auf. "Ich habe sie gekannt. Seit dem Sandkastenalter. Sie war meine Freundin. Im allerersten Raum bin ich lange vor euch allen erwacht und eine Stimme hat mir befohlen, nichts zu erzählen, nicht mit ihr zu sprechen und gab mir im Gegenzug das Versprechen, sie am Ende zu verschonen-" Ein Blitz schlug in Caesar ein und riss ihm das Wort ab. Der grelle Lichtschein hüllte seinen Körper ein und er löste sich im nächsten Moment im Nichts auf. Er war weg. Sprachlos starrten alle auf die Stelle, wo gerade noch ein quicklebendiger Mensch gestanden war. Beim Wort 'Stimme' war Roe zu Eis erstarrt. Sie war nicht die einzige.

"Das waren viele Informationen auf einmal. Sehr viele", meinte Wolvie leise und starrte Löcher in den Fleck, wo Caesar sich befunden hatte. "Eine Stimme, die Anweisungen gibt. Offensichtlich hat er uns etwas mitgeteilt, das nicht für unsere Ohren bestimmt war. Das bringt mich auf diese Theorie: Möglicherweise sterben nur diejenigen, die eine falsche Handlung vollzogen haben. Die, die zu viel Hinterfragen, zu viel Denken und ... ", grübelte er und führte den Satz nicht zu Ende. Er schloss seinen Mund und wurde bleich im Gesicht.

"Wenn es nach dem Hinterfragen ginge, wärst du, Wolvie, der erste, der gestorben wäre. Und die vielen Stummen, die nie etwas gesagt haben, wären noch am Leben", stellte Thalia fest und sah ihn eindringlich an.

"Was ist das für eine Aussage?", fragte plötzlich ein blonder Typ an Thalia gewandt.

"Was heißt das? Was soll mit meiner Aussage denn sein?", fragte sie verwundert und griff sich ans Herz.

"Das ist einfach unangebracht! Wenn ich Wolvie wäre, würde ich nicht wollen, dass du so etwas Direktes sagst!", meinte er erschrocken.

"Sprichst du für Wolvie? Hast du Wolvie gefragt?", wollte Thalia wissen und senkte ihre Stimme. Wolvie sah unbeholfen weg und hielt sich aus dem Gespräch raus.

Roe blendete den Rest der Diskussion aus und es ließ sie kalt, als eine junge Frau nach dem altbekannten Flackern des Lichtes verschwunden war. Sie dachte über ihre eigenen Angelegenheiten nach. Schon jetzt fehlte Caesar in dieser Runde. Er war ein fairer Streitschlichter gewesen und hatte das Herz am rechten Fleck gehabt. Er hatte es nicht verdient, dass die Stimme ihn quälte. Die Stimme. Ein Schauder ging durch Roe.

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