DREIßIG Hürden
Mein neuer Begleiter war weiterhin an meiner Seite. Ich konnte es nicht fassen. Er war schon lange nicht mehr nur ein Begleiter, nur dass ich auch das lange nicht verstand, dass dem ebenso ein Name gegeben wird.
Mir war eines klar. Neben meiner Mutter war er mir der nächste Mensch. Die Erinnerungen werde ich genauso hüten, pflegen und beschützen, das stand für mich fest. Ja, natürlich. Doch dass das mehr als eine Begleitung und einen völlig anderen Namen hat, darauf musste er mich erst noch stoßen.
Auf dem Weg zu meiner eigenen Identität – und damit ist die offizielle belegbare gemeint, – standen mir sage und schreibe dreißig Hürden im Weg. Mit so vielen hatten wir beide in der Nacht, als wir den Schlachtplan anfertigten, nicht gerechnet.
Von dem fehlenden Ausweis und den dazugehörigen Belegen – gar irgendwelcher Belege – über die Nachweiserbringung meiner Aufenthalte meines ganzen Lebens bis hin zu dem 'Auf und Ab' meiner Psyche, die sich auch auf meinen Körper niederschlug, während der ganzen Prozedur, kam auch Unglaube sowie Unverständnis und vielleicht fehlendes Wissen über den Umgang mit so einem Fall der Ämter auf mich beziehungsweise uns zu.
Irgendwann wussten wir nicht mehr, was wir bereits versuchten, was noch offenstand, wo vorne, wo hinten ist. Wir waren einfach ausgelaugt von diesem Rund- sowie Wettlauf mit der Zeit.
Allmählich verlor auch ich den Glauben daran, doch meinen Abschluss nachholen zu können. Glücklicherweise schrieb ich meine Ziele noch nicht auf, das hätte mich vollends zerstört. Jedoch wuchs immer mehr der Wunsch in mir, doch noch meinen bisherigen Pfad, den ich allein und gestaltlos bestritt, entkommen zu können.
Da ich aufgrund keiner existenten Belege für meine Existenz keine Gelder beantragen konnte, ging ich tagsüber weiterhin auf die Straße.
Es ging so weit, dass ich mein Leben auf der Straße vermisste, die Leichtigkeit zwischen den Menschen, die Leichtigkeit, mit der ich in einen Treff hinein gehen konnte, um meine Grundbedürfnisse zu stillen.
Immer mal wieder fand er mich auf dem Boden liegen. Er dachte, ich wäre zu erschöpft gewesen, mich ins Schlafzimmer zu begeben, doch in diesen Momenten sehnte ich mich lediglich an die Leichtigkeit des Straßenlebens.
Nachdem es mehrmals geschah, fragte er danach und ich antwortete ehrlich.
Obwohl ich von selbst darauf hätte kommen können, war ich dankbar und glücklich für seinen Tipp. Einen Tag später war ich in dem Treff, in dem ich mich an wohlsten fühlte. Er begleitete mich. Wir wurden, wie es immer der Fall dort war, herzlich begrüßt und nachdem wir unser Anliegen kurz schilderten, saßen wir schon in einem der hinteren Räume mit einer der Mitarbeitenden. In ihrem Beratungsbüro. Dort war ich bis dahin auch noch nicht. Er unterstützte mich und übernahm teilweise das Gespräch, denn ich empfand auf einmal extreme Scham für meine Situation. Hätte ich es nicht besser wissen müssen?
Doch die Mitarbeitende sagte mir, dass ich daran keine Schuld und keinerlei Verantwortung trage. Sie erhoffte sich, dass ich mich kurz vor dem ersten Ziel nicht hängen lasse, damit ich – sie übernahm mein Wort – als existente Person, mein Leben leben könne.
Ihre Ausstrahlung, verbunden mit ihrer Zuversicht, dass sich etwas machen lasse und es Hoffnung gibt, gaben mir Mut. Und dass er weiterhin immer noch an meiner Seite war, – trotz allem – gab mir ebenso Zuversicht und den Glauben daran zurück.
Doch hatte ich auch die Kraft dafür? Sowie diese für mich einzusetzen?
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