Kapitel 26 - Ein böses Erwachen

„Was?"

Sylvia starrte ihn mit aufgerissenen Augen an und ihr Mund formte ein nahezu perfektes O. Er konnte förmlich sehen wie seine Worte sich wie ein Dolch in ihr Herz bohrten, wie sich ihr Unglauben zuerst in Abscheu und letztlich Enttäuschung verwandelte. Genauso wie er es in Mr. Zs Vision gesehen hatte. War das, was Mr. Z ihm gezeigt hatte, vielleicht ein Blick in die Zukunft? Zuzutrauen wäre es ihm.

Egal, was es war, Armand hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt für seine Dummheit.

Armand, du Idiot. Du absoluter und kompletter Vollpfosten! Wieso kannst du nicht deinen Mund halten? Da hast du endlich die wundervollste Frau in deinem Bett und du musstest es natürlich vergeigen. Alles lief perfekt und nun hast du es wirklich und endgültig vermasselt. Das wird sie dir nie verzeihen!

„Du ... und Natalia ...", stotterte Sylvia, während sie hektisch die Decke über ihre nackte Brust zog.

„Ich weiß, das hört sich schlimm an, aber du musst mir bitte glauben, das zwischen uns liegt in der Vergangenheit."

Mist, Mist, Mist! Irgendwie musste das doch noch zu retten sein!

Er fuhr sich durch die Haare während er in aufsteigender Panik nach den richtigen Worten suchte. „Wir hatten auch nie eine richtige Beziehung, denn daran war Natalia nicht interessiert und ich ebenso wenig. Sie wollte bloß unverbindlichen Sex und ich hatte ... na ja, ... wenig dagegen einzuwenden, zumindest anfangs."

Oh, Mann, das klingt jetzt nicht wirklich viel besser.

„G—gelegentlich? Was heißt gelegentlich?"

Armand zuckte mit der Schulter. „Alle paar hundert —"

„Nein, warte, das will ich eigentlich gar nicht so genau wissen", fiel sie ihm ins Wort.

„Außerdem ist sie doch deine Cousine!" Sie schleuderte ihm das letzte Wort wie einen Giftpfeil entgegen. „Wie konntest du nur Armand!?" Sie war gerade im Begriff aus dem Bett zu springen, als er sie am Handgelenk zu fassen bekam.

„Bitte, Sylvia, du musst mir zuhören. Natalia ist gar nicht meine Cousine. Das habe ich nur gesagt, weil ich nicht wusste wie ich ..., weil ich Angst hatte ...", stotterte er. Die Einsicht, dass er ihr diese Notlüge nie hätte auftischen sollen, kam reichlich zu spät, und alle neu gewonnene Zuversicht was seine Beziehung mit Sylvia betraf, fiel plötzlich in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

„Lass mich gehen", zischte Sylvia. Sie starrte auf seine Hand, die immer noch ihren Arm festhielt. „Deine Ausreden kannst du dir sparen. Ich glaube dir gar nichts mehr."

Armand ließ sie los und als Sylvia kreuz und quer durchs Zimmer flitzte, um ihre Kleidung zu suchen, hob er ihr T-Shirt auf und hielt es ihr hin. „Aber das ist die Wahrheit, das schwöre ich dir."

Sie riss es ihm aus der Hand, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Komm schon, Armand, lass dir was einfallen!

Er bemühte sich, sie nicht zu offensichtlich anzustarren, während sie sich anzog, trotzdem konnte er nicht umhin, einen sehnsüchtigen Blick auf ihre sanften Kurven zu werfen, die nun Stück für Stück hinter Stoffbahnen verschwanden.

Nein, du denkst jetzt nicht daran, wie unglaublich wunderbar sich ihr Körper unter dir angefühlt hat, wie weich ihre Haut, wie warm und feucht ihre —

Er unterbrach sich selbst bevor seine Gedanken noch komplett in unangebrachte erotische Gefilde abdrifteten. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war ein Ständer. Er angelte sich eilig seine Boxershorts vom Boden und griff dann nach seiner Hose.

„Die Wahrheit? Das ist wohl eher deine Version von Wahrheit, die du dir immer genauso zurechtbiegst, wie es dir gerade gelegen kommt."  Sylvia zupfte an ihrem T-Shirt herum, das immer noch genauso zerknittert war wie zuvor.

„Ich weiß, dass es für dich so aussehen muss, aber das ist es nicht. Bitte, gib mir nur die Gelegenheit, dir alles zu erklären, dann können wir all das ausräumen, was noch zwischen uns steht." Er knöpfte sich die Hose zu, aber ein Blick auf sein verschwitztes T-Shirt am Boden ließ ihn rasch zum Schrank sprinten und ein frisches rausholen.

„Das zwischen uns, das ... das war ein Fehler. Ich hätte es wissen sollen, dass das nie funktionieren kann. Gott oder nicht Gott, du und ich, wir passen einfach nicht zueinander." Hastig stopfte Sylvia ihre Sachen in ihre Tasche. Der schmerzerfüllte Blick, den sie ihm zuwarf, traf ihn wie ein Keulenschlag.

„Was? Nein! Wie kannst du sowas sagen?" Die Panik in seiner Brust breitete sich wie eine Flutwelle aus.  „Das war kein Fehler, das war —" Ja, was war es eigentlich? Schicksal? Liebe? Sexuelle Anziehungskraft?

Sie starrte ihn mit erhobenen Augenbrauen an. „Siehst du? Du weißt ja nicht mal selbst, als was du das bezeichnen sollst." Sie schlüpfte in ihre Schuhe und stürmte zur Tür. „Ich habe jedenfalls keine Lust, Teil deiner Sammlung an unverbindlichen Sexabenteuern zu werden."

„Das bist du doch gar nicht! Und nur damit das klar ist, es gibt überhaupt keine solche Sammlung. Nur weil ich ein alter Liebesgott bin — also war — heißt das nicht, dass ich meine gesamte Lebenszeit damit verbracht habe, mich durch jedes verfügbare Bett zu schlafen. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich an sowas kein Interesse habe."

Sylvia hatte bereits die Türklinke in der Hand, als sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. „Das hat dich aber nicht davon abgehalten, regelmäßig mit deiner Cousine ins Bett zu hüpfen und mir dieses pikante Detail dann auch noch ganz gezielt vorzuenthalten."

Armand warf die Hände in die Luft. „Natalia ist nicht meine Cousine! Wie oft soll ich denn das noch wiederholen? Wir sind nicht verwandt. Nicht mal weitschichtig." Seine Panik verwandelte sich in rasend schnellem Tempo in Verzweiflung.

„Du musst es gar nicht mehr wiederholen, denn ich werde nicht mehr hier sein, um dir zuzuhören", rief sie mit tränenerstickter Stimme.

Sylvia rannte die Treppe hinunter und Armand stand wie angewurzelt oben am Treppenabsatz, seine Hand ums Geländer geklammert. „Sylvia, du kannst doch jetzt nicht einfach so weglaufen. Ich dachte, wir würden ..." Der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken.

Sylvia war bereits an der Eingangstür, als er über die Treppe jagte wie von einer Horde wild gewordener Dämonen gehetzt.

„Wenn du Gesellschaft brauchst, dann ruf doch Natalia an", giftete sie ihn an. „Ich bin mir sicher, sie wärmt dir gerne dein Bett." Sie wischte sich mit dem Handrücken über ihre feuchte Wange.

Armand kam neben ihr zum Stehen und hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest, um nicht der Versuchung zu erliegen, sie berühren. „Ich will aber nicht Natalia, sondern dich."

Sein Herz zog sich zusammen beim Anblick ihres verweinten Gesichts und fast hätte er ihre Wange gestreichelt, doch er hielt sich im letzten Moment zurück.

„Das hättest du dir vorher überlegen sollen, bevor du mich angelogen hast. Jetzt ist es zu spät. Adieu, Armand." Sie drehte sich von ihm weg und schritt zielstrebig den mit Gras überwachsenen Kiesweg zum Gartentor entlang.

Er wollte ihr nachlaufen, sie um Verzeihung bitten, sie auf Knien anflehen, ihm zu vergeben. Doch er tat nichts von alledem. Wie versteinert stand er im Türrahmen und mit jedem Schritt, mit dem sich Sylvia von ihm entfernte, wurde das schwarze Loch in seinem Herz größer.

Ein Versager, das ist es, was du bist, Armand.

Er drehte sich um und schloss leise die Tür hinter sich. Dann war er mit seinem Schmerz allein, genauso wie er es wohl verdient hatte.

Mit klopfendem Herzen und Tränen in den Augen stand Sylvia vor dem Gartentor zu Armands Haus und wählte Caros Nummer. Ihre Freundin war ihre letzte Rettung und die Einzige, bei der sie vielleicht noch Unterschlupf finden konnte.

„Komm schon, geh ran", murmelte sie, während aus der Ferne plötzlich ein Taxi die Straße herunterbretterte.

Seine Cousine! Was denkt er sich eigentlich dabei? Und dann behauptet er auch noch, sie wären gar nicht verwandt. Für wie dumm hält er mich überhaupt? Dumm genug, dass du bereitwillig mit ihm ins Bett hüpfst.

Sie fuhr sich über die Stirn und stieß einen langen Seufzer aus.

Oh, Mann, was für eine beschissene Situation. Du hast echt Talent, dich immer wieder in unmögliche Sachen reinzumanövrieren.

„Hallo, Syl?", tönte es endlich vom anderen Ende der Leitung.

Das Taxi hielt mit quietschenden Reifen direkt neben ihr.

„Caro, endlich!" Sie atmete erleichtert auf, während sich das Fenster der Beifahrerseite vom Taxi langsam senkte.

„Ist irgendwas passiert? Du klingst so aufgeregt?" Da schwang eine gehörige Portion Sorge in Caros Stimme mit.

„Das könnte man so sagen. Ich kann dir das jetzt nicht wirklich so genau erklären. Es ist ziemlich verworren." Mist, das hatte sie in ihrer Eile gar nicht bedacht, dass sie ja ihrer Freundin wohl eine Erklärung schuldig war, wenn sie sie so einfach ganz spontan anrief und um Hilfe bat.

„Wohin solls denn gehen, junge Dame?" Der Taxifahrer beugte sich hinunter und sah sie neugierig durch das offene Fenster an.

Warum der plötzlich hier auftauchte, war ein Mysterium, obwohl, es konnte wohl nur eine logische Erklärung dafür geben, aber an die wollte sie nicht denken. Sie musste Armand ein für allemal aus ihrem Gedächtnis streichen.

„Sylvia? Was ist denn das für ein Typ bei dir und wo bist du gerade?"

„Das ist nur der Taxifahrer. Hör mal, Caro. Ich weiß, das kommt jetzt ziemlich plötzlich, aber könnte ich heute bei dir übernachten? Also, falls du schon wieder zu Hause und nicht mehr bei deinen Eltern bist."

„Ja, natürlich kannst du das. Du weißt doch, dass du jederzeit bei mir reinschneien kannst. Jetzt sag bloß, Edgar hat wieder was ausgefressen."

„Richterstrasse 12, bitte", sagte sie zum Taxifahrer und dann zu Caro gewandt: „Nein, diesmal hat es nichts mit Edgar zu tun. Es ... es ist eine lange Geschichte und ich verspreche dir, ich werde dir alles erzählen, wenn ich bei dir bin, okay?"

Na, wenn du das nicht noch bereuen wirst. Caro wird dir gehörig den Kopf waschen und du weißt genau, dass dir das recht geschieht.

„Okay, aber ich nehm dich beim Wort. Diesmal gibts keine Ausflüchte."

„Versprochen." Eigentlich wollte sie doch am liebsten die ganze Angelegenheit vergessen und nun war sie gezwungen, ihre Dummheit vor ihrer Freundin noch einmal auszubreiten.

„Gut, dann bis bald, und Syl?"

„Ja?" Sie ließ sich auf den Rücksitz fallen und kaum hatte sie die Tür geschlossen, stieg der Taxifahrer schon aufs Gas.

„Ich hab auch Neuigkeiten für dich, aber die erzähl ich dir erst, wenn du da bist. Also wir sehen uns." Dann legte Caro auf und auf Sylvias Display tauchte plötzlich eine neue Nachricht auf. Von Tarkov? Was wollte denn der? Fast hätte sie ihr Handy wieder in die Tasche gesteckt, aber dann siegte doch die Neugierde.

Hab vergessen zu erwähnen, dass die von mir entwickelte Software auch eine integrierte Nah- und Fernverkehrsfunktion hat. Soll heißen, du brauchst ein Transportmittel und schon ist eines zur Stelle. Total genial, was? xD

Trotz ihrer Wut und Trauer konnte sie sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. Ja, Tarkov verstand sein Handwerk, daran bestand kein Zweifel. Doch dann kam wieder die Erinnerung hoch an Armand und seine Lügengeschichten. Bilder von ihm und Natalia, wie sie sich nackt im Bett wälzten, tauchten in ihrem Kopf auf.

Mist, jetzt heul doch nicht schon wieder!

Sie wühlte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch, aber da war natürlich weit und breit keines zu finden.

„Hier. Ich hab eine ganze Packung bei mir vorne." Der Taxifahrer hielt ihr die Box hin.

„Danke." Sylvia zog ein paar Tücher raus und versank dann wieder in ihrem Sitz, eine Hand fest um ihre Tasche geschlungen, während sie sich mit dem Taschentuch die Augen abwischte und die Nase putzte.

Schon wieder vibrierte ihr Handy. Wenn das Armand war, dann würde sie seine Nachricht ignorieren. Etwas anderes hatte er nicht verdient.

Doch da leuchtete nicht Iron Man, sondern Black Widow am Display.

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