Kapitel 10 - Croissants zum Frühstück

Armand warf einen letzten prüfenden Blick auf den runden weißen Holztisch in der Mitte der gemütlichen Wohnküche, die von der Morgensonne in ein zartrosa Licht getaucht wurde.

Croissants, Butter, Orangensaft, Marmelade (drei Sorten), Honig, Müsli, Kaffee (mit Milchschaum), Zucker, Teller, Tassen, Gläser, Servietten und Besteck. Ja, es war alles da. Zufrieden betrachtete er sein Werk, mit dem er sich in den frühen Morgenstunden die Zeit vertrieben hatte.

Die Küche war schon länger nicht mehr benutzt worden und musste erstmal ein wenig auf Vordermann gebracht werden. Danach hatte er noch einen kurzen Abstecher zu einer nahegelegenen Bäckerei gemacht und sich daraufhin einen kurzen Kampf mit der vollelektronischen Kaffeemaschine geliefert. Obwohl er Unmengen von Kaffee in sich hineingoss, hatte er die Zubereitung stets seinen Sekretärinnen überlassen, und war nun etwas überfordert von den endlosen Auswahlmöglichkeiten.

Hoffentlich ist Sylvia nicht zu wählerisch mit ihrem Kaffee.

Er kratzte sich am Hinterkopf und lugte aus der Küchentür zur Stiege, die in den oberen Stock führte. Von dort waren bereits Schritte zu hören. Eilig brachte er sich in Position, um es möglichst so aussehen zu lassen, als hätten ihn all die Vorbereitungen nicht mehr als wenige Minuten gekostet. Betont locker lehnte er sich in seinem weißen Küchenstuhl zurück, einen Fuß lässig über das andere Knie geschlagen, und nippte an seinem Kaffee, als seine Zunge plötzlich wie Höllenfeuer brannte. Beinahe hätte er das ganze Gebräu über den sorgsam gedeckten Tisch gespuckt.

Oh Mann, wieso ist der nur so extrem heiß?

Für einen kurzen Moment fühlte sich seine Zungenspitze taub an, aber dank seiner göttlichen Sofortheilungskräfte war das Gefühl der Beeinträchtigung nur von minimaler Dauer.

Da musste er wohl noch etwas an seiner Zubereitungstechnik feilen. Und möglicherweise Sylvia vor ihrem ersten Schluck warnen, obwohl er ihren ja vorsorglich mit Milchschaum zubereitet hatte. Das war ein Tipp von Maurizio gewesen. Angeblich würden Frauen Milch in ihrem Kaffee bevorzugen.

Hoffentlich stimmt das auch so.

Als Sylvia endlich im Türrahmen auftauchte, verdampfte jeglicher Gedanke an Kaffee in seinem Kopf. Sie hatte ihre blonden Haare wieder zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und lächelte ihn etwas unsicher an. Die Sonne ließ das Grün in ihren Augen wie eine Sommerwiese leuchten und zauberte einen rosigen Hauch auf ihre Wangen.

„Guten Morgen." Sie ließ ihren Blick über die Wohnküche schweifen, während sie an ihrer Bluse herumzupfte.

„Morgen", sagte er mit etwas belegter Stimme. Er versuchte nicht auf den unter ihrer Bluse durchscheinenden BH zu starren, den er letzte Nacht genauso wie ihren weißen Spitzenslip in seinen Händen gehalten hatte, als er ihrer beider Kleidung aus dem Waschtrockner geholt hatte. Er hatte sich am Riemen reißen müssen, um sich nicht in unangebrachten Gedankenspielen zu verlieren. Sich nicht vorzustellen, wie dieser Hauch von Spitze wohl auf ihrem zierlichen Körper aussehen würde. Wie es sich anfühlen würde, diese zarten Gebilde langsam und bedächtig mit seinen Fingern über ihre Rundungen hinunterzuziehen, während sich ihre Haut unter seinen sanften Berührungen langsam röten würde.

Stopp, Armand! Jetzt fang nicht schon wieder damit an. Du hast die halbe Nacht damit verbracht, dir irgendwelche unanständigen Sachen auszudenken.

„Na, gut geschlafen?" Er versuchte es mit einer unverfänglichen Frage, die hoffentlich die letzten Schatten seiner nächtlichen Lustfantasien vertreiben würde.

„Äußerst gut, danke. Das Bett war wunderbar und äh, danke für die trockenen Sachen." Sie zog mit ihren Fingern am Kragen ihrer Jacke.

„Keine Ursache." Er stellte seine Tasse ab und deutete mit der Hand auf den Tisch. „Ich hoffe, du bist hungrig."

„Ein wenig schon, aber ich hab leider nicht sehr viel Zeit und noch eine Menge unangenehmer Dinge zu erledigen." Sie stand immer noch im Türrahmen, als wäre sie schon am Sprung zu gehen.

„Noch ein Grund mehr, so etwas nicht mit leerem Magen in Angriff zu nehmen." Blitzschnell erhob er sich von seinem Stuhl und zog für sie den anderen an der Lehne heraus. „Ein paar Minuten werden sich doch noch ausgehen oder hast du es so eilig, von hier wegzukommen?"

„Nein, natürlich nicht, aber mein Chef hat null Toleranz was Zuspätkommen betrifft." Sie seufzte und presste ihre Tasche näher an ihren Körper.

„Das scheinen Chefs so an sich zu haben." Er bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. „Aber gegen ein frisch gebackenes Croissant kann auch ein engstirniger Vorgesetzter nichts einzuwenden haben." Um seinen Punkt zu verdeutlichen, hob er ein Croissant hoch und legte es demonstrativ auf ihren Teller.

„Frisch gebacken?"

„Die Dame in der Bäckerei versicherte mir, sie seien frisch aus dem Ofen."

„Du warst extra in der Bäckerei?"

„Natürlich. Als dein Lebensretter bin ich doch verantwortlich für dein Wohlbefinden und das beinhaltet ein reichhaltiges Frühstück."

„Okay." Ihr Mund weitete sich zu einem Lächeln. „Dazu kann ich wohl nicht nein sagen."

„Nein, kannst du nicht." Es kribbelte in seinem Bauch, als er ihr Lächeln erwiderte.

Sie nahm ihm gegenüber auf dem angebotenen Stuhl Platz, und die Spannung schien etwas aus ihrem Körper zu weichen.

„Nettes Haus", sagte sie zwischen einem Bissen Croissant und einem Schluck Orangensaft, während ihr Blick über die Fensterzeile hinter ihm wanderte. „Und der Garten muss ein Traum sein im Sommer."

Er nippte, diesmal etwas vorsichtiger, an seinem Kaffee. „Vermutlich. Ich bin nicht wirklich oft hier, aber vielleicht sollte ich das ändern." Er warf ihr einen Blick über den Rand seiner Tasse zu. Die Art und Weise wie sich ihre Nase kräuselte, während sie an ihrem Kaffee schnupperte, ließ sein Herz etwas schneller schlagen. „Und um nochmal auf mein Angebot von gestern zurückzukommen, du bist natürlich hier jederzeit willkommen. Meine Familie hat garantiert nichts dagegen, wenn das Haus öfters mal genutzt wird."

Sie hob ihre Augenbrauen und legte ihren Kopf schief, sodass ihr Pferdeschwanz auf ihrer Schulter zu liegen kam. „Deine Familie muss ja recht betucht sein, wenn sie es sich leisten kann, so ein Haus leer stehen zu haben."

Armand zuckte mit der Schulter. „Mehr oder weniger, aber sprechen wir nicht von meiner Familie. Erzähl mir lieber was von dir." Er brach ein Croissant auseinander, beschmierte eine Hälfte davon mit Butter und sah sie erwartungsvoll an. Dass er bereits einen Großteil über ihr Leben wusste, konnte er ihr ja nicht sagen, außerdem brannte er darauf, die Dinge aus ihrem eigenen Mund zu hören.

Sylvias Gesicht wurde verschlossen. „Da gibt's nicht viel Interessantes zu erzählen." Sie wischte sich mit dem Finger einen Krümel von ihrem Mundwinkel und wich seinem Blick aus.

„Das glaube ich nicht. Du musst mir ja nichts erzählen, was du gerne für dich behalten willst, aber du kannst mir nicht verdenken, wissen zu wollen, wen ich da eigentlich gestern aus dem Wasser gezogen habe."

Sie knüllte die Serviette in ihrer Hand und presste ihre Lippen aufeinander. „Armand, ich ... ich bin dir wirklich sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber mein Leben ist momentan nicht etwas, das ich mit einem fremden Menschen teilen möchte."

„Ganz fremd sind wir uns doch nicht mehr." Das Gefühl von Wärme, das sich in seiner Brust eingenistet hatte, erlosch, und seine Stimme wurde plötzlich kühl. „Immerhin hattest du kein Problem, in meinem Haus zu übernachten und mit mir gemeinsam zu frühstücken."

„Ich weiß." Sie ließ ihre Schultern hängen und ihre Wangen wurden plötzlich bleich. „Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein." Sie starrte auf ihren Teller. „Ich ... bei mir läuft nur grade alles aus dem Ruder und ich brauche ein wenig Zeit, um mich wieder zurechtzufinden." Ihre Unterlippe begann zu zittern und ihre Augen schienen sich mit Tränen zu füllen.

Armand, du kompletter Vollpfosten. Schonmal was von Taktgefühl gehört?

Er wollte sich am liebsten selbst ohrfeigen für seinen unangebracht scharfen Tonfall. Anstatt entspannt mit Sylvia bei Croissants und Kaffee zu plaudern, hatte er sie nun beinahe zum Weinen gebracht.

Komm schon, du musst das wieder hinbiegen, bevor es zu spät ist.

„So habe ich das nicht gemeint", lenkte er rasch ein und wollte schon seine Hand auf ihre legen, zog sie aber im letzten Moment wieder zurück. Das wäre wohl genauso unangebracht.

Mist. Dir fehlt es echt an Übung im Umgang mit Menschen.

„Entschuldige bitte, das war sehr unüberlegt von mir. Du schuldest mir natürlich keine Erklärung und ich habe auch kein Recht, irgendwas von dir einzufordern." Er fuhr mit dem Finger über die Tischkante. „Ich war einfach nur neugierig und hab wohl meine Manieren vergessen. Wird nicht wieder vorkommen, versprochen."

„Schon okay." Sylvia schniefte und tupfte sich mit der Serviette die Augen. „Ich bin auch normalerweise nicht so ungesprächig, und ich verstehe auch, dass du neugierig bist und Fragen hast, aber heute ist kein günstiger Moment dafür."

Der Anflug eines Lächelns schlich sich auf sein Gesicht. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. „Heißt das, es könnte vielleicht mal einen günstigeren Moment geben?"

Als sie ihn kurz wortlos anstarrte, fürchtete er, schon wieder was Falsches gesagt zu haben. Er sollte sich wirklich angewöhnen, nachzudenken, bevor er seinen Mund aufmachte. „Was ich damit sagen wollte, ist nur, falls du Hilfe brauchst oder reden möchtest, ein Anruf genügt."

„Danke für das Angebot, aber das wird nicht nötig sein." Sie beugte sich zu ihrer Tasche runter und zog ihr Handy raus. „Ich muss jetzt übrigens wirklich los, wenn ich nicht noch Probleme mit meinem Chef bekommen will." Sie schob ihren Stuhl zurück und hängte sich die Tasche um.

Jetzt wirds knapp. Wenn du Sylvia wiedersehen willst, dann mach jetzt was.

„Wie wärs, wenn ich dir trotzdem meine Nummer gebe?", schlug er vor, während er sich auch von seinem Stuhl erhob. „Also, nur für den Fall, dass noch mal Probleme auftauchen, was ich natürlich nicht hoffe." Obwohl er natürlich sehr wohl hoffte, dass sie sich noch einmal bei ihm melden würde.

Sylvia stand für einen Moment unentschlossen da, während ihr Blick von ihm zu ihrem Smartphone in der Hand wanderte.

Bitte sag ja!

Mit einem kleinen Lächeln hielt sie ihm ihr Handy hin. „Okay, du kannst deine Nummer selber einspeichern, aber ich kann nichts versprechen."

Na also, war doch nicht so schwer!

„Kein Problem, das musst du auch nicht." Er tippte seine Nummer ein — die Nummer, die für seine Geschäfte auf der Erde reserviert war — und überreichte ihr das Handy mit einem breiten Grinsen.

Sie lugte auf das Display und ihre Mundwinkel zogen sich in die Höhe. „Iron Man?"

Er zuckte mit den Schultern, immer noch grinsend. „So hast du mich doch genannt. Und der Name gefällt mir, also bleib ich dabei."

„Okay, damit kann ich leben." Sie ließ ihr Handy in die Tasche gleiten und machte sich auf den Weg zur Tür.

Er folgte ihr nach und zückte sein Smartphone, als sie nebeneinander den Flur entlanggingen. „Ich ruf dir ein Taxi, dann kommst du am schnellstmöglichen Weg nach Hause."

„Danke, das wäre sehr nett." Ihr Blick blieb auf ihre Schuhspitzen gerichtet.

In weniger als zwei Minuten war der Anruf erledigt und das Taxi bereits unterwegs.

„Wir können draußen warten, wenn du möchtest." Er hielt die Eingangstür für sie auf. Die frische Frühlingsluft wehte ihm den Duft von jungem Gras und feuchter Erde entgegen.

„Ich liebe diesen Geruch", sagte Sylvia neben ihm. Sie atmete tief ein und schloss ihre Augen. „Wie das Leben, das sich aus der Erde stets selbst erneuert."

Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Ganz schön philosophisch für ... für diese frühe Stunde."

Mist. Er musste besser aufpassen. Fast hätte er „für einen Menschen" gesagt.

„Na ja, jetzt weißt du schon mal etwas über mich. Ich liebe den Geruch von Gras und Erde und mache gerne philosophische Vergleiche." Sie sah zu ihm auf und die Morgensonne ließ ihre Sommersprossen im Kontrast zu ihren grünblauen Augen noch stärker hervortreten. Wie unzählige kleine Blütenpollen, die ein laues Lüftchen auf ihrer Nase und ihren Wangen verteilt hatte.

„Ich werd's nicht vergessen, versprochen." Er vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen, um nicht der Verführung zu erliegen, ihr Gesicht zu berühren.

Hinter dem schmiedeeisernen Zaun kam das Taxi zum Stehen.

Das war er. Der Moment des Abschieds.

„Oh, mein Taxi." Sylvia drehte sich von ihm weg und steuerte schnurstracks auf das Portal zu, das sich mit einem angestrengten Knarzen öffnete, nachdem er es für sie aufgesperrt hatte.

Sie stand neben dem Auto und hielt ihm die Hand entgegen. „Danke für alles, Armand."

„Es war mir ein Vergnügen." Er nahm ihre Hand und schüttelte sie. Ein Gefühl der Wärme durchströmte ihn, als sich ihre Hände berührten. „Und versprich mir, dass du dich meldest, wenn du etwas brauchst."

„Versprochen." Sie erwiderte seinen Händedruck mit einem kurzen Lächeln.

Als sie ihre Hand zurückzog, fühlte es sich an, als ob sich ein eisernes Band um seine Brust legte.

Bevor er noch etwas sagen konnte, saß sie schon im Taxi und winkte ihm durch das Fenster zu. Er konnte gerade noch seine Hand heben, da war das Auto schon weg und Sylvia aus seinem Leben verschwunden.

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