Kleines Entlein - 1

Schnaufend blieb ich endlich stehen. Noch nie war ich so froh gewesen mich in einer vollkommen überfüllten Hochbahn zu befinden. Im Vergleich zu einem Streit zwischen zwei Flammengeborenen war die stickige Luft, ausgeatmet von hunderten genervter Menschen, vollkommen friedlich. Ich erkämpfte mir einen kleinen Platz und beobachtete neugierig die Leute um mich herum. Eigentlich sollte zu dieser Uhrzeit nicht so viel los sein. Was konnte den plötzlichen Zuwachs an Passagieren wohl bewirkt haben?

Auf einmal vernahm ich ein leises Schluchzen. Einen Moment lang ließ ich meinen Blick durch die Reihen schweifen, bis meine Augen an einem Teenager hängen blieben. Es handelte sich um ein blasses Mädchen mit kupferrotem gelocktem Haar. Ihre Nase war umgeben von unzählig vielen Sommersprossen, doch ihre braunen Augen waren gefühlt mit hunderten salziger Tränen. Sie rannen ihr in Strömen über die Wangen und tropften lautlos in ihre Schuluniform. Die Menschen um sie herum, wandten dem Mädchen betroffen den Rücken zu und traten wenn möglich einen Schritt von ihr weg. Es kam viel zu häufig vor, dass ein Kind, ein Mann oder eine Frau weinte. Schon vor langer Zeit war bei den wenigen Menschen, die sich zumindest noch etwas leisten konnten, das Mitleid auf der Strecke geblieben. Jeder in diesem Zug kämpfte mit seinen eigenen Dämonen, hatte eigene Familien zu versorgen und eine eigene große Last zu tragen.

Ich blickte wie die anderen Menschen weg. Was konnte ich schon tun? Wenn ich das Mädchen nach den Grund ihrer Trauer fragen würde, würde ich nur Salz in eine offene Wunde streuen. Es war doch sicher gnädiger, einfach die Tatsache zu ignorieren, dass sie weinte und ihr damit zumindest eine gewisse Privatsphäre einzuräumen.

Zwei Haltestellen zogen an mir vorbei. Es würde noch lange bis zu meiner Endstation dauern. Eigentlich hatte ich vorgehabt in schöne Erinnerungen an die eben verbrachte Zeit zu schwelgen, doch das Schluchzen des Mädchens ließ mir keine Ruhe. Immer wieder redete ich mir ein, dass es so besser war, doch mein Gewissen wurde immer schlechter. Mit jeder weiteren Träne, die an der Wange des Mädchens hinabkullerte, wuchs mein Mitleid.

Schließlich fasste ich mir doch ein Herz und kämpfte mich mit Ellenbogenstößen hier und Fußtritten dort durch die Menschenmenge. Kurz vor meinem Ziel angekommen, blieb ich noch einmal stehen und überdachte meine Situation. Sollte ich das wirklich durchziehen? Ein Blick in das verweinte Gesicht des Mädchens beantwortete meine Frage. Auch wenn ich die salzigen Bäche aus Tränen vielleicht nicht sicher aufhalten konnte, musste ich es doch versuchen.

„Hey, ist alles in Ordnung?", fragte ich mit leicht zittriger Stimme. Ich versuchte ein schwaches Lächeln auf meine Lippen zu zaubern, doch es wollte mir nicht wirklich gelingen.

Das Mädchen schaute verwirrt auf. Sie brauchte einen Moment bis ihre großen braunen Augen mich erfasst hatten. Scheinbar war ihr Verstand vollkommen von dem Grund ihrer Trauer gefesselt gewesen. Nachdem meine Stimme sie wieder zurück in die Realität gerissen hatte, wischte sie sich hastig mit dem Ärmel über ihre Gesicht. Ihre Wangen mit den vielen winzigen Sommersprösschen verfärbten sich leicht rot und ein kleines Hicksen entfloh ihrer Kehle. Sie öffnete den Mund, so als wolle sie etwas sagen, doch dann schloss sie ihn rasch wieder und nickte einfach. Ihre braunen Augen starrten mich voller Angst bittend an und ich seufzte leise. Was hatte ich mir auch nur dabei gedacht das Mädchen anzusprechen?

„Es ist in Ordnung, wenn du nicht mit mir darüber sprechen möchtest", haspelte ich rasch hervor und wollte mich bereits wieder abwenden, als sich in den Augen des Mädchens auf einmal die Enttäuschung spiegelte. Sie wandte rasch ihr Gesicht von mir ab und stumme Tränen der Trauer rannen erneut über ihre Wangen. Tiefe Schuldgefühle stachen in meine Brust. Ich versuchte sie zu ignorieren, doch als das leise Schluchzen wieder einsetzte, konnte ich gegen das Drängen in mir erneut nicht mehr ankämpfen.

„Weißt du, ich habe eine kleine Schwester. Sie war noch sehr klein, als sie eines Tages ihr geliebtes Kuscheltier im Wald verloren hat. Es war ein kleines Entenküken. Sie hat fürchterlich geweint. Ich habe überall nach ihren kleinen Quaki gesucht...", ich schwieg und beobachtete das Mädchen neben mir. Immer noch flossen Tränen aus ihren Augen und hinterließen eine salzige Spur der Trauer auf ihrer Haut zurück, doch sie hatte begonnen mich neugierig zu beobachten.

„Hast du ihr Kuscheltier gefunden?", fragte das Mädchen zu meiner Überraschung. Ein kleines Hicksen folgte und ich lächelte. Vielleicht würde es tatsächlich klappen, sie zumindest für einen Moment von ihrer Trauer abzulenken.

„Nein, egal wie sehr ich gesucht habe, ich konnte es einfach nicht finden." Die Augen meiner Zuhörerin nahmen einen hoffnungslosen Ausdruck an und ich beeilte mich rasch fortzufahren: „Weißt du, meine Familie besaß eines der Gestaltwandler Häuser in der Nähe des Waldes. Ein ganzes Stück von meinem ehemaligen Zuhause gab es einen See, der zu einem Wasserfall gehörte. Als letzte Option suchte ich dort, da meine kleine Schwester diesen Ort über alles liebte. Ich fand nicht Quaki, aber dafür fand ich ein echtes kleines Entenküken. Scheinbar war es von seiner Familie getrennt worden und watschelte einsam am Rande des Sees umher. Es quakte ganz verzweifelt und rief nach seiner Familie, doch weit und breit war keine Entenmama zu sehen."

In den Augen des Mädchens las ich eine große Empathie für das Entenküken. Neugierig lauschte meine Zuhörerin jedes meiner Worte und vergaß dabei zu weinen. Nur das ab und zu hörbare kleine Hicksen und die salzigen Spuren auf ihrer Wange erinnerten noch an ihre große Trauer.

„Ich habe das kleine Entenküken mit zu uns nach Hause genommen und es meiner Schwester gegeben. Sie war vollkommen verzaubert von dem kleinen Kerl. Ich gab traurig zu, dass ich Quaki nirgendwo gefunden hatte, doch meine Schwester schüttelte bloß den Kopf und erklärte, dass echte Entlein sei ihr Kuscheltier. Sie war sich sicher, dass Quaki zum Leben erwacht war, um wieder zu ihr nach Hause zu kommen." Ich schwieg und beobachtete, dass Mädchen.

Einen Moment dachte sie über meine Worte nach. Ich konnte nicht sagen, was sie von der Geschichte hielt, doch zumindest breitete sich ein schwaches Lächeln auf ihren zarten Lippen aus. „Was haben eure Eltern zu dem neuen Haustier gesagt?", fragte das Mädchen nach kurzen Schweigen neugierig nach.

„Mein Vater war zuerst nicht sehr begeistert. Er meinte, dass es nicht Quaki sei und wir die Familie der Ente suchen sollten. Doch meine Mutter war sofort Feuer und Flamme. Sie nahm das kleine Entenküken in ihr großes Herz auf und bestimmte, dass das Entlein solange bei uns bleiben dürfe, bis wir die Familie gefunden hätten. Das geschah jedoch niemals, so dass Quaki zu einem großen stolzen Familienmitglied heranwuchs."

Als ich meine Geschichte beendet hatte, kicherte das Mädchen sogar leicht. Sie wischte sich die Tränen von der Wange und strafte ihre Schultern, dann flüsterte sie: „Deine Mutter ist wie Meine. Ich hoffe, dass es ihr bald wieder gut geht."

Einen Moment schwieg ich betroffen. Sollte ich wirklich nachfragen oder würde ich damit dem Mädchen nur noch größere Trauer bescheren? Nach ein paar weiteren Sekunden nahm ich meinen Mut zusammen und beschloss nachzuhaken, immerhin hatte sie das Thema selbst angesprochen. Vielleicht brauchte das Mädchen wirklich jemanden, der ihr nun zuhörte, so dass sie sich eine Last von der Seele reden konnte. „Was genau hat deine Mutter denn?"

Die großen braunen Augen des Mädchens nahmen erneut einen traurigen Ausdruck an, doch diesmal flossen keine Tränen und ihre Stimme wirkte fest, als sie antwortete: „Meine Mutter war wie ich bei der Explosion dabei, doch der Mann hat sie nicht wie mich beschützen können."

Herzlich willkommen zurück ;)
Tut mir leid, dass es diese Woche nicht ganz mit den Kapiteln geklappt hat. Ich war wirklich fertig am Tag, denn ich war in der Nacht Kröten sammeln. (Ich wollte endlich mal wieder Kröteneintopf essen (Nein keine Sorge, wir haben ihnen nur über die Straße geholfen))

Leider habe ich schlechte Neuigkeiten für euch. Ich werde wahrscheinlich die kommenden zehn Wochen nur einmal die Woche ein Kapitel hochladen können. Das kommt daher, weil ich in meinen kurzen Ferien es nicht geschafft habe einen großen Kapitelpuffer zu schreiben. Ich kann dies auch jetzt nicht nachträglich aufholen, da ab Montag meine Bachelorarbeit anfängt und ich dann vollständig mit Programmieren und Dokumentieren beschäftigt sein werde.

Ich hoffe, dass ihr diese harte Zeit überstehen werdet ;)

Liebe Grüße:

Sarah

P.S. Übrigens hat mit ganz knapper Mehrheit (eine Stimme) der Beitrag 5 gewonnen. ^^


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