Die Tödlichkeit der Halbwahrheit - 2
Wenige Minuten später verblasste der Cocktail aus aufgebrachten Hormonen und Gefühlen bereits, stattdessen begann ich wie Espenlaub zu zittern. Bewaffnet mit einigen Küchenutensilien befand ich mich in der Hochbahn, auf dem schnellsten Weg zu meinem möglichem Tod. Eigentlich hatte ich nur mein fast stumpfes Schneidemesser mitnehmen wollen, doch Lisa hatte mir ebenfalls die Bratpfanne aufs Auge gedrückt. Scheinbar hatte sie aus irgendeinem alten Zeichentrickfilm gelernt, dass man sich damit gut wehren konnte. Ich blickte zweifelnd in die Stofftasche, in der sich zusätzlich auch noch ein metallener Topfdeckel befand. Letzteren hatte ich noch beim Gehen rasch eingepackt. Vielleicht könnte ich mit dem Topfdeckel irgendwie ein heranfliegendes Geschoss abhalten. Wirklich wohl fühlte ich mich mit dieser Ausrüstung ganz sicher nicht, aber das war im Moment leider meine kleinste Sorge. Nervös blickte ich aus dem Fenster, während ich mir mein Gehirn zermarterte wie ich überhaupt in Mrs. Johnsons Wohnung gelangen sollte.
Zu meiner Beunruhigung schien die Hochbahn heute ganz besonders schnell durch die Stadt zu rasen. Innerhalb weniger Minuten befand ich mich an der passenden Haltestelle und stieg zitternd aus. Mit langsamen Schritten machte ich mich auf den Weg zu dem Nachbargebäude, in dem Mrs. Johnson wohnte. Jeder Meter, den ich zurücklegte, fühlte sich wie eine Ewigkeit an. War Samuel wirklich noch am Leben? Würde ich rechtzeitig ankommen? Was konnte ich nur tun, um ihm zu helfen? Vielleicht hätte ich doch lieber jemanden anderen hierher schicken sollen, doch wen hätte ich dafür fragen können? Lisa war bereits auf den Weg zu den Beamten, aber es war gut möglich, dass man einer einfachen kleinen Menschenfrau nicht glaubte. Hätten wir Mr. Giordano nicht vorzeitig ausgeschaltet, hätte er uns vielleicht jetzt helfen können, so war ich vorerst vollkommen auf mich allein gestellt.
Zitternd ging ich in das Hochhaus, wo Mrs. Johnson ihr Apartment hatte. Ob ihr Mann wohl auch da war? Lisa hatte mir zuvor versichert, dass die beiden aus welchen Gründen auch immer, zwei Wohnung fast am gegensetzten Ende der Innenstadt besaßen. Ihre Hochzeit schien eine reine Zweckbeziehung zu sein.
Vorsichtig schlich ich mich zum Fahrstuhl und wählte das 32. Stockwerk aus. Sobald die Türen aufgingen, bewegte ich mich langsam voran. Ich wusste nicht genau, wo sich die Wohnung 32.002.66 befand, doch ein paar nette Schilder wiesen mir leider sehr rasch den richtigen Weg. Seufzend holte ich die Bratpfanne und das Messer aus der Tasche. Den Topfdeckel ließ ich zurück, da ich beide Hände bereits voll hatte. Das Messer fühlte sich seltsam in meiner rechten Hand an, während die Linke unter dem Gewicht der Pfanne zitterte. Vielleicht hätte ich doch lieber den etwas leichteren Topfdeckel nehmen sollen, dachte ich bei mir, während ich langsam voranschlich.
Es dauerte, danke meinem Schneckentempo, ganze fünf Minuten, bis ich endlich im richtigen Bereich ankam. Doch als ich den passenden Flur endlich betrat, musste ich nicht zweimal überprüfen, welche Haustüre Mrs. Johnson gehörte. Ein gewaltiges Loch hatte sich durch das Holz in das Zimmer dahinter gefressen. Zu meinem großen Erstaunen konnte ich aus dem Inneren jedoch kein Geräusch hören. War ich etwa zu spät gekommen? Waren Samuel und Aidan bereits tot?
Die eiskalte Panik ergriff von mir Besitz und ich vergaß ich für einen Moment zu schleichen. Ich rannte zu der Tür und stellte erschrocken fest, dass sich hinter dem großen Loch eine gewaltige Wasserwand auftürmte. Sie schirmte nicht nur Geräusche hinaus auf den Gang ab, sondern machte es mir auch unmöglich den Raum zu betreten. Was sollte ich nun tun?!
Ich schlich näher zu der Tür und blickte durch die Mauer aus Wasser hinein in das Zimmer. Besonders klar war meine Sicht nicht, denn alles wirkte seltsam verzerrt, aber zumindest grobe Umrisse konnte ich erkennen. Der gesamte Raum war vollkommen zerstört. Kein Möbelstück war ganz geblieben. Holzteile und Metallstück stapelten sich in dem ganzen Zimmer. Aus einem zerstörten Küchenhahn sprudelte stetig neues Wasser und verdichtete damit die flüssigen Wände, die scheinbar das ganze Apartment umgaben. Als ich ein Stück zur Seite ging, konnte ich links in dem Zimmer zwei große Gestalten erkennen. Fast hätte ich vor Erleichterung aufgeatmet. Samuel und Aidan lebten noch! Beide standen aufrecht im Raum, doch wieso wagten sie es nicht sich zu bewegen? Als ich meinen Kopf leicht in den Nacken legte, erkannte ich den Grund. Über den beiden schwebten gewaltige leuchtende Kugeln. Scheinbar waren sie den hochfrequenten Signalen des Transmitters ausgeliefert. Irgendwie schafften es Samuel und Aidan ihr inneres Feuer als Plasmakugeln halbwegs stabil zu halten, doch sie konnten ihre Flammen nicht wieder zurück in sich aufnehmen.
Nervös begann ich auf meiner Lippe zu beißen. Was sollte ich nun tun? Ich konnte Mrs. Johnson weit und breit nicht erkennen. Die Wasserwand vor mir wirkte seltsam ruhig. Vielleicht konnte ich einfach durch sie hindurchrennen wie durch eine kalte Dusche? Anderseits konnten auch Tonnen von Wasser auf mich eindrücken, wenn ich es wagte durch die flüssige Wand zu laufen. Würde es Mrs. Johnson zudem nicht deutlich spüren, wenn ich ihre Barriere durchbrach?
Ich blickte erneut zu Samuel und Aidan. Zu meinem Entsetzten musste ich mitansehen wie Aidan plötzlich auf die Knie fiel. Er hatte scheinbar kaum noch genug Kraft in sich, um seine Flammen stabil zu halten. Panisch blickte ich hinauf zu den wabernden Plasmakugeln. In diesem Moment fiel mir ein, was mir Samuel einmal gesagt hatte. Er meinte, dass ich das Feuer eines Flammengeborenen in mir aufnehmen könnte, als sei es ein Kinderspiel. Er selbst hätte für das Absorbieren lange trainieren müssen. Vielleicht konnte ich die Energie in mir wieder dauerhaft stabilisieren? Meine Idee war sehr riskant. Denn es bestand die große Chance, dass die geballte Kraft dieses gewaltigen inneren Feuers mich einfach umbringen konnte. Möglicherweise würde ich explodieren, wenn ich nur die kleinste Plasmakugel berührte, doch was für eine andere Chance hatte ich?
Ich ging einige Schritte zurück, holte Anlauf und sprang dann durch das Loch. Wasser schlug mir entgegen. Ich fühlte mich, als ob ich in einen riesigen See springen würde, doch bereits im nächsten Moment umgab mich wieder herrliche Luft. Ich landete unelegant auf der anderen Seite. Meine Pfanne und das Messer fielen klirrend zu Boden, während ich versuchte mich so schnell wie möglich aufzurappeln.
Ich war noch nicht einmal zwei Sekunden auf den Beinen, als mich plötzlich eiskaltes Wasser umschlang. Es wirbelte mich herum, hob mich hoch und presste mich gegen die flüssige Wand. Ich schrie verzweifelt auf und blickte mich panisch um. Aidan und Samuel musterten mich ebenso überrascht und ängstlich wie ich sie, doch beide waren nicht die Schuldigen für meine Lage. Diese Ehre gebührte einzig und allein der Leviathanin, die nun aus einem Nachbarzimmer auf uns zu stolzierte. Auf ihren Rücken hatte sie sich einen großen Rucksack geschnallt, so als würde sie jeden Moment zu einem Camping Urlaub aufbrechen. Scheinbar hatte sie eben vorgehabt zu fliehen, als ich in ihre Wohnung geplatzt war.
„Sie!?", rief sie erstaunt aus. Ihre schönen Augen weideten sich überrascht und ein kaltes Lächeln legte sich auf ihre perfekten Lippen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich noch einmal vor meiner Abreise besuchen, doch was soll ich sagen? Meine liebe Miss Laurence, ich glaube, ich war noch nie so erfreut wie heute Sie hier zu sehen. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches? Wollen Sie mit den beiden Feuermännchen zusammen sterben?"
Ich warf Samuel einen schnellen Blick zu. Seine braunen Augen musterten mich voller Verzweiflung. Er hatte die Hoffnung auf Rettung längst aufgegeben, ebenso wie der am Boden kniende Aidan. Wieder warf ich einen Blick Samuel zu, der besagen sollte, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, doch Mrs. Johnson begann erneut zu sprechen: „Also wirklich ausgerechnet er? Ich weiß, dass Sie lange Zeit keinen Mann mehr hatten, doch ich muss zugeben, dass ich enttäuscht bin. Selbst von Ihnen hätte ich mir einen besseren Geschmack erhofft!"
Wütend funkelte ich die wunderschöne, eisige Bestie an, doch im Moment konnte ich ihr nichts anhaben und genau das schien sie zu wissen, aber vor allem auch zu genießen.
Sooo....
Nachdem ich euch am Mittwoch einfach so sitzen gelassen habe, gibt es heute endlich die Fortsetzung ;)
Ich hoffe, dass ihr euch auf die Kommende Auseinandersetzung ebenso freut, wie ich mich ^^
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