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Schwer atmend stürmte Elisabeth von der Bühne. Sie ignorierte die besorgten Blicke der anderen Tänzerinnen, die alle mitbekommen hatten, dass die zweite Hälfte ihres Auftritts zittrig und mit einigen Patzern gelaufen war. Sie konnte ihre Aufregung kaum unterdrücken, gefangen zwischen Panik und einem allumfassenden Hochgefühl.
Was zum Teufel tat Alex im Publikum? Stalkte er sie?
Die ganze Woche über waren ihre Gedanken immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Wie romantisch es wäre, wenn sie sich zufällig wieder über den Weg liefen. Wie sehr sie sich wünschte, mehr über ihn zu wissen. Und jetzt war er hier. Wegen ihr.
Ein Blick auf ihn hatte ihr genügt, um zu wissen, dass er für sie hier war. Die Art, wie er sie gemustert hatte, mit seinen Augen beinahe aufgefressen hatte, hatte das deutlich gemacht. Ein nicht zu ignorierender Teil von ihr freute sich darüber. Sie hatte ihm gesagt, wo sie arbeitete, natürlich würde er hier wieder auftauchen, wenn er sie finden wollte. Das war doch genau das, was sie sich erhofft hatte.
Aber der rationale Teil in ihr warnte sie. Es war seltsam, dass ein Mann extra für sie in einen Stripclub ging. Sein Blick war seltsam gewesen. So fokussiert. Sie kannte die üblichen Blicke der Männer im Publikum. Betrunkene Leere oder gierige Lust. Keiner schaute sie so an wie Alex gerade eben. Es machte ihr Angst. Es erregte sie.
Mit zitternden Händen stützte sie sich auf einem der Tische in der Ankleide ab. Sie hatte Angst vor diesem Mann. Genauso wie sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Vielleicht war es nur, weil er ihr am vorigen Wochenende geholfen hatte, als sie sich mal wieder richtig tief am Boden gefühlt hatte. Seine letzten Worte waren ihr die ganze Woche über nicht aus dem Kopf gegangen. Ich hoffe, wer auch immer dich zum Weinen gebracht hat, bereut es in naher Zukunft.
Er hatte erstaunlich sanft geklungen, als er das gesagt hatte.
Fluchend starrte Lily in den Spiegel. Zum Teufel mit der Angst. Sie ließ sich immer von der Angst leiten. Sie war 22 Jahre alt und das einzige, was sie jemals gemacht hatte, was ihren Eltern missfiel, war, dass sie in einem Nachtclub tanzte. Und sie wussten das nicht mal. Zum Teufel mit der braven Tochter reicher Eltern.
Sie ordnete ihr Haar, das sie entgegen ihrer Gewohnheit heute offen trug, und griff dann nach dem Korb, in dem sie ihr Trinkgeld einsammelte. Sie war unter Leuten, unter der Aufsicht der Security im Club. Was sollte schon passieren?
***
Zum wiederholten Male in dieser Nacht verfluchte Elisabeth sich dafür, dass sie sich hatte überreden lassen, ihre Haare heute offen zu tragen. Nicht nur, dass sie ihr an der Stange ständig in die Quere gekommen waren, nein, sie klebten nun auch an ihrem verschwitzten Körper. Ihre Kolleginnen hatten ihr geschworen, dass sie mit offenen Haaren und weniger gestelltem Make-up viel mehr Trinkgeld reinholen würde – und wie durch ein Wunder hatte sich das bestätigt. Jeder einzelne Gast an einem Tisch in der ersten Reihe hatte heute tief in sein Portemonnaie gegriffen.
Bis auf einer. Sie hatte Alex gemieden, ihn für den Schluss ihrer Runde aufgehoben, um Zeit zu schinden. Normalerweise wurden alle Tische in der ersten Reihe als erstes von ihr besucht, immerhin saßen dort die VIPs, die mehr Geld für den Eintritt zahlten als der Rest. Sie würde keine Szene machen und ihn nicht besuchen, aber sie brauchte Mut, um an ihn heranzutreten.
Außerdem hatte sie gesehen, dass er keinerlei Tasche oder sonstiges bei sich zu tragen schien. Trinkgeld ging hier noch immer klassisch über Bargeld und wie es schien, hatte dieser spezielle Gast keines bei sich. Während sie sich mit wippenden Hüften durch die Tische schlängelte, spürte sie, wie Erregung, Angst und Wut sich in ihr mischten. Da tauchte er schon hier auf wie ein Stalker und hatte noch nicht einmal Geld für sie dabei?
Er saß an seinem Tisch, vollkommen alleine auf der halbrunden Polsterbank, doch sein Blick galt nicht den fünf Tänzerinnen auf der Bühne. Als hätte er auf sie gewartet, starrte er durch den Raum hinweg zu ihr. Elisabeths Mund wurde trocken. Verflucht, warum musste dieser Mann auch so gut aussehen? Sie hatte sich doch noch nie von hübschen Jungs beeindrucken lassen! Es gab keinen Grund, jetzt weiche Knie zu bekommen.
Entschlossen schlängelte sie sich durch die Tische, quittierte die Hände, die immer mal wieder ihren Weg zu ihrem Hintern oder ihren Schenkeln fanden, mit einem unverbindlichen Lächeln, und hielt auf den einen Tisch zu, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Er hielt ihrem Blick stand, doch noch immer zeigte sich keine Regung auf seinem Gesicht.
Darauf bedacht, so desinteressiert und nonchalant wie möglich zu wirken, richtete sie ihren Blick auf die Bühne, während sie neben ihn auf die Polsterbank schlüpfte. »Guten Abend.«
Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Hallo, Lily.«
Er schaute sie an, als wäre es das natürlichste der Welt, dass er hier war. Elisabeth schluckte ihren Ärger hinunter und wandte sich nun vollends ihrem Sitznachbarn zu. Aus der Nähe sah er noch besser aus, hier im dämmrigen Licht des Clubs. Sie erinnerte sich, wie klein sie sich gefühlt hatte, als er vor ihr gestanden hatte. Sie fühlte sich plötzlich wie ein Kind neben ihm. Sie befeuchtete ihre Lippen und beugte sich ein wenig zu ihm, sodass ihre Brüste kurz seinen Oberarm streiften. »Wenn du mit deinem Verhalten meine Aufmerksamkeit erregen wolltest, dann gratuliere ich dir. Du hast gewonnen.«
Ohne auf ihre Berührung einzugehen, drehte Alex sich zu ihr und legte seinen linken Arm auf der Rückenlehne hinter ihr ab. Obwohl er sie nicht berührte, meinte sie, seine Körperwärme in ihrem Nacken spüren zu können. Eine Gänsehaut huschte über ihre Oberarme, während sie verkrampfte darum bemüht war, ihr professionelles Lächeln zu behalten. Er beugte sich minimal zu ihr hinunter, ehe er leise nachhakte: »Mein Verhalten? Habe ich etwas falsch gemacht?«
Ein weiterer Schauer rann ihr über den Rücken beim Klang seiner dunklen, leisen Stimme. Sie schaute durch ihre langen, falschen Wimpern zu ihm auf, direkt in diese dunkelbraunen Augen. Was sie dort sah, ließ ihren Atem stocken. So undurchdringlich seine Körperhaltung und seine Worte auch wirkten, so offen sah sie das Verlangen jetzt in seinen Augen. Vielleicht war es die monatelange Arbeit in verschiedenen Erotikclubs, die sie so vertraut mit diesem Ausdruck gemacht hatte, doch es war unmissverständlich. Dieser Mann war definitiv nicht so unberührt von ihr, wie er vorgab.
In einem Versuch, die Kontrolle über die Situation zurück zu erlangen, ließ Elisabeth ihre Hand langsam seinen Arm hinaufwandern, bis sie in seinem Nacken angekommen war. Dann beugte sie sich erneut vor und hoch, so weit diesmal, dass sie mit ihrer Brust die seine berührte und ihr Mund direkt neben seinem Ohr war. »Stalkst du mich?«
Sie zitterte innerlich vor Aufregung, getrieben von ihrer Neugier und ihrer Wut. Sie musste diese Frage stellen, auch wenn sie die Antwort vielleicht nicht hören wollte. Zwei große Hände schlossen sich um ihre Oberarme, fest und heiß, und rückten sie ein Stück zurück. Ohne sie loszulassen, schaute Alex sie an. »Du glaubst, ich bin hier, weil ich dich stalke?«
Er schien ehrlich überrascht von ihrer Frage, doch Lily ließ sich nicht beirren. »Ich habe dir zwar verraten, dass ich hier arbeite, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du direkt bei meiner nächsten Schicht auftauchst. Das ist ein bisschen seltsam, findest du nicht?«
»Du trägst Rot. Gilt das auch für mich?«
Überrascht wanderte ihr Blick zu ihrem Armband. Sie hatte sich heute in der Tat für rot entschieden, weil sie sich selbstbewusster denn je gefühlt hatte. Jetzt gerade war sie sich nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee gewesen war. Doch sie weigerte sich, ihre Unsicherheit durchschimmern zu lassen. »Es gilt für jeden Gast«, hauchte sie ihm zu, »also auch für dich.«
Mit einer Mühelosigkeit, die Elisabeth schwindelig machte, packte der Mann sie an der Taille, hob sie hoch und setzte sich rittlings auf seinem Schoß wieder ab. Ehe sie protestieren konnte, hatte er seine Hände auf ihre Oberschenkel gelegt und sie so nah an sich gezogen, dass sie zwischen ihren Beinen deutlich spüren konnte, dass er nicht unberührt von ihr geblieben war. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie spürte, wie ihre Angst und Wut schwanden.
Vielleicht war das alles, was hier los war. Ein Mann, der eine Frau gesehen hatte, die ihm gefiel, und hier aufgetaucht war, weil er hoffte, sich in genau dieser Position wiederzufinden. Sie dachte zu kompliziert. Die meisten Männer waren simpler gestrickt als all die Panik, die sie innerlich schob.
Sein Zeigefinger strich über ihre Lippen, folgte der Linie, die ihr Lächeln zeichnete. »Ah, ich verstehe«, raunte er ihr ins Ohr, während eine Hand auf ihren Rücken wanderte und sie so zwang, sich eng an ihn zu schmiegen. »Du genießt es, wenn ein Mann dir hoffnungslos verfallen ist. Machst du diesen Job deswegen?«
Betont langsam fuhr sie mit ihren Fingern durch sein Haar, ließ ihre Nägel über seine Kopfhaut kratzen, was ihr ein unterdrücktes Stöhnen von ihm einbrachte. Er war sehr nahe an der Wahrheit dran. Sie genoss seine offensichtliche Erregung sehr. Er war wegen ihr hier, nur wegen ihr. Vielleicht hatte er gehofft, dass alle Tänzerinnen in diesem Club auch für Sex zu haben waren. Oder vielleicht war es ihm schon genug, sie einfach nur zu sehen. Fakt war, jetzt gerade wollte er sie und das gab ihr alle Macht in dieser Situation. Es war ganz anders als letzte Woche im Auto.
Sie lehnte sich ein Stück zurück, um ihm in die Augen schauen zu können. »Ich kann tanzen und in Clubs wie diesem verdient man am leichtest Geld für den wenigsten Zeiteinsatz. Deswegen mache ich den Job. Dass ich Spaß daran habe, habe ich erst hier in diesem Club bemerkt.«
Bei dem Wort Spaß ließ sie ganz sachte ihre Hüfte rollen. Sofort wurde sie mit einem heiseren Stöhnen belohnt. Die Hand, die noch auf ihrem Schenkel ruhte, krallte sich fester in ihre weiche Haut, während der hochgewachsene Mann sein Gesicht in ihren Haaren vergrub. »Fuck, Sájka. Das darfst du nicht tun, wenn du kein Schwarz trägst.«
»Aber genau deswegen macht es mir doch so viel Spaß«, gab sie grinsend zurück und presste, wie um ihre Worte zu unterstreichen, ihre Schenkel noch einmal fester um seinen Körper. Sie registrierte entfernt, dass er die Clubregeln offensichtlich kannte, folgte dem Gedanken jedoch nicht weiter.
»Hast du keine Angst, dass ich mich über den Farbcode hinwegsetzen könnte?« Seine Stimme klang gepresst, doch dass er diese Frage überhaupt stellte, signalisierte Elisabeth, dass er ihre Grenzen respektieren würde. Selbst wenn das bedeutete, dass er leiden musste.
»Manchmal tun Gäste das«, erwiderte sie im Plauderton, während sie ihren Blick durch den schwach erleuchteten Clubraum wandern ließ. »Aber ich weiß, dass Kev und seine Männer immer alles im Auge haben. Wer zu weit geht, sieht sich schneller auf der Straße wieder, als er gucken kann.«
Ein leises Lachen brachte seine Brust zum Vibrieren. »Ich freue mich, dass du dem Personal so vertraust.«
Für einen Moment schwiegen sie beide, während Elisabeth auf den angestrengten Atem des Mannes lauschte. Sie spürte deutlich, wie heiß das Verlangen in ihm glühte, und sie konnte nicht leugnen, dass dieser Umstand ihr gefiel. Sie hatte erst nach ihrem Auszug das erste Mal Sex gehabt und selbst danach nur selten, weil sie selten Menschen sah, die sie interessierten. Doch jetzt gerade wäre es ihr nur recht, wenn sie in eines der Hinterzimmer verschwinden könnten. Dabei hatte Alex nicht einmal wirklich etwas getan.
In seinen Augen stand dieselbe Lust. Mit klopfendem Herzen ließ sie zu, dass ihre Blicke sich verfingen. Noch nie hatte sie so schnell für jemanden gebrannt wie für diesen Mann. Jegliche Angst war verschwunden. Stattdessen war nur das Hochgefühl da, dass ihre mädchenhaften romantischen Fantasien in Erfüllung gegangen waren. Ihr Ritter in scheinender Rüstung hatte sie gefunden.
Sie blinzelte und brach damit den Moment. Sie durfte nicht vergessen, dass sie immer noch auf Arbeit war und aus Prinzip nicht mit Kunden schlief. So sehr sie ihre Arbeit auf der Bühne auch liebte, sie wollte diese Grenze nicht überschreiten.
Alex hatte ihren Stimmungsumschwung offensichtlich gespürt. Er beugte sich ein Stück zu ihr runter und presste ihr seine heißen Lippen auf den Hals. Dann packte er sie erneut, als wiege sie nichts, und setzte sie wieder neben sich auf das Sofa. »Ich freue mich sehr, dass du heute hier warst.«
Unter Aufbringung all ihrer Selbstbeherrschung holte sie ihr professionelles Lächeln wieder hervor. »Ich bin jeden Freitag und Samstag hier.«
»Dann weiß ich, was ich die nächsten Wochenenden zu tun habe.« Als fiele ihm plötzlich was ein, umfasste er ihre Hände mit seinen und schaute sie ernst an. »Und nein, ich bin nicht hier, weil ich dich stalke. Ich wollte dich einfach nur wiedersehen.«
Sie grinste schief. »Habe ich einen neuen Stammkunden gewonnen?«
Überraschung blitzte in seinen Augen auf, doch sie verschwand wieder, ehe Lily wusste, ob sie es wirklich gesehen hatte. »Ich werde hier sein, so oft ich kann. Das verspreche ich dir.«
Hitze schoss ihr in die Wangen und wieder war da dieses jugendliche Hochgefühl, das drohte, ihr jeglichen Verstand zu rauben. Kopfschüttelnd schaute sie zu ihrem Korb mit Trinkgeld. »Gibt es dann auch ein paar Spenden für eine arme Lily in Not?«
Alex lachte leise. »Heute nicht. Sorry, Lily, ich bin blank.«
Sie erhob sich so elegant wie möglich und griff nach ihrem Korb. Dann beugte sie sich noch einmal zu ihm runter, um ihm mit einem Finger über die Wange zu streichen. »Dann hoffe ich beim nächsten Mal auf umso mehr Spenden.«
Sie richtete sich wieder auf und trat den Rückzug in den Backstage-Bereich an. Sie wusste nicht, ob sie sich freute, dass er ihr kein Trinkgeld gegeben hatte, oder nicht. Ein Teil von ihr war frustriert, dass ihr Einnahmen durch die Lappen gegangen waren, doch ein viel größerer Teil war erleichtert. Erleichtert, dass ihre besondere Beziehung zu ihm nicht auf das Niveau von zahlendem Kunden und Dienstleisterin reduziert worden war.
Mit einem unbewussten Lächeln auf den Lippen leerte sie ihre Einnahme in die gemeinsame Trinkgeldkasse und bereitete sich für ihren nächsten Auftritt vor. Zu wissen, dass seine Blicke wieder auf ihr liegen würden, gab ihr einen zusätzlichen Kick.
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