15
Ein Klopfen ertönte, doch bevor Elisabeth eine Chance hatte, aufzustehen oder etwas zu erwidern, ging die Tür bereits auf. Hinein trat ein mindestens zwei Meter großer Mann, dessen breite Schultern beinahe nicht durch den Türrahmen passten. Ihr Mund wurde trocken. Sie war sowieso schon klein, aber neben Männern wie ihm fühlte sie sich noch winziger. Und dass er mit seinen langen dunklen Haaren, dem perfekt gepflegtem Vollbart und den unfassbar hellen Augen auch noch unverschämt gut aussah, machte es nicht besser.
Sie leckte sich über die Lippen und stand auf. »Gäste haben hier keinen Zutritt.« Sie merkte selbst, dass ihre Stimme zitterte – als ob sie diesem Mann irgendetwas befehlen könnte, wenn er ihr nicht gehorchen wollte. Sie betete, dass er keinen Ärger machen würde. Wie war er überhaupt ungesehen hierher gelangt? Wo waren die Leute von der Security?
Ein raues Lachen ertönte, während der Hüne ungeniert weiter in den Raum trat. »Keine Sorge, Schätzchen, ich will nichts von dir. Ich gehöre zur Security. Du musst neu sein, hab dich hier noch nie gesehen.«
Misstrauisch kniff Elisabeth die Augen zusammen. Sie hatte bereits ihr Bühnenoutfit an und sie sah, wie sein Blick mehrmals über ihren Körper wanderte. Konnte sie seinen Worten wirklich Glauben schenken? »Ich hab dich auch noch nie gesehen und ich bin mir sicher, inzwischen alle vom Personal zu kennen.«
Der Blick ihres Gegenübers wanderte durch den Raum, bis er am Dienstplan hängen blieb. Er trat einen Schritt näher an den Kalender heran, dann tippte er drauf und drehte sich wieder zu ihr rum. »Sieht so aus, als ob du nur freitags und samstags hier bist. Und ich arbeite freitags und samstags nicht.«
Immer noch skeptisch verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. »Heute ist Freitag.«
Ein beinahe wölfisches Grinsen erschien auf seinen Lippen. »Gut erkannt, Kätzchen. Ich bin hier, weil ich was für den Boss erledigen muss. Außerhalb der Arbeitszeiten, stell dir das mal vor.«
Gegen ihren Willen musste Elisabeth ebenfalls schmunzeln. So riesig der Kerl auch war, seine lockere Art hatte etwas Entwaffnendes. »Kevin und Max hätten dich vermutlich eh nicht reingelassen, wenn du nicht dazu gehören würdest. Vielleicht sollte ich dir also glauben.«
Er nickte darauf bloß und begann, unendlich langsam eine Runde durch den Raum zu drehen und dabei alles ganz genau anzuschauen. Unwillkürlich fragte Elisabeth sich, ob sie sich Sorgen machen sollte, dass einer der Securitymänner außerhalb seiner Arbeitszeit auftauchte und die Umkleide so genau untersuchte. »Suchst du was Bestimmtes?«
Er schüttelte zur Antwort bloß den Kopf. Nachdem er seine Runde vollendet hatte, baute er sich direkt vor ihr auf. Mit in die Seiten gestützten Fäusten starrte er auf sie hinab. Augenblicklich musste Lily erneut schlucken. Sie ging diesem Mann gerade mal bis zur Brust und er war mindestens doppelt so breit wie sie. Warum musste sie auch so klein sein? Sie wünschte mit einem Mal, sie hätte bereits ihre High Heels für den Auftritt an – die würden sie wenigstens nochmal zehn Zentimeter größer machen.
»Du bist also neu? Wie heißt du?« Die Frage war zu erwarten, doch Elisabeth meinte, etwas Lauerndes in seinem Tonfall zu entdecken.
Sie reckte ihr Kinn vor und schaute zu ihm hoch. »Lily. Ich bin seit etwas mehr als einem Monat hier.«
»Hast du den Boss schon kennengelernt?«
»Nein, bisher hatte ich nur mit Mutter Gina zu tun. Sie meinte, sie will ihn mir mal vorstellen, aber soweit ich das verstanden habe, schaut er nur alle paar Wochen mal rein, um die Bücher zu überprüfen. Wieso?« Abwartend schaute sie zu ihm hoch.
»Kein Grund, wollte es nur wissen.« Wieder wanderten seine Augen über ihren Körper. »Du bist hübsch. Hast du vorher schon mal getanzt?«
Hitze schoss durch ihren Körper. Vielleicht hätte sie sich unwohl fühlen sollen, in ihrem weißen, luftigen Outfit, das mehr Haut zeigte als verbarg, vor einem Mann zu stehen und beäugt zu werden, doch das Gegenteil war der Fall. Er versuchte gar nicht erst, seine Blicke zu verheimlichen, und gleichzeitig machte er keine Anstalten, sie anzufassen. Genau das war der Grund, warum sie das Poledancing so liebte: Es fühlte sich gut an, wenn Männer ihren Körper so offensichtlich attraktiv fanden, und es gab ihr Sicherheit, dass keine Chance bestand, gegen ihren Willen angefasst zu werden.
Sie befeuchtete erneut ihre Lippen und nickte. »Bin schon seit einiger Zeit in verschiedenen Clubs hier in Hamburg, aber ich hab mich nirgends wohl gefühlt. Das Blue Moon ist der erste Club, wo ich tatsächlich gerne arbeiten gehe.«
Sie schaute ihm immer noch direkt in die Augen und mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie nah sie ihm eigentlich war. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, um ihn überhaupt ansehen zu können. Stumm erwiderte er ihren Blick, als würde er darin nach etwas suchen. Mit angehaltenem Atem wartete sie ab. Die Hitze in ihrem Körper stieg ihr in die Wangen und sie wusste, sie wurde gerade mehr als rot. Dass er das definitiv sehen konnte, verschlimmerte die Lage nur noch, doch sie konnte nicht wegsehen. Wie gefesselt starrte sie in seine Augen, bis er plötzlich von ihr weg trat.
»Du scheinst in Ordnung zu sein«, grollte der Mann und richtete seine Krawatte, die gar nicht gerichtet werden musste. »Ich will dich nicht aufhalten, du musst vermutlich gleich auf die Bühne.«
Mehrmals blinzelte Elisabeth, ehe sie sich gefangen hatte. Hatte sie sich das gerade nur eingebildet? Er klang plötzlich so geschäftsmäßig, als wäre er tatsächlich einfach nur ein Typ von der Security, der die Umkleide überprüfte. Kopfschüttelnd ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken und machte sich daran, in ihre mehr als unbequemen High Heels zu schlüpfen.
»Ich bin übrigens Konstantin«, kam es plötzlich von dem Hünen. »Nur für den Fall, dass du nachfragen willst, ob ich wirklich, wirklich dazu gehöre.« Er grinste sie schief an, zwinkerte ihr zu und war dann ebenso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.
Sie gab sich einen mentalen Stoß. Seit sie mit Alex geschlafen hatte, fühlte sie sich, als hätte sich ein Schleier von ihren Augen gelüftet. Plötzlich waren so viele Männer um sie herum so viel attraktiver und die Idee, mit ihnen ins Bett zu gehen, tauchte immer mal wieder auf. Dass nun dieser Riese namens Konstantin auch noch genau ihrem Typ entsprach – groß, muskulös, lange Haare – gab ihr vollends den Rest. Sie wusste schon jetzt, dass gleich, wenn sie auf der Bühne stand, vor ihrem geistigen Auge die Stange zu Konstantin werden würde, den sie versuchte zu verführen.
»Himmel, reiß dich zusammen, Fräulein«, schimpfte sie laut mit sich selbst. »Du bist ja schlimmer als jede rollige Katze.«
Mit einem letzten Blick in den Spiegel machte sie sich auf den Weg zur Bühne. Im schmalen Gang kamen ihr einige der anderen Tänzerinnen entgegen und sie konnte aus deren aufgeregtem Kichern deutlich heraus hören, dass sie alle Konstantin entdeckt hatten. Offenbar war sie nicht die einzige, die ihn interessant fand. Das beruhigte sie.
»Hey, Lily!« Sina packte sie mit schwitzigen Händen an den Schultern. »Hast du gerade Konstantin gesehen?«
Sie nickte, doch bevor sie ein Wort rausbrachte, plapperte die andere Tänzerin schon weiter. »Er ist normalerweise freitags nicht hier, aber ich freue mich. Er ist heiß, oder?«
»Absolut. Eine Verschwendung als einfacher Securitymann hier, oder was meinst du?«
Sinas Augen wurden groß. »Sag das nicht! Am Ende hört er dich noch und sucht sich einen neuen Job. Das wäre tragisch für uns alles. Weißt du«, sie senkte ihre Stimme, »wir dienen immer als Eye Candy für all die Männer da draußen, aber wenn Konstantin hier ist, haben wir zur Abwechslung mal was zu gucken.«
»Nur gucken?«, hakte Lily direkt ein. Augenblicklich lief sie rot an, doch die Frage war raus.
»Du Biest!«, kam es amüsiert von Sina. »Ich hab gehört, dass ein paar von den anderen ihr Glück schon versucht haben. Er scheint nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein, aber die meisten hatten kein Glück.«
»Vielleicht will er nur professionell sein? Keine dreckige Wäsche am Arbeitsplatz oder so?«
Die andere Tänzerin zuckte mit den Schultern. »Möglich. Oder er weiß zu genau, dass er jede von uns haben kann, und ist deswegen wählerisch. Der Schuft!«
Lachend schüttelte Lily den Kopf, doch bevor sie etwas erwidern konnte, sah sie, dass die einzelne Stange für ihren Auftritt korrekt positioniert war und das Licht ausging. Mit routiniertem Griff verrieb sie einen Tropfen Kreide zwischen den Handflächen, dann holte sie tief Luft und ging mit langen, einstudierten Schritten durch die Dunkelheit auf die vorderste Stange zu.
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