Kapitel 4

Nach einer Weile hörte er erneut ein Klopfen. Ist es seine Angewohnheit, andere beim Waschen zu stören? Er verstand den Engel einfach nicht. Nach außen hin schien er ruhig und reserviert, doch er wusste, dass das Verschwinden seiner Kameraden ihn mitnahm, auch wenn er es zu verstecken versuchte.

Die Engel sind... verwirrend, Idioten, beschränkt. Sie hatten eine feste Hierarchie, die unflexibel war und einsperrte, die Macht war zu konzentriert und offensichtlich schien das soziale Verhalten und Miteinander eine Nebensache zu sein. Ein Engel, der nichts über Liebe weiß. Welchen Zweck hat dann das Leben? Schließlich stieg er aus der Wanne und zog sich eine Hose über. Erst dann verließ er den Waschraum, wer wusste, ob sein Spanner erneut dort stehen würde. Er konnte nicht vorhersagen, was Haniel tun würde, und er musste zugeben, es war recht unterhaltsam.

Haniel wartete vor der geschlossenen Zimmertür des Dämons und würde diese nicht öffnen, bis er ihn hinein ließ. Er hatte verstanden, dass Belial die Privatsphäre wichtig war und respektierte das. Auch wenn es neu für den Engel war, so hielt er sich dran.

Die Tür öffnete sich und ein grimmig aussehender Dämon starrte ihn an. "Komm rein und steh dir nicht die Beine in den Bauch, Engel." Haniel folgte der Aufforderung und trat ein. Er sah bewusst nicht zu dem oberkörperfreien Dämon, da es diesen vorher gestört haben musste. Zumindest empfand das der Engel so.

"Geht es dir gut?" Diese Frage brannte Haniel auf der Seele und musste heute noch gestellt werden, da er sonst nicht hätte schlafen können. Er war sich nicht sicher, inwieweit er Belials Magie angezapft hatte und ob dies ihm eventuell geschadet haben könnte. Auch wenn er gelernt hatte, dass Engel emotionslos agieren müssen, so konnte der Grauhaarige das nicht. Ich bin wohl noch immer ein defekter Engel.

"Wieso sollte es mir schlecht gehen?" Die Frage machte den Dämon misstrauisch. Er lief ins Zimmer und bedeutete Haniel, ihm zu folgen, da er sich nicht zwischen Tür und Angel mit ihm unterhalten wollte. Er nahm ein Oberteil und zog es sich an, während er weiter seine Haare trocken rieb. Er beobachtete genau die Mimik des Engel und hatte das Gefühl, einen Bruch in der Fassade zu sehen. Was verheimlichst du mir?

"Fühlst du dich seit vorhin seltsam? Schlapp? Irgendetwas?" Haniel sah ihn nun direkt an und bemerkte selbst, wie er sich in Rage fragte. Es konnte nicht sein, dass Belial nichts gemerkt haben konnte.

Belial trat nahe an den Engel, doch dieser wich nicht zurück. "Was verschweigst du mir?" Er war, kurz bevor sie nach Hause aufgebrochen waren, plötzlich anders gewesen. Was war auf dem Dach passiert? Er konnte nicht in das hübsche Köpfchen schauen, also musste er ihn zum reden bringen. Sanft legte er seine Finger an das Kinn des Engels und hob es an, sodass er ihm direkt in die Augen schaute. Haniel hielt seinem Blick stand, doch er beging einen Fehler und ein Riss in der perfekten Fassade entstand - er biss sich nur für einen Moment auf die Lippen.

Diese Geste weckte einen Instinkt, der lange in Belial geschlafen hatte - seinen Jagdinstinkt. Es war lange her, seit er das letzte Mal eine körperliche Vereinigung hatte, denn er wollte auf sein Herz warten, doch dieser Engel reizte ihn und er wusste nicht warum.

Der Grauhaarige war seit langem das erste Mal wieder überfordert. Es machte ihn fertig, wie nah er dem Dämon war und seine körperliche Wärme spürte. Belials Gesicht sah bereits wunderschön aus, doch nun schien es noch mehr an Schönheit hinzugewonnen zu haben. Haniel hob unbewusst seine rechte Hand und fasste mit dieser die muskulöse Brust des Dämons an. Er übte leichten Druck aus, doch symbolisierte es nicht, dass Belial zurück weichen sollte, sondern ein einfacher Körperkontakt. Einer, den der Engel zum ersten Mal mit jemanden teilte.

Es trennte sie nur eine Lage dünnen Stoff, doch Belial konnte die Wärme spüren. Er sah den Blick in Haniels Augen. "Wie lange willst du diese Fassade noch aufrecht erhalten? Was versuchst du zu verstecken?", flüsterte er.

"Fassade?" Haniel verstand nicht, was Belial meinte.

"Ja. Diese Ich-lasse-nichts-an-mich-heran-Fassade. Ich weiß, dass du nicht so gelassen bist, warum denn auch? Deine Kameraden verschwinden und niemand weiß, was mit ihnen passiert ist. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso ihr Himmelsknaben immer diese versteinerte Maske aus Arroganz tragt. Ist es ein Verbrechen zu zeigen, dass euch an anderen etwas liegt? Oder seid ihr wirklich alle Wesen aus Stein, ohne Gefühle?" Er wusste, dass er Haniel damit Unrecht tat, denn dieser hatte mehr als einmal gezeigt, dass er anders war, doch der Engel versuchte es zu verstecken. Es gab schlichtweg keinen Grund dafür.

"Uns wird nicht beigebracht Gefühle zu zeigen, geschweige denn welche zu besitzen. Ich bin nicht umsonst einer der besten Kriegsengel geworden, auch wenn ich oft in die Vergangenheit als defekt betitelt wurde."

"Hölle nochmal, Haniel! Gefühle sind nichts, was einem beigebracht werden muss. Sie sind da, sie sind in jedem vorhanden. Es ist keine bewusste Entscheidung oder Fähigkeit, diese zu haben. Die einzige Entscheidung, die man treffen kann, ist sie zuzulassen oder zu unterdrücken", sagte Belial lauter als beabsichtigt. Er drehte dem Engel den Rücken zu und griff sich an die Stirn. Rede ich mit einem Kleinkind? Nein, das wüsste mehr von Gefühlen, als dieser Idiot. Es war nicht Belials Aufgabe, den Missionar für einen Engel zu spielen, doch es ärgerte ihn mehr, als er zugeben wollte. Vielleicht, weil er so ist wie ich. Er war in den letzten Jahrzehnten immer kälter geworden. Wer bin ich, ihm einen Vorwurf zu machen? Ich bin keinen Deut besser.

Der plötzliche Verlust von Belials Wärme gefiel Haniel nicht und da erkannte er, was die Worte des Dämons bedeuteten. Uns werden Eigenschaften abtrainiert. Ohne nachzudenken, trat er dicht an den Rücken des Schwarzhaarigen und berührte ihn zwischen seinen Schulterblättern.

Belial drehte sich um und fing seine Hand ab. "Vorsichtig, Engel. Mein innerer Dämon ist unruhig. Du solltest ihn nicht reizen, sonst passiert etwas, dass dir sicherlich nicht gefallen würde." Als wolle er seine Worte unterstreichen, drückte er die Hand des Engels fester.

Haniel ließ sich nicht beirren, denn mit der Kraftstärke kam er zurecht und es beeindruckte ihn nicht wirklich. Ja, er wusste, dass Belial stark sein musste, doch war der Engel es ebenso. "Was bedeutet innerer Dämon?" Es interessierte ihn wirklich sehr, da ein Engel ein Engel war.

Belial ließ Haniel los und setzte sich auf sein Bett. Er antwortete ihm: "So wie ihr Engel mit einem kühlen Wesenszug geboren werdet, werden wir Dämonen mit einem wilden Wesenszug geboren. Es ist ein Teil von uns, der tief in uns ist. Sollte dieser die Kontrolle übernehmen, handeln wir nur noch nach unseren Instinkten. Er schützt uns und macht uns stärker, doch gleichzeitig ist er eine Gefahr, denn wir dürfen niemals die Kontrolle über ihn verlieren. Die einzige Person, die unseren inneren Dämon unter Kontrolle hat, ist unser Herz."

"Euer Herz? Besitzt ihr keines?"

Für einen Moment zuckten Belials Mundwinkel. Wie wenig weiß dieser Engel eigentlich über die Welt außerhalb seines Wölkchens Bescheid? "Unser Herz ist unsere zweite Hälfte, die Person, die uns vervollständigt. Nur bei ihr finden wir Ruhe und Frieden, nur bei ihr fühlt man sich vollständig. Es ist die Person, an die wir uns ein Leben lang binden, einen Bund schließen, den nicht einmal der Tod trennen kann."

Haniel hörte schweigend zu und fühlte Neid in sich aufsteigen. Es muss schön sein, wenn man jemanden hat. "Hast du eine Ahnung, wie man diese Person erkennt? Im Himmel gibt es solch eine Verbindung nicht. Zumindest wurde es so überliefert."

Belial unterbrach den Engel. "Da hat man dir aber einen Bären aufgebunden. Ich weiß, dass es das auch bei euch gibt, wenn auch nicht so offen darüber gesprochen wurde. Ich denke du hast es nur noch nicht gehört, weil du mehr damit beschäftigt warst, dein Schwert zu schwingen, als die Gesellschaft anderer zu suchen."

Die Worte trafen Haniel und taten weh. Sehr weh. "Ich hatte keine andere Wahl, sonst säße ich heute nicht neben dir. Für dich mag es sich alles seltsam anhören, aber genauso ist es auch für mich seltsam, wenn ich dir zuhöre und du mir erzählst, dass es wohl eine bestimmte Person für mich geben soll. Vielleicht sind all die vorhandenen Engelpaare Gefährten, doch verhalten sie sich, wie es sich für einen Engel gehört. Ruhig und beherrscht. Das bekommen wir von Kindesalter an gelehrt und wer sich nicht fügt wird schwer bestraft." Der Engel wandte den Blick vom Dämon ab, da er nicht riskieren wollte, dass er etwas in seinen Augen sah, das er seit Jahrhunderten nicht mehr gezeigt hatte. Schmerz und Trauer. Ich darf nichts zulassen. Nicht noch einmal.

Wut stieg in Belial auf. Er wusste nicht, warum es ihn so in Rage brachte, doch es war der Tonfall gewesen. Er versuchte alles unter seinem harten Ton zu verstecken, als würde ihm nichts anhaben können. Vielleicht ist er doch einer dieser arroganten Idioten, vielleicht ist er nicht anders. Ein dunkler Gedanke beschlich ihn. Vielleicht sollte ihm jemand zeigen, was... Er brach ihn ab. Er hatte keine Zeit mit einem fehlgeleiteten Engel zu diskutieren. Sollte er in seiner tollen Gesellschaft da oben doch versauern, es war nicht sein Problem. Doch aus irgendeinem Grund konnte er es nicht lassen. "Hey, Engel. Ist dir mal in den Sinn gekommen, selbst zu denken? Vielleicht sollte ich mir einen anderen Partner suchen, denn offensichtlich machst du nur das, was man dir sagt."

Haniel verlor die innere Ruhe und seine Flügel brachen aus seinem Rücken hervor. Mit festem Griff, schnappte er sich einen Arm des Dämons und zog diesen nah an sich heran. "Unterschätze meine Stärke nicht. Niemand ist besser für diese Aufgabe als ich! Nur weil du machen kannst, was du möchtest, heißt es nicht, das andere das Gleiche tun können! Ist dir mal in den Sinn gekommen, was ich bisher durchmachen musste?" Jedes gesprochene Wort des Engels wurde lauter und eine Last fiel von seinen Schultern. Welch befreiendes Gefühl.

"Willst du jetzt Mitleid?"

"Wenn ich dieses haben wollen würde, wäre ich nicht hier. Da es dir offenbar gut geht, werde ich nun gehen. Wir sehen uns morgen, sofern du es wünschst." Der Engel verließ das Zimmer und hatte einen Entschluss gefasst. Wenn er nicht mit mir arbeiten kann und möchte, werde ich die Suche alleine bestreiten.

Belial schaute zur Tür, die der Engel mehr oder weniger zugeknallt hatte. Er kann also doch Gefühle zeigen. War er zu hart zu ihm gewesen? Vielleicht. Doch was ihn eher beschäftigte, war dessen letzte Aussage. Warum hatte er überprüfen wollen, ob es ihm gut geht? "Was versteckst du, Haniel?"

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